GG 87

Ioachimi Camerarii Pabeperg. Commentarii utriusque Linguae, in quibus est 
DiaskeuÄ“ onomastikÄ“ tōn en tō anthrōpinō somati meron. 
Hoc est, diligens exquisitio nominum, quibus partes corporis humani appellari solent.
Prostetheisōn kai tōn tēs chreias hekastōn onomasiōn, kai parepomenōn tinōn autais.
Additis et functionum nomenclaturis, & alijs his accedentibus:
Parallēlōs schedon keimenōn tōn te hellēnikon kai tōn rhōmaïkōn lexeōn.
Positis fere contra se Graecis ac Latinis vocabulis. Cum privilegio peculiari ad quinquennium, cuius exemplum ad libri calcem reperies. Basel: Johannes Herwagen 1551. Fol.

Ein anatomisch-medizinisches griechisch-lateinisches Fach- und Begriffslexikon, angelegt nach den Gliedern des menschlichen Körpers, unter deren Begriffen zugleich deren Gebrauch abgehandelt wird, aus der Feder des früheren Tübinger, nun Leipziger Philologen Joachim Camerarius. Camerarius hat sein Lexikon von 498 Spalten (wozu ein reichhaltiger lateinischer Wortindex vorn und ein ebensolcher griechischer hinten kommen) dem humanistisch gebildeten Meissenschen Ritter Wolfgang von Werthern (Bolgangus Vverterensis, 1519-1583) gewidmet, dem ältesten Sohn des gewiss nicht unbedacht auch genannten Juristen, Deutschordenskanzlers und Rats Herzog Georgs von Sachsen Dietrich von Werthern. Wolfgang von Werthern stand von 1549 an, nach Studien in Leipzig, nicht zuletzt der alten Sprachen, und Bildungsreisen unter Leitung des späteren Meissener Rektors Georg Fabricius und Studien in Italien 1539-1543 und weiteren Studien unter Johannes Sturm in Strassburg und in Paris 1545-1548 neben einem Gelehrtenleben immer wieder als Gesandter im diplomatischen Dienst des Kurfürsten Moritz von Sachsen. 

