GG 320

Hippocratis Coi medicorum omnium sine controversia principis Aphorismorum sectiones septem, recens e Graeco in latinum sermonem conversae, & luculentissimis, ijsdemque breviss. Commentarijs illustratae & expositae: adiectis Annotationibus... Per Leonhartum Fuchsium scholae medicae Tubingensis professorem publicum. Basel: Johannes Oporin August 1544. 4°.

Zwei Jahre nach dem Druck seines grossen Kräuterbuches durch Michael Isingrin erscheint in Basel aus der Feder des berühmten Arztes und Botanikers Leonhard Fuchs (1501-1566, nach kurzer Professur in Ingolstadt 1535-1566 Professor der Medizin in Tübingen) eine kommentierte zweisprachige Ausgabe - mit eigener Übersetzung - der hippokratischen Aphorismen, diese nun bei Johannes Oporin, die aus privaten Vorlesungen während einer Pestepidemie heraus entstanden ist, wie wir aus der Widmung des Autors, Herausgebers und Übersetzers von Tübingen 19. August 1544 an den Abt Johannes Precht von Salmersweiler (Zisterzienserabtei Salem) erfahren: Als er wie alle Professoren und Studenten vor drei Jahren wegen der Pest Tübingen verlassen habe und diese dann sich über zwei Jahre hingezogen habe, hätten ihn Studenten gebeten, während dieser unfreiwilligen Musse ihnen privat eine Schrift des Hippokrates zu erklären (die Universität hatte sich provisorisch in Esslingen niedergelassen). Von seinen Vorschlägen habe er die Aphorismen für am geeignetsten gehalten (wohl wegen ihrer Kürze, da man ja nicht mit langer Frist rechnete) und sie sorgfältigst zu erklären begonnen, indem er überall Galens Kommentare beigezogen habe. Die Pest habe angehalten, bis er fertig gewesen sei. Da hätten die Mehrzahl ihn gedrängt, den Kommentar der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Er habe ihn ausgearbeitet und Oporin zum Druck übergeben. Im folgenden möchte er sein Vorhaben rechtfertigen, da viele ihm vorwerfen dürften, Überflüssiges zu unternehmen, da es nun viele ausführliche Kommentare zu dieser Schrift des Hippokrates gebe. So unter den Griechen allein an erhaltenen Galen und nach ihm Philotheus (hierzu s. unten), dann Oribasius. Von den barbarischen Ärzten (lateinischen des Mittelalters bzw. der Frührenaissance, noch ohne Griechischkenntnisse) vor Zeiten Hugo Senensis (Ugone Benzi von Siena, um 1370-1439, Professor der Medizin in Pavia, Bologna, Florenz, Padua; sein Aphorismenkommentar: Venedig 1498, Gesamtausgabe seiner Schriften Venedig 1518) und Jacobus Foroliviensis (Giacomo della Torre aus Forlì, um 1330-1413, Professor u.a. in Bologna und Padua; sein Aphorismenkommentar: Padua 1477, Venedig 1490, Gesamtausgabe noch Venedig 1547, also drei Jahre nach der hier folgenden Kritik). Kürzlich habe Antonius Musa Brasavolus so ausführliche Kommentare zu den Aphorismen herausgegeben, dass für andere kaum noch etwas zu kommentieren bleibe (den Aphorismenkommentar dieses Ferrareser Arztes - 1500-1555 - hatte Arnoldus Arlenius am 7. Mai 1540 an Johannes Oporin zum Druck durch irgendeinen Basler Drucker, nur nicht Heinrich Petri, gesandt, da er ihn für viel wertvoller hielt als die 1537 bei Froben erschienene Galenübersetzung des Cornarius (GG 336); er ist bei Froben und Episcopius erschienen, mit unterwürfiger Widmung an Heinrich VIII. von England und Vorwort an Galeazzo Gonzaga; er nennt sich Schüler des Coelius Calcagninus). Um deren Tadel vorzubeugen, müsse er sein Vorhaben etwas erklären: Die Kommentare Galens müssten alle studieren (Fuchs hatte auch an der grossen griechischen Basler Galenausgabe von 1538 mitgearbeitet [GG 337]). Doch da sie zuweilen für manche zu knapp oder schwer verständlich seien, habe er sich bemüht, seine Erklärungen an die Kommentare des grossen Galen anzuhängen und mit seiner Hilfe Hippokrates verständlich zu machen. So brauche er den reichen Inhalt von dessen Kommentaren auch nicht zu wiederholen. Und den schwierigen Stellen Galens habe er kurze Erklärungen beigegeben. Den Kommentar des Philotheos