GG 118

Organon organōn, ē hē tēs philosophias cheir (!). Basel: Johann Bebel 1536. 4°.

Erster einer Reihe von Basler Drucken des sog. Organon des Aristoteles, einer nacharistotelischen Zusammenstellung - wohl durch den Peripatetiker Andronikos (1. Jh. v.Chr.) der Schriften des Aristoteles zur Logik, die für diesen, analog zur Hand als Werkzeug des Körpers, als Werkzeug der Seele und so nicht als eigene Wissenschaft, sondern als propaideia, als Vorunterricht galt: der Kategoriai, der Hermeneutika, der Topika und der beiden Analytika. Durch die Antike und das Mittelalter immer wieder kommentiert, blieb die Sammlung traditionell auch in der Folge beisammen und bildete an den Universitäten den Unterrichtsstoff einer eigenen propädeutischen (und darum auch meist schlecht honorierten) Professur. Herausgeber ist der Basler Professor - zuerst für Griechisch, seit 1532 der Theologie - Simon Grynaeus. Seine Vorrede ist an den philologus gerichtet, hier nicht im landläufigen Sinn eines Freundes der Rede und Literatur, sondern wörtlich des logos der Vernunft. 

Es sei kaum zu glauben, beginnt er, dass die Dialektik, die Mutter aller Wissenschaften, so voller Lob und reich bezeugt bei den besten Autoren der Antike, von der Wiederherstellung von deren Werken ausgenommen bleibe. Sei es, dass im neuen süssen Wettstreit um literarischen Ruhm jeder ehrgeizig lieber mit eigenen Kräften den nächstbesten Preis zu erlangen suche als mit fremden (d.h. als Herausgeber eines fremden Textes) der Reihe nach einen, der gerechtfertigt wäre, oder dass nur wenige einen mühsamen Weg auf sich nähmen, mit ihrem Geist tiefer einzudringen suchten; es gebe kaum jemand, in dessen Schutz dieser sein Haupt gegen den Neid und die Beschimpfungen in den Universitäten (in scholis) erheben oder einen Platz unter diesen Scharen gebildeterer Leute finden könne. Eine leere Schwatz- und ausgeklügelte Protzkunst stehe in allen Wissenschaften in Geltung, zum grossen Nachteil der Sachen (d.h. der Sachlichkeit) und der Studien. Denn jenes ganze herrliche Gerät (pulcherrimarum artium omnium supellex) für alle Wissenschaften liege ohne die Hilfe eines solchen Mannes ohnmächtig und nutzlos am Boden. Nicht nur ein Werkzeug (instrumentum = organon), gleichsam eine Axt, jeden Knoten zu durchschlagen, sondern die Schärfe selber des Eisens, der geistigen Augen sei die Dialektik und von stählerner Härte. Ohne sie seien alle Wissenschaften, die wir gebrauchten, verstümmelt, erreiche man mit aller Muskelkraft nicht mehr als einer, der mit Kork, Hemd und Armen statt einem Boot, Segeln und Rudern zwar einen Fluss überquert habe, in einem Meerbusen aber untergehe. Auf die Natur vertrauen könnten da allein die Tiere, dem Menschen als Vernunftwesen gezieme es, alles mit Kunst, Fleiss und Überlegung anzugehen, wenn man nicht irrsinnig zur Unwissenheit und Roheit der ersten Menschen zurückkehren wolle. Jede Fähigkeit, sei sie naturgegeben, sei sie durch Fleiss erworben, sei unnütz, wenn sie nicht geistig angeeignet, von der Vernunft erfasst sei. So könne oft einer, der eine Kunst während vieler Jahre ausgeübt habe, dieser völlig unkundig sein, da eine bestimmte Sache zu verstehen zwar nicht schwer, aber unnütz sei, soweit das, was man verstehe, nicht durch die Vernunft bekräftigt sei. So bleibe man ohne Dialektik sein Leben lang im Ungewissen, treibe mitten in seinen Naturkenntnissen umher. Was sei die Heilkunst anderes als die Vernunft, die die Betrachtung des menschlichen Körpers und der ihm zukommenden und schädlichen Dinge ergänze, nachdem diese zuvor je nach Gutdünken und Herkommen ohne Wirkung verzettelt angewendet worden seien? Was Lernen anderes, als den vernünftigen Sinn in jedem Ding erkennen? Wenn daher die einzelnen Wissenschaften ohne sie nicht begründet und danach nicht erfasst werden könnten, sei alle Mühe ihrer Lehrer und Schüler (artium professores sectatoresque), die sie nicht gebrauchten, vergebens. Wo man nicht in die Autoren eindringe, würden sie bald entweder verschmäht oder nur obenhin betrachtet, was am allerschädlichsten sei. Welcher Gewinn aus der Literatur, wo man nur den schönen Schein beachte? Was den Staat betreffe: welche Klugheit sei zu erhoffen, wenn die Studien ohne Kraft und Urteilsvermögen blieben. Weshalb Grynaeus hier Platos Äusserung (Pol. 7,534d - 1535a) zitiert, dass im Staat für die auserwählte Jugend die Kunst der Frage und Antwort, die Dialektik, den Schlussstein der Paideia bilden müsse (wobei Grynaeus die Formulierung Platos leicht seinem Satz angepasst hat). Da aber eine gewisse Kreisbahn in der Betrachtung der Natur für den menschlichen Geist bestehe, aus dem er allein mit Naturgewalt nicht hinauskönne, wohl jedoch bei geschickter Einhaltung des Weges und wenn er das geistige Auge völlig auf jenen Bau der Welt richte, und da aus dem Vergleich im Überblick des Ganzen wie ein allgemeiner Kreis das höchste Wissen entstehe, müsse einer, je deutlicher er diesen sehe, ein umso besserer Deuter der Natur sein. Das sei allenfalls allein Aristoteles gewesen und er habe alle weit hinter sich gelassen. Wenn aber die Dialektik die erste der Künste sei und Aristoteles ihr bester Lehrer, werde man aus Aristoteles als dem besten Erklärer aller Wissenschaften als beste Erklärungshilfe aller Wissenschaften die Dialektik bestens lernen. Hierzu werde er dem Leser als Hilfe die besten Kommentare seiner alten Erklärer, in der selben Sprache, bald zur Verfügung stellen (dazu ist es durch den frühen Tod des Grynaeus an der Pest am 1. August 1541 nicht mehr gekommen; 1534-36 sind in Venedig mehrere Drucke mit griechischen Aristoteleskommentaren erschienen, u.a. denen des Johannes Philoponus; auch die zweite griechische Basler Aristotelesausgabe von 1539 enthielt keine neuen Kommentare).

