GG 375

Nearōn Ioustinianou Basileōs tōn en tō nyn heuriskomenōn kai hōs heuriskontai bibliōn, tou Grēgoriou Haloandrou exēgētou. Hoi kanones tōn hagiōn Apostolōn dia Klēmentos athroisthentes.

Novellarum Constitutionum Dn. Iustiniani Principis quae exstant et ut exstant volumen, Gregorio Haloandro enarratore. Novellarum Constitutionum lectio vetus. Canones sanctorum Apostolorum per Clementem in unum congesti LXXXV. Accesserunt & haec, Hē aporia kai polyplokos anagnōsis tōn hellēnikōn diataxiōn. Defectus & varia lectio Graecarum Constitutionum. D. Andreae Alciati de Novellis Iustiniani & cur Authentica hodie vocentur ratio. Feudorum lib. II. Consti-tutiones, Lotharij, Conradi, Friderici secundi... Basel: Johannes Herwagen 1541. Fol.

1531 war in Nürnberg bei Johannes Petreius der erste Druck der griechischen Nearai - Novellae, d.h. der nach dem Abschluss des sog. Corpus iuris, der Sammlung des geltenden römischen Rechts unter Kaiser Justinian (527-565), des Erbauers der Hagia Sophia und letzten Kaisers, der sich um eine Einheit des Reiches bemüht hat, hinzugekommenen "neuen" Rechtserlasse - erschienen, herausgegeben und daneben übersetzt von Gregor Haloander (Zwickau um 1500 - Venedig 1531). Dieser hatte nach ersten Rechtsstudien in Leipzig von deren durch Stipendien ermöglichter Fortsetzung 1525-1527 in Italien Material aus damals erst entdeckten Quellen des römischen Rechts nach Nürnberg gebracht. Dort hatte es ihm die Fürsprache u.a. Willibald Pirckheimers finanziell ermöglicht, dieses, auch im Hinblick auf eine geplante Reform des Nürnberger Stadtrechts in Richtung auf das römische Recht hin, zu bearbeiten. 1529-1531 erschien bei Petreius seine revolutionäre historisch-kritisch-philologische Ausgabe des Corpus iuris civilis, die als erste über die mittelalterlichen Vulgatahandschriften hinaus auf die Quellen der Gesetzgebung Justinians zurückgriff; den Abschluss bildete 1531 der Druck der griechischen Novellae. Noch im selben Jahr 1531 ist Haloander, wieder in Italien, an einer auf der Reise von Ferrara nach Venedig aufgelesenen Fischvergiftung gestorben. Diese nach der Publikation und Inkraftsetzung der Institutionen (Lehrbuch in 4 Büchern auf älterer Grundlage), der Digesten oder Pandekten (50 Bücher Auszüge aus Werken älterer klassischer Juristen) und des Codex Iustiniani (Sammlung der Gesetze der Kaiser von Hadrian bis Justinian) im Jahre 533 entstandenen 168 Gesetze waren - in Konstantinopel entstanden - zum grössten Teil in griechischer Sprache verfasst. Während das Corpus iuris Justinians im Westen erst 554 in Kraft gesetzt wurde - und bald durch die germanischen Rechte zurückgedrängt wurde, konnte es sich im Osten, da hauptsächlich lateinisch geschrieben, auch nur schwer einbürgern und es traten, neben den Novellae, bald die Basilika an seine Stelle. Im westlichen Mittelalter hatte neben ihnen vor allem eine andere Sammlung Geltung, da man sie für amtlich hielt; sie erhielt daher den Namen Authenticum. Zehn Jahre danach erschien die Ausgabe Haloanders - wie auch noch 1542 und 1553 in Paris - nochmals in Basel, von nicht genannten Rechtsgelehrten verbessert und ergänzt; wertvolle Hilfe bot der berühmte Mailänder Rechtsgelehrte Andrea Alciati (1492-1550) aus Bologna und vielleicht auch der seit 1529 durch Erasmus ebenfalls mit Bonifacius Amerbach befreundete bedeutendste damalige niederländische Jurist Wigle Aytta von Zwichem (Viglius Zuichemus, 1507-1577), der schon 1534 den Kommentar des Theophilus Antecessor zum Corpus Juris nach einer Venezianer Handschrift bei Froben und Episcopius veröffentlicht hatte (GG 373), wie uns zwei Briefe an Amerbach zeigen: ein Brief Alciats vom 12. Februar aus Bologna und ein solcher des Viglius vom 28. September 1540 aus Rain bei Donauwörth, wohin der damalige Rektor und Dekan der juristischen Fakultät (1537-1542) mit der Universität von Ingolstadt wegen der Pest übergesiedelt war. Alciat hat Amerbach am 11. Februar 1540 u.a. für Herwagen, der ihn vermutlich um Mithilfe oder Auskünfte gebeten hatte, mitgeteilt, dass er eine griechische Abschrift des Textes des Modestinus zum Titel De excusationibus und die von einem Julianus Patritius ins Lateinische übersetzten Novellen in einer sehr alten Handschrift besitze, die er in seinem Parergon erwähne (bei letzterem handelt es sich um eine Handschrift der Epitome Juliani, einer für das Rechtsstudium von