GG 16

Novum Instrumentum omne, diligenter ab Erasmo Roterodamo recognitum & emendatum, non solum ad graecam veritatem, verumetiam ad multorum utriusque linguae codicum, eorumque veterum simul & emendatorum fidem, postremo ad probatissimorum autorum citationem, emendationem & interpretationem, praecipue Origenis, Chrysostomi, Cyrilli, Vulgatij, Hieronymi, Cypriani, Ambrosij, Hilarij, Augustini, una cum Annotationibus, quae lectorem doceant, quid qua ratione mutatum sit... Basel: Johannes Froben Februar 1516. Fol.

Der erste Druck des griechischen Neuen Testamentes ist als Band 5 der Biblia sacra polyglotta in Alcalá in Spanien am 19. Januar 1514 erschienen, innerhalb des Riesenwerkes, das im Auftrag und auf Kosten des Kardinals Franciscus Ximenez de Cisnero 1514-1517 gedruckt wurde, jedoch, durch Verzögerung durch die Kurie in Rom, erst 1522 in den Verkauf kommen durfte. Der hier vorliegende Druck Frobens ist somit im Februar 1516 der erste, der für die Käufer und Leser greifbar wurde. Wohl schon kurz nach seiner ersten Ankunft in Basel im August 1514 hatte Erasmus, der Commentationes zum Neuen Testament mitbrachte und das Neue Testament mit diesen drucken lassen wollte, Johannes Reuchlin in einem Brief gebeten, eine sehr korrekte Handschrift des Neuen Testaments, die er haben solle (die er sich 1488 im Basler Predigerkloster ausgeliehen oder geschenkt bekommen hatte), an Froben zu senden, ihm, Froben und allen Studiosi zuliebe. Die Handschrift werde unversehrt an ihn zurückgehen. Diese griechische Pergamenthandschrift aus dem 12. Jahrhundert ist erst nach Reuchlins Tod "nach über dreissig Jahren", d.h. nach 1522, ins Kloster zurückgelangt. Hingegen zeigen zwei andere Basler Pergamenthandschriften, ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert, mit zahlreichen Verbesserungen und Marginalien des Erasmus sowie Setzerzeichen, dass sie von Erasmus für die Herstellung des griechischen Textes und in der Offizin Frobens für den Satz des Neuen Testaments von 1516 verwendet worden sind; beide sind denn auch zu diesem Zweck ausgebunden worden und haben danach im 16. Jahrhundert neue Einbände erhalten: die eine wie die von Reuchlin ausgeliehene aus dem Predigerkloster, das sie mit zahlreichen andern griechischen Handschriften 1443 von Kardinal Johannes Stoicovic von Ragusa vermacht bekommen hatte (diese hat 1576 auch Martin Crusius in Tübingen durchgesehen), die andere aus Besitz der Brüder Amerbach. Nachdem dann 1515 Mitarbeiter Frobens, im besondern der Strassburger Humanist Nicolaus Gerbel, den griechischen und den lateinischen Text in zwei Bänden hatten erscheinen lassen wollen, setzte Beatus Rhenanus mit andern den zweispaltigen synoptischen Druck des griechischen Textes und der neuen lateinischen Übersetzung des Erasmus mit gesondertem anschliessendem Druck der Annotationes im Folioformat durch.

Eine Vorrede Frobens an den Leser vom 25. Februar 1516 leitet den Druck ein, in der er auf seine Bemühungen hinweist, korrekte Texte zu drucken. Hier nun hätten der Theologe Johannes Oecolampad (der spätere Basler Reformator), aller drei Sprachen hervorragend kundig, und Erasmus selber mitgewirkt. Andere Drucker kümmere es wenig, ob sie verbesserte oder verderbte Drucke (codices) herausgäben, wenn sie dabei nur verdienten. Wer ein Buch voller Fehler besitze, habe nicht ein Buch, sondern Ballast. Deshalb warne er auch Nachdrucker. Auf diese Vorrede folgt die Widmung des Erasmus an Papst Leo X. aus Basel, den 1. Februar 1516, sodann noch drei weitere Vorreden des Erasmus an den Leser: Paraclesis, Erasmi Roterodami Methodus und D. Erasmi Roterodami Apologia. Eine weitere Praefatio an den frommen Leser hat er den Annotationes vorangestellt, mit Datum Basel 1515. (Diese Begleittexte sind 1990 gesammelt mit französischer Übersetzung erschienen). 

