GG 82
Iulii Pollucis Onomasticon, hoc est instructissimum rerum et synonymorum Dictionarium, nunc primum Latinitate donatum, Rodolpho Gualthero Tigurino Interprete... Basel: Robert Winter September 1541. 4°.
Fünf Jahre nach dem griechischen Druck des Lexikons des Pollux (GG 81), drei Jahre nach dem desjenigen des Phavorinus (GG 86) erscheint bei Robert Winter, für den wohl Lasius und Platter auch die griechische Ausgabe gedruckt haben, die erste - und einzig gebliebene - lateinische Übersetzung des Pollux, im Grunde ein seltsamer Bastard, da sie anhand eines lateinisch gewordenen Lexikons nicht nun etwa die lateinische (mit deren Synonyma), sondern ebenfalls die griechische Sprache lehren will, brauchbar eigentlich so nur als Verständnishilfe für das Griechische (was ja die Übersetzungen in jener Zeit auch oft in erster Linie sein wollten). Übersetzer ist der bekannte Zürcher Theologe, Schwiegersohn Huldrich Zwinglis Rudolf Gwalther (1519-1586), der in Zürich, Basel (1538/39), Lausanne und Marburg studiert hat; gewidmet hat er die Ausgabe dem späteren Basler Professor für Kodex (1545) und ab 1546 Inhaber verschiedener Ämter seiner Vaterstadt, dem Schaffhauser Juristen Martin Peyer (1515-1582), Sohn des Bürgermeisters Hans Peyer, der, nach Studien in Wittenberg 1534, ebenfalls 1538/39 in Basel studiert hat, wo Gwalther und Peyer sich befreundet haben dürften. Während des Abschlusses seiner Übersetzung ist Gwalther schon nicht mehr in Basel: die Widmung datiert von Lausanne, November 1539. Der nicht so ganz einsichtige Zweck dieser Übersetzung, die Gwalther immerhin mit der Bedeutung des Sprachunterrichts und des Lexikons des Pollux an sich für den Griechischunterricht rechtfertigt, dürfte dazu geführt haben, dass der Druck erst fast zwei Jahre nach Abschluss und vermutlich doch auch Übersendung des Manuskripts an die Druckergemeinschaft erschienen ist.
Ständig laufe in diesem Jahrhundert bei den besten Errungenschaften etwas in die Quere, beginnt Gwalther die recht lange und sehr inhaltreiche Widmung, sei mit dem höchsten Glück tiefstes Unglück verbunden. Alles trage zu einem glücklichen Fortgang der Studien bei, und doch entdecke man kaum Früchte. Die Menge der Gelehrten, ihre Gewissenhaftigkeit führten in mehr als herkulischer Arbeit durch Reinigung, Wiederherstellung zu zahlreichen teils völlig neuen, teils stark verbesserten Ausgaben antiker Autoren. Höchst gebildete Lehrer führten die Jugend auf dem richtigen Weg. Täglich strahlten durch göttliche Fügung neue Lichter der Wissenschaften, die mit ihrem Beispiel nicht nur der Jugend, sondern auch durchschnittlich Gebildeten den Weg weisen könnten. Zudem habe der ewige allmächtige Herrscher die wahre und gewisse Erkenntnis seines Wirkens diesem Jahrhundert dargeboten (gemeint ist: durch die Vermittlung der Reformatoren), in dem sich ruhmvoll die menschliche Weisheit und die gesamte Philosophie des Altertums mit der bestimmtesten Erkenntnis des göttlichen Willens vereinigten. Mit welchem Gähnen würden jedoch diese glücklichsten zentralen Dinge (media), die er oben durchgegangen sei, geringgeachtet. Jeder Gelehrte bedauere diese unglückselige Verkehrtheit der Geister. Im Vergleich mit dem vorangegangenen Jahrhundert erkenne man leicht das gegenwärtige Elend. Heute vernachlässige man im Glück seine Möglichkeiten, wo damals im Elend die Gewissenhaftigkeit der Gelehrten zur Blüte gekommen sei. Mehr als herkulische Arbeit hätten sie beim Ausgraben von Autoren aus alten Denkmälern und beim Beseitigen der zahllosen Fehler geleistet. Nicht vor den Schwierigkeiten erschreckend und nicht vor der Unabsehbarkeit eines Abschlusses zurückscheuend hätten sie nicht abgelassen, die in Schlaf versunkenen und durch die Kriege der Barbaren zugrunde gerichteten Studien in ihrer alten Würde wiederherzustellen und uns, ihren Nachkommen, den Zugang zu den höchsten Dingen zu erleichtern, indem sie die Bequemlichkeit des kommenden Jahrhunderts vorausgesehen hätten. Man achte ihre Leistungen gering und hasse oft Unbekanntes. Viele hassten heute die ihnen unverständlichen Studien und setzten sich zum Ziel, ihren Ruhm zu verdüstern. Andere würden sie in ihrer Unkenntnis zwar nicht hassen, aber zutiefst verachten. Wieder andere hätten den Nutzen der Studien zwar kennengelernt und sie geschätzt, würden aber durch