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Olympiae Fulviae Moratae mulieris omnium eruditissimae Latina et Graeca, quae haberi potuerunt, monumenta, eaque plane divina, cum eruditorum de ipsa iudicijs & laudibus. Hippolytae Taurellae elegia elegantissima. Ad Ill. Isabellam Bresegnam. Basel: Peter Perna 1558. 8°.

Erster Druck von griechischen und lateinischen Gedichten, kurzen humanistischen Schriften und des Briefwechsels der italienischen Humanistin Olympia Fulvia Morata (Ferrara 1526 - Heidelberg 1555) u.a. mit dem Herausgeber dieses Bändchens, dem italienischen Glaubensflüchtling, Theologen und Philologen, seit 1546 Professor der Rhetorik in Basel Celio Secondo Curione. Am kalvinistisch ausgerichteten Hof von Ercole II und Renata d'Este (Tochter Ludwigs II. von Frankreich) hatte die älteste Tochter des kalvinistischen humanistischen Gelehrten und Pädagogen Fulvio Peregrino Morato mit 14 Jahren als Studiengefährtin der Prinzessin Anna, nach Lateinausbildung schon bei ihrem Vater, durch den Leibarzt der Herzogin, den ehemaligen Professor der griechischen Sprache in Heidelberg Johann Sinapius (Senf) und dessen Bruder, den Juristen Kilian, Griechischunterricht genossen. Inquisition und Gegenreformation hatten dem um 1542 ein Ende bereitet. Am Hofe hatte Olympia sich mit einem Freund der beiden Sinapius angefreundet, Philipp Grundler aus Schweinfurt, der nach Studien in Leipzig, Heidelberg, Paris und Ferrara dort 1549 zum Doktor der Medizin promovierte. Nach der Heirat hatte sich das Paar nach Deutschland begeben, Grundler die Stelle des Stadtarztes in Schweinfurt erhalten. Olympia widmete sich hier weiter ihren Studien, übersetzte u.a. Psalmen ins Griechische, erteilte ihrem kleinen Bruder und der Tochter des Johannes Sinapius Griechischunterricht und kämpfte für italienische Reformierte. Nach der Verwüstung Schweinfurts durch die Truppen des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg flüchtete die Familie nach Heidelberg; Grundler erhielt einen Lehrstuhl für Medizin an der Universität, Olympia vom Kurfürsten die Einladung, Privatunterricht in Griechisch zu erteilen. Sie starb jedoch schon im Oktober 1555 an Tuberkulose, ihr Mann und ihr junger Bruder wenige Wochen später an der Pest. 

Der Freund der Familie Morato und Olympias Celio Secondo Curione hat diese erste Ausgabe der wenigen erhaltenen Schriften und Briefe der Fulvia Olympia Morata einer andern Glaubensrefugiantin, Isabella Manriques Bresegna (Spanien um 1510 - Chiavenna 1577), Gattin des Governatore von Piacenza García Manrique gewidmet, die aus politischen und religiösen Gründen 1557 nach Tübingen und noch im selben Jahr nach Zürich übergesiedelt war. Die Behauptung des Sokrates, beginnt Curione seine Widmung, dass die Frauen, wenn sie gewissenhaft unterrichtet würden, in den Wissenschaften und den freien Künsten, sogar der Tapferkeit, nicht weniger geeignet und lernfähig seien, die doch für den Männern eigen gelte, als diese: deren Richtigkeit belegten nicht so wenige Frauen, zumal in der letzten und der gegenwärtigen Generation, sehr deutlich. Er könne aus jeder Zeit Beispiele anführen, doch gebe es genug weit verbreitete Werke über berühmte Frauen. Jedoch fänden sich darin nur wenige, die mit ihrer Bildung Reinheit der Sitten, noch weniger, die wahre Kenntnis der Religion und Liebe zur Theologie verbunden hätten, kaum eine, die Griechisch und Latein beherrscht habe. Die ganz besonders hierdurch glückliche Gegenwart habe einige hervorgebracht und in einer habe Gott alle geistigen Gaben vereinigt: Olympia Fulvia Morata, Tochter des gelehrten Mantuaners Fulvio, deren Biographie man den folgenden Briefen entnehmen könne. Sie habe mit ihren Griechisch- und Lateinkenntnissen und denen in den hierdurch umfassten Künsten nicht nur gelehrte Frauen, sondern auch viele hervorragende Männer übertroffen. Dazu habe ihr Gott eine ungewöhnliche Liebe zu Christus und der Religion eingegeben, wie viele Zeugnisse zeigten. So habe sie Cicero gegen gewisse neuartige Verleumder verteidigt, über Homer geschrieben, Gedichte, vor allem über religiöse Stoffe, griechische und lateinische Dialoge nach der Art Platos und Ciceros verfasst. Die drei hier veröffentlichten Vorreden zu den Paradoxa Ciceros habe sie mit kaum sechzehn Jahren geschrieben und vor ihm und vielen andern Frauen und Männern in der privaten Akademie der Fürstin von Ferrara vor ihrer Auslegung der Paradoxa auswendig und anmutig vorgetragen. Sie habe ihm dann auf seine Bitten hin eine Abschrift gegeben. Alles Übrige sei mit der Vaterstadt ihres Gatten, Schweinfurt, untergegangen, wie aus einem Brief an ihn unten erhelle. Den Rest habe er so gut wie möglich gesammelt; man habe daran ein Muster des Übrigen: kleine Reden, Briefe, griechische und lateinische Verse sowie Briefe anderer an und über sie, die ihre Hochschätzung durch Gelehrte zeigten. Wer Weiteres habe, möge es selber mit dem hier Publizierten vereinigen oder ihm zur Publikation senden. Für solches sei er dem Franzosen Guillaume Rascalon Dank schuldig, der ihm alles Erreichbare übergeben und ihn zur Herausgabe ermuntert habe. Anderes habe ihm der belesene Altertumskenner Johannes Herold beschafft (der 1511 in Höchstadt an der Donau geborene spätere Polyhistor, Germanist und 1542-1568 zeitweise Pfarrer in verschiedenen Dörfern um Basel hatte sich 1539/40 in Basel immatrikuliert, arbeitete gleichzeitig als Korrektor bei Oporin). Das wolle er nicht länger den studiosi vorenthalten und lasse es daher in ihrem Namen im Druck ausgehen. Worauf Curione zu einem Lobpreis des Glaubens Isabella Bresegnas und ihrer Standhaftigkeit ausholt, deren Wegzug aus Piacenza mit ihrem Gatten beklagt worden sei und die sich dann in Mailand gegen ihre Familie für ihren wahren Glauben, den sie wie wenige mitten in Italien mehr als männlich bekannt habe, entschieden habe und über die Alpen dorthin (d.h. wo sie sich 1558 befindet, nach Zürich) geflüchtet und allen Bitten ihres Gatten und ihrer Söhne zum Trotz Christus treu geblieben sei. In ihrem Namen werde verdienterweise der Geist Olympias Italien zurückgegeben (dem dürfte allerdings schon im folgenden Jahr der Index librorum prohibitorum entgegengewirkt haben...). 