Exemplar B c VII 36 Nr. 1 aus Besitz des Martin Borrhaus, zusammengebunden mit dem Basler Druck der Rhetorik von 1529 (GG 111).

Mit einer ungewöhnlich formulierten Jahreszahl MDXLXIX erschien "bei Michael Isingrin", d.h. wohl 1559 bei dessen Witwe und ihrem Schwiegersohn Thomas Guarin (Isingrin wiederum war Schwiegersohn und Nachfolger Bebels gewesen) eine neue Ausgabe, weiter mit der Vorrede des Grynaeus, doch mit korrigiertem Titel (cheir [mit Akut nicht Zirkumflex]) und der praktischen typographisch-editorischen Neuerung, dass die Kapitelüberschriften der lateinischen Drucke - natürlich auf griechisch - übernommen wurden, worauf berechtigterweise auch im Titel hingewiesen wird: Adiectis iuxta Latinam distinctionem capitum epigraphis, quo omnia sint evidentiora. Herausgeber ist, wie wir seiner vierten Ausgabe von 1573 entnehmen können, wie schon bei Isingrins Druck von 1545 der Basler Professor für Organon seit 1546 Johannes Hospinian (B c VII 582: Neuerwerbung von 1947: Vorbesitzer u.a. ein Georgius Filzichan).

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VII 36:1

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Titelseite mit Besitzervermerk: "Ex libris Universit. Basil."

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Vorrede vom Herausgeber Simon Grynaeus an den Leser, 1. Seite

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Vorrede vom Herausgeber Simon Grynaeus an den Leser, 2. Seite

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