GG 219

Isokratous hapanta.

Isocratis scripta, quae quidem nunc extant, omnia, Graecolatina, postremo recognita: Annotationibus novis et eruditis illustrata, Castigationibusque necessarijs expolita: Hieronymo VVolfio Oetingensi interprete & auctore... Basel: Polycarp und Hieronymus Gemusaeus und Balthasar Han in der Officina Oporiniana März 1570. Fol.

Über zwanzig Jahre nach seiner Isokratesübersetzung von 1548, fast zwanzig Jahre nach seiner ersten gesicherten griechischen Isokratesausgabe von 1551/1553 (mit der Übersetzung von 1548) (GG 218) erscheint, als Frucht von Wolfs Beschäftigung mit Isokrates während der beiden dazwischenliegenden Jahrzehnte, diese grosse zweisprachige Ausgabe der Reden und Briefe, in zwei Teilen. Der erste Teil, mit vollem Impressum, aber auch Gesamttitel für beide Teile, enthält die Schriften des Isokrates in parallelem Spaltendruck (der griechische Text jeweils innen), die verschiedenen Viten und verwandte antike Belege (soweit griechisch ebenfalls mit Übersetzung), Wolfs Vita des Redners, seine früheren Vorreden zu Isokratesdrucken, lateinische und griechische Gedichte Wolfs und sein Horoskop sowie einen lateinischen Wortindex. Der zweite Teil mit ebenfalls vollständigem Titelblatt und Kolophon sowie eigener Vorrede, somit wohl auch einzeln käuflich, enthält auf über 800 zweispaltig kleingedruckten Seiten die Annotationes (S. 2-806) und Castigationes Wolfs (S. 806-846) zu Werk und Viten sowie einen zweiten, griechisch-lateinischen gemischten Index hierzu. 