einem nicht bekannten Professor zwischen 551 und 554 in Konstantinopel zusammengestellten Auswahl aus den Novellen Justinians). Er hätte beides mit diesem Brief mitgegeben, doch gehe sein Überbringer direkt nach Frankfurt. Er schicke es, wenn er oder Amerbach ihm einen andern finde. Die Novellenhandschrift ist heute verschollen, die Modestinus-Handschrift ist in Basel erhalten: Alciat hat sie schon am folgenden Tag Amerbach geschickt und Herwagen sie für den Pandektendruck (GG 374) verwendet (der römische Jurist Herennius Modestinus, Schüler Ulpians, hat in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts Handbücher und Gutachten auf allen Gebieten des Rechts in lateinischer und griechischer Sprache verfasst). Viglius hat seinen Brief einem Hörer mitgegeben, der nach Basel zog. Er habe, zuvor seit 1535 Assessor am Reichskammergericht in Speyer, an der Universität Musse gesucht, doch Unterricht und Klienten liessen sie ihm nicht. Und dazu dränge ihn täglich Herwagen mit Briefen, zuerst wegen Cicero (diese Ausgabe hat dann Camerarius besorgt, sie ist 1540 erschienen), dann wegen der Verbesserung des Corpus iuris (des lateinischen, das ebenfalls 1541 vollständig - Institutionen, Codex, Pandekten - bei Herwagen erschienen ist); jetzt wünsche er die Wiederherstellung der von Haloander in den Novellae ausgelassenen Passagen. Er wolle ihm gern die Abschriften, die er aus Italien für teures Geld und Bitten mitgebracht habe, gratis zukommen lassen. Da er aber nicht Zeit habe, sie für den Druck angemessen einzurichten oder auf lateinisch zu übersetzen, wünschte er, dass Herwagen sich in einer solchen Sache Helfer für seine Vorhaben suche, die Zeit hätten und einigermassen begabt, scharfsinnig und beider Sprachen mächtig seien. Amerbach möge ihn von dieser Last befreien und ihn entschuldigen. Er wolle sich ihm gern gefällig zeigen. Doch um fremden Verdienstes willen sich eine Sache aufbürden, die über seine Kräfte gehe, oder seinen Namen leichtfertig der Öffentlichkeit preisgeben, könne er nicht. Der Vorrede an den Leser hat Herwagen denn auch eine Auskunft Alciats zur Bezeichnung der Novellae als Authentica vorangestellt: Auf die Frage, warum er einen Band der Constitutiones unter der Bezeichnung authenticum zitiert habe, obwohl ihm dieser Titel eindeutig nirgends vom Gesetzgeber vorangestellt worden sei, habe er so antworten zu müssen gemeint, dass dieses Buch griechisch herausgegeben worden sei und diese Konstitutionen griechisch nearai geheissen hätten, aber da das Buch mit einer gewissen asiatischen Weitschweifigkeit geschrieben gewesen sei, sei es von einem Patrizier und ehemaligen Konsul Julianus knapper und im nicht uneleganten Stil jener Zeit ins Lateinische übersetzt worden, welches Buch noch heute vorliege, unter dem Titel novella, zweifellos ein echtes Kind Justinians, das dennoch gegenwärtige Gelehrte für unecht erklärt hätten, und Accursius habe es vorgezogen, die barbarische und zur Zeit des Bulgarus entstandene Übersetzung zu kommentieren, weil sie ihm reichhaltiger geschienen habe, und er habe sie authentisch genannt, weil sie buchstabengetreu aus dem griechischen Original übersetzt worden sei (Bulgarus - gest. 1166 - war einer der Schüler des Begründers des mittelalterlichen Studiums des römischen Rechts in Bologna um 1100, Irnerius, der als erster die neu entdeckten Digesten kommentiert hatte; der Toskaner Francesco Accorsi der Ältere - um 1185-1263 - ist der berühmteste Glossator des römischen Rechts in der Bologneser Schule gewesen). Worauf Alciat das Alter des Wortes authenticus diskutiert, das sich bei den Juristen Julianus und Paulus, sogar schon bei Cicero finde, während Theodorus Gaza es in der Bedeutung der Vertrauenswürdigkeit bei den Alten nicht belegt, sondern dafür seit tausend Jahren authentēs für das lateinische auctor verwendet gefunden habe, gleichbedeutend mit autocheir, d.h. wer eigenhändig etwas durchsetze (hier wohl der Jurist Lucius Octavius Salvius Julianus Aemilianus aus dem 2. Jh. gemeint, in hohen Ämtern und Verfasser u.a. eines verlorenen Werkes Digesta; um 200 wirkte auch Iulius Paulus, einer der bedeutendsten klassischen römischen Juristen, hoher Beamter unter Alexander Severus); Ciceros Verwendungen von authentikōs in seinen Briefen an Atticus sind auch heute noch die ältesten bekannten sowohl des griechischen Begriffs wie des lateinischen Fremdworts).