habe er griechisch noch nicht gesehen, kenne ihn nur aus den Bruchstücken bei Musa. Danach scheine er ihm nicht unnütz, auch wenn er manchmal den wahren Sinn des Hippokrates nicht getroffen habe, weshalb er ihm in seinem Kommentar zuweilen widerspreche. Da er seines Wissens auch noch nicht übersetzt sei und nicht immer Hippokrates richtig wiedergebe, habe er durch ihn sein Vorhaben nicht stören lassen (Fuchs hat, nach seiner Reihenfolge der Besprechung, den vermeintlichen Philotheos offenbar zwischen Galen und Oribasius angesiedelt, d.h. ihn viel zu früh datiert; unter dem Namen Philotheus erschien, weshalb Fuchs den Kommentar nur aus Zitaten bei Musa kennt, der Aphorismenkommentar des Theophilos Protospatharios aus dem 9. Jahrhundert erst 1549 in lateinischer Übersetzung des Lodovico Corrado, nochmals 1581 in Speyer - griechisch erst 1834, was heisst, dass er unter dieser Namensverkehrung überliefert gewesen sein dürfte und Musa ihn aus der Handschrift Corrados oder schon aus dessen, allerdings damals ebenfalls noch nicht gedruckter Übersetzung gekannt hat). Dass die Kommentare unter dem Namen des Oribasius nicht echt seien, brauche er nicht erst zu erläutern. Dieser wäre als Galenschüler (dies natürlich nur indirekt zu verstehen: im 4. Jahrhundert) nicht so stark von ihm abgewichen. Zudem erkläre der Autor selber, dass er im Auftrag des Ptolemaeus Euergetes geschrieben habe, also 600 Jahre vor Oribasius. Schliesslich empfehle er den Kranken, Vergil und Terenz zu lesen (welch ersteres zur Zeit des Euergetes auch noch nicht geschehen konnte...), so dass er auch kaum Grieche gewesen sein dürfte. Er wundere sich, dass Andernacus, der die Kommentare als erster Oribasius zugeschrieben habe, das nicht bemerkt habe. Er selber habe diese Kommentare vor etwa dreissig Jahren ins Lateinische, doch nur einigermassen, übersetzt, die Petrus Burcardus, damals sein Präzeptor (Professor der Medizin in Ingolstadt seit 1521, wo Fuchs 1519-1524 studiert hat), Kommentare eines Juden genannt habe, da er sie in einer jüdischen Bibliothek in Regensburg gefunden habe. Wer auch immer ihr Verfasser sei, Oribasius sei es nicht (Johannes Guinterius, der Lehrer Vesals in Brüssel und dann in Paris, hatte den überhaupt nur lateinisch überlieferten Kommentar, der auch heute als unecht gilt, 1533 in Paris zum ersten Mal drucken lassen, Nachdrucke waren schon 1533 in Venedig und 1535 in Basel bei Cratander erschienen, nochmals 1658 in Padua). Auch dieser Kommentar habe ihn also mit seinen unsinnigen Erklärungen nicht von seinem Vorhaben abgehalten, ebensowenig die Kommentare Hugos und des Jacobus von Forlì, deren Lächerlichkeit bekannt sei, da sie, mangels Griechischkenntnissen, Hippokrates überhaupt nicht verstanden hätten. Musas Kommentar sei recht ausführlich (er umfasst, inbegriffen die Spezialwidmungen jedes einzelnen Buches, obwohl die Aphorismen selber nur aus Buch 8 griechisch abgedruckt sind, 1145 engbedruckte Folioseiten!), wiederhole sich zuweilen, treffe oft nicht das Richtige, widerspreche sich auch, weshalb er den seinen auch noch nach dem Musas herausgeben wolle, um dies zu zeigen. Er kritisiere ihn, den er vom gemeinsamen Studium her sehr schätze, keineswegs aus Hass oder um ihn verächtlich zu machen und für sich Ruhm zu ernten, sondern um weniger Erfahrene davor zu bewahren, seine einzelnen Erklärungen als Offenbarungen aufzunehmen, der Wahrheit zuliebe. Er hoffe, Musa nehme ihm das nicht übel, zumal auch er öfters seinen gelehrten Lehrern Leonicenus und Manardus widerspreche. Das Urteilen der Gelehrten müsse unabhängig erfolgen (Leonicenus, 1428 geboren, lehrte Medizin an der Universität Ferrara in fortschrittlicher Weise für seine Zeit 1464-1524; Antonio Brasavolo, geboren 1500 in Ferrara, war Schüler des Leonicenus - was man, nach der obigen Aussage, obwohl bisher kein italienisches Studium bekannt, somit auch für Fuchs annehmen muss, in Ferrara, führte den Gebrauch einiger