GG 103

Ploutarchou Parallēla en biois Hellēnōn te kai Rhōmaiōn.

Plutarchi quae vocantur Parallela: hoc est, vitae illustrium virorum graeci nominis ac latini, prout quaeque alteri convenire videbatur, accuratius quam antehac unquam digestae. Basel: Andreas Cratander und Johannes Bebel 1533. Fol.

Wie die Aristophanesausgabe vom Vorjahr ist auch dieser Gemeinschaftsdruck Cratanders und Bebels stolz mit einem griechischen Kolophon ausgestattet. Während die erste griechische Gesamtausgabe der Werke des Biographen und akademischen Philosophen, des vielgelesenen und vielgedruckten Plutarch aus Chäronea in Böotien erst 1572 bei Henri Estienne erschienen ist, sind die beiden Werkgruppen schon früh im 16. Jahrhundert griechisch erschienen, die Moralia 1509 bei Aldus Manutius in Venedig, die Vitae 1517 bei Filippo Giunta in Florenz und 1519 bei Manutius, lateinisch die Vitae schon in den 1470er Jahren, die Moralia 1500. Unser Druck der Vitae ist somit der dritte, der erste ausserhalb Italiens. Auch der nächste wird in Basel erscheinen: 1560 bei Hieronymus Froben und Nicolaus Episcopius, bei denen 1542 auch der Zweitdruck der Moralia erscheint (GG 97). Lateinisch hat Johann Bebel die Vitae schon im März 1531 gedruckt (GG 102); Herausgeber war ebenfalls Grynaeus. 1535 schon ist eine zweite Auflage erschienen. 

In seiner Widmung der griechischen Ausgabe an den damals 26jährigen Johannes Oporin, den späteren Drucker, seit 1529 Schulmeister an der Lateinschule auf Burg, der gerade im Mai 1533 seine Professur für lateinische Literatur erhalten hat, 1538/39 dann Griechisch lehren wird, verbreitet sich Grynaeus allgemein über den Nutzen und Schaden der Geschichtsschreibung, geht daneben aber auch sehr persönlich auf seinen jungen Freund und neuen Kollegen ein: Der Nutzen der Geschichtslektüre sei, aus den Gefahren anderer ohne eigene Gefährdung zu lernen (ein im 16. Jahrhundert fast in jedem Geschichtswerk nachlesbarer Topos), Beispiele kennen zu lernen, eine Übersicht über Jahrhunderte zu gewinnen, sich für die Zukunft wappnen zu können. Doch um dies zu vermögen, müsse man zuerst selber eine gewisse Erfahrung, Selbsterkenntnis besitzen. Dann könne man, wie bei den Speisen eines Gastmahls, das einem Gemässe finden. Zur wahren Tugend führe nur ein schmaler Weg. Und doch vermeinten die Menschen, die Geschichtslektüre belehre sie. Sie liefere doch nur Lernstoff. Andere genössen die Anmut des Stils und gingen so am Nutzen vorbei. Indem sie die Unannehmlichkeiten der Gegenwart beiseite schöben, dürften sie bald grösseren begegnen. Kein Vergnügen dürfe ohne Tugend genossen werden. Ebenso könne auch Ruhm nur durch sie erworben werden. Und plebeische Geister seien es, die nur Neuigkeiten, Wunder in der Geschichte suchten. Aber auch aus ernsthafter Lektüre könne man falsche Vorsätze fassen, indem man das Berichtete in die Zukunft projiziere. Daraus könne Oporin ersehen, wie Geschichtslektüre und Einsicht ins eigene Leben unzertrennbar seien. Dem stehe allerdings eine Perversität unseres Urteilsvermögens entgegen, das Neigungen mehr folge als Beispielen. Hingegen streuten die Historiker wohl zuweilen eigene Beurteilungen ein. Doch auch die könnten falsch sein, müssten vom Leser kontrolliert werden. Ein profaner Historiker weise alles der Planung der Menschen zu und müsse sie daher oft der Dummheit zeihen; ein Eingeweihter lasse die Dinge durch menschliche Planung geschehen, doch von Gott geleitet, und entlaste so die Menschen von Dummheit. Dies müssten die Jugendlichen beim Lesen der unzähligen Beispiele berücksichtigen. Wer die Geschichtslektüre - die Oporin nun mit seinen jungen Studenten in lateinischen Historikern treiben wird - und sein Leben nur oberflächlich führe, gleiche den Bauern, die bei der Plünderung einer nahen Stadt (es ist die Zeit der Bauernkriege) eine Apotheke ausraubten und alles mögliche schluckten, sich damit alles mögliche zuzögen und zum Gespött des ganzen Heeres würden. Wie das Leben sei die Geschichte, als sein Abbild, voll von Gutem und Schlechtem, zum Nutzen des Lebens. Ihm, Oporin, schreibe er dies, da er ihn besonders eifrig diese Studien betreiben und die Früchte ernten sehe, die aus einem richtig betriebenen Studium erwüchsen: Mässigung in der Rede, Anmut der Sitten, Ausdauer in der Arbeit. Mit diesen Tugenden und herrlicher Kenntnis beider Sprachen (Griechisch und Latein) habe ihn der weise Rat an die Spitze des Unterrichts für seine Kinder gestellt. Dies sei Grund, ihn zu schätzen; dazu komme aber persönlich seine Treue und Standhaftigkeit in der Freundschaft. So denke er, im Gespräch mit ihm, auch immer an ihren gemeinsamen Freund, den früh dahingerafften Jacob Ruberus. Seine Aufgabe sei es nun, in diesen zurückgeschnittenen Zweig sorgfältig viele andere Reiser ihres Staates zu pfropfen.

Das Basler Exemplar hat Benedikt Aretius (Marti) 1545 in Strassburg erworben. Aretius, aus Bätterkinden, wurde nach Studien in Strassburg und Marburg 1548 Vorsteher der Berner Lateinschule, Professor für Griechisch und Hebräisch, später auch für Theologie, war daneben Botaniker in Verbindung mit Conrad Gesner und Bergsteiger; er hat einige der Vitae gründlich durchgearbeitet (Notizen). 1791 in Besitz Friedrich Gysis: B c I 88a.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc I 88a

Illustrationen

Buchseite

Titelseite mit Besitzervermerk von Benedikt Aretius, 1545 (unten rechts, kaum mehr leserlich) und von Friedrich Gysi, 1791 (Mitte rechts)

Buchseite

Vorrede von Simon Grynaeus an Johannes Oporin, 1. Seite

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Vorrede von Simon Grynaeus an Johannes Oporin, 2. Seite

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Vorrede von Simon Grynaeus an Johannes Oporin, 3. Seite

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Vorrede von Simon Grynaeus an Johannes Oporin, 4. Seite

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Anfang der 'Vita Thesei' mit Notizen des Erstbesitzers Benedikt Aretius (Marti)

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Letzte Textseite mit griechischem Kolophon

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Druckermarke von Cratander