Bei Thukydides rühme sich Perikles, beginnt Camerarius seine über elf grosse Folioseiten füllende, an sprachphilosophischen Überlegungen reiche Vorrede an von Werthern, der beste zu sein im klugen Ausdenken des Nötigen wie in dessen beredter Verkündigung. Ein Kluger ohne Beredsamkeit sei einem Denkunfähigen gleich. Worin unterscheide sich ein solcher Bürger von einem Barbaren, von einem Stummen? Ein gebildeter und beredter Mann müsse darum viel gelten in seinem Staat, als ein gewisser Mittler des öffentlichen Wohls, Erörterer des öffentlichen Nutzens. Freilich habe es grosse Gelehrte und Künstler ohne Redegabe gegeben; wer hingegen durch seine Redekunst den andern überlegen gewesen sei, sei nie dumm oder unerfahren gewesen. So müsse man sich zuerst um Weisheit und Erkenntnis bemühen, doch nicht ohne die Fähigkeit, das im Innern Verborgene vorzutragen, mitzuteilen. So hätte, wer nach Tugend und Ruhm getrachtet habe, sich weniger um Weisheit als um Redekunst bemüht. Und zwar nicht nur, wer Staatsämter gesucht, sondern auch wer in Musse oder ruhiger wissenschaftlicher Tätigkeit habe leben wollen. Unnütz seien Erkenntnis und Wissen, die man nicht mit Worten ausdrücken könne. Und niemand werde solche Leute bewundern, da man nicht merke, was Gutes in ihnen stecke oder man davon keinen Nutzen erwarte. Allein durch Vortrag und Mitteilung werde Gelehrsamkeit bekannt. Daher bedürfe es zum Ruhm der Weisheit und Gelehrsamkeit in jeder Beziehung Beredsamkeit. Wie es aber recht sei, dass jede Gegend ihre einheimischen Früchte verwende und mit ihnen zufrieden sei, so müssten sie es mit der Beredsamkeit ihrer Zeit halten. Denn überall, wo es Leben gebe, werde die Sprache der Gelehrten Lateinisch und Griechisch sein, und diese würden nicht nur in der Rede, sondern viel mehr noch schriftlich verwendet, so dass alles, was jetzt über die Beredsamkeit diskutiert werde, offenkundig in Büchern niedergelegt werde. Wer Bücher zu verfassen wage, ohne im Schreiben und den beiden Sprachen ausgebildet zu sein, erörtere nicht nur weniger klar, sondern verdunkle durch ungenauen Ausdruck und verhunze und entstelle vor allem durch leichtfertige neue Wortbildungen den Stoff selber, den er darstellen wolle. Denn durch den falschen Gebrauch der Begriffe verlören auch die Gedanken und die Urteilskraft den Boden unter den Füssen: ein doppeltes Übel, indem entweder ein Wort überhaupt nicht verstanden und eine Bedeutung erfunden werde, wie es in allen Wissenschaften durch Unkenntnis der griechischen Sprache geschehe, in der sie überliefert seien, oder es werde die richtige Bedeutung eines Wortes nicht verstanden und dessen eigentlicher Gebrauch durch eine fremdartige Anpassung umgebogen. Das sei eine untragbare Vermessenheit, aus der die Ursprünge von Gottlosigkeit, Aberglaube und schädlichen Irrtümern des Alltags entstanden seien. Dies habe den Götzendienst eingeführt, habe die Zucht aufgelöst, die Gewaltherrschaften gefestigt, die Schande angepriesen, Tugend und Ruhm heruntergemacht, worüber man in der Gegenwart nicht viel zu sagen brauche. Jeder Streit gehe um eine Sache oder um einen Begriff, die Zweideutigkeit der Sachen und zugleich der Begriffe könne mit Worten geklärt werden, wenn deren Bedeutung verstanden werde; sonst werde der Streit heftiger. Zu jeder zweifelhaften Deutung werde eine andere Deutung gesucht, was ein grösseres Übel sei, als die meisten meinten. In den vergangenen Jahren sei dieser Schaden bemerkt und von klugen und gelehrten Männern darauf hingewiesen worden. Unter ihnen habe Erasmus von Rotterdam etwas gegen die Barbaren geschrieben und veröffentlicht (seine Antibarbari). Durch Geschmacklosigkeiten und Zügellosigkeit mancher Leute beleidigt, habe er das Geschriebene widerrufen. Nicht er freilich habe seine Meinung geändert, doch da er über die selbe Sache verschieden geschrieben habe, habe er Gegner finden müssen, wahrheitsliebende und gehässige. Nach diesem Exkurs zu Erasmus, den der spätere Lutheraner Camerarius im Frühling 1524 in Basel