Heilpflanzen ein, und soll Leibarzt Franz I., der ihm den Beinamen Musa gab, Karls V., Heinrichs VIII. und der Päpste Paul III., Leo X., Clemens VII. und Julius III. gewesen sein). Da ihn, Fuchs, somit von den Erklärern der Aphorismen nach Galen keiner zufriedenstelle, habe er seinen Kommentar herausgeben wollen. Und da er in manchem von seinen Vorgängern abweiche, habe er die Arbeit kaum umsonst getan und hoffe, wenigstens für ihre Kürze und Klarheit bei den wahrhaften Studiosi Dank zu ernten. Er habe sich auf die Erklärung des echt hippokratischen Sinnes beschränkt und zum besseren Verständnis auch den griechischen Text (was in Musas Kommentar nur im kurzen Buch 8 der Fall war) jeweils vorangestellt und eine eigene Übersetzung - wohl besser als die des Leonicenus - beigesellt. Davon bringe ihn auch nicht jener rasende brüllende Löwe ab mit seiner mehr als hündischen Wut aus verleumderischem Neid (dieser Gegner bleibt für uns anonym; es dürfte sich um den in seinen Zielen des Rückgriffs über die arabisch-lateinische Medizin auf ihre griechischen Quellen mit Fuchs verwandten Janus Cornarius handeln, gegen den er 1545 in Basel einen "Cornarius furens", einen Rasenden Cornarius veröffentlicht hat, oder, eher, um den Arzt, Popularisator und als Plagiator verrufenen Vielschreiber Walter Herrmann Ryff, gegen dessen Angriffe in seinem Dioscorideskommentar von Frankfurt/Marburg 1543 Fuchs 1544 bei Isingrin eine Apologia hat erscheinen lassen). Dieser solle lieber zum Fortschritt der Medizin mitbeitragen. Dass er, Fuchs, Vorgängern viel verdanke, gestehe er gern, vor allem Hippokrates und Galen und andern alten Ärzten. Er werde seine Lehren, so weit möglich, auf die ihren zurückführen und kaum leichtfertig Neues vorbringen, wie es die meisten jetzt täten (Vesal hat Fuchs anerkannt, u.a. mit einer Epitome aus Galens und Vesals De humani corporis fabrica, von Paracelsus war 1544 erst wenig im Druck erschienen). Er werde diese aber durchaus auch korrekt kommentieren, allfällige Fehler entschuldigen. Dumm sei, wer sich allein für klug halte. Überdies lese er Galen privat für sich und kommentiere ihn öffentlich seit über elf Jahren. Gemeinsamkeiten mit ihm in seinen Schriften seien so kaum Diebstahl, sondern eher eine gewisse Übereinstimmung in der Lehre. Von jenem Gegner habe habe er nie schlecht gesprochen und wolle auch jetzt dem Studienkollegen nicht Fehler nachweisen, da solche Streitereien unnütz seien. Sonst müsste jener mit seinen Zitaten u.a. aus Plinius, Dioscorides, Galen, Aetius und Paulus der grösste Dieb sein. Dem Abt aber wünsche er, dass er wie seine Brüder Basilius und Georg die Wissenschaften und deren Förderer unterstütze, besonders in dieser Zeit der Kriege und Unruhen, in der auch viele Männer seines Standes sich nicht mehr um die Öffentlichkeit kümmerten (Reipublicae cura), sondern nur noch um ihren privaten Vorteil. Es seien doch die Klöster aus Schulen hervorgegangen, in denen die Äbte, d.h. die Älteren, wie Väter, den Jungen Beispiel gewesen seien und sie erzogen und unterrichtet hätten. Da heute ein Grossteil der deutschen Fürsten sich geizig gegenüber den Wissenschaften zeigten und ihr Geld für Prunkbauten, Kleidung und unnötigen Luxus ausgäben, sei es an den Klöstern, einer neuen Barbarei zu wehren. Was wäre geworden, wenn jetzt die Horden der Bauern wie Skythen und Kyklopen in Deutschland herrschten? Deshalb müssten die Äbte an die Anfänge der Klöster denken; sie könnten ihren Besitz für nichts Besseres als für die Wissenschaften verwenden, denn damit würden sie auch Glauben, Frieden und Eintracht fördern. - Schon 1546 erschien ein Nachdruck unseres Kommentars in Venedig.

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Vorrede des Herausgebers, Arztes und Botanikers Leonhard Fuchs, dem Abt Johannes Precht von Salmersweiler (Zisterzienserabtei Salem) am 19. August 1544 gewidmet, 1. Seite

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