In der Vorrede an den Leser geht es vor allem um das auf den ersten Blick nicht einleuchtende Unternehmen, einer neueren Übersetzung auch eine ältere, im Grunde überholte beizugeben: so beginnt sie damit, dass man die Gründe darlegen wolle, aus denen man jene alte und durch die langjährige Verabsäumung einer Verbesserung fast überholte Ausgabe der Novellen (die mittelalterliche Übersetzung, von der Alciat in seinem Exposé spricht, war seit Venedig 1477 mehrmals, u.a. auch schon 1478 in Basel im Druck erschienen) seinem Druck der neuen, d.h. derjenigen Haloanders, beifügen wolle. Denn nicht wenige dürften ihm vorwerfen - hier spricht der Drucker Herwagen, doch verfasst sein dürfte die Vorrede wie vermutlich die zu den lateinischen Digesten von Hieronymus Gemusaeus, der dann auch der oder einer der ungenannten gelehrten Herausgeber sein dürfte - dass er eine gleiche Sache zweimal nebeneinander in der gleichen Sprache, lateinisch, herausgebe, zumal jener neuere Druck (die Übersetzung Haloanders von 1531) vollständiger und durch einen ansehnlichen Kommentar leichter verständlich sei. Doch dieses hinterhältige Geschwätz könne er mit den Gründen leicht widerlegen, aus denen er das Werk in dieser doppelten Fassung zu drucken beschlossen habe. Gerade die um die Rechtslehre und die übrigen Wissenschaften verdientesten Männer, die ihm hierin Vertreterdienste geleistet hätten, hätten ihm vorgeschlagen, die Novellae hier mit der neuen und der alten Übersetzung zu drucken, in einer einzigen Abfolge der Konstitutionen, der Begriffe und Sätze, wenn es die Umstände erlaubten. So, dass die neue der alten und die alte der neuen nach Möglichkeit gegenüberstehe. Damit die studiosi dieses Fachs leichter erkennen könnten, wie viele Konstitutionen bis dahin existierten und in welcher Anordnung sie gesammelt seien. Man habe sie verdienterweise die Stütze des Zivilrechts und die Vorkämpfer aller übrigen Rechtsbücher genannt, da sie allein deren Geltung anhöben oder, in anderer Lage, verringerten oder ganz auslöschten. Und wie könne man ihrer vollkommenen Kenntnis näher kommen als durch diese synoptische Gegenüberstellung. Wie sie in den andern Fächern überaus nützlich sei, so sei sie auch für diese gründliche Erforschung der Gesetze und des Zivillebens unumgänglich. Wer könne ohne diese beurteilen, was die Alten in diesen Konstitutionenkapiteln erfasst und wie viel Neues, Genaueres hinzugekommen sei, das bis dahin nirgends festgehalten, durch keine Gesetze festgelegt gewesen sei. Vieles sei in diesen alten Darstellungen leichtfertig oder mit Bedacht verworfen worden, sehr vieles gegenüber früher umgestellt und verständlicher und gebräuchlicher ausgedrückt worden. Nicht wenig, das dem Alten diametral gegenüberzustehen geschienen habe, habe man nach der Durchsicht beider in Übereinstimmung bringen können. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Fehlern in den alten Gesetzesbüchern, die vielmals ohne Kenntnisse und Sorgfalt abgeschrieben, zuweilen bewusst falsch übersetzt worden seien, von Barbarismen, Solözismen und Massen anderer cimerischer Finsternisse verdunkelt. Schon aus diesem Grund habe man sie mit den neuen vergleichen müssen, um die Wahrheit schneller finden und in passender Sprache ausdrücken zu können. Dies dürfte ohne die Nebeneinanderstellung der beiden Übersetzungen recht schwer werden, vor allem für diejenigen, die die Ausdrucksmöglichkeiten der lateinischen Sprache nicht kennten, und diejenigen, die in diesen Studien noch nicht zur Reife gelangt seien. Er habe zudem auch den griechischen Text (codicem) der Nearai, für sich, beigefügt, damit die weniger Erfahrenen ihn zur neuen und alten Übersetzung als Hilfe zum Verständnis von Ordnung und Sinn der Konstitutionen beiziehen könnten. Zu diesem Zweck sei er gewissenhaft durchgesehen und verbessert worden. Die Seitenzahlen und Konstitutionen entsprächen einander genau, mit der Ausnahme einiger unbekannter Nebensachen. In der Folge wird darauf hingewiesen, dass auf S. 70 des griechischen Textes die 62. Konstitution lateinisch gedruckt sei, damit sie dort nicht fehle, da sie nur lateinisch überliefert sei, und darauf, dass der Leser, was im griechischen Text mit Sternchen gekennzeichnet sei, weil es in der vorangehenden Ausgabe (dem Nürnberger Druck von 1531) gefehlt habe oder anders gelesen worden sei, am Schluss des Druckes behandelt finde (d.h. anschliessend an den griechischen Text auf knapp 7 unpaginierten Seiten einer zusätzlichen Lage x). Es habe nämlich viel gefehlt, was nicht nur einen Satz, sondern den ganzen Sinn habe verwirren können. Schliesslich lese man in einer alten Handschrift (codex) vieles sehr abweichend von Haloander. Dies alles und weiteres habe er im ganzen Corpus - also auch in den Bänden der lateinischen Institutiones, Pandectae und Codex, die ebenfalls 1541 bei Herwagen erschienen sind - dank der Hilfe Alciats und anderer Gelehrter völlig wiederhergestellt. Bei der Verbesserung der Bücher gehe es vor allem um die Beachtung dessen, was zur Vollendung des Ausdrucks und des Sinnes gehöre, zur Korrektheit der Aussage und der Anordnung. Hierfür habe er das Menschenmögliche getan. Insgesamt habe er sich genauestens an die Ausgabe Haloanders gehalten, in der Reihenfolge der Konstitutionen, der Art der Darlegung der Gesetze, im Sprachlichen, auch in der Typographie. Er habe gewisse Dinge mit grösseren bzw. kleineren Typen gedruckt, je nachdem ob sie sich in der griechischen Vorlage gefunden hätten anderswo abgesprochen worden seien, erst lateinisch erschienen seien (mit den kleineren Typen sind wohl die Kursivpassagen im lateinischen Text gemeint). Er habe diese Unterscheidung durch die Typen übernommen, damit man die Gewissenhaftigkeit der Arbeit des Herausgebers (recognitoris) erkennen könne und vor allem das geschickte Vorgehen im Ergänzen, Übersetzen und Umstellen der Konstitutionen. Ausserdem habe er die alte Übersetzung der neuen Satz für Satz, ja oft Wort für Wort gegenübergestellt. Und wenn in einer der beiden etwas gefehlt habe, habe er es sorgfältig zur Erinnerung klein am Rand beigefügt, damit nichts fehle. Der Leser möge diese Arbeit vieler Tage und Korrekturen unvoreingenommen aufnehmen, die gelehrte und in diesem Fach hervorragende Männer - hier dürfte er gewiss auch Amerbach gemeint haben - für gut befunden hätten.