irgendein Unglück behindert, indem sie bei der Wahl der Studien keine Auswahl träfen oder gut ausgewählte Studien in verkehrter Reihenfolge fortzusetzen suchten. In der Folge geht Gwalther auf diejenigen in den drei Gruppen ein, die im Griechischstudium Fehler begingen: zuverlässige Professoren fehlten nirgends; dennoch gelangten nur wenige zu einer vertieften Kenntnis, durch eigene Nachlässigkeit, einige durch eine wirre Studienfolge, indem sie das Studium der herrlichsten Sprache nicht auf dem geradem Wege trieben. Viele umgingen die Erlernung der Anfangsgründe wegen der diesen innewohnenden Schwierigkeiten - nach deren Erfolg brauche man nicht zu fragen. Viele sehe man glücklich den Grundstein legen, doch, durch unpassende Studien ausgefüllt, mit grosser Anstrengung, doch geringem Erfolg sich abmühen. Während sie nämlich mehr zum Vergnügen als zum Studium durch die Autoren schwärmten, voll Bewunderung für den Inhalt statt für die Worte, während sie die Sprache vorzüglich zu beherrschen meinten, erwiesen sie sich als vollkommen kenntnislos. Während der die Hälfte besitze, der gut begonnen habe (nach dem alten griechischen Sprichwort), vergeudeten Öl und Mühe, die ungeschickt begönnen und nach schlechtem Beginn noch unglücklicher fortführen. Der kürzeste Weg, dieses grösste Hemmnis wegzuräumen, scheine ihm, die Benennungen der einzelnen Sachen und die Eigentümlichkeiten der einzelnen Benennungen gleich zu Beginn zu lernen (womit Gwalther bei den Gedanken des Grynaeus und somit indirekt bei seinem Lexikon angelangt ist). Mit deren genauen Kenntnis bleibe man nie wegen Wörterschwierigkeiten in der Lektüre der Autoren stecken und finde den Doppelsinn der Wörter mit Hilfe von deren eigentümlichem Sinn leicht heraus. Da die Rede den Geist wahrhaft anzeige und von Gott eingerichtet sei, müsse man sich ganz besonders um sie und ihre Teile, die einzelnen Redewendungen, nach unfehlbarer Regel bemühen. Es verwundere nicht, wenn diejenigen, die die Bedeutungen der Wörter, in denen der Sinn enthalten sei, nicht herausfinden könnten, den Sinn der Sachen nicht sehen könnten. Zu deren Kenntnis führe zwar meistenteils auch ein häufiges Lesen der Autoren, doch sei es fast eine endlose Mühe, diese einzeln durch die Lektüre zu lernen, und erzeuge grosse Unsicherheit, da wir uns oft durch unser Urteil täuschen liessen. Deshalb sei es zweifellos passender, dies andern zu entnehmen, die dies, durch verschiedenartige Lektüre geübt und durch langen Gebrauch erfahren, genau und zugleich gelehrt behandelt hätten. Es gebe heute zahlreiche Wörterbücher der griechischen Sprache, in denen ausführlichst die Bedeutungen der Wörter erklärt würden, denen allen jedoch nicht unverdient dieser Pollux vorzuziehen sei, der ganz ohne das sonst übliche Durcheinander (d.h. Zerreissen von Zusammengehörigem durch die alphabetische statt einer in gewissem Sinn systematische Anordnung) in fester und einleuchtendster Ordnung diese einzeln durchnehme. Während nämlich die andern die Wörter hier und dort verstreut an verschiedenen Stellen brächten, folge dieses der herrlichsten Ordnung und habe die einzelnen Begriffe an ihren eigentümlichen Stellen nicht ohne gewissenhafte Prüfung eingereiht, wie eine gewissenhafte Biene. Niemand werde seine Regel vermissen, nach der es altmodische, grobe, gemeine Wörter gewissenhaft von den gebräuchlichen und anerkannten unterscheide, niemand behaupten, man preise hier eine eigene Geburt zum Kaufe an, wo es sich auf die Zeugnisse so vieler Autiren stütze. Es werde weniger ein gewissenhaft gemachtes Wörterbuch vorgelegt, als jene verehrenswerten Denkmäler des Altertums, die zum grossen Nachteil der Studien verloren seien. Doch einer solchen Anpreisung habe es schon Simon Grynaeus, eine Zierde des Jahrhunderts, gewürdigt, der mit der Absicht einer wohlüberlegten Förderung der Studiosi mit gutem Grund diesen Autor so empfohlen habe. Viele habe aber vor seiner Lektüre die Menge der hier gebotenen Wörter abgeschreckt, die verwöhnte Ohren vielleicht nicht ergötze, die sich an der Buntheit von Märchen und Geschichten erfreuten. Diese sollten diesen Autor gründlicher studieren; sie würden durchaus genug Vergnügen finden. Was sei für einen wahrhaften Studiosus ergötzlicher, als die ersten Anfänge der reichen und süssen Sprache wie reinste Quellen zu