GG 428

Theophylacti Bulgariae Archiepiscopi, in quatuor Evangelia enarrationes innumeris pene locis per Phil. Montanum Armenterianum denuo recognitae & restitutae. Item in minores aliquot prophetas, Abacuc, Ionam, Naum, & Osee. Praemissae sunt Philip. Montani Armenteriani epistolae duae: una dedicatoria, in qua de operis utilitate agitur, & alijs quibusdam non parum ad rectam Ecclesiae restitutionem pertinentibus: altera est ad candidum lectorem de recognitionis neceszitate... Basel: Johannes Herwagen Vater und Sohn September 1554. Fol.

Ein Druck, dessen Vorreden uns in die internationalen Werkstätten der Übersetzer und Herausgeber blicken lassen: Elfmal ist Oekolampads Übersetzung der Evangelienkommentare des Theophylaktos von Ohrid in Basel und anderswo bis 1543 erschienen (GG 426), 1540 in Basel, nach zahlreichen Drucken der alten Übersetzung des Christophorus Porsena von 1477 bis 1537 die neue seines Kommentars zu den Paulusbriefen aus der Feder des Marburger Gräzisten Johannes Lonicerus (GG 427). Hier sind beide Kommentare, auch wenn auf der Titelseite der zweite - wohl mit Absicht - nicht erwähnt ist, zum erstenmal - wie im Antwerpener Nachdruck von 1564 - wenigstens in ihren Übersetzungen in einem Band vereint. 1542 war inzwischen in Rom der Evangelienkommentar zum erstenmal griechisch erschienen, während der Briefekommentar erst 1636 in London, das Gesamtwerk gar erst 1754-63 in Venedig in der Originalsprache herausgegeben worden ist. Für unsern Druck hat der ehemalige Basler Famulus des Erasmus von Rotterdam Philippus Montanus aus Armentières (de Montaigne, um 1496-1576) die Übersetzungen Oekolampads und Lonicers anhand von Handschriften durchgesehen und verbessert, der von 1528 bis zu seinem Tod als Lehrer und Übersetzer von Kirchenvätern gewirkt hat, mit Erasmus und Bonifacius Amerbach seit 1528 in brieflichem, mit Basler Studenten in Paris in persönlichem Kontakt geblieben ist.

Oecolampads Übersetzung des Evangelienkommentars hatte er schon 1545 bearbeitet und mit einer Widmung an den Bischof von Rennes Claude de Dodieu vom 30. Oktober dieses Jahres 1546 in Paris bei Jean Loys de Thielt drucken lassen. Die Widmung und die Vorrede an den Leser von 1545 sind, mit Hinweisen auf eine neue Bearbeitung für die vorliegende Ausgabe von 1552, hier wieder abgedruckt. Zunächst hebt Montanus in der Widmung, in der er sich scharf gegen den Protestantismus wendet wie gegen Missstände in der römischen Kirche, die ehrenvollen königlichen Ämter und Aufträge des Bischofs hervor: als Verwalter der Bittschriften und vor allem als Abgesandter des Königs (Franz I.) an das Konzil von Trient (Eröffnung im März 1545) zur Wiederherstellung der Eintracht der Kirche. Für diese Verdienste um den Staat verdiene er die Widmung. Theophylactus sei als Autor weder geschwätzig noch durch seine Kürze dunkel, sondern ein geschickter Erklärer der Mysterien des Neuen Testaments. Und von einem documentum des Theophylactus zur Wahl der Apostel durch Christus ausgehend klagt Montanus in scharfen Worten über die sorglose Wahl von Geistlichen in seiner Zeit, die für ihre eigene Tasche sorgten statt für ihre Herde.

