GG 283
Eukleidou Stoicheiōn bibl. ie' ek tōn Theōnos synousiōn. Eis tou autou to prōton, exēgēmatōn Proklou bibl. d'.
Adiecta praefatiuncula in qua de disciplinis Mathematicis nonnihil. Basel: Johannes Herwagen September 1533. Fol.
Das bekannteste Werk des griechischen Mathematikers Eukleides aus dem Frühhellenismus (um 300 v. Chr.), die "Elemente", behandelt die Planimetrie, die Arithmetik, die irrationalen Verhältnisse und die Stereometrie. Überliefert ist es zusammen mit dem - umfangreicheren - Kommentar Theons von Alexandria. In lateinischer Übersetzung - aus der Feder des Geistlichen und Kurienkaplans Campano aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, aus der arabischen Übersetzung übersetzt - ist beides seit dem Erstdruck Erhard Ratdolts von Venedig 1482 mehrmals erschienen: 1486 in Ulm, 1491 in Vicenza bei Leonardus de Basilea (Leonardus Achates) und Guilielmus de Papia, erweitert und/oder revidiert 1502 und 1509 in Venedig, 1516 und 1521 in Paris, dazu in der lateinischen Gesamtausgabe in Venedig 1505. Da die lateinische Übersetzung nicht auf dem griechischen Original fusst, sondern auf der Überlieferung der arabischen Übersetzung, erhielt hier der erste Druck einen besonderen Wert des Rückgriffs auf eine Quelle. Die Ausgabe ist das Werk des Basler Gräzisten und Theologen Simon Grynaeus, der es am 31. August 1533 dem Bischof von Durham und Präsidenten des Reichsarchivs Cuthbert Tunstall (1474-1559), den er von seiner Englandreise von 1531 her kannte und der selber 1522 ein mathematisches Werk De arte supputandi libri quatuor herausgegeben hatte, gewidmet hat.
In dieser Widmung verbreitet er sich vor allem auch allgemein über die Bedeutung und den Nutzen der Mathematik, worauf ja auch im Titel schon hingewiesen wird, die gegenüber den andern Künsten zu unrecht vernachlässigt werde. Er möchte zunächst den Nutzen dieses Autors - bzw. dieses Werkes - sowohl für sich wie für die übrigen Wissenschaften darstellen, da er selber zwar gewiss an diesem Fach, selber Autor eines Werkes, Freude haben dürfte, die meisten Mathematiker seiner Zeit aber, sogar die Dozenten an den Universitäten, in ihm nur stumme Linien sähen. Die Gründe dieser Verachtung der Mathematik dürften ihre rhetoriklose Nüchternheit der Darstellung sein, ihre anhaltende Beschäftigung mit ihren Grundlagen und die Tatsache, dass die Schwierigkeiten bei ihr schon in den Grundlagen steckten, die sich nicht von selber darböten. So schrecke man schon vor den Anfängen zurück. Von den Linien, Winkeln, Figuren handelten ganz schlicht die ersten zehn Bücher, ebenso schlicht die fünf folgenden von den Körpern. Damit habe man die Grundbegriffe für jede Form, für jede Messung, für die Beobachtung der Gestirne. Dies gebe er hier in seiner eigenen Sprache heraus. Auf diese Grundlagen folge aber als Frucht die Kenntnis des gesamten Welttheaters mit allen seinen Bestimmungsmöglichkeiten. Ein göttlicher Geist, und wahrhaft von Gott aufgerufen, wer das nicht nur für die Menschheit erforscht, sondern sogar der ganzen Nachwelt als Erbgut hinterlassen habe. Einfältig die Menschen, die nicht einmal danach fragten, obwohl diese Kenntnisse wie nichts anderes sie die Schöpfung Gottes schauen liessen. Blind bleibe ohne sie jede Kenntnis der übrigen Künste. Hierbei sei er oft im Zweifel, ob die Welt selber mehr Staunen errege (d.h. der Makrokosmos) oder die andere Welt, der menschliche Geist (d.h. der Mikrokosmos), der in sich die Welt durch Betrachtung erfasse. In der Betrachtung der Dinge sei die Grundlage der Verstand, der sich auf sein eigenes Licht stütze (archai genannt); alles andere baue hierauf auf. Jedes Ganze sei grösser als einer seiner Teile. Dies seien die Fäden, die die kleine Spinne - der Fleiss des Verstandes - aus sich heraus von der Decke des Himmels zur Erde herunterlasse, woraus sie dann rasch das vollkommene Netz der Geometrie spinne. So scharf wie dieses Netz sollten die Studiosi die vollkommene Formel ihres Fachs wahrnehmen können, in diesem Fach besonders deutlich, das hierzu fast der Dialektik gleichkomme. Von diesen beiden gingen alle andern aus, die eine stelle ihnen die Gesetze auf, die andere liefere die Beispiele. Es brauche beide, doch eher noch könne man auf die Dialektik verzichten. Das bezeuge auch der in der Dialektik wahrhaft