Wolf, seit 1557 Lehrer und Rektor des Augsburger Gymnasiums St. Anna, hat das Werk vier Augsburger Patriziern gewidmet: dem Senator Johann Matthaeus Stamler, dem Rechtsgelehrten Conrad Pius Peutinger und den Scholarchen, also seinen direkten Vorgesetzten, Johann Hartlieb genannt Walsporn und Christoph Tenn, aus Augsburg am 9. Juli 1570. Der Widmung lässt er eine Elegie Thomas Blarers auf die Isokratesübersetzung und die Annotationes seines geschätzten Lehrers Wolf folgen, wohl vom Sohn oder einem Enkel des Konstanzer Juristen, Reformators und Bürgermeisters Thomas Blarer (†1567), der in Strassburg (Sohn) oder Augsburg (Enkel) sein Schüler gewesen sein dürfte. Die für Wolfs Verhältnisse eher kurze, aber sehr konzentrierte und inhaltsreiche Widmung gibt nicht nur Einblick in Wolfs Biographie, sondern vor allem auch in den griechischen und lateinischen Unterricht der Zeit und Pläne zur Schulreform: Als nach der unheilbaren Krankheit des verdienten Xystus Betuleius (†1554) die Schule zu St. Anna ohne Schuld seiner Nachfolger durch die Ungunst der Zeiten und einer Abkehr von den Studien fast eingegangen sei, hätten die vier oberen Scholarchen Christoph Peutinger, Johann Jacob Fugger (sein Herr und Arbeitgeber von 1551 bis 1557), Christoph Relinger der Jüngere und Matthaeus Welser aus Sorge für den Staat zu ihrer Wiederherstellung ihn zum Unterricht von Griechisch und Latein, zur Untersuchung der Fehler der Schule und ihrer Behebung zu einem Lohn angestellt, wie kein Professor der Geisteswissenschaften in ganz Schwaben ihn erhalte. Für seine Arbeit seien Gott und sein Gewissen Zeugen, auch wenn er über zehn erfolglose Jahre mit Verleumdungen und Schmähungen verfolgt worden sei und keine Ruhe gefunden habe. Er habe nicht gleichsam von tragischer oder philosophischer Warte das Menschliche als unwesentlich übersehen können, den Misserfolg trotz allem Einsatz im Sinne der Behörden schwer genommen, die geringe Zahl der Schüler und deren Unwissenheit, deren Hauptgrund die notgedrungene überschnelle Beförderung aus den untern in die oberen Klassen gewesen sei. Habe er deshalb - habe er sich gefragt - sein ganzes Leben an die besten griechischen und lateinischen Autoren hingegeben, dass er nur noch unter Kindern stammeln müsse, und nie hoffen könne, über die Anfangsgründe der Grammatik hinauszugelangen? Welch vergeudete Zeit! Nicht am Geld messe er seinen Lohn, sondern an der Zahl, dem Anstand, der Bildung seiner Hörer und deren Zustimmung. Oft habe er es für Sünde gehalten, in einer Stellung zu bleiben, wo er weder Schüler etwas lehren könne noch selber etwas lernen. Als er in diesen Zweifeln nach Ablauf seiner fünfjährigen Verpflichtung (also 1562) wie die übrigen Lehrer um eine achtjährige Verlängerung seines Rektorats gebeten worden sei, habe er Hoffnung geschöpft, dass das öffentliche und private Ansehen der Bildung steige. So habe er eher aus Pflichtgefühl seinen Herren willfahren als mangels ehrenvoller Rücktrittsmöglichkeiten (Herzog Albrecht von Preussen in Königsberg, die Räte von Strassburg und Bern hätten ihm ehrenvolle Stellen bei sich bzw. in Lausanne angeboten). Zudem habe er sich schicksalhaft an die Stadt gebunden gesehen. Er sei in das Schulamt berufen worden, als ihm das nie in den Sinn gekommen wäre; er habe sich über Erwarten lange halten lassen, um nicht, bei einer Zuwendung zu Höherem, sich als Abtrünniger vorzukommen. In freundschaftlichem Gespräch habe man ihm einst - nicht ganz zu Unrecht - gesagt, dass die Stadt sehr wohl ohne ihn auskommen könne, er sich freiwillig binden lasse. Denn sein Lohn genüge ihm und Wechsel scheue er aus bitterer Erfahrung. Er habe vieles in Bewegung gesetzt, aber wenig vorangebracht, so dass der für ihn geleistete Aufwand für nichts gewesen sei. Andere hätten mit weniger Gelehrsamkeit und Geist (obwohl er von beidem nicht allzu viel besitze) und weniger Lohn dasselbe leisten können. Als dann vor vier Jahren die Strassburger Scholarchen ihre damalige Schule, nun Akademie, nach der Pest (1564 war auch in Basel eines der schlimmsten Pestjahre) neu aufzubauen gesucht hätten und der bekannte pommersche Jurist Laurentius Tuppius den Auftrag erhalten habe, überallher Gelehrte zu berufen, und ihn - ihn überschätzend - sofort brieflich kontaktiert habe, habe er geglaubt, mit dieser Gelegenheit