Auf philologische Fragen kommt er in der anschliessenden Vorrede an den Leser zu sprechen. Im vorliegenden Werk werde dem Käufer nicht wie durch die Titel gewisser Drucker zur Verlockung grosser Schaum geschlagen, was alles verbessert und erweitert sei, obwohl nichts oder kaum etwas dergleichen geschehen sei. Zum Beleg wolle er dem Leser einige überlegte Änderungen vor allem aus den ersten Kapiteln vorlegen, aus denen er auf den Rest schliessen könne. Als Beispiel führt er eine Stelle an, für die der Römer Druck (codex) jetzt eine bessere Lesart biete als dem Übersetzer (Oekolampad) vorgelegen habe, und die auch durch Chrysostomus bestätigt werde. Für die meisten hier als Beispiele erwähnten Korruptelen der früheren Vorlage, die in seiner neuen Ausgabe sinngemäss verbessert seien, führt er beide griechische Fassungen an und lädt den Leser zum Vergleich der beiden Ausgaben ein. Kleinere typische Verschreib- und Setzerfehler, die eher einem Kopisten oder Drucker als dem Übersetzer anzulasten seien, könne der Leser selber verbessern. In anderen Fällen sei aber bisher die Aussage geradezu ins Gegenteil verkehrt gewesen. Ob Lücken gleich mehrerer Zeilen aus dem Zusammenhang, ja ganzer Seiten und umgekehrt Einschübe, die den Sinn verkehrten, zu lasten eines Schreibers, eines Druckers, eines Übersetzers oder einer verstümmelten Handschrift gingen, möchten andere beurteilen. Ihm genüge, der Forschung gedient zu haben. Am Schluss des Johannesevangeliums gestehe der Übersetzer, eine verstümmelte Handschrift (codicem mutilum) vor sich gehabt zu haben; vielleicht wäre sie an einigen Stellen sogar besser als die ihm vorliegende gewesen. Deshalb habe er einiges in der Übersetzung belassen, sei es dass es im Sinn gepasst habe oder nicht von Gewicht gewesen sei, auch wenn es nicht seiner griechischen Handschrift entsprochen habe. Abweichende Lesarten habe er auch marginal eingefügt und mit - im folgenden angeführten - Zeichen erklärt.

Theologisch heikler und damit kirchenpolitisch aktueller ist der Kommentar des Apostels Paulus gewesen, obwohl sich auch schon im Evangelienkommentar Gedanken finden, die als ketzerisch gelten konnten; drei solcher loca cavenda sind an dessen Schluss behandelt. Es ist vermutet worden, dass aus diesem Grund der Briefekommentar auf der Titelseite des Gesamtdrucks nicht aufgeführt ist, denn er hat selber keinen selbständigen Titel erhalten, keine selbständige Paginierung, ist somit nicht für Einzelverkauf vorgesehen, sondern wohl von Anfang an mit dem anschliessenden kleinen Prophetenkommentar als Teil eines Doppeldrucks gedacht gewesen. Gewidmet hat diese Neubearbeitung, die, im Gegensatz zum Evangelienkommentar, hier zum erstenmal erscheint, Montanus dem Bischof von Tournai Jean de Croy, der ihm 1536 seine Stellung als Lehrer am Collège de Tournai in Paris verschafft hatte, am 12. Oktober 1552. Auch hier lässt er eine ausführlichere Vorrede an den Leser folgen, auch sie ist vom Museum Tornacense, 12. Oktober 1552 datiert. Er habe ihm das Collegium Tornacense lebenslang zur Verwaltung überlassen; dafür habe er ihm mit der Instandstellung und Erweiterung der Gebäude gedankt, beginnt Montanus seine Widmung, und wolle dies zusätzlich mit diesem Druck eines instandgestellten Textes tun. Hierfür sei sein Sekretär Johannes Schinchius Zeuge, dem er auf ihrem Weg nach Trient zum Konzil aufgetragen habe, ihm einen griechischen Kommentar des Theophylactus zu den Paulusbriefen, es sei gleich woher, zu besorgen, damit er ihn in eigener neuer Übersetzung oder einer Verbesserung der alten fehlerhaften unter seinem, de Croys Patronat drucken lassen könne. Da dies erfolglos geblieben sei und er auch aus Italien (wozu somit Trient nicht zählt) nichts habe erhalten können, habe er durch Freunde die alte Handschrift bekommen können, die Erasmus seinerzeit benützt habe. Anhand dieser Handschrift habe er die lateinische Übersetzung an unzähligen Stellen verbessert. Nach einem Lobpreis der Familie de Croy, ihrer Dienste besonders unter Philipp dem Guten von Burgund, der mit dem des Adressaten und seines Bruders Robert de Croy, des Bischofs von Cambrai, schliesst, weist er auf die folgende Vorrede an den Leser hin, in der er die Notwendigkeit und Einzelheiten seiner Verbesserungen behandle.

