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Aristotelis Stagiritae Tripartitae philosophiae Opera omnia absolutissima, ex optimis quibusque, maxime novis interpretibus collecta, aliquot libris aucta, recognita, argumentis valde bonis in singulos libros & capita, multis insuper Scholijs illustrata: ac denique in suum verum & naturalem ordinem digesta, adeo ut Aristotelem, hoc est, totius naturae thesaurum incomparabilem habere te, qualem nulla adhoc secula dedere, Latine ac dilucide docentem, possis affirmare: quae omnia ex sequenti Praefatione melius cognoscere licebit. Ad D. Maximilianum Austrium, Boemiae & Romanorum Regem, Caesarem designatum... Basel: Johannes Herwagen 1563. Fol.
Nach zwei Basler Nachdrucken der von Gemusaeus besorgten lateinischen Gesamtausgabe der Schriften des Aristoteles von 1542 in den Jahren 1545 und 1548 ebenfalls bei Oporin und einem halben Dutzend Drucken in Lyon und vor allem Venedig (kein einziger in Deutschland bis Frankfurt 1593) erscheint 1563 eine neu zusammengestellte Ausgabe, mit, soweit in der Zwischenzeit erschienen, neuen Übersetzungen: die Schriften des sog. Organon von Joachim Périon und Nicolas de Grouchy, die Nikomachische Ethik und der Staat von Périon, die grosse Ethik von Veit Amerbach, die naturwissenschaftlichen Schriften mehrheitlich von Périon, anderes von Simone Porzio, Marcantonio Mairagio und Pietro Vettori. Herausgeber dieser neuen Ausgabe, nun bei Herwagen, ist der piemontesische Glaubensflüchtling Celio Secondo Curione (1503-1569), 1542-1546 Konviktleiter und Lehrer an der Lateinschule von Lausanne, seit 1546 in Basel, seit 1547 Professor für Rhetorik. Er hat die Schriften neu nach ihrem Inhalt geordnet: 1. die philosophia rationalis mit Rhetorik und Poetik, 2. die philosophia moralis, d.h. Ethik, Politik und Ökonomie, 3. die Naturwissenschaften und die Metaphysik, 4. Untersuchungen und gleichsam Übungen zu den drei vorangehenden, d.i. die Problemata, die Quaestiones und u.a. drei neu hinzugekommene kleinere Schriften. Für die Erklärung dieser Einteilung wird auf die achtseitige Vorrede verwiesen; dieser folgen alte Viten und die schon 1542 in Basel nachgedruckte kleine Abhandlung Périon's über die beste Art zu übersetzen (aus dem Organondruck).
Gewidmet hat Curione die Ausgabe dem König von Böhmen und designierten Kaiser Maximilian II. Seine neu hergerichtete und verbesserte Sammlung der aristotelischen Philosophie wolle er ihm, beginnt Curione die undatierte Widmung, in der er u.a. auch Aristoteles gegenüber theologischen Eiferern rechtfertigt, dem neuen König der Römer widmen (die Krönung zum König von Böhmen in Prag: September 1562, zum römischen König in Frankfurt: November 1562, zum Kaiser nach Ferdinands Tod im Juli 1564). Jede Erkenntnis des Guten und die Übung darin werde allgemein Philosophie genannt, Geschenk des weisen Gottes, Schöpferin aller lobenswerten Künste. Zu Recht. Denn bis auf die göttlichen Orakel und die Bücher des menschlichen Heils sei nichts wünschenswerter als die Philosophie. Was sei erwünschter, als die Ursprünge alles Weltlichen zu kennen? Sie preise auch der höchste Dichter (Felix qui potuit...: Vergil in den Georgica: 2,490).
