GG 446
Operum Gregorii Nazianzeni Tomi tres, aucti nunc primum Caesarii, qui frater Nazianzeni fuit, Eliae Cretensis Episcopi, Pselli, & ipsius Gregorii librorum aliquot accessione. Quorum editio diuturnis vigilijs, summaque fide, qua interpretationem, qua veteres ad libros collationem, elaborata est per Ioannem Lewenklaium. Nec deinceps aliam exspectari locupletiorem posse, de prooemio Lector intelliget. Additae sunt Annotationes... Basel: Eusebius Episcopius in der Officina Hervagiana 1571. Fol.
21 Jahre nach der ersten griechischen und lateinischen Gesamtausgabe bei Johannes Herwagen (GG 444), zwei Jahre nach einer neu übersetzten Pariser Ausgabe der Schriften des berühmtesten griechischen Kirchenlehrers, des "Theologos", Gregors von Nazianz, und ein Jahr nach deren in Basel wohl noch unbekanntem nur geringfügig erweitertem Kölner Nachdruck von 1570 erscheint die vorliegende, erweitert durch einige neue Schriften Gregors, eine zu Unrecht seinem Bruder Caesarius zugeschriebene und zwei ältere Kommentare zu Gregor, vor allem den umfangreichen Kommentar des Elias von Kreta, auf insgesamt 1170 kleingedruckten Folioseiten, wozu noch, neben dem üblichen Wort- und Sachindex, ein besonderer Index der behandelten Bibelstellen, in der Abfolge der biblischen Bücher kommt.
Übersetzer der neuen Schriften in diesem "nicht mehr erweiterbaren" Druck ist der seit dem Studienjahr 1566/67 in Basel weilende, wegen der berühmten Drucker hierher gekommene später berühmte westfälische Philologe, Orientalist und Historiker Johannes Leunclavius. Aus seiner wie üblich ohne Datum und Ortsangabe abgedruckten, aber aus dem Inhalt auf Basel 1571 bestimmbaren Widmungsvorrede an Johannes von Hoya, Bischof von Osnabrück, Münster und Paderborn, sowie aus einem in Abschrift erhaltenen Brief des Leunclavius an den Drucker lässt sich die Entstehung des Sammelwerks rekonstruieren. Er hat einzelne Schriften umgestellt und die Ausgabe in drei Bände eingeteilt: 1. die Schriften, zu denen er einen Kommentar des Elias gefunden hat, beides in eigener Übersetzung, 2. die übrigen schon bekannten Schriften in der Übersetzung und mit den Vorreden und Scholien des Billius von 1569, 3. die neu gefundenen Schriften, dazu der Kommentar des Psellus. In seiner sehr konkreten Vorrede befasst sich Leunclavius auch mit der kurz zuvor in Paris erschienenen Ausgabe mit der neuen Übersetzung, zum Teil nach Handschriften, des Jacques de Billy de Prunay und kommt auf den Grund seiner Anwesenheit in Basel zu sprechen. Von jung auf habe er sich immer besonders zu den Wissenschaften (litterae) und dem griechischen Altertum hingezogen gefühlt, beginnt er die Widmung an den geistlichen Herrn seiner Heimat, in dessen Sprache er die Schätze aller Gelehrsamkeit und Weisheit enthalten gesehen habe. Sie hätten die alten Philosophen und ihre späteren Erklärer als ihre Nachfolger verwendet und sämtliche Fächer in ihr umfasst, von der Geometrie bis zur Theologie und Rechtsgelehrtheit. Vom griechischen Wortlaut falle da auch Licht auf das Recht des Westens: das zeige sich schon an gewissen bisher veröffentlichten Texten (so waren z. B. 1541 bei Herwagen die griechischen Novellae mit Übersetzung erschienen, 1540 in Paris die Hexabiblos des Konstantin Harmenopulos); viel deutlicher werde es sich nach der Publikation der reichhaltigen Epitome der sechzig Bücher Basiliken zeigen, die er von seinem