Er habe es für lohnenswert gehalten, führt er in dieser aus, was er vor einigen Jahren für den Evangelienkommentar des Theophylactus getan habe (erschienen Paris 1546: s. oben), nun auch für den zu den Briefen des Paulus durchzuführen. Er wolle dem Leser hier Einzelheiten seiner Arbeit vorführen, damit dieser nicht meine, es werde ihm wieder unter einem grossartigen Titel durch den Drucker grosser Schaum geschlagen und er sich dadurch um die Frucht seiner, des Montanus, Arbeit bringe, was den Deutschen bei der Bearbeitung der bei Charlotte Guillard erschienenen Kommentare des Chrysostomus zum grossen Schaden der Studiosi geschehen sei, da sie in jener nicht einmal das, was Erasmus auf seinen Hinweis hin verbessert habe, berücksichtigt hätten (handelt es sich um die grosse Ausgabe Frobens und des Episcopius von 1547 mit u.a. dem Matthäuskommentar (GG 406), da bis 1552 bei Charlotte Guillard nur dieser erschienen zu sein scheint?). Er sei der Handschrift, die einst Erasmus benützt habe, so getreu wie möglich gefolgt, ausser wo eindeutig ihr Schreiber geschlafen habe. Denn es sei absurd, von einem Schreiber auch seine Fehler zu übernehmen, wie Lonicer das öfters getan habe. Dieser habe vermutlich die selbe Handschrift benützt. In ihr seien der Text des Paulus von der Glosse des Theophylactus und die einzelnen Kapitel von einander oft schlecht abgetrennt, seien Begriffe verwechselt. Er habe darum sorgfältig verglichen, wie der Autor an verwandten Stellen von etwas spreche, wie Chrysostomus die Stelle behandle und Oecumenius (dessen Kommentare waren 1532 griechisch in Verona, 1545 lateinisch in Venedig, Antwerpen und Paris erschienen), sogar was der alte Übersetzer Porsena gelesen habe und dies am Rand der griechischen Handschrift an den betreffenden Stellen vermerkt, die der Drucker innert kurzer Frist herausgeben wolle (dazu ist es leider nicht gekommen: s. unten). Er habe sich vorwiegend mit der Übersetzung Lonicers befasst, da Porsena den Text eher frei bearbeitet, Passagen ausgelassen und anderes eingefügt habe, und Lonicers Übersetzung wo möglich belassen. Er habe zuerst auf Rat von Freunden neu übersetzen wollen, doch bei der Übersetzung der Vorrede gemerkt, dass ihm dazu die Zeit fehle. So habe er vor allem verbessert, wo der Sinn des Theophylactus nicht getroffen oder nicht klar genug wiedergegeben sei. Zudem habe er manches am Rande angemerkt, ohne welche Marginalien der Leser des lateinischen Textes Theophylactus nicht verstehen könne, sei es wegen der griechischen Lesart, der griechischen Ausdrucksweise, einer Mehrdeutigkeit usw. Aus solchen Gründen habe er auch im Text zuweilen dem Leser zuliebe geändert. Im Text des Paulus habe er sich an die übliche Vulgata gehalten, ausser wo der Text des Theophylactus anderes verlange. Worauf er, mit Zitat der griechischen Stellen, einige Fehler Lonicers behandelt und den Leser darauf hinweist, dass er seine Ergänzungen und Verbesserungen bei einem Vergleich beider Drucke selber leicht erkennen könne. Doch zugleich betont er, dass er Lonicer viel verdanke, da er ohne die Hilfe seiner Übersetzung viele Stellen in der alten Handschrift wohl nicht hätte entziffern können. Er führe nur deshalb seine Verbesserungen hier speziell an, damit die Studiosi ihre Bedeutung beachteten und sich nicht durch Verzicht auf einen Kauf um deren Nutzen brächten. Worauf er nochmals - blosse Druckfehler möchte er übergehen - einige Fehlübersetzungen Lonicers aufzählt und über zwei ganze Seiten hin mit der Behandlung einer theologisch relevanten strittigen Stelle zu Korintherbrief 1,2 schliesst, in der sich Theophylactus gegen die Deutung der Arianer gewandt hat, für deren von Lonicer abweichende eigene Übersetzung er schliesslich gar noch eine Demosthenesübersetzung von Guillaume Budé als Beleg heranholt. Die auf den Seiten 831 bis 958 (richtig: 938) den Band beschliessende Übersetzung Lonicers der Kleinen Propheten erwähnt Montanus in den Vorreden mit keinem Wort.