Die Ursachen erkennen: das sei Philosophie; sie führe durch die Betrachtung der Natur zum Himmel und leite alles Erdenleben, lehre jede Rede, diene der Religion. Dieser Philosophie werfe auch Paulus nichts vor, und alle alten Kirchenautoren von Origenes bis zu Hilarius hätten mit ihr die Gegner des Christentums überwunden. Einander widersprechende Lehren gebe es ebenso in der Theologie, und zudem überrage in der Philosophie eine Lehre alle andern, die der Akademiker und Peripatetiker, die die Lehre Platos verträten. Aristoteles habe mehr Schüler gehabt, weshalb die Peripatetiker bekannter seien. Und da er dessen sämtliche Werke zu einem Abriss der Philosophie eingerichtet und die einzelnen Teile in den Bänden zusammengestellt habe, spricht Curione in der Folge kurz zur Einteilung der Philosophie. Für diese Einteilung gebe es drei Wege, deren ersten, die Einteilung in Wissen und Handeln, griechisch theōrētikē und praktikē, vor allem die jüngeren Peripatetiker verträten, zu deren erster einerseits die Behandlung der äusseren Dinge wie in der Physik, Metaphysik und Mathematik gehöre, anderseits im Geist des Menschen Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik und die aus diesen entstandene Geschichte und Poetik. Die praktische Philosophie teilten sie in zwei Gattungen, die der Sitten und die des Handelns: einerseits Ethik, Ökonomik und Politik, anderseits alle mechanischen Künste: Landwirtschaft, Jagd, Schiffahrt, Kriegs-, Schmiedekunst und Weberei sowie Medizin. Diese niederen Künste gehörten für Aristoteles und die älteren Peripatetiker nicht zur Philosophie. Sie teilten sie geschickter ein: zuerst ebenfalls in zwei, dann aber die theoretische Erkenntnislehre in Physik, Mathematik und Metaphysik, die praktische in Ethik, Ökonomik und Politik. Auch diese Einteilung sei jedoch unvollkommen, da drei edle Künste fehlten: Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Eine weitere Einteilung stamme von Plato, der sie laut Eusebius von Caesarea von den Juden habe: in drei Teile: über Leben und Sitten, über die Natur und das Verborgene und über die Rede. Im folgenden führt Curione aus, wie diese beiden Einteilungen sich nicht widersprächen, weshalb er den drei Teilen der Philosophie drei Bände gewidmet habe, einen vierten den übrigen vermischten Schriften. So umfasse der erste Band die Logik; von dieser schreite man weiter zur Ethik und im dritten zum Höchsten, der Betrachtung der Natur, von den Elementen bis zum Lob Gottes, denn weise sei, laut Pythagoras, nur Gott, die Philosophie eine Bemühung um die Weisheit. So weit führe Aristoteles seine Schüler, wie Paulus im Römerbrief geschrieben habe. Sie müssten jetzt aber ein Loblied auf Christus singen, der sie zum Licht führe, an das die Philosophie nicht einmal hätte denken können. Kein Mensch könne einem andern Besseres, Erfreulicheres schenken als Aristoteles es mit seinen Schriften getan habe, und dies gar nun, da man nicht nur das Licht der Natur, sondern das Licht Christi besitze. Dass er über den Ursprung der Welt und die Schöpfung anders gedacht habe, sei für einen Philosophen und der göttlichen Prophezeiungen Unkundigen nicht verwunderlich, wo doch sogar einige Eingeweihte diese Lehre (dogma) als Fabel ablehnten. Ausserdem wende sich seine Lehre hierin nicht speziell gegen die in der Bibel überlieferte Lehre, sondern gegen gewisse Vorgänger, die zum Beispiel eine ewige Zeit ohne Himmel und Welt oder eine zwar erschaffene, aber nie untergehende oder eine immer wieder neu entstehende und vergehende Welt angenommen hätten. Und da habe er die Lehre vorgezogen, dass die Welt immer bestanden habe und bleiben werde. Die Christen sagten zwar, dass die Zeit mit Himmel und Welt geschaffen sei, die Welt geschaffen sei und wieder untergehe, allerdings aus einem höheren Grund als die Philosophen lehrten, dass alles Erschaffene untergehe, alles Gewachsene altere. Daraus sei klar, dass Aristoteles sich nicht gegen Moses und die biblische Lehre gewandt habe. Manchmal scheine die Wahrheit selber sich unter seine Worte gemischt zu haben. Worauf Curione mehrere Stellen u.a. aus den Schriften über den Staat, über Entstehung und Untergang, über die Welt, über die Seele, über den Himmel anführt, in denen Aristoteles u.a. von einem Weltherrschergott, von der Unsterblichkeit der Seele, von der zeit-, ort- und körperlosen Seligkeit der Gotteserkenntnis spreche. Als diesen Aristoteles der - neben andern Tugenden - der Wiederherstellung der Urkunden der Antike geneigte Bewunderer des Altertums Johannes Herwagen habe herausgeben wollen, habe er auf seine Empfehlung hin und mit seiner Hilfe alle alten und neuen Übersetzungen zusammengesucht, aus denen er die besten ausgesucht und das Werk vollendet habe. Er habe denn auch einige bisher noch nie gedruckte Bücher beigefügt, keine umfangreiche, aber doch nicht unwichtige, andere als überflüssig weggelassen, die, wie man bei der Ethik an Eudemos sehen könne, die wörtlich aus derjenigen an Nikomachos abgeschrieben und dieses Philosophen unwürdig sei, als Unterschiebungen dazwischengefügt gewesen seien. Zudem habe er alles durchgesehen und verbessert. Schliesslich habe er, neben der erwähnten neuen natürlichen Einteilung, alle Inhaltsangaben von Gelehrten gesammelt, neue beigefügt und zur Erleichterung des Verständnisses den Werken, Büchern und Kapiteln beigesellt (d.h. vorangestellt), ausserdem für den Leser einige Randbemerkungen beigegeben (scholia seu annotationes in margine). Dem dienten auch Illustrationen (figurae) aus mathematischen Werken, die man bisher in den Aristotelesausgaben vermisst habe. Weiter habe er alle drei Viten, von Diogenes Laertius, Guarinus und Philoponus, beigefügt, da jede Eigenes enthalte.
Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis: Bc I 1X
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc I 18