beschlagene Galen in seiner Schrift über seine Werke. Und selbst Aristoteles ziehe in seiner Philosophie an einer Unmenge von Stellen Beispiele aus der Geometrie bei. Die Dialektik besitze die Fähigkeit der Erörterung, doch dunkel bis ihr die Helligkeit der mathematischen Fächer zu Hilfe komme. Schliesslich gehe es ihm um die Einführung der Geometrie als eines neuen Faches in den Unterricht. Der Fortschritt der Sprachen sei allen evident. Es sei aber auch nötig, Kenntnisse der Natur zu erwerben. Wegen der Vielschichtigkeit brauche es aber eine Methode. Die sei sogar in den Schriften der Alten überliefert, bei Aristoteles und andern. Heute verschweige man dies und stürze sich am ersten besten Ort in die Forschung. Gegen diese Konfusion sei nun als einziges wahres Mittel die Geometrie aufgetaucht, zu einer Zeit, da sich die Studenten je nach Fähigkeit und Gelegenheit auf einen ungeheuren Stoffhaufen stürzten, ohne jede Ordnung möglichst viel lernten, was immer noch mehr verwirre. Man müsse beim Beginn jeder Forschung (contemplatio) zuerst einen festen Grund legen. Analysis und synthesis nennten das die Dialektiker. Dies hätte das tumultuarische Philosophengeschlecht der vergangenen Jahrhunderte nicht beachtet und dadurch Monstrositäten geschaffen, Erscheinung und Wirklichkeit gleichgestellt oder dann jede Wahrnehmung überhaupt abgestritten. Man müsse nüchtern von Grund auf philosophieren, noch weniger als Speisen eine Menge Meinungen in sich schlürfen. Das geschehe, wenn die Einfachheit und Klarheit dieser Fächer, wunderbar zur Reinheit der jungen Geister passend, sofort nach den Sprachen in den Schulen geschickt eingeflösst werde und die Kinder schon hier zu Beginn daran gewöhnt würden, nichts ohne sicher erforschten Beweis anzuerkennen (nisi explorata certaque fide nihil admittere) und sich nur wahrhaftigen Lehrern anzuvertrauen. Plato habe das an unzähligen Stellen gezeigt. Daher habe er beschlossen, die mathematische Literatur, soweit noch erhalten, in der Originalsprache der Reihe nach herauszugeben, und so die Studien nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Und so lange wolle er keine Mühe scheuen. Beleg dafür sei, dass er Handschriften durch Freunde und eine eigene Reise (was damals vorwiegend Strapazen bedeutete) von so verschiedenen Orten (sogar übers Meer aus England) zusammengesucht habe. Für Euklid habe er deren zwei verwendet: die eine habe Lazare de Baïf (nach Griechischstudien in Venedig und Rom 1514-1519 französischer Gesandter in Venedig 1529-1534, Mäzen und Autor bekannter antiquarischer Werke) in Venedig, die andere Jean Ruelle (Arzt und Botaniker) in Paris seinen Freunden - wohl der Drucker gemeint - besorgt, ihm selber John Claymond - den er ebenfalls von 1531 her kennt - in Oxford den Kommentar Theons (der mitgedruckt ist): Männer, die zur Förderung der Wissenschaften gemacht seien, was ihre eigenen Denkmäler - ihre Publikationen - zeigten. Das Buch gehe aber nicht nur dank der Hilfe dieser Männer, sondern auch unter seinem, Tunstalls Schutz in die Welt, der selber nicht nur mit seinem Namen, sondern auch durch eigene Werke auf dem selben Gebiet es schützen werde. Wenn er nicht zu Höherem - Seelsorge, als Bischof - verpflichtet wäre, könnte dieses ganze Sachgebiet hervorragend durch ihn lateinisch dargestellt werden. Er habe mit seinem Buch über sämtliche Zahlen bewiesen, dass heute niemand verworrene Dinge deutlicher erklären könne als er.
Der mit dem Kommentar des Neuplatonikers Theon von Alexandria aus dem 4. Jahrhundert, des Vaters der berühmten Neuplatonikerin Hypatia, Kommentators auch des Ptolemaeus und Arats, zusammen gedruckte Text des Eukleides ist, wie schon im lateinischen Erstdruck von 1482 (erster Druck mit mathematischen Figuren) reich mit mathematischen Figuren illustriert, die innerhalb des Satzspiegels erscheinen. Vor allem zum nicht illustrierten Kommentar des späteren Neuplatonikers Proklos aus Konstantinopel (um 410-485) zum 1. Buch der Elemente hat in unserm Exemplar, das später der Basler Mathematiker Daniel Huber besessen hat, ein unbekannter früher Besitzer ausser zahlreichen lateinischen und griechischen Einträgen einige Figuren ergänzt. W 129.
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Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Ke I 5