kennengelernt hatte, kehrt er zum Thema der Barbarei aus Sprachgründen zurück. Diese sei nichts anderes als ein der wahren Vernunft entgegengesetzter Gebrauch einer fremden und unbekannten Sprache und Sitte. Barbarei gebe es somit auch im Staat der Natur selber, der gewissermassen allen Menschen gemein sei, in jedem Volk. Unter natürlicher Barbarei verstehe man die Verletzung oder Vernachlässigung dessen, was diese dem Menschengeschlecht als Recht gesetzt habe: überlegt zu denken, beredt zu sprechen, ehrenhaft und würdig. Nach der anschliessenden topischen Abhebung der Menschen von den andern Lebewesen durch die Vernunft kommt Camerarius vom beliebigen Staat auf den der Gelehrten zu sprechen, in dem wie Weisheitssuche und Geistesbildung auch eine ausgefeilte und treffende Ausdrucksweise nötig sei, nicht zufällige Laute wie von Gänsen oder Fröschen, nicht wie in einem Staat von Tauben wie bei den Zyklopen. Es gebe zahlreiche Schriften der Alten, aus denen man die wahre Weisheit und Rede lernen könne; der Weg dahin sei offen. Umso seltsamer, dass es auch in dieser Zeit Leute gebe, die eine Art Komplott gegen das Studium der beidem Sprachen schmiedeten. Und er wolle da nur von denen sprechen, die sich als Philosophen und Gelehrte verstanden wissen wollten, die teils eine gewisse Buntheit und Widersprüchlichkeit einführten und mit Redefülle protzten und so den Geist der Leute mit leeren Vorstellungen, die Druckereien mit nichtigen Werken füllten, teils durch Faulheit gesprächig würden. Sie meinten, nicht weiter die Denkmäler der Alten berücksichtigen zu müssen, nach deren Regeln sie doch ihre Rede gestalteten, sondern erlaubten sich, alles aus sich heraus zu erfinden, indem sie, wie die Spinnen ihre Netze, nicht mit dem Verstand, sondern aus den Backen produzierten. Sie kümmerten sich nicht um das Was oder das Worüber, nicht um den treffenden Ausdruck, nicht um die geläufigen Begriffe, sondern bei der Darstellung von Eigenem wie der Erklärung fremder Schriften verhielten sie sich wie Sklaven, denen eine Arbeit zugewiesen sei: je nichtsnutzer sie seien, umso weniger gäben sie sich Mühe. Er müsse über diesen Übelstand hier reden, da er sehe, wie von vielen diese Gleichgültigkeit in Schutz genommen werde und der Unterricht durch eine Verhöhnung des Studiums der beiden Sprachen als kindisch entweiht werde, das durch völlig würdelose Berufungen auf gewisse Männer in Verruf geriete. Um eine Autorität anführen zu können, zitierten sie Worte Platos, Galens. Im folgenden zitiert Camerarius die betreffenden Stellen aus dem Politikos (261 e) - dort natürlich im Dialog situationsgebunden - und Galen. Über dieses Werk könne er zwar nicht bestimmt urteilen, da es nicht erhalten sei, doch immerhin aus anderweitigen Angaben eine Vermutung anstellen. Ihm sage die Absicht eines solchen Buches keineswegs zu, auch wenn Galen sie gewiss nicht ohne Grund gefasst habe. Denn der Satz verberge eine Fälschung in sich und werde so hartnäckig verteidigt, dass dabei sogar die Wahrheit zurechtgebogen werde. Freilich verletze falsch gebrauchte Sprache unter Gebildeten vielleicht nicht den Sinn, da der Fehler bemerkt werde. Und so würden in kunstvoller Rede gewisse Fehlerarten als Vorzüge und Kunstfiguren gelten. Wenn Kinder und Halbgebildete dies aber aufgriffen, sei das etwas sehr anderes. Man meine, Kinder nicht tadeln zu müssen, wenn sie sich unpassende Wörter einprägten, diese ohne Überlegung zusammenstellten, so nichts einen Zusammenhang ergebe: das werde von den Grammatikern Solözismus genannt. Das selbe gelte für Ungebildete. Pico della Mirandola habe versucht, die Schriften der Barbaren als ein fruchtbares Feld auf lateinisch so zu verteidigen, wie wenn er ihnen einen besonderen Ruf habe verschaffen wollen, der selbe, der sich bemüht habe, die Astrologie völlig auszulöschen. Möge es auf dem vorliegenden Gebiet nicht ebenso Streit geben statt Erkenntnis und Aneignung. Man werde einwenden, es komme auf die Sache selber an, nicht auf die Wörter; diejenigen, die sich