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Hippocratis Coi medicorum omnium longe principis, opera: quibus maxima ex parte annorum circiter duo millia Latina caruit lingua: Graeci vero & Arabes, & prisci nostri Medici, plurimis tamen utilibus praetermissis, scripta sua illustrarunt: nunc tandem per M. Fabium Rhavennatem, Gulielmum Copum Basiliensem, Nicolaum Leonicenum, & Andreas Brentium, viros doctissimos Latinitate donata, ac iamprimum in lucem aedita: quo revera humano genere nihil fieri potuit salubrius... Basel: Andreas Cratander August 1526. Fol.
1524/25, zehn Jahre nach den ersten neuen Galenübersetzungen, setzt eine neue Serie von Hippokratesdrucken ein: nach kleineren Drucken u.a. in Paris erscheint 1525 in Rom die schon 1515 fertiggestellte lateinische Übersetzung seiner Werke, soweit greifbar, von Marco Fabio Calvo aus Ravenna, 1526 die erste griechische Gesamtausgabe bei Aldus Manutius in Venedig. 1526, im Jahr bevor zu Beginn 1527 Paracelsus für ein Jahr als Stadtarzt nach Basel kommt, erscheinen auch in Basel die ersten Drucke griechischer Medizin: im Mai 1526 ein kleiner Druck mit neuen Übersetzungen des Erasmus von drei Schriften Galens, im August unser Nachdruck der Übersetzung Calvos (der Humanist und Antiquar Calvo war als Freund Raffaels dessen archäologischer Berater gewesen; seine Beschreibung des antiken Rom, 1527, im Jahr seines Todes (als Folge des Sacco di Roma) in Rom erschienen, ist 1556 ebenfalls in Basel nachgedruckt worden). Cratander, der auch bei nur fragmentarisch von Calvo übersetzten - weil nicht anders greifbaren - Schriften wie zuvor schon der Römer Drucker hierauf hingewiesen hat (z.B. S. 29) und zwischen Vita und Werken des Hippokrates durchaus vorhandene Mängel der Übersetzung Calvos mit dem Zustand der Überlieferung entschuldigt - von einander abweichende Handschriften, Lücken, fehlende Vergleichsmöglichkeit bei nur einmal erhaltenen, bzw. Calvo greifbaren Schriften -, Cratander hat die Römer Übersetzung mit anderweitig in den Jahren 1524/25 erschienenen Übersetzungen durchmischt. So hat er, worauf er in seiner Vorrede hinweist und wie auch seinem auf der Titelseite angezeigten Elenchus zu entnehmen ist, zwei Übersetzungen Calvos gegen solche des berühmteren Basler Arztes Wilhelm Kopp ausgetauscht (in Basel 1478/79 immatrikuliert, von 1488 bis zu seinem Tod um 1532 in Paris, u.a. als Leibarzt Franz I. tätig), die Aphorismen in der Übersetzung des ebenso berühmten Niccolò Leoniceno (1428-1524, Professor der Medizin in Venedig und 1464-1524 in Ferrara) statt derjenigen Calvos und eine Schrift in der des früh verstorbenen Römer Professors für griechische und lateinische Rhetorik Andrea Brenzio gebracht (Brenta/Brenti, 1454-1484), eines Schülers des Demetrios Chalkondylas. Die Übersetzung von De natura hominis war, u.a. zusammen mit den andern sechs Hippokrates-Übersetzungen Brenzios, seit dem 15. Jahrhundert mehrmals erschienen, die beiden Übersetzungen des Copus auf zwei Drucke verteilt, jeweils mit der des Leonicenus bzw. des Brentius zusammen, 1524 bei Simon de Colines in Paris (dessen Galendrucke ebenfalls dann von Cratander jeweils sogleich nachgedruckt worden sind), alle vier Übersetzungen zusammen mit einer weiteren des Constantinus Lascaris (De flatis) 1525 in Lyon. Auf diese Auswechslungen und ihren Grund weist Cratander, der die Schriften auch sonst gegenüber dem Römer Druck z. T. anders bezeichnet, klarer geordnet und seinen Elenchus nicht nur mit nützlichen Seitenangaben versehen, sondern überhaupt erst mit den Titeln und der Reihenfolge hat übereinstimmen lassen, auch am Schluss seiner Vorrede an den Leser hin: Wenn in grossen Dingen schon der Wille (nach altem Sprichwort) genüge, wie viel gelte dann gar eine Leistung? Und auch Ruhm bringe die Vollendung wohl mehr als nur die Hinwendung zu Ehrenvollem. Er bemühe sich nicht nur, so viel ein Mensch vermöge, die ehrenvollsten Studien mit seinem Fleiss zu unterstützen, sondern sage auch, oft ohne Rücksicht auf seine Finanzen wie Reservetruppen dort einen Dienst zu, wo er am meisten Not sehe. Aus diesem Grund habe er sich