GG 203

Commentatio explicationum omnium tragoediarum Sophoclis, cum exemplo duplicis conversionis, Ioachimi Camerarii Pabepergensis... Basel: Johannes Oporin August 1556. 8°.

Sophokles ist der einzige griechische Autor von Bedeutung, der in Basel im 16. Jahrhundert nicht griechisch erschienen ist; auch unserm Kommentardruck ist nur ein ebenfalls kleiner Druck einer Übersetzung, zwei Jahre darauf beim selben Drucker, gefolgt (GG 204). Auch der hier vorliegende Kommentar mit zwei Übersetzungsmustern ist nicht speziell für diesen Druck entstanden, sondern im Laufe jahrzehntelanger Beschäftigung des Autors mit dem grossen Tragiker, und seine Publikation ursprünglich in anderer Form vorgesehen gewesen. Der Leipziger Professor für griechische Sprache Joachim Camerarius hat ihn mit seinem Geleitschreiben bei der Übersendung des Manuskripts in sehr persönlichem Stil dem mit ihm befreundeten Drucker Oporin selber gewidmet, ihn sogar über Druck oder Papierkorb entscheiden lassen, auch wenn die zweite Variante vielleicht nicht ganz als bare Münze zu nehmen ist. Ausser den Kommentaren zu den sieben erhaltenen Tragödien enthält der Druck eine wörtliche, zeilengleich abgedruckte und eine frei sinngemässe Übersetzung zu den traditionell ersten beiden Tragödien, zum Aias bzw. der Elektra, hier als Muster aus einer früheren Konzeption der Arbeit aufgenommen, auf die Camerarius in seinem Geleitbrief zu sprechen kommt, weiter über zehn Seiten Prolegomena über die Absichten des Dichters (De consilio autoris), die Gattung der Stücke (De genere scripti) und Biographisches (De autore harum Tragoediarum), sowie, jeder Tragödie vorangestellt, eine recht ausführliche Inhaltsangabe (Argumentum), schliesslich einen sehr reichhaltigen griechisch-lateinisch gemischten Index und ein griechisches Melydrion selēnaion - Mondliedchen des Humanisten und Dichters Karolos Outhenōbios an den Drucker Oporin auf dessen und des Kamerarios Werk. (Utenhove, Gent 1536 - Köln 1600, hatte sich ein erstes Mal 1555 in Basel aufgehalten, wo Thomas Platter seinen Tischgänger als gwaltig Graecus poet bezeichnet hat; nach weiteren Studien in Basel 1568/69 und Heidelberg 1574 wurde er 1589 in Basel Professor für griechische Sprache). Hiervon waren die Argumenta und die Kommentare zu den drei thebäischen Tragödien schon 1534 als auch selbständig käuflicher Anhang zur griechischen Ausgabe bei Johannes Secer in Hagenau erschienen. 