der Erkenntnis der Sachen hingäben, gälten meist als unfein und barbarisch in ihrem Stil, von denen aber, die schmuckvoll schreiben wollten, würden die meisten am Mangel an sachlichem Inhalt leiden. Bei diesem Gerede würden weder die Begriffe gelernt noch die Sachen erforscht. Bei jenen aber, die mit irgendeiner Absicht die gute Rede von den guten Sachen trennten, sehe er, wie er anderswo ausgeführt habe, ihre Gründe nicht ein, sofern sie solche hätten. Denn welches seien jene Begriffe, durch die, was man begreifen machen wolle, verdunkelt werde? Er wolle mit dem Begriff der guten Rede nicht den tadeln, der in der Sprache seines Volkes rede, oder etwa bestreiten, dass es kluge Gedanken zum Beispiel bei den Skythen geben und dass sie auch in deren Sprache ausgedrückt werden könnten. Er sei für Solon ein Barbar, habe Anacharsis gesagt, jener für ihn. Wenn einer sarazenisch, persisch, indisch, tuskisch, deutsch korrekt spreche, sei er und gelte er selbstverständlich als beredt in seinem Volk. Wenn der selbe verschiedene Sprachen durcheinanderbringe und mische, fremde Wörter hineinstopfe, werde er ausgelacht und verachtet werden. In den Schulen habe einst eine kluge und beredte Art von Disputationen geblüht; die Leute hätten einander aus langer Tradition heraus auf allen möglichen Gebieten verstanden. Da hätten sie Aristotelisches und Platonisches disputieren wollen. Sie hätten nicht zu den Sachen vorstossen können, da sie die Begriffe nicht gekannt hätten, wie jemand, der Bücher zu lesen versuche, aber die Buchstaben nicht kenne. Auch die Buchstaben seien Begriffe - Kenn-Zeichen (notae), doch wer sie nicht kenne (ijs quibus ignotae sunt), für den seien sie natürlich keine Kenn-Zeichen (notae). Es wolle einer aus diesen Schulen mit Cicero disputieren, seine Redefertigkeit kümmere ihn nicht, es gehe ihm nicht um Wörter, sondern um Sachen. Was für Sachen? Wenn nicht nur seine persönlichen, so müsse er sich durch Rede verständlich machen, zu einer Begründung wie zu einer Widerlegung. Kein Gedanke könne ohne Rede gefasst werden. Und bei der Behauptung, dass, wer sich um schmuckvolle Rede bemühe, der Sachen gewöhnlich unkundig sei, und die Sachkundigen meist Barbaren, wisse er nicht, ob es da um Bildung und Lehre gehe, oder um Marktschreier und andere Wichtigtuer. Diese freilich bemühten sich um eine wunderliche und unpassende Sprache, um mehr zum Lachen zu reizen. Wer aber die besten Autoren aufmerksam lese, sich um das Verständnis ihrer Schriften bemühe und durch dieses Studium zu einem ähnlichen Stil gelange, solle der der Gegenstände bei den Autoren, die ihm so vertraut geworden seien, dass er ihre Sprache nicht nur durchdringe, sondern sich auch aneigne, unkundig bleiben, oder würden sie einem Klugen eingehen? Anderseits werde bei der Behauptung, dass, wer sich um die Sachen bemühe, sprachlich ein Barbar bleibe, nicht gesagt, welche Sachen das seien. Freilich stecke in vielem Barbarei. Doch wie entgegne man Zitaten der Tadler des Sprachstudiums aus jenen besten Autoren? Mit ebendiesen. So mit Platos Aussage im Phaedo, dass schlechte Rede auch der Seele schade. Von Galen möge seine Mahnung zu klarer und genauer Sprache genügen. Wenn der Sprechende selber verstanden werden wolle und die andern das für nötig hielten, wenn es hörens- oder lesenswert sein solle, dann sei es um einiges besser, sich sofort in beredter Sprache auszudrücken, als einer unberedten auf notwendig werdende Fragen eine Erklärung nachzuliefern, was Galen allgemein verlange wie in einer von Definition zu Definition voranschreitenden mathematischen Disputation. Wie oft verlange er griechische Ausdrücke und sich von fremden fernzuhalten. Und Dioskorides habe wegen Unkenntnis von deren Bedeutungen manches zweideutig und dunkel beschrieben. Dieser eine Satz genüge für seine Forderung nach Wahl und Genauigkeit des Ausdrucks. So winde er sich hin und her an den Stellen bei Hippokrates, die inhaltlich unvollendet oder von den Schreibern verderbt zusammenhanglos herausgegeben