Curione hat den Schriften Olympia Moratas Übersetzungen aus dem Griechischen und ins Griechische von Xystus Betuleius (Sixt Birck), Carl Utenhove sowie u.a. eigene Gedichte auf Olympia, eine Grabinschrift Herolds für sie in symbolreichem Holzschnittrahmen und, als Erinnerung an eine andere jungverstorbene berühmte und gelehrte Frau, eine Elegie der Mantuanerin Hippolita Taurella, in der sie ihren Gatten Baltassare Castilione um Rückkehr vom päpstlichen Hofe Leos X. bittet, und dessen Grabinschrift für sie aus dem Jahre 1525. Curione hat die Schriften Moratas 1562 ein zweites Mal herausgegeben, nun, da Isabella Bresegna nach Chiavenna zu dem mit Curione verfeindeten Emigranten Pietro Paolo Vergerio übergesiedelt ist, mit neuer Widmung an Königin Elisabeth von England; diese Ausgabe umfasst nicht mehr nur 125 Seiten, sondern deren 278; Herold hat in seiner Grabinschrift u.a. den Todesmonat geändert; das eine Basler Exemplar hat Curione Basilius Amerbach geschenkt, das andere hat sich 1563 ein W. A. M. binden lassen. Ein Nachdruck dieser Ausgabe erscheint, wieder beim Drucker der italienischen Emigranten Pietro Perna, im Jahr nach Curiones Tod 1570; ihm ist als zweiter Teil eine Auswahl von Briefen und Reden Curiones beigegeben. Diese Ausgabe hat Perna nochmals 1580 nachgedruckt, mit einer zusätzlichen eigenen Vorrede und dem Text des Heidelberger Grabsteins.

Das Basler Exemplar der Erstausgabe D F VI 16 Nr. 9 hat Curione seinem Freund und Patron Bonifacius Amerbach geschenkt.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: DF VI 16:9

Illustrationen

Buchseite

Titelseite, unten die Widmung des Herausgebers Celio Secondo Curione: "Clariss. I.C. Bonifacio Amerbachio amico et patrono singulari".

Buchseite

2ar: Vorrede des Curione an Isabella Manriques Bresegna, 1. Seite.

Buchseite

2av/3ar: Vorrede des Curione, 2. und 3. Seite.

Buchseite

3av/4ar: Vorrede des Curione, 4. und 5. Seite.

Buchseite

4av/1ar: Vorrede des Curione, 6. Seite; gegenüber der Beginn der Schrift von Olympia Fulvia Morata.

Buchseite

3ev: Olympia Fulvia Moratas Übersetzung des 1. Psalmes.

Buchseite

3gv: Grabinschrift in Holzschnittrahmen auf Olympia Fulvia Morata vom Humanisten Johannes Herold.