GG 92
Diogenis Laertii clarissimi historici de vita, & moribus philosophorum libri decem, nuper ad vetusti Graeci codicis fidem accuratissime castigati, idemque summa diligentia excusi, restitutis pene innumeris locis, & versibus, epigrammatisque, quae desiderabantur, Graece repositis, ijsdemque Latine factis... Basel: Valentin Curio September 1524. 4°.
Fünfmal war seit dem Römer Erstdruck von ca. 1472 bis zum Erscheinen des unsern die lateinische Übersetzung der Geschichte der griechischen Philosophie des Diogenes Laertius aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. durch den Kamaldulensermönch Ambrogio Traversari allein in Venedig von 1475 bis 1497 erschienen, dazu je einmal 1485 in Brescia und 1495 in Bologna und dreimal: [1509], [1516] und [1519] in Paris, schon 1490 zudem eine deutsche Übersetzung danach in Augsburg. Hier liegt ihr erster Druck aus dem deutschen Sprachgebiet vor, in Valentin Curios Planung seiner noch jungen Offizin, zudem aber vor allem erstmals in textlicher Revision und Ergänzung nach einer griechischen Handschrift seit ihrer Entstehung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ambrogio Traversari (Portici 1386 - Florenz 1439) hat in Konstantinopel griechisch gelernt, griechische Kirchenväter ins Lateinische übersetzt, hat Papst Eugen IV. am Konzil von Basel als Nuntius gedient, am nachfolgenden Konzil von Ferrara/Florenz 1439 das Dekret zu einer Vereinigung der östlichen und westlichen Kirche auf griechisch und lateinisch entworfen; er war u.a. mit Angelo Poliziano und seinen ehemaligen Schülern Cosimo und Lorenzo de'Medici befreundet. Curio zweifelt aus Qualitätsgründen zwar die Autorschaft des doch berühmten Kamaldulensers an und vermutet irgendeinen unbekannten Mönch namens Ambrosius, doch dürften seine Ansprüche und Erwartungen hundert Jahre nach der Entstehung der Übersetzung eben unbewusst andere gewesen sein, und heute wird die Identität unseres Ambrosius mit Traversari nicht mehr bezweifelt. Im übrigen äussert sich Curio in seiner Vorrede an den Leser aus seiner Offizin vom 1. September 1524 zu seiner - eigenen - Arbeit am Text, zu seiner Überlieferung auch über die für ihn strittige Autorschaft hinaus, über seine zusätzliche handschriftliche griechische Quelle und Matthaeus Aurigallus, der sie ihm habe zukommen lassen, sowie über seinen Mitarbeiter Michael Bentinus. Der böhmische Humanist und Hebraist Aurigallus (Aurogallus, Goldhahn, Komotau um 1490 - Wittenberg 1543) war seit 1521 Professor für Hebräisch in Wittenberg, hat dort Luther bei der Übersetzung des Alten Testaments geholfen und auch ihm und Melanchthon mehrere wertvolle alte Handschriften zugänglich gemacht. Der Flame Bentinus (um 1495 - Basel 1527 an der Pest) war ein erstes Mal in Basel 1520/21 als Korrektor bei Johannes Froben tätig, u.a. an der Ausgabe der Adagia des Erasmus von 1520, was zu einem Zerwürfnis führte, und derjenigen der lateinischen Übersetzung der griechischen Grammatik Theodorus Gazas von 1521. Trotz Freundschaft mit Beatus Rhenanus und den Brüdern Amerbach ist er danach nach Flandern zurückgekehrt und ist erst u.a. durch die hier erwähnte Mitarbeit wieder in Basel nachgewiesen; er dürfte spätestens Anfang Sommer 1524 nach Basel zurückgekehrt sein und hat hier als Korrektor bei Curio und Cratander gearbeitet, in engem Kontakt auch jetzt nicht mit Erasmus, sondern führenden Vertretern der Reformation.
Als er sich einst umgesehen habe, beginnt Curio seine Vorrede, mit welchen Drucken er am ehesten Sprachstudien und Wissenschaft (rem literariam) fördere und seine mit nicht geringen Kosten neu gegründete Offizin auszeichne, hätten ihm die am geeignetsten geschienen, die nicht nur durch die Buntheit des Inhalts den Leser erfreuten, sondern ihn auch durch das Kennenlernen vieler Dinge und durch Beispiele belehrten. Dazu gehörten die Historiker mit, neben der Unterhaltung, ihrer Sittenlehre. Dieses Nutzens wohl bewusst habe er kürzlich die Geographie Strabos, bis dahin voller Lücken und Fehler, mit seinen Typen so sorgfältig wie möglich drucken lassen, durch seinen hochgelehrten engen Freund Conrad Heresbach im alten Zustand und Glanz wiederhergestellt ([GG 30] erschienen März 1523). Das selbe wolle er nächstens mit Herodot und Thukydides tun, wenn der das Vorhaben unterstütze, der es vorgebracht habe (vermutlich Heresbach, doch Heresbachs verbesserte und ergänzte Ausgabe der Herodotübersetzung Lorenzo Vallas ist dann näher seiner Heimat, im Januar 1526 in Köln erschienen, ebenso Vallas Thukydidesübersetzung, von Heresbach nach dem griechischen Text verbessert, 1527; bei Curio sind die Werke der beiden Historiker nie erschienen). Das selbe aber habe er jetzt mit dem Philosophen Diogenes Laertius getan, einem anerkannten Historiker der Philosophie - der griechischen Philosophie. Denn ihn, der bis dahin nicht besser greifbar gewesen sei als die übrigen verderbt gelesenen Autoren, biete er den studiosi verbessert und weniger holperig, wenn auch um einiges später als gewollt. Entgegen seinem Plan habe er es nicht früher können wegen des Fehlens griechischer Vorlagen (der griechische Erstdruck wird erst 1533 in Basel erscheinen [GG 93], ebenfalls nach einer Handschrift des Aurogallus - der selben?), ohne deren Überlieferung er zumal bei diesem Werk nichts habe unternehmen wollen, das so schlecht wie sonst keines übersetzt sei, oder dann überaus nachlässig gedruckt, und das sogar in Venedig, und von einem Mann, der in einem gewissen Brief beteure, es so herauszugeben, wie Bruder Ambrosius es übersetzt habe. Denn diese Ausgabe, die ihnen Frankreich beschert habe, sei zu ungeheuerlich, als dass man sie entschuldigen könne. Er habe also schliesslich eine griechische Handschrift zur Verfügung gