GG 120
Graecolatini Aristotelis Asclepiadae Stagiritae Organi, sive Instrumenti instrumentorum, aut Philosophiae manus, Pars prior. In qua Porphyrii Isagoge, Categoriae, Liber de Interpretatione, & utraque Analytica comprehenduntur. Omnia correcta, in capita (praemissis argumentis) distincta, conversaque a Io. Hospiniano Steinano. Organi Aristotelei Graecolatini Pars posterior: In qua Topica et Sophistici Elenchi continentur, cum Iohannis Hospiniani Steinani Praefatione de dignitate & amplitudine Academiarum. Basel: Officina Oporiniana Januar 1573. 2 Bde. 8°.
Nach einem Nachdruck des Organon bei Thomas Guarin im Jahre 1566 erscheint nochmals eine erneuerte Ausgabe, nun mit lateinischer Übersetzung, in Basel, wieder herausgegeben bzw. übersetzt von Johannes Hospinian, nach dem Tode Oporins bei dessen Nachfolgern in der Officina Oporiniana, die in diesem Druck sich nicht nennenden Hieronymus und Polykarp Gemusaeus und Balthasar Han.
Der Diener Christi Hospinian hat den Druck ähnlich seiner vorangehenden Ausgabe (GG 119) den Scholarchen (der Basler Schulbehörde) und übrigen Ersten der Basler Universität gewidmet, wobei er auch seine Übersetzungsmethode bis in Einzelheiten erläutert hat: Vor neun Jahren habe er das griechische Organon, teils durch gewissenhafte Kollation verschiedener Ausgaben, teils durch Einsichtnahme in die Übersetzungen, verbessert, in Kapitel und Abschnitte (mit Inhaltsangaben) und Sätze eingeteilt und ihnen zum Zeichen seiner Achtung für ihre humanitas und die Universität gewidmet. Er habe bald gesehen, dass Gott seine Bitte, sie möchten die Arbeit gütig annehmen, erfüllt habe. Sie hätten ihm für das papierene Geschenklein eine Gabe aus Silber zukommen lassen. Obwohl er solches nicht erwartet gehabt habe, habe es ihm ihre Zufriedenheit gezeigt. Er danke Gott und ihnen dafür. Er habe endlich die damals versprochene lateinische Übersetzung zum Abschluss gebracht. Über den Erfolg müssten sie und andere Gelehrte urteilen, doch er wolle sie kurz erklären: Es sei bekannt, dass als erster der bekannte Römer Severinus Boethius sich um eine solche Übersetzung bemüht habe (um 480-524; sie ist schon im 15. Jahrhundert gedruckt worden), dann der berühmte Grieche Johannes Argyropulos (Konstantinopel um 1410 - Rom 1487), als dritter der hervorragende Philosoph Augustinus Niphus (Agostino Nifo, 1473-1546; sein Kommentar zu peri hermÄ“neias ist u.a. 1555 und 1560 in Venedig erschienen; den Autor der am häufigsten gedruckten Übersetzung Gilbertus Porretanus - Gilbert de la Porrée, von Poitiers, aus dem 12. Jahrhundert erwähnt Hospinian als mittelalterlich veraltet natürlich nicht). Dieser weise in seiner Vorrede darauf hin, wie jener buchstäblich, dieser sinngemäss übersetzt habe. Und nach der Empfehlung der griechischen Kommentare Alexanders (Alexandros von Aphrodisias, um 300 n. Chr.), des Porphyrios (2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr.) und Philoponos (Johannes Philoponos oder Grammatikos, Alexandria 1. Hälfte 6. Jh.), der lateinischen wieder des Boethius und des Thomas von Aquino (1224- 1274) weise Niphus auf die Dunkelheit der wörtlichen Übersetzung des Boethius und die oft zu grosse Freiheit der andern hin und dass er einen Mittelweg gehen wolle. Und nach den drei namhaften Übersetzern in der barbarischen Zeit der lateinischen Sprache hätten nach deren neuer Pflege als Beherrscher reinen Lateins Ludovicus Strebaeus (Jacques Louis d'Estrebay), Petrus Ramus (De la Ramée), Joachim Perionins (Périon: Paris 1548, Basel 1554 u.a.), Nicolaus Gruchius (Nicolas de Grouchy: Paris 1556, Basel 1563 u.a.) und Johannes Rubus (der Niederländer Rubus/Rubeus, Dozent u.a. in Löwen, gest. 1595: Douai 1565) für das Organon Wertvolles geleistet. Deren grosses Verdienst sei schon nur, Dialektik lateinisch auszudrücken gelehrt zu haben. Da sie aber in ihren Übersetzungen manches so wiedergegeben hätten, dass gar die Bibel genauer übersetzt sei, anderes so, dass niemand es besser könne, habe er sich, nach dem Rat des Apostels, an die Prüfung des Ganzen gemacht, um das Gute zu bewahren. Denn wer habe es schon gewagt, seine Schriften als fehlerfrei anzusehen? Das seien nur die der Propheten und Apostel. Er