Er schicke ihm endlich seine Sophoklesarbeit, beginnt Camerarius seinen Geleitbrief vom 15. März (gewiss des Druckjahrs, auch wenn er dem Brief noch ein Postskript angefügt hat), die er schon einige Male in seinen Briefen erwähnt habe, aber weder völlig ausgearbeitet noch durch eine Abschrift deutlicher dargestellt (neque descriptione explanata; Briefe des Camerarius an Oporin sind nicht mehr bekannt, wohl aber Oporins an jenen). Das hätten verschiedene, oft unvorhergesehene Aufgaben verhindert. Er wisse, wie schwierig in solcher Arbeit bei Unterbrüchen ein Zusammenhang zu schaffen sei. Aber er habe sie dennoch lieber so schicken wollen als sie bei ungewissen Aussichten auf eine Ausfeilung länger zurückhalten. Seinem Wissen und seiner Sorgfalt stelle er das Übrige anheim. Die Ausgabe solle ihr gemeinsames Werk sein und er solle damit tun, wie mit Eigenem, was er wolle. Er habe bei verschiedenen Gelegenheiten, nicht in der Reihenfolge der Ausgaben, auch nach mehrjährigen Unterbrüchen, an dieser Erklärung der Tragödien des Sophokles gearbeitet. Er habe einst in zwiefacher Weise zu übersetzen (interpretari) begonnen, mit einer Übersetzung nah am Wortlaut und einer freieren nach dem Sinn. Doch als er erfahren habe, dass eine vollständige Übersetzung der Tragödien dieses Dichters vom hochgelehrten Vitus Ortelius Vinesimus herausgegeben worden sei, habe er verzichtet, Übersetzungen der übrigen Tragödien zu bieten (die Übersetzung Veit Windsheims erschien 1546 bei Peter Brubach in Frankfurt am Main, nochmals 1549). Von den ersten beiden in den Ausgaben jedoch habe er eine Übersetzung in den beiden Arten als Muster nicht seines Fleisses, sondern seines Erklärungsplans beigeben wollen. Er glaube, dass das den Studiosi beider Sprachen nicht wenig zur Kenntnis der Eigenheit und Reinheit der Sprache verhelfen werde. Was die zum Teil nicht unterschiedene Schreibweise betreffe (gemeint wohl eine z. T. fehlende oder wenig deutliche Unterscheidung der Text-Stichworte, da die Verse damals noch nicht numeriert wurden, vom Kommentar), solle er darauf achten, dass seine Arbeiter (die Setzer) in der Darstellung nicht gedankenlos drauflos gingen (Oporin und seine Setzer haben die Unterscheidung von Stichwort und Kommentar typographisch sehr deutlich herausgebracht). Das Übrige überlasse er seinem Urteil, falls ihm etwas nicht richtig überlegt oder zu wenig herausgearbeitet erscheine (schliesslich war auch Oporin in Basel Professor für griechische Sprache gewesen, ehe er sich für den Buchdruck allein entschloss). Nach seiner Meinung sei es nicht übel, auch wenn in seiner Offizin viele grossartige Werke erschienen, auch für die Verbreitung solcher (kleinerer) Werke Mühe aufzuwenden. Auch wenn ihm nicht entgehe, wie in diesem unhumanen Jahrhundert Künste und Literatur gering geachtet würden. Man müsse das Schöne um seiner selbst willen erwählen. Man werde sich wenigstens später seiner Verdienste dankbar erinnern. Er habe noch Weiteres dieser Art angefangen liegen, darunter zu Aeschylus, doch zu dessen Fertigstellung zu einer Publikation brauche es politisch ruhige Zeiten und privat weniger Arbeit. Doch das liege bei Gott. Auf diesen Abschluss des Geleitbriefs mit dem Datum folgt ein undatierter, wohl nur kurz darauf entstandener Nachtrag: Als er dies geschrieben gehabt habe, sei ihm berichtet worden, dass in Frankreich, er wisse nicht wann, ein ausführlicher Kommentar zu Sophokles in einem dicken Band erschienen sei (es muss sich um die zweiteilige zweite griechische Pariser Ausgabe mit Konjekturen des Demetrius Triclinius und Scholien handeln, die 1552/53 bei Adrien Turnèbe, Imprimeur du Roi, erschienen ist; der folgende Genfer Druck von 1568 enthielt dann neben den griechischen Scholien und separaten Annotationes des Herausgebers und Druckers Henri Estienne auch, ebenfalls im Titel erwähnt, die lateinischen "Scholien" des Camerarius). Er habe sich darum zu fragen begonnen, ob es nicht richtiger sei, seine Arbeit weiter zurückzuhalten, das französische Werk sich zu beschaffen und das Seine zu erweitern. Doch er habe entschieden, es wie vorgesehen ihm zu senden. Er meine, auch aus diesem kleinen Werk könnten die Studiosi Nutzen ziehen. Wenn sie sich irgendwo mehr und Besseres besorgten, sei nicht Neid, sondern allerseits Glückwunsch am Platz. Er pflege nicht nur zu wünschen, dass Besseres für andere herauskomme, sondern dies auch selber gierig zu benützen. Wie gesagt, er überlasse es ihm, das Werk zu edieren oder es zu unterdrücken, dessen grössten Teil er ihm eigenhändig niedergeschrieben habe. Und was mit seinen Schriften geschehe, wenn er sie einmal weggegeben habe, kümmere ihn nicht gross.

Das Basler Exemplar D H X 8 hat 1789 einem Henr. Car. Abr. Eichstaedt, A.M. in Leipzig gehört und ist 1894 als Geschenk von Regierungsrat Prof. Dr. Paul Speiser in die Basler Bibliothek gelangt.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: DH X 8

Illustrationen

Buchseite

Titelseite

Buchseite

2ar: Geleitbrief des Leipziger Gräzisten Joachim Camerarius mit einer Widmung an Johannes Oporin vom 15. März 1556, 1. Seite.

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2av: Geleitbrief des Joachim Camerarius, 2. Seite.

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3ar: Geleitbrief des Joachim Camerarius, 3. Seite.

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3av: Geleitbrief des Joachim Camerarius, 4. Seite.

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4ar: Geleitbrief des Joachim Camerarius, 5. Seite.

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2br: Anfang der Inhaltsbeschreibung der Tragödie Aiax des Sophokles.

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6gr: Anfang des Kommentars des Joachim Camerarius zur Tragödie Aiax.

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4Mr: Kolophon