sowohl die Stadt Augsburg von überflüssigen Ausgaben zu befreien wie seinen Plänen näher zu kommen. Dies umso mehr, als sein Bruder Heinrich, Physicus in Nürnberg, ihn in zahlreichen Briefen dazu zu bewegen gesucht habe. Und er habe nicht angenommen, dass man ihn nicht noch so gerne ziehen lasse, noch dazu an einen Ort, wo ihn jemand brauchen könne. Als er daher die Sache mit dem Bürgermeister Johann Baptist Hainzel (ohne den er keine gewichtige Entscheidung treffe) habe besprechen wollen und ihm die traurige Lage seiner Schule geklagt habe, sei dieser, erregt wie noch nie, ihm und Laurentius gegenüber unwirsch geworden, dass er seine Arbeit zu negativ beurteile, jener fremde Bedienstete abwerben wolle. Nach seiner Besprechung im Rat habe er ihm mitgeteilt, dass er keineswegs unnütz für Augsburg sei, das ihn ebensogut ernähren könne wie Strassburg. Er habe sich gefreut und jeden Gedanken an einen Wechsel, mit dem er vielen in direktem Unterricht hätte nützen können, aufgegeben und für umso wichtiger gehalten, durch Publikationen sogar in die Ferne zu wirken. Daher habe er beschlossen, seine Erläuterungen zu Isokrates, Cicero (diese sind erst postum 1584 bei Eusebius Episcopius, dem Drucker auch der Demosthenesausgabe mit Kommentaren von 1572 [GG 230], erschienen) und Demosthenes zu verbessern und zu vermehren und dem Druck anzuvertrauen, nach denen die Studiosi (Studenten und Gelehrte) besonders verlangten, wie ihm Buchhändler und Drucker bedeutet hätten. Während dieser seiner Arbeit hätten sie - Stamler, Peutinger und Tenn - auf den Rat ihres Kollegen Hartlieb (der sich viele Jahre allein um die Schule bemüht habe) und wohl dank dem Antrieb eben durch Hainzel sich bisher als wahrhafte Scholarchen bewährt und ihn von der Betreuung der Schüler und Lehrer entlastet, auch wenn die einen ihre Söhne, die andern ihre Bediensteten seien. Dafür danke er ihnen ganz besonders. Denn was er in den vorangegangenen Jahren oft verlangt, aber nie erhalten habe, hätten sie nun geschaffen: dass er, von der lästigen und unnützen Aufsichtspflicht befreit, auch an den Nachmittagen unterrichten und - wie er hoffe - zum Nutzen der Schüler in seinen Griechisch- und Lateinvorlesungen grössere Fortschritte machen könne. Er sei von Natur aus eher Pessimist als Optimist, doch sie hätten nun durch ihren Einsatz erreicht, dass die Zahl der - ausgewählten - Schüler und Klassen sich fast verdoppelt habe, so dass er die Arbeit nicht mehr bereue. Wenn diese, unter dem Schutz Gottes, weiter Fortschritte mache, werde die erste Klasse in zwei Klassen geteilt werden müssen (wie dies auch in Basel bei der Gründung des Gymnasiums 1589 der Fall war) und es werde einen neuen Winterraum brauchen. Darum müssten sie sich kümmern. Und mit geringem Aufwand könnten sie erreichen, dass sowohl der Erste Lehrer wie der Öffentliche Professor (wobei er, in Anbetracht seines Alters und seiner schwachen Gesundheit, keineswegs in erster Linie an sich denke) immer genügend geeignete Schüler hätten und nicht einer dem andern die Hälfte wegnähme. Kurz: ein neues Gebäude zu planen sei Sache der Bauherren und der Architekten; um eine angemessene Zahl öffentlicher Hörer zu erhalten und zu bewahren schlage er Folgendes vor: bis jetzt würden jeweils sechs Jugendliche ein Stipendium erhalten. Wenn man diesen weitere sechs beigesellte (und die Stadt bringe viele herrliche Begabungen hervor, die sie teils durch ihren Reichtum, teils durch ihre Armut von den Studien abhalte), könne der Öffentliche Professor, zu dem bis jetzt auch Fremde gingen, diese (ausgenommen die Anfangsgründe in lateinischer und griechischer Grammatik) in Dialektik, Rhetorik, Homer, Demosthenes, Cicero, Vergil und anderen guten Autoren unterrichten, so dass er in ein, zwei, höchstens drei Jahren einen guten Teil dieser Autoren und des übrigen Stoffes durchbrächte, oder, wenn dies irgendwie verhindert würde, die Schüler (studiosos) und lernwilligen Hörer doch so weit brächte, das sie den Rest allein sich beibringen könnten. Den genauen Plan hierfür werde er ihnen innert zwei Jahren schriftlich vorlegen. Auf gleiche Weise sollten in der ersten Klasse beide Grammatiken (d.h. die lateinische und die griechische), Terenz, Ovid, kleine Schriften von Cicero, Isokrates und weiteren ähnlichen Autoren so weit eingeprägt werden, dass