wisse, dass er bei der Übersetzung nicht geschlafen habe, dass er an manchen Stellen den richtigen Sinn wiederhergestellt habe, aber er streite auch nicht ab, anderes andern zur Verbesserung übriggelassen zu haben. Er möchte sie geradezu dazu verlockt haben. Man solle daran denken, dass alle aus dem selben Holz geschnitzt seien, dazu aus geschädigtem, und dass jeder die selben Fehler begehen könne wie die andern. Die oben genannten Übersetzungen des Organon habe er alle durchgesehen und nach Kräften durchgearbeitet, das Gute übernommen und bei allen Hilfe erfahren. So wolle er auch ihnen allen danken. Im übrigen habe er sich u.a. besonders bemüht, den Griechischanfängern möglichst viel zu bieten, wenn einer, mangels eines Lehrers, sich selber zu unterrichten plane. Deshalb habe er möglichst lateinische Wörter gebraucht (keine griechischen Fremdwörter); abwechslungsreicher Sprachreichtum und Abwechslung erfreuten Fortgeschrittene, Anfänger und Beschränkte verwirrten sie eher. Deshalb habe er Wort um Wort übersetzt und ein griechisches Wort immer durch das selbe lateinische wiedergegeben, ohne Scheu vor Wiederholungen, die sich selbst bei Aristoteles fänden. Und weil aus der Wiederholung von Handlungen Gewohnheit entstehe, meine er, dass auch Sprachanfänger aus einer Wiederholung von Wörtern eine Sprache lernten. Zudem habe er, für die Anfänger, im Lateinischen die griechische Wortfolge möglichst beibehalten. Aus diesem Grund habe er auch die häufigen attischen Ellipsen hin und wieder ergänzt; wegen der lateinischen Sprache hinwieder habe er zuweilen Substantive, Praepositionen und Konjunktionen einfügen, Artikel durch Pronomina wiedergeben müssen, dies besonders wo Aristoteles unspezifische undeklinierbare Ausdrücke verwende, damit die des Griechischen ganz Unkundigen dem Sinn folgen könnten. Und obwohl die Griechen die Konjunktion hoti (die man teils mit quod, teils mit quia übersetze) eleganter verwendeten als die Lateiner, die solche Sätze meist durch einen Akkusativ und Infinitiv ohne Konjunktion wiedergäben, habe er dennoch aus den genannten Gründen diese mit quod wiedergegeben und die Formen der griechischen Verben und Substantive bewahrt, so wie er manches Griechische und von denen, die das reine Latein in die Dialektik eingeführt hätten, für barbarisch Gehaltene teils als eingebürgert, teils wegen seiner Kürze nicht habe ändern wollen. Kurz: er habe darauf geachtet, dass möglichst die Wörter, dass die Zeilen einander entsprächen. Denn dass manche solche Übersetzungen als dunkel verspotteten und verurteilten, bewege ihn aus den genannten Gründen wenig, vor allem aber weil er nicht nur mit den genannten Übersetzern, sondern auch mit denen des Neuen Testaments seine Erfahrungen gemacht habe: wenn die nichts hinzugefügt und weggenommen hätten, hätten sie nicht den berechtigten Tadel zu hören bekommen. Die Freiheit im Übersetzern, die mehr auf den Sinn als die Wörter achte, arte oft in Willkür aus. Er könnte, vor allem in der Theologie (er hat schliesslich neben seiner Professur für Organon zwanzig Jahre auch als Pfarrer gewirkt), viele Beispiele anführen. Er habe nur bieten wollen, was für die Griechen hermÄ“neus oder ekphrastēs leiste: ein Wort durch ein anderes erklären und sich keine oder nur wenig Freiheit gönnen, weder Paraphrast noch Metaphrast noch Exeget sein. Wie immer habe er auch hier nicht verschiedenerlei Dinge vermischen wollen. Dies ihn erreichen zu lassen, habe er Gott gebeten, einzig um den Griechischanfängern zu nützen, sie zur Lektüre des Aristoteles zu verlocken. Seine Dialektik biete ihnen nicht nur Weisheit, sondern auch attische Beredsamkeit. Schliesslich führe diese Kunst zum Denken, Handeln, zum Erfolg und Erwerb. Hierzu möge seine Übersetzung des Organon beitragen. Und als er einst beschlossen habe, seine zweiteilige Arbeit herauszugeben, habe er es so eingeteilt, dass er den griechischen Text, wie seinerzeit geschehen, den Vorstehern der Universität, den lateinischen den Scholarchen, seinen Herren im Rat, widme. Da nun beides verbunden erscheine, habe er keine übergehen wollen, zumal beide so eng miteinander verbunden seien, dass sie einander in ihre Behörden aufnähmen.