berühmten Freund Johannes Sambucus dazu erhalten habe. Als er diesen Wert der griechischen Literatur erkannt habe, habe er sich so dem Studium dieser Sprache gewidmet, dass er ständig Fortschritte gemacht habe. Er habe sich auch bemüht, was an Griechischem noch nicht übersetzt sei oder gar noch verborgen in Bibliotheken liege, zu übersetzen und lateinisch zu veröffentlichen, in der Hoffnung, so nicht nur dahinzuvegetieren, sondern der Wissenschaft (rei litterariae) zu nützen und diesen Ruf zu erwerben. Um dieses Vorhaben erfolgreicher in die Tat umzusetzen, habe er sich in diese berühmte Stadt begeben, die für ihre Offizinen hervorragender Drucker nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa weit und breit verdientermassen gepriesen werde. Schon das fünfte Jahr verbringe er jetzt hier mit der Herausgabe hervorragender Denkmäler gewisser alter Autoren, mit Arbeit und Sorgen, die auch zuweilen seine Gesundheit beeinträchtigt hätten. In seiner Auswahl von Autoren, deren Werk noch zu erweitern und ins Lateinische zu übersetzen sei, stehe für ihn Gregor von Nazianz wagen seiner theologischen Bedeutung an erster Stelle. Da die bisher gedruckten Übersetzungen (u.a. Basler Ausgabe von 1550 [GG 444]) barbarisch gewesen seien, habe er, auf Ermunterung von Freunden hin, an eine neue Übersetzung gedacht. Das sei vor vier Jahren gewesen (also um 1567/68), wie er mit Zeugnissen Wilhelm Canters (der Niederländer weilte damals in Basel) und des Martin Crusius (auch er dürfte hin und wieder bei Oporin aufgetaucht sein) und vieler Dozenten (doctores) der hiesigen Universität belegen könne. Die Ausgabe müsse die Erwartungen erfüllen und auch die Schriften vorlegen, die noch in Büchergefängnissen eingesperrt seien. Dass es dazu Zeit brauche, sei selbstverständlich.
Inzwischen habe sich in Frankreich der Vorsteher von St. Michel Jacques Billy des bitteren Schicksals Gregors erbarmt und ihn etwa gleichzeitig mit ihm zu übersetzen begonnen. Als er durch Canter hiervon erfahren habe, habe er, obwohl er schon einige Reden übersetzt gehabt habe, abzubrechen gedacht und sich gefreut, dass der schwer übersetzbare Autor dank der Arbeit eines andern unter die Leute komme. Denn es habe genug andere Werke gegeben, vor allem bisher gänzlich unbekannte, von denen er sich Lorbeer habe versprechen können. Doch als er nach Erscheinen der Arbeit des Billius gesehen habe, wie viel er schon gesammelt habe, was jener nicht habe, habe er den Interessenten diesen Schatz nicht vorenthalten können. Er habe es umso lieber getan, als er den Kommentar des Erzbischofs Elias von Kreta zur Verfügung gehabt und gesehen habe, wie nützlich er ihm für das Verständnis des oft verborgenen Sinns des Nazianzeners sein könne. Zudem habe er mehrere hervorragende Handschriften, einige Jahrhunderte alt, zur Verfügung gehabt. Gewiss habe auch Billius, wie sich zeige, alte Handschriften aus der Königlichen Bibliothek erhalten gehabt, doch er habe um vieles vollständigere verwendet, was man daraus ersehe, dass nicht nur in den seinen alles von Billius enthalten sei, sondern auch bei Billius vielerorts ganze Abschnitte fehlten, die seine Handschriften enthalten hätten. Man finde das in seinen Annotationen am Schluss des dritten Bandes. Zwei seiner Handschriften verdienten es, besonders hervorgehoben zu werden: die eine sei von Choniatas Acuminatus vor einigen Jahrhunderten beschrieben, dem Autor der Byzantinischen Kaisergeschichte, die der berühmte Hieronymus Wolf griechisch mit lateinischer Übersetzung publiziert habe (die um 1210 entstandene Geschichte des Niketas Choniates ist 1557 bei Oporin erschienen [GG 270]). Darin könne er sich aus zwei Gründen nicht irren: erstens habe Choniatas an einer Stelle folgende Zeile dazugesetzt: Theou to dōron, kai ponos Chōniatou (Bl. 155 v°). Dadurch werde für jeden klar angegeben, dass die Sache Geschenk Gottes, die Schreibarbeit aber Choniatas zu verdanken sei. Dann habe er auch, nach seiner Sitte, verschiedentlich den Predigten und Reden des Nazianzeners Epigramme in Senaren vorangestellt, was er auch in seiner Geschichte getan habe, wie die Ausgabe Wolfs zeige. Er habe sie auf lateinisch an den betreffenden Stellen eingefügt, um sie griechisch in den Annotationes zu bringen, woraus man Choniatas erkenne. Zuhinterst im selben Buch (d.h. wohl: im hinteren Deckel) finde sich ein Fragment einer staatlichen Urkunde, die der Kaiser Johannes Cantacuzenus eigenhändig rot nach seiner Sitte unterschrieben habe, danach eine Reihe von Bischöfen (die Handschrift A VII 1 ist seither von Omont ins 14. Jahrhundert datiert worden, zwei Ergänzungen von Harlfinger dem Georgios Baiophoros zugewiesen, der 1402-1433/34 in Konstantinopel belegt ist; das kaiserliche Fragment ist, wohl im 19. Jahrhundert, ohne Vermerk vom Band getrennt worden, heute unter der Signatur N I 6 Nr.16 aufbewahrt, und 1958 von A. Dold publiziert und in seiner kirchengeschichtlichen Bedeutung gewürdigt worden: Das Geheimnis einer byzantinischen Staatsurkunde aus dem Jahre 1351; dank der Vorrede des Leunclavius ist nun auch die Herkunft des "in einer mit zahlreichen anderen nicht bestimmten Handschriftenstücken kunterbunt gefüllten, kaum beachteten Schachtel" aufbewahrten Urkundenfragments klar: es ist zur Zeit des Basler Konzils mit dem Band oder im Band - zu dem es ja keine inhaltliche Verbindung hat - durch Johannes Stoicovic, den Bischof von Ragusa, bei dessen Tod in die Bibliothek des Basler Predigerklosters gelangt). Die andere Handschrift (exemplar) scheine noch viel älter zu sein. Die Schrift sei viel feiner, dem entsprechend fehlerlos der Text. Kein einziges Wort sei falsch darin geschrieben. Diese hätten ihm die hochgebildeten und überaus freundlichen (humanitate eximia praestantes) Dozenten (doctores) der Basler Universität (Academia), in deren öffentlicher Bibliothek sie sich befinde, zu benützen erlaubt (die des "Choniatas" sollte sich immerhin auch in der selben Bibliothek befunden haben; hatte sie schon Oporin "ausgeliehen" gehabt?). Sie sei vor 150 Jahren zur Zeit des Basler Konzils dorthin gelangt und dann mit grosser Verehrung gehütet worden (Cuno hatte sie schon für seine Übersetzung von Gregor von Nyssa/Nemesius von Emesa 1511 benützt). Überall seien Bilder eingestreut, durch die Tracht und Haltung der Griechen treffend dargestellt würden (bei der künstlerisch wertvolleren Handschrift hatte man sich offenbar die Herkunft gemerkt, während die reine Texthandschrift gleicher Herkunft anonym geworden war). Das Bildnis des Nazianzeners sei genau so wiedergegeben wie Simeon Metaphrastes (2. Hälfte 10. Jh.) seine Gesichtszüge und seine Gestalt beschrieben habe, dessen Worte der Lebensbeschreibung Gregors hier folgten (auf Bl. delta 6 v°, zusammen mit anderen biographischen Quellen, die schon Billy gegenüber den Basler Ausgaben von 1550 stark vermehrt hatte). Mit Hilfe dieser Handschriften habe er viel Verderbtes verbessert und Lücken ergänzt. Zum Kommentar des Elias wolle er nur darauf hinweisen, dass das Werk seine Qualität selber zeige. Wann Elias gelebt habe, wisse er nicht. Er müsse aber umfassend gebildet gewesen sein, von der Theologie bis zur Dichtkunst, alle älteren Werke, von Plato bis Proclus, gelesen haben. U. a. zeige sich das an seinen eingeflochtenen allgemeinen Thesen. Und die Lektüre werde noch unterhaltsamer durch seine zahlreichen Zitate aus heute verlorenen Autoren: u.a. jenes Maximus, dessen Dionysiuskommentar in Paris erschienen sei (Maximos Homologetes bzw. Confessor, um 580-662; seine Scholien zu Dionysios Areopagites waren 1562 griechisch in Paris erschienen). Die Griechen besässen noch dessen Schrift zur Auslegung des Gottesdienstes (tēs theias leitourgeias hermēneia) und eine Katechese. Sein Buch an Thalassius (im Westen schon im 12. Jahrhundert von Johannes Scotus Eriugena übersetzt) werde von Michael Glykas zitiert (es war im 16. Jahrhundert noch nicht wieder bekannt), dessen noch unpublizierte Annalen er gerade übersetze. An vielen Stellen zeige Elias, dass er noch weitere (als die 19 - wohl auch nur aus dieser Handschrift bekannten) Reden Gregors fortlaufend kommentiert habe. Daher schienen Nicetas, Serronius und Gregorius Palamas mit seiner Färse gepflügt zu haben: sie hätten eindeutig gestohlen. Elias zitiere immer wieder Verse aus Gedichten Gregors, die er, da sie in den Drucken (bis dahin) fehlten, daraufhin in seinen Handschriften der Gedichtbücher gesucht und vollständig gefunden habe: ein Gottesgeschenk, denn als er die Werke des Nazianzeners erhalten habe, hätte niemand die Gedichte anerkannt, das könne man ihm bezeugen (deren Handschrift, wenn auch dies eine Basler war, findet sich heute nicht mehr in der Basler Bibliothek; die Handschrift F VIII 4 aus dem 15. Jahrhundert, gleicher Herkunft wie die beiden andern Gregor-Handschriften, mit Epistolae Libanii und Gregorii Nazianzeni carmina, ist nicht seine Quelle gewesen, ihr Inhalt entspricht seinen Gedichten des dritten Bandes nicht). Ähnlich sei es ihm mit Caesarius, dem Bruder des Nazianzeners, ergangen. Ihn habe ihm vor vier Jahren die göttliche Freigebigkeit gebracht, und als er die Echtheit recht stark angezweifelt habe, weil Caesarius am Hofe und in Geschäften tätig gewesen und früh gestorben sei, da habe er im vorletzten Jahr das Zeugnis des Glykas gefunden, der aus diesen Dialogen des Caesarius, die er hier zum erstenmal im Anhang zu den Schriften Gregors im letzten Band veröffentliche, einiges wörtlich zitiere (die monophysitische Fragen- und Antwortschrift gilt heute nicht mehr als ein Werk des Kaisarios; sie dürfte um 550 in Konstantinopel entstanden sein). Zu Elias meine er übrigens, dass er etwa gelebt habe, als die Sarazenen Kreta den byzantinischen Kaisern entrissen hätten, d.h. vor etwa 600 Jahren; er schreibe nämlich in seiner Vorrede, dass er dieses Werk im Exil ausgearbeitet habe (was mit seiner heutigen Datierung recht genau übereinstimmt: der Metropolit wird heute zwischen 825 und 960 datiert; der griechische Text seines Kommentars ist nach der Basler Prachthandschrift, die ins 13. Jahrhundert datiert wird, 1858 von Albert Jahn bearbeitet worden und 1886 auszugsweise in Bd. 36 der Patrologia Graeca erschienen).
Bei diesen Möglichkeiten, das Werk des Nazianzeners zu verbessern und zu erweitern, habe er, mit der Arbeit des Billius nicht zufrieden, um die von den Ausgaben der alten Autoren verlangte Vollkommenheit zu erreichen, seine Arbeit wieder aufgenommen. Und damit man sehe, dass dieses Versprechen der Vollkommenheit nicht, wie üblich, leichtfertig zur Verkaufsförderung abgegeben sei, bringt er einige Beispiele von Verbesserungen, an denen der Leser dies erkennen könne: so der Hinweis des Elias auf die Zahl 52 der logoi - orationes sive commentationes, Reden oder Abhandlungen - in der auch, entgegen Billius, gewisse Briefe enthalten seien; sonst müsste man die Bibliotheken nach vielen dann fehlenden Werken absuchen. Was zweifelhafte Echtheit von Werken betreffe, habe schon Billius deren zwei mit Recht ihm abgesprochen: den von Hieronymus Gregor von Neocaesarea zugeschriebenen Kommentar zum Ecclesiastes (wohl dem Autor der Vita Gregors von Nazianz aus dem 6./7. Jahrhundert) und den zu Ezechiel. Ersteren habe er belassen, da Elias ihn vielleicht in der Folge eines allgemein verbreiteten Irrtums unter die Werke Gregors aufgenommen habe. Wenn das den Leser nicht befriedige, werde er sich alle Mühe geben, die echte Schrift Gregors für diesen Platz zu finden. Den Ezechielkommentar habe er als unecht weggelassen und auf der Suche nach einer echten Schrift für diese Stelle auch das Erwünschte gefunden: im von Choniatas geschriebenen Buch eine Lobrede Gregors zu Ehren der Zeugen der Wahrheit, die den Wahnsinn der Arianer beschreibe. Ihre Echtheit zeigten deutlich ihr Stil (dicendi character) und ihr Inhalt (rerum ipsarum facies: eine kurze Rede, die er, als von ihm übersetzt, als zwanzigste den neunzehn von Elias kommentierten im ersten Teil beigegeben hat). Die dritte erwähnte Schrift sei der Zuspruch an eine Jungfrau, bisher unter seinen Reden überliefert und ihm zugeschrieben. Ersteres sei vollkommen falsch. Denn wenn es eine gewisse Rhythmik gegeben habe, wie sie Augustinus in seinem Buch über die Musik überliefere und wie sie nach allgemeiner Übereinstimmung bei den Alten in Gebrauch gewesen sei, da sowohl Aristoteles wie Athenaeus und andere sie erwähnten, stimme er zwar der Echtheit zu, wie Choniatas meine und die alten Handschriften sie bezeugten, doch sie gehöre nicht zu den Reden, sondern zu den Gedichten, denn sie bestehe rein aus Rhythmen. Das habe er bisher von niemand wahrgenommen, doch in seiner alten Handschrift mit Gedichten Gregors kurz angemerkt gefunden, weshalb er dies übersetze: in diesem Werk ahme Gregor den Syrakusier nach (wohl Theokrit von Syrakus, dessen Epigramme verschiedenste Metren zeigen), der als einziger Dichter Rhythmen und Kola verwendet habe, ohne jede andere Art von Verskunst (der Zuspruch an eine Jungfrau, dessen Zugehörigkeit zu den Gedichten Gregors heute immerhin umstritten ist, wäre als sein Werk eines der ersten Beispiele von akzentuierender Poesie). Der Irrtum (das Gedicht zu den Reden zu zählen) sei durch den Begriff logos entstanden, der sich überall in den lemmata (den Überschriften und Inhaltsangaben) der Bücher finde. Denn er bezeichne nicht nur eine Rede, wie schon oben gezeigt, sondern ganz allgemein eine Abhandlung oder Schrift. Darum nenne Elias die Gedichte Gregors metrische Abhandlungen (logous emmetrous). So habe man, nach gewissen Ausmerzungen und Wiederherstellung der Rede über die Märtyrer, 52 Schriften des Nazianzeners, laut Elias die richtige Anzahl. Daher vermisse man nichts mehr. Bei den Briefen habe er nur einen aus den Handschriften hinzugefügt. Er werde einst mehr hinzufügen, die er jetzt nicht habe erhalten können, obwohl er wisse, wo sie sich befänden. Die Gedichte seien durch seine Bemühungen zahlenmässig mit den neuen auf das Doppelte an Versen angewachsen, in der Qualität und Frömmigkeit seien die neuen um vieles besser (heute sind von Gregor 17000 Verse bekannt). Es fehle einzig das in Versen geschriebene Buch gegen Apolinarius, um dessen Abschrift nach dem Exemplar der vatikanischen Bibliothek in Rom er sich schon lange bemüht habe, auch mit finanziellem Einsatz, doch vergeblich. Daher werde er diese Schrift ein andermal suchen, wenn er (so Gott wolle) nach Italien gehe. Denn in der selben Vaticana befänden sich, wie er vernommen habe, die beiden letzten Traktate Gregors, über den Glauben und über das nikänische Glaubensbekenntnis auf griechisch, die man bis dahin nur in der Übersetzung des Rufinus kenne (seine Reden 51 und 52, vor den Briefen und dem Gedicht Christus patiens, wie in den vorangehenden Ausgaben, letzteres - heute Gregor fast allgemein abgesprochen - hier jedoch nicht mehr in der Prosaübersetzung des Zürchers Sebastian Guldenbeck von 1550, sondern der neueren metrischen des Pariser und des Kölner Drucks von Claude Roillet). Damit dürfte diese Ausgabe gerechtfertigt sein, die das Werk Gregors möglichst vollständig bieten wolle.
Anschliessend kommt Leunclavius noch auf seine Einteilung der Ausgabe in drei Bände zu sprechen: im ersten die 19 Reden mit den Kommentaren des Elias, dazu sein Neufund; im zweiten die übrigen 32 Reden mit den Briefen und Gedichten aus der Billiana, unverändert, um nicht getane Arbeit wiederzukäuen; im dritten, ganz sein Werk, die hier zum erstenmal veröffentlichten Gedichte Gregors, der Kommentar des Nicetas zu Lehrsätzen Gregors und das Werk des Psellus zu schwierigen Stellen; dann die Dialoge des Caesarius, von dem bisher noch nichts veröffentlicht sei (s. oben), hier passend, da er darin seinen Bruder Gregor diversen Fragestellern antworten lasse; schliesslich Annotationes, mit u.a. Lesarten, und der Index - wo besonders der neuartige zusätzliche Index nach den von Gregor behandelten Bibelstellen hervorgehoben zu werden verdient. Die Reihenfolge der Reden der Biliana habe er aus vielen gewichtigen Gründen geändert: ein Teil der Reden Gregors sei datierbar und chronologisch einreihbar, andere nicht. Daher lasse sich ohnehin keine eindeutige Reihenfolge aufstellen, auch die des Billius gehe nicht auf. Nach Aufzählung der datierbaren Reden und einzelnen neuen Datierungsvorschlägen weist er auf seine Einteilung in die von Elias kommentierten und die kommentarlosen - diese in der Übersetzung des Billius - hin.
Das Werk eines berühmten Bischofs aber habe er einem Bischof widmen müssen, und zwar einem gebildeten Schutzherrn und Zensor; zudem beherrsche er alle wichtigen Sprachen Europas und regiere seine alte Heimat, das westliche und eigentliche Sachsen, das neuerdings Westfalen genannt werde. Nach kurzem Lobpreis seines Geschlechts knüpft Leunclavius an die Aufzählung seiner drei Bistümer, darunter des ältesten in Sachsen, Osnabrück, ein Zitat des Abschnitts aus dessen karolingischer Verfassung an, in dem dessen Reichsfreiheit und Reichssteuerfreiheit behandelt sind, ausser bei einer Heirat unter Kindern des römischen Kaisers und des griechischen Königs, bei der der Osnabrücker Bischof die Eheschliessung zu leiten habe, weshalb an jenem Ort eine griechische und lateinische Schule in Ewigkeit zu bestehen habe und nie Geistliche, die die beiden Sprachen beherrschten, fehlen dürften, weshalb wohl auch Kaiser Maximilian II. im vergangenen Jahr (am 26.11.1570 in Mézières) seine Tochter (Elisabeth) durch ihn dem allerchristlichsten König (dem jungen Charles IX) habe antrauen lassen wollen.
Dem Beginn der aus der Billiana übernommenen Reden und kurzen Kommentare, d.h. seinem zweiten Band, lässt Leunclavius vor S. 397 eine Art Widmungsbrief an Billius aus Basel vom 3. Januar 1571 vorangehen, in dem er darauf hinweist, dass er vor vier Jahren auf Zureden von Freunden mit der Übersetzung der Schriften Gregors aus ungefähr den selben Gründen begonnen habe, wie diejenigen, die ihn, nach seinen Angaben, zur selben Zeit dazu gebracht hätten. Nach Vollendung einiger Reden mit den Kommentaren des Elias habe er, um sich von der monatelangen ununterbrochenen Schreiberei zu erholen, sich eine andere Arbeit vorgenommen, um nach deren Abschluss umso freudiger und ertragreicher an die unterbrochene zurückzukehren. Inzwischen habe er Xenophon herausgegeben (1569 bei Thomas Guarin [GG 150]) und Gregors von Nyssa 15 Reden zum Hohenlied (in seiner Neuausgabe und -übersetzung der Werke bei Eusebius Episcopius von 1571, mit Widmung an seine Verwandten Albert und Matthaeus Tideman vom 29.12.1570 und spezieller Vorrede zu den erwähnten 15 Reden, die 1562 noch nicht enthalten waren) und die Chronik des Konstantinos Manasses (1573 bei Episcopius [GG 274]) übersetzt, und während dieser Arbeiten sich wieder geistig auf Gregor von Nazianz vorbereitet. Da sei gerade recht seine Übersetzung Gregors erschienen (1569), über die er sich keineswegs geärgert habe (wie man das sonst tue, da sie einem vor dem Licht stehen könne), sondern über ihre Güte hoch erfreut gewesen sei. Da aber seine Übersetzung der bisherigen 19 Reden dank seiner alten Handschriften und dem Kommentar des Elias mehr gebracht hätten als die des Billius, habe er mit diesen seinen Übersetzungen für die übrigen Reden die des Billius mit Nicetas zusammengestellt. Diese Kombination scheine ihm und seinen Freunden berechtigt, da er doch einiges gefunden habe, das bisher noch nie publiziert worden sei, worauf er noch auf die Beigaben von andern Autoren im dritten Band hinweist. Er hoffe, dass er das als kluger und gelehrter Mann richtig verstehe. Die Gelehrten sollten nicht auf einander neidisch sein, sondern gemeinsam mit allen Kräften die Öffentlichkeit (reipub.) zu fördern trachten. Eine kurze Censura hat Leunclavius der Übersetzung der Tragoedia Christus patiens von Claude Roillet vorangestellt, in der er Zweifel an der Echtheit anmeldet, aus sprachlichen wie aus inhaltlichen Gründen (S. 921).