worden seien. Darüber habe er in seinem Lehrbuch der Medizin ausführlich gehandelt. So bestätigten Plato und Galen seine Ansicht. Sie wiesen jene zurück, die auf die genauen Begriffe verzichteten, deren Bedeutungen sie den besten Autoren und ihren Büchern sowie dem korrekten Gebrauch entnehmen müssten, und die aus dunklen Kommentaren und eigener Erfindung solche wählten, die nicht den behandelten Gegenstand bezeichneten und sogar verdunkelten und mehrdeutig machten, die eitel prahlten und oberflächlich Ruhm suchten und von Plato und Galen mit Recht dafür getadelt würden. So das alte Grüppchen um Prodikos (der Sophist) und spätere Nachahmer, deren ganze Mühe sich darauf beschränke, Wörter zu erfinden oder in neuem und ungewöhnlichem Sinn zu verwenden. Dies sei zu tadeln und eine bestimmte Ausdrucksweise, auch wenn sie weniger ausgefeilt sei, einer ungewöhnlichen vorzuziehen, die dem Verständnis des Publikums fremd sei, dem notgedrungen nicht nur solche neue Erfindungen, sondern auch früher vielleicht gebräuchliche Begriffe, die es noch nie gehört habe, unverständlich scheinen müssten. Das sei nicht anständig und der Erklärung notwendiger Dinge entgegengesetzt, eine Darstellung mit ungebräuchlichen Ausdrücken und wundersamen Erzählungen zu verflechten, anstatt einfach, leicht und richtig verständlich zu berichten, nicht in fremder und ungewöhnlicher Diktion wunderlich wie indische Vögel oder afrikanische Tiere. Dass die Philosophen und Redelehrer in diesem Sinn solches geschrieben hätten, sei jedem klar, der es sehen wolle. Mit denen aber, die lieber stritten als friedlich etwas einzusehen, wolle er jetzt nicht händeln, denn ein Streitsüchtiger finde, nach einem (zitierten) griechischen Sprichwort, nie ein Ende. Auch die beste Beweisführung könne einen Starrköpfigen nicht von seinem Irrtum befreien. Den Wahrheitsliebenden sei klar, was er ausgeführt habe. Da aber die Rede in Bezug auf einen gewissen öffentlichen Nutzen wie Geld gewertet werde, müsse nun noch der Nutzen der hier behandelten treffenden und beredten Rede betrachtet werden. Hier gehe es um die beredte Wiedergabe der Gedanken der griechischen und römischen Gelehrten und Philosophen des Altertums. Darüber könne man ohne besondere Ausbildung ein Urteil abgeben und das seine habe er einst publiziert, und diese Publikation reue ihn auch jetzt nicht, obwohl die Sache vielleicht ausführlicher hätte behandelt werden müssen. Wer die Lektüre und Nachahmung der alten Autoren heutzutage, da die griechische und lateinische Sprache nirgends Volkssprache sei, vernachlässige und sich eine neue Redeweise schaffe, mache sich der berechtigten Anklage schuldig, auf religiösem und weltlichem Gebiet Samen zu verderblichen Irrtümern zu streuen. Sie würden nicht erst mit den Stoffen (res), sondern schon mit deren Begriffen Mühe haben. Denn wer die treffenden Begriffe kenne, der erfasse auch die grossen Stoffe. Mit den richtigen Begriffen und reiner Rede liessen sich die würdigen Stoffe in schicklicher Weise ausdrücken und bezeichnen. Wie laut Cicero das Wort ohne Inhalt kraftlos sei, so bräuchte es, wenn die Inhalte (res) ohne Sprache verständlich wären, keine Wörter, und man würde sie nicht verwenden. In der Wiederbelebung jener Verkehrtheit und Eitelkeit sei Galen, wie gesagt, zu mächtig gewesen, um die Entwicklung zu bemerken, durch die in seiner Zeit bekannte und gebräuchliche Begriffe, darunter treffende gegen veraltete, mehrdeutige, falsche eingetauscht worden seien und die einfache Erklärung schönster Inhalte sich zu jener überflüssigen Gewähltheit des Neuartigen gewandelt habe. Woraus gewisse Sprachungeheuer entstanden seien, die Inhalte nicht erklärt, sondern verdunkelt worden und Falsches und Unklares sich durch neue Mehrdeutigkeiten angehäuft habe: da der Geist zu solcher Armseligkeit verkommen, die Menschen zu einem falschen Verständnis der Lehre gelangt, die Studien entstellt und die Kenntnis und Erfahrung in den wertvollsten Dingen vernachlässigt worden und untergegangen seien. - 