dazu bringen lassen (u.a. durch Albanus Torinus, der 1528 einen medizinischen Sammeldruck bei ihm herausgibt?), der Medizin, die bei ihnen nicht so gar glücklich wiedergeboren werde, einiges an finanziellem Aufwand und Nacharbeit zu widmen und dem Publikum nicht irgendeinen gewöhnlichen Arzt, bei dem die Studenten dieses Faches ihre Anfangsstunden ableisteten, sondern den zu überreichen, den Gelehrte und Ungelehrte einhellig zum Meister (princeps) der Medizin erklärten, und dem man wegen seiner göttlichen Kenntnis der Kunst schon von alters zu opfern begonnen habe. An Lob möge darum das des Plinius genügen, der Hippokrates den Erfinder der Heilkunst nenne. Während seine andern Leistungen nicht beachtet würden, sei bekannt, dass er, wie Sokrates die Moral, die Medizin vom Himmel auf die Erde geholt und die bis dahin unbestimmten Erkenntnisse durch bestimmte Vorschriften in eine Kunst gleichsam gefesselt habe. Über die unsichere Identifikation der Person des Hippokrates wolle er sich nicht äussern; im Mittelpunkt stünden seine Bücher. Weiteres sei wegen des zeitlichen Abstands vergessen, ausser dass seine Sippe von der Natur für diese Kunst vorbestimmt gewesen sei, so dass alle einander höchst ähnlich seien. Wie die Taten verschiedener Herkulesse im Altertum, um einen vollkommenen zu gewinnen, in einem vereinigt worden seien, so solle man bei jenen Schriften, deren höchste Gelehrsamkeit niemand abstreiten könne, nicht kleinlich herauszufinden suchen, von welchem Hippokrates sie nun stammten. Es genüge zu wissen, dass die Alten die Schriften wegen ihrer Ähnlichkeit sämtlich auf jenen ersten wie auf eine Quelle hätten zurückführen wollen, von dem aus sie sich gleichsam nach Erbrecht auf die ganze Familie verteilt hätten. Was hingegen den Übersetzer betreffe, würde er es vorziehen, dass die griechische Sprache so vertraut wäre, dass alles allgemein in der Ursprache gelesen werde. Doch da nur der bei weitem kleinste Teil Griechisch beherrsche und die Unkenntnis der Ärzte, oder vielmehr gewisser Marktfahrer, in dieser Zeit weiter voranschreite, als es für die Gesundheit angemessen sei, habe er sich entschlossen, sogar die Zuverlässigkeit des Übersetzers (Übersetzungen gelten in jener Zeit immer als auch im besten Fall nur relativ zuverlässig) deren Frechheit und ihren Raubzügen - wie solle er es sonst nennen? - entgegenzustellen (Paracelsus ist noch nicht in Basel!). Wenn dieser auch manches zu plump und zu geziert, zuweilen auch etwas zu wirr übersetzt habe, so habe er (Cratander) es sich doch teuer zu stehen kommen lassen, dass ein solcher Autor wenigstens verstanden werde. Ausserdem habe er bewusst verschiedene Übersetzungen gemischt, um durch Verlockung mit Abwechslung dem Leser (bzw. Käufer) seine Arbeit zu empfehlen. Was er von den hochgelehrten Gulielmus Copus aus Basel ("Basiliensis" ist in Majuskeln hervorgehoben!) und Nicolaus Leonicenus zu Hippokrates gekannt habe, habe er zwischen die Arbeiten des Calvus von Ravenna hineingestopft (in der Reihenfolge der Römer Ausgabe), nicht um diese zu verurteilen - wer dürfe das schon wagen? -, sondern damit diejenigen sich mehr daran gewöhnten, die heute die Laufbahn der Medizin beträten.
Als Schmuck für die Titelseite hat Cratander die für Valentin Curios Strabo von 1523 geschaffene Einfassung mit antiken Autoren und der Dichterkrönung Homers durch die Musen von Hans Holbein und Jacob Faber verwendet, die in Basel nur noch im selben Jahr einmal bei Johannes Bebel erschienen und dann nach Lyon verkauft worden ist, für den Textbeginn diejenige mit Idylle des Landlebens, Bauerntanz und Jagd auf den eingebrochenen Fuchs.
Das Basler Exemplar L e I 2 Nr. 1 (mit medizinischem Sammeldruck Cratanders von 1528 zusammengebunden) ist 1583 in den Besitz von Johann Heinrich Pantaleon (*1558), Sohn des bekannten Basler Professors, zuletzt der Physik (Medizin), und Polyhistors Heinrich Pantaleon (1522-95), gelangt, dann in Besitz von dessen jüngerem Bruder, dem Basler Arzt Maximilian Pantaleon (1573-1644), dann Remigius Faeschs.
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Signatur: Le I 2:1