keiner mehr in das Öffentliche Auditorium zu kommen brauche, der nicht beide Sprachen einigermassen beherrsche. Ähnlich sollten auch die übrigen Klassen geführt werden, nämlich dass in den höheren Klassen die Knaben länger gehalten würden und dadurch die unteren nicht überfüllt seien. Das wolle er noch genauer ausarbeiten, denn er würde schon jetzt befürchten, sie zu lange hingehalten zu haben, wenn solche Pläne nicht zu seinen Aufgaben gehörten und er nicht ihr Wohlwollen kennte (so ist von ihm auch eine Institutio gymnasii Augustani bekannt). So möchten sie diesen Kommentar zu Isokrates entgegennehmen, der zum grossen Teil in ihrer Schule geboren und erzogen worden sei, nicht in seinem, sondern im Namen seines ganzen Kollegiums (dass Isokrates von den jüngeren Schülern durchgenommen wurde, zeigt auch der Zustand des Basler Exemplars der griechischen Oktavausgabe von Hagenau 1533, das 1573 in den Besitz des 1558 geborenen und 1569 in Basel immatrikulierten Johann Heinrich Pantaleon, eines Sohns des Polyhistors Heinrich Pantaleon, gelangt ist... ; dass Isokrates als pädagogischer Autor galt, zeigt auch devisenartig der Eintrag des Erasmus auf dem vordern Schutzblatt des Exemplars Johannes Amerbachs, dann der Söhne, des Mailänder Erstdrucks von 1493, vielleicht recht früh in Basel für den dann zwanzigjährigen jüngsten Sohn Bonifacius, der die Handschrift später beurkundet hat: "manus D.Eras.Roterodamj": "Isokratēs: ean hēs philomathēs, esei polymathēs"). Zu den Annotationes wird deren Vorrede von 1548 nochmals abgedruckt, doch von Wolf dazu an bezeichnenden Stellen leicht erweitert. So fügt er beim Hinweis auf Elucidarii und Kinderlexika für Interessenten von Kindersagen zusätzlich auf "Higynus, Bocatius, Gyraldi historia Deorum, Cornuti, Palephati, Heraclidis Pontici, Iuliani, Aurelij, & aliorum mythologiae & allegoriae poeticae, atque in primis Eustathii commentarij in Homerum: si quem forte res huiusmodi delectant" hin, damit auf z.T. eher obskure antike Autoren: neben dem Zeitgenossen Giraldi vor allem auf Autoren, die in der Zwischenzeit gedruckt worden sind. Dies gilt auch für die zweite ähnliche Ergänzung, beim - seriösen - Hinweis auf historische Quellen: hier kommen Pausanias und Georgius Gemistus Pletho hinzu. W 98.

Aus Besitz Remigius Faeschs: B c II 76

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc II 76

Illustrationen

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Titelseite mit Druckermarke

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2alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 1. Seite.

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2alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 2. Seite.

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3alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 3. Seite.

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3alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 4. Seite.

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4alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 5. Seite.

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4alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 6. Seite.

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5alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 7. Seite.

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5alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf vom 9. Juli 1570, 8. Seite.

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1ar: Anfang der griechisch-lateinischen Ausgabe der Reden und Briefe des Isokrates.

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Titelseite der Annotationes zum Werk des Isokrates mit Druckermarke.

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2*r: Vorrede des Hieronymus Wolf, 1. Seite.

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2*v: Vorrede des Hieronymus Wolf, 2. Seite.

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3*r: Vorrede des Hieronymus Wolf, 3. Seite.

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3*v: Vorrede des Hieronymus Wolf, 4. Seite.

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1ar: Anfang der Annotationes des Hieronymus Wolf zu Werk und Viten des Isokrates.

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6Pr: Kolophon