Damit habe er seine Meinung sowie deren Übereinstimmung mit den Überlegungen der antiken Gelehrten dargelegt. In diesem Sinne habe er die Jugend ermahnt, ihre Zeit vor allem zum Erlernen der beiden Sprachen (Griechisch und Latein) zu verwenden und die neuen Gelegenheiten zu nützen. Und während er die alten Autoren gelesen habe, habe er die Verwendung der wichtigsten Wörter annotiert. In Kenntnis hiervon hätten ihn einige Freunde aufgefordert, diese Sammlung herauszugeben. Vor allem habe ihn der hervorragende Gelehrte Simon Grynaeus dazu gedrängt. Jene Annotationes seien aber weder reichhaltig noch ausgearbeitet gewesen, sondern durch Zufälle zusammengekommen, so dass eine Ausarbeitung für eine Edition neue Arbeit erfordert hätte. Doch da die Aufforderungen nicht aufgehört hätten, habe er schliesslich begonnen, aus seinen Annotationes die in diesem Buch vorgebrachten auszuwählen, zusammengestellt gleichsam zu einer kleinen Geschichte der Glieder des menschlichen Körpers, begonnen einst auf Empfehlung seines Freundes, des Professors der Medizin Georg Sturcius, als sie ein Werk eines gewissen Galeottus in Händen gehabt und nach Besserem verlangt hätten (Sturtz, 1590-1648, Kommilitone des Eobanus Hessus, dann des Camerarius, Humanist, praktischer Arzt und Professor der Medizin in Erfurt, Mäzen der dortigen Humanisten; der Professor der Poetik, Sekretär und Bibliothekar des Königs Matthias Corvinus in Buda, Galeotus Martius und seine mehrmals in Italien, dann 1517 auch in Basel erschienene Schrift De homine et partibus eius libri duo ). So sei also der ganze Plan zu dieser Darstellung Sturtz zu verdanken, mit dem er seit seiner Jugend und Schulzeit befreundet gewesen sei. Nun nach seinem Tod wolle er hiermit seinen Ruhm, wenn möglich, mehren. Was die Ausarbeitung betreffe, so hätte das Werk viel ansehnlicher werden können, so dass es nicht nur eine reichhaltige wie eine gleichsam entkernte Angabe der Wörter und Aufführung der Dinge enthalten hätte, wenn er mit Sturtz hätte verkehren oder nach seinem Tod mehr Zeit hätte aufwenden können zur Bearbeitung der Bücher, die diese Darlegungen enthielten, wie zur Erforschung ihm unbekannter, die Lehre und praktische Erfahrungen enthielten. Um die Deutung der Begriffe den Gliedern des menschlichen Körpers angemessener, die Darstellung anziehender zu gestalten, habe er den Inhalt im einzelnen nach vier Gesichtspunkten geordnet: nach der Natur einer Sache, der ousia, ihrer dynamis, energeia und chreia, d.h. ihrer Kraft und Gewalt, ihrer Wirkkraft, ihrem Zweck (natura..., vim ac potestatem, effectionem & actionem, opus atque officium). Dabei hätten ihn private Geschäfte, seine Gesundheit und die politischen Unruhen behindert. Er sei zur Darstellung des Julius Pollux gelangt, dessen Spuren gefolgt, habe aus seinem Kommentar das Passende beigefügt und habe seinen Beitrag dargebracht, um etwas Prächtigeres zu schaffen als das Gastmahl des Pollux. Er habe nicht alles oder möglichst vieles einfach anhäufen wollen, sondern sich damit begnügt, die wichtigsten Wörter und ihre Formen darzustellen. Er glaube, dass diese Bescheidung dem Leser nützlich und willkommen sei. Davon, dass das kleine und bescheidene Werk grossen Nutzen bringe, sei er überzeugt (es umfasst immerhin fast 500 lange Foliospalten). Andere könnten es als Grundlage für Grösseres gebrauchen. Er, Bolgangus, möge sein Richter sein, als Schüler des Georg Fabricius (s. oben). Er habe den Umgang mit den Gelehrten Italiens und Frankreichs kennengelernt und verkehre dennoch lieber freundschaftlich mit Johannes Sturm (s. oben), dessen Lob er ewig geniessen werde. Er möge, wofür er bisher von allen Redlichen bewundert worden sei, in seinen Bemühungen um anständige Politik nicht nachlassen, sie sogar vermehren, wofür Camerarius aus Nestors Rede an Agamemnon Ilias 2,346/47 zitiert. Willkommen werde ihm auch in dieser unruhigen Zeit die Erinnerung sein, nichts mit ihren Übeln zu tun gehabt zu haben. Nicht der Menge dieser Welt, sondern den Redlichen und den Gelehrten scheine er zu gefallen und sich Ruhm für die Zukunft zu erwerben. Er lasse sich nicht wie die meisten vom Weg der Tugend und Weisheit abbringen, auch wenn er dadurch bei der Menge keinen Erfolg habe. Tugend und Weisheit stützten sich auf sich selber, nicht auf die Meinung der Menschen oder das Glück. Im Anschluss an diese Widmungsvorrede ist ein kurzer Brief des Grynaeus abgedruckt, in dem dieser Camerarius wünscht, dass er Zeit für die Arbeit an seinem Lexikon habe, nachdem er schon die Annotationes dazu habe - in der Widmung hat Camerarius ja denn auch Grynaeus in diesem Sinn zitiert.