Unser Druck ist wohl das entscheidendste Buch für den Beginn der Reformation, darüber hinaus bezeichnet er den Beginn der neuzeitlichen Bibelwissenschaft. Die Ausgabe - genauer: ihre im lateinischen Teil wesentlich verbesserte und in den Annotationen weiter ausgearbeitete zweite Auflage von 1519 (GG 380) wird zur Grundlage, direkt für Luther und Tyndale, indirekt für andere, aller nationalsprachlichen Bibelübersetzungen, der griechische Text nach den Revisionen der nächsten Auflagen von 1519, 1522, 1527, 1532, 1535 zum allgemein gültigen für Jahrhunderte. Für kirchenreformerische Bedürfnisse gedacht, war für Erasmus seine neue lateinische Version zentral, und vom Zeitpunkt der ersten Schriften Luthers an wurde sie im deutschen Sprachgebiet - weder in Frankreich noch in Italien - unzählige Male nachgedruckt. Anderseits konnte die Erklärung, man habe vor allem einen einwandfreien griechischen Text bieten wollen, die Ausgabe vor Anfeindungen kirchlicher Kreise schützen, welchem Zweck auch die Widmung zu dienen hatte. Die beiden Einführungen - Paraclesis: eine Aufforderung an den frommen Leser zur Bibellektüre, Methodus: eine Anleitung zum richtigen Studium der Theologie mit dem Bibelstudium als ihrem Zentrum - wurden auch bald gesondert, auch in volkssprachlichen Übersetzungen gedruckt. Für das Bibelstudium wird Kenntnis der drei Bibelsprachen Hebräisch, Griechisch und Latein verlangt, als hilfreiche Quellen werden die Kirchenväter angeführt (an deren Übersetzung für die des Griechischen nicht Kundigen sich Erasmus denn auch in der Folge macht). Der Druck zog sich von 1515 bis 1516 hin: Im Juli 1515 wurde schon der Beginn gemeldet, doch erst Ende September waren die beiden Korrektoren, Johannes Oecolampad (der auch ein Nachwort beigesteuert hat) und Nicolaus Gerbel, bei Froben an der Arbeit. Gedruckt wird auf zwei Pressen, denn die Ausgabe soll zur Fastenmesse - Februar/März - 1516 in Frankfurt angeboten werden können. Zum Jahreswechsel 1515/1516 wird das Neue Testament der Hieronymusausgabe vorgezogen. Es eilte, da der Umfang des Druckes schliesslich über das Doppelte der Schätzung annahm, vor allem durch das Anwachsen der Annotationes, an denen Erasmus während der sechs Monate des Druckes weiterarbeitete; sie machen schliesslich fast die Hälfte der tausend Seiten des zweiteiligen Druckes aus. Die 1200 Exemplare der Auflage waren bald verkauft.

Für die verschiedenen Titel hat Froben acht neue zusammengehörige schwarzgrundige Bordüren von Urs Graf abwechselnd kombiniert: seitlich Säulen und Kandelaber mit einem Platerspiel blasenden Satyrn, mit einem sphingenartigen Mischwesen, mit Eva und einem nackten Knaben. Für Titelseiten innerhalb der Textteile sind einfache Bordüren in Anlehnung an solche des Aldus Manutius entstanden, zum Teil wohl auch Arbeiten Urs Grafs.

Exemplar F G V 38 Geschenk des Druckers Froben an die Basler Kartause, F G V 39 aus dem Collegium alumnorum.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: FG V 38 | FG V 39

Illustrationen

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Besitzervermerk auf Vorsatzblatt: Geschenk des Druckers Froben an die Basler Kartause; oben Angabe des Titels

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Titelseite

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Vorrede vom Drucker Johannes Froben an den Leser

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Vorrede von Erasmus an Papst Leo X., Basel den 1. Feb. 1516, 1. Seite

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Vorrede von Erasmus, 2. Seite

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Vorrede von Erasmus, 3. Seite

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Anfang des Matthäus-Evangeliums mit einer Einfassung von Urs Graf (signiert am unteren Bildrand)

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Anfang der Annotationes

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Kolophon und Druckermarke von Froben