Wann Montanus, wo in Italien er sich um eine griechische Handschrift und bei wem er sich um die Handschrift bemüht hat, die Erasmus benützt habe, erfahren wir aus einem Brief, den er am 16. August 1548 an Bonifacius Amerbach gerichtet hat: Vor einigen Monaten habe er sich in Trient - wie wir ja auch aus der Widmung wissen - und in Bologna um eine Theophylactus-Handschrift bemüht, um seinen lateinischen Text verbessern oder gänzlich neu übersetzen zu können. Als beides erfolglos geblieben sei, habe er kürzlich bei anderer Arbeit, nämlich auf der Suche nach einer Äusserung des Erasmus zu einer bestimmten Paulus-Stelle, zufällig festgestellt, dass sich die Kommentare des Chrysostomus und des Theophylactus zu den Paulusbriefen in der Basler Dominikanerbibliothek befänden, wo schon viele, laut Erasmus, sie hätten benützen dürfen. Wer griechisch könne, dürfe sie benützen (wie dann auch in den Ausgaben des Neuen Testaments von 1522 an zu 1. Kor. 15,51: S. 405 nachzulesen ist). Wenn er ihm diese Handschrift schicken könne, werde er das nie zu bereuen haben, und er werde sie zuverlässig zurückschicken. Wenn das nicht gut möglich sei, möge er die Handschrift auf seine Kosten in Basel abschreiben und die Abschrift korrigieren lassen und ihm schicken. Er habe gerade mit Magister Heinrich, dem Sohn des Basler Stadtschreibers (Johann Heinrich Rhyner, der damals in Paris studierte) deswegen gesprochen; er habe ihm gesagt, dass diese Bücher noch in Basel seien, aber sie seien vielleicht im Rathaus (in domo civica). Wo sich die Bücher der Dominikanerbibliothek zwischen der Aufhebung des Klosters bis zum Übergang in die Bibliothek der Universität befunden haben, ist heute unbekannt. Bekannt ist hingegen leider, dass sich die bewusste Handschrift "Vulgarius, Super 14. Epistolas Pauli" heute nicht in Basel befindet; da ihr Inhalt entgegen der Erwartung des Montanus auch nicht von Herwagen gedruckt worden ist, dürfte sie gar nicht nach Basel zurückgelangt sein. Im Katalog der Klosterbibliothek finden sich zwei Ausleiheeinträge für Cratander - bei ihm ist 1540 die Übersetzung des Lonicerus erschienen. Befand sich die Handschrift auch 1548 noch in seiner Offizin, d.h. bei einem seiner Nachfolger Winter, Oporin, Platter, Lasius und ist darum gar nicht zurückgefordert worden? Aber hätte nicht deswegen neben Amerbach auch Herwagen sie zurückverlangen sollen?

Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis: F K III 10

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: FK III 10

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Vorrede von Philippe de Montaigne an den Bischof von Rennes Claude de Dodieu, datiert von Paris, den 30. Oktober 1545, 1. Seite

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