Dieser Vorrede hat Herwagen die Widmung Haloanders von 1531 folgen lassen. Am Schluss hat er aus praktischen Gründen für den Leser noch die bei Haloander nicht enthaltenen - lateinischen - Consuetudines feudorum beigegeben und einige kleinere kaiserliche Erlasse.

Das Exemplar M d I 4 hat Bonifacius Amerbach gehört (der auch die Ausgabe Haloanders von 1531 besessen hat, die er bei Episcopius für 1 Schilling gekauft und für 4 Plapparte hat broschieren lassen; ausserdem hat er auf dem vorderen Schutzblatt einen Constitutionum quae in nostris desiderantur elenchus verzeichnet: M d I 3a; in diesem viel mehr als der Basler Druck benützten Exemplar - sowohl im griechischen wie im lateinischen Teil - hat er auch zum praktischen Gebrauch jeweils die Seitenzahlen der andern Sprache eingetragen); das Exemplar M d I 4a hat ein Socinus besessen (der - Theologe - Nicolaus Socin, ca. 1580-1624?), der lateinische Teil enthält zahlreiche Notizen.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Md I 4:1 | Md I 4a:1

Illustrationen

Buchseite

Titelseite mit Besitzervermerk von Bonifacius Amerbach.

Buchseite

2+r: Vorrede des Druckers Johannes Herwagen an den Leser, ohne Datum, 1. Seite.

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2+v: Vorrede, 2. Seite.

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1alphar:Anfang der 'Novellae Constitutiones' im griechischen Original.

Buchseite

1ar: Anfang der lateinischen Übersetzungen: links die neue von Haloander, rechts die mittelalterliche.

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3Nv: Letzte Textseite mit Kolophon.

Buchseite

4Nv: Druckermarke von Johannes Herwagen.