betrachten, wenn die eigentümlichen Wörter für die einzelnen Sachen und doppelten Ursprünge und Ableitungen der einzelnen Wörter erklärt würden? Wenn es nämlich die grösste Barbarei sei, in den eigentümlichen Bezeichnungen der Dinge sich nicht auszukennen (errare) oder neue und abgeschmackte Wörter zu erfinden, bestehe die höchste Reinheit und Klarheit im Gebrauch der alten anerkannten und eigentümlichen Begriffe. Und mit der Kenntnis der richtigen Bedeutung der Wörter sei auch schon der grösste Teil der Sachkenntnis erreicht. Daher finde auch, wer nach Luxus und Pracht suche, genug im Pollux: unter den Begriffen von Königlichem zur königlichen Pflicht, zu Tyrannensitten, alles zum Kriegswesen, zur Landwirtschaft. Das zweite Buch enthalte die gesamte menschliche Anatomie, das dritte die Verwandtschaftsbegriffe, das vierte u.a. die Jagd, kurz: man finde darin das gesamte menschliche Leben verzeichnet. Es halte aber auch seine Schwierigkeit und die Unklarheit mancher Stelle von der Lektüre ab, wie sie ihn mehrmals vom Vorhaben der Übersetzung abgehalten habe, damit man ihm nicht Vermessenheit vorwerfe. Es hätten aber die Bitten von Freunden und Aufforderungen mehrerer Gelehrter obsiegt, die ihn gehindert hätten, das Begonnene wieder aufzugeben, und der allgemeine Nutzen der Studien, sowie ein gewisser jugendlicher Übermut, im Vertrauen mehr auf das Wohlwollen der Leser als seine Fähigkeiten (bei Abschluss der Übersetzung ist Gwalther gerade 20jährig; er dürfte sie in Basel begonnen haben). Um dieses Wohlwollen bitte er ihn bei allfälligen Fehlern infolge der durch das Alter hervorgerufenen Verderbtheit des Textes: stellenweise durcheinandergeratene Anordnung und sogar Bezeichnung der Begriffe. Um nicht von der riesigen Menge griechischer Synonyme zu sprechen, die nicht immer mit lateinischen Wörtern erklärt werden könnten, wer finde da nicht viele Dinge erwähnt, die heute die wenigsten oder gar niemand kenne? Wenn er daher in seinen zahlreichen Konjekturen einmal geirrt habe, möge ihm das der Leser als menschlich verzeihen. Da das Vorhaben des Autors keine Künsteleien im Lateinischen zulasse, da er auch im Griechischen keinen Zierat verwendet habe, habe er es für das beste gehalten, Wort für Wort zu übersetzen, um so den Sinn des Autors möglichst zu erreichen. Er habe mit dieser Übersetzung kein anderes Ziel verfolgt, als der Jugend zu dienen, dass sie durch eine Hilfe bei der Lektüre dieses überaus nützlichen Autors leichter zur Kenntnis der griechischen (!) Sprache gelange. Er hoffe, sie werde den Anfängern willkommen sein. Ihm widme er das Werk im Vertrauen auf ihre alte Freundschaft und als Dank für seine Wohltaten, dazu auch veranlasst durch sein eifriges Studium der griechischen Literatur, dem er, wenn nun auch nicht mehr persönlich (d.h. als Studienkollege an der selben Universität, in Basel), so doch aus der Ferne habe Hilfe reichen wollen (Peyer ist in Basel geblieben, während Gwalther nun in Lausanne weiterstudiert). Bei seinem Studium der Theologie werde ihm die Kenntnis der griechischen Sprache viel helfen (von einem Theologiestudium Peyers ist nichts bekannt, offenbar plante er bei Studienbeginn ein solches, besann sich aber bald, nach Gwalthers Wechsel nach Lausanne, anders, zur Jurisprudenz).
Das Exemplar B c III Nr. 2, zusammengebunden mit dem griechischen Druck von 1536 (GG 81), stammt aus dem Besitz des Basler Theologen Martin Borrhaus, das Exemplar Bc III 155a (GG 1) aus dem Besitz des Basler Mathematikers Daniel Huber.
Nachtrag
Der erste Druck der lateinischen Übersetzung der Suda durch Hieronymus Wolf bei Johannes Oporin und Johannes Herwagen konnte Ende Mai 1992 von der Basler Bibliothek noch erworben werden: Suidae Historica, caeteraque omnia quae ulla ex parte ad cognitionem rerum spectant..., mit Nachwort des Druckers vom 27. August 1564, in dem dieser auf seine Schwierigkeiten durch die herrschende Pest hinweist; es handelt sich um das Exemplar, dass, laut Einbandprägung, Hieronymus Wolf zum l. Januar 1565 dem Sohn des Bürgermeisters von Augsburg Johann Baptist Hainzel, Johann Jacob Hainzel als Neujahrsgabe geschenkt hat, mit dem Motto "Vivitur ingenio, caetera mortis erunt"; später im Besitz des Augsburgers Johann Jacob Bair: Pa 449.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc III 153:2 | Bc III 155a:1