Dem zweiten Band, der die Topik und die Elenchi enthält, haben Herausgeber und Drucker die Widmung aus der vorangehenden undatierten Ausgabe von [ca. 1563] und die Rede über die Würde der Universitäten aus dieser Ausgabe vorangestellt.
Auch die nächsten beiden griechischen Organondrucke sind in Basel oder zumindest teilweise für Basler Drucker-Verleger erschienen: 1577 ein nochmaliger Nachdruck der Ausgabe des Grynaeus in Frankfurt bei Andreas Wechel im eigenen Verlag und dem des Thomas Guarinus, 1583 eine neue zweisprachige Ausgabe wieder in der Officina Oporiniana (GG 121).
Zum Teil eher anderen Charakters, nicht auf technische Einzelheiten der Ausgabe eingehend, auf Moral und Unterricht hinzielend ist eine zweite Vorrede Hospinians an den frommen und lauteren Leser, in der auch der Theologe in ihm stärker durchscheint, wenn er sich wiederholt in seinen Äusserungen nicht nur auf GOTT, sondern auch auf Jesaias, Salomon, den Apostel Petrus, Jeremias und Josua beruft, darauf hinweist, dass die homines literati von Gott ad studia humanitatis divinitatisque excolenda berufen seien. Er kündigt an, dass er schon lange seine Vorlesungen zur Dialektik zu publizieren gedenke, erwähnt, dass er das Organon nun 25 Jahre in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift, die er auch auszulegen habe, immer wieder studiert habe. Ein erstes Mal habe er die Dialektik vor 29 Jahren herausgegeben (was uns auf die Ausgabe Isingrins von 1545, im Jahr vor Hospinians Wahl zum Dozenten für Organon führt), ein zweites Mal vor deren fünfzehn (was auf die seltsam datierte Ausgabe von MDXLXIX bei der Witwe Isingrins mit deren Schwiegersohn Thomas Guarin von demnach 1559 führt). Er habe manches zurechtgerückt, Fehler verbessert, auf Hinweise mancher Gelehrter hin, deren Briefe er vorlegen könne. Die Kunst der Dialektik sei durch die Jahrhunderte hin heruntergekommen und werde noch jetzt so betrieben, von Leuten die lieber in die Irre gingen als mit Aristoteles das Richtige zu erkennen. Auch er sei so unterrichtet worden und es sei leichter, das Falsche zu lernen als es wieder loszuwerden (dediscere). Er bemühe sich darum und so wünsche er dies auch andern. Von den zwei Arten der Unwissenheit - Nichtwissen und Halbwissen - schade die zweite mehr. Der ersten hülfen die Lehrer ab, die zweite entstünde durch Ansteckung mit schlechten Texten; man werde unwissender als zuvor, vielmehr erst dann wirklich unwissend. So nenne Aristoteles die Kinder keineswegs unwissend. O die Lehrer, die Nichtignoranten zu Ignoranten, Nochnichtschlechte zu Schlechten machten. Wie sie von ihren Lehrern verdorben seien, so verdürben sie ihre Schüler. Und wenn das in der Theologie geschehe, führe es zum ewigen Untergang. Und wie der Glaube, der durch die Liebe wirke, die Tugend der Tugend sei, so die Dialektik die Wissenschaften aller Wissenschaften. Und er sei angestellt, die Jugend von Irrtümern zu befreien, nicht sie ihnen beizubringen. Dies ihm zu ermöglichen, habe er GOTT gebeten. Irren sei menschlich; doch auf einem Irrtum zu beharren teuflisch.
Beim Basler Exemplar Bc V 47/48 dürfte es sich um dasjenige handeln, das Hospinian persönlich der Universität gewidmet hat: beide Bände zeigen ganz ungewöhnlichen Einbandschmuck: beide zweimal einen Basler Wappenschild gehalten von zwei Basilisken in hoch-ovalem Medaillon, vor rotgefärbtem Grund Basilisken grün, Wappen schwarz-weiss mit, wie der Medaillonrahmen, goldenen Einfassungen.