Eine kürzere Widmung an Bischof Johannes von Hoya geht wiederum dem dritten Band voraus. In ihr weist er darauf hin, dass er die hier folgenden wahren Schwanengesänge aus Handschriften abgeschrieben und übersetzt habe. Sie stammten aus der letzten Zeit Gregors, drückten seine Sehnsucht nach dem himmlischen Leben stärker aus als die bisher bekannten. Einige habe zwar auch Billius schon übersetzt gehabt, doch er habe für diesen Abschluss des Lebenswerks Gregors seine Übersetzungen beisammen lassen wollen. Sie seien teilweise überaus schwer zu übersetzen gewesen. Zu ihnen hätte auch sein Gedicht über sein Leben gehört, doch habe er es wie üblich mit den andern biographischen Texten an den Anfang der Ausgabe gesetzt. Auch hier verspricht er wieder, sich um die Gedichte gegen Apolinarius zu bemühen, deren Aufbewahrungsort er kenne, die er aber nicht habe erhalten können. Aus Zeitmangel habe er in Prosa übersetzt, doch inhaltlich dafür genauestens. Für diejenigen, die den griechischen Text vermissten - er glaube, das würden nicht viele tun - kündigt er an, sie bald herausgeben zu wollen. Die Scholien stammten teils von einem alten Kommentator, teils von ihm, damit man, wie Homer, auch Gregor mit nützlichen Scholien lesen könne. Die Schrift des Psellus - er vermute eher Johannes als Michael Psellus - erscheine in der Übersetzung eines Unbekannten, die ihm ein Freund gebracht habe, als er die Schrift gerade habe übersetzen wollen. Die von ihm dem Bruder Gregors Caesarius zugeschriebene Schrift gelte in seinen Handschriften als sein Werk, ausserdem zitierten sie als solches Georgios Kedrenos und Michael Glykas, jener in der Ausgabe Xylanders, dieser bald in seiner Übersetzung (1566 bei Oporin und den Brüdern Episcopius [GG 272] bzw. 1572 bei Eusebius Episcopius [GG 273]). Den Kommentar des Nicetas zu den Sprüchen Davids habe er übersetzt gehabt aber irgendwie verloren; da er keinen griechischen Text zur Hand gehabt habe, habe er ihn nicht neu übersetzen können. Auch hier hofft er, es nachholen zu können. Die Annotationes am Schluss des Bandes schliesslich zeigten, dass er wirklich alte und gute Handschriften benützt habe.
Aus dem "über die Gasse" gesandten lateinischen Brieflein, das in Kopie nach dem Original im Nachlass von Theodor Zwinger II. erhalten ist, erfahren wir, dass Lewenklaw, wie er an den Freund Episcopius unterschrieben hat, diesen zwei, drei Mal vergeblich aufgesucht hat, da er ihm sein Urteil über die französische (d.h. die in Frankreich erschienene) Gregorübersetzung habe mitteilen wollen. Er finde sie sehr gut und elegant. Doch, wie er ihm schon oft gesagt habe, seien die Handschriften, die sich bei ihm befänden, bedeutend besser als die, die Billius verwendet habe, besonders auch durch den Kommentar des Elias, dessen Übersetzung recht schwierig gewesen sei. Des weitern weist er auf seine Zugaben hin: Caesarius, die Gedichte, die er in einer sehr alten Handschrift besitze, worauf er die Titel der grösseren aufführt und auf seine Rede 52 aus einer Handschrift hinweist. Daher werde ihre Ausgabe besser als die vorangegangene, und er solle eilen. An ihm selber solle es nicht fehlen. Er schliesst mit der Bitte, ihm die Epitome der Basiliken kurzfristig zu schicken, denn ein befreundeter auswärtiger Jurist wünsche das Buch zu sehen (es muss sich um die Handschrift des Sambucus handeln, nach der dann 1575 die griechische Erstausgabe des Leunclavius bei Episcopius erschienen ist). Auch Marta fehle ihm; er möge sie mit dem Burschen mit den Basiliken schicken. In einem Postskriptum betont Lewenklaw nochmals, dass die französische Ausgabe nur schon zuvor Gedrucktes enthalte mit Ausnahme des Kommentars des Nicetas Serronius zu 16 Reden und von Wenigem von Nonnus und Psellus, von dem er schon mehr übersetzt habe (Mscr. G I 18 Fol. 49).
Ex libris bibliothecae Academ. Basil.: F J III 3
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Signatur: FJ III 3