Das Exemplar L a I 1 hat 1565 ein I M K sich binden lassen, dann anfangs 17. Jh. (?) im Besitz eines Ott, Zürich; das Exemplar B c II 6 Nr. 2 aus Besitz des damals 19jährigen Basilius Amerbach (zusammengebunden mit dem Aristoteleskommentar von Martin Borrhaus von 1551 [GG 136], den dieser ihm geschenkt hat).

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc II 6:2 | La I 1

Illustrationen

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Titelseite

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2alphar: Vorrede des Joachim Camerarius an Ritter Wolfgang von Werthern, 1. Seite.

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2alphav: Vorrede des Joachim Camerarius, 2. Seite.

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3alphar: Vorrede des Joachim Camerarius, 3. Seite.

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3alphav: Vorrede des Joachim Camerarius, 4. Seite.

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4alphar: Vorrede des Joachim Camerarius, 5. Seite.

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4alphav: Vorrede des Joachim Camerarius, 6. Seite.

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1betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 7. Seite.

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1betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 8. Seite.

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2betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 9. Seite.

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2betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 10. Seite.

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3betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 11. Seite.

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3betav: Vorrede des Joachim Camerarius, 12. Seite.

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1ar: Beginn des anatomisch-medizinischen griechisch-lateinischen Fach- und Begriffslexikon des Joachim Camerarius.

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6Mv: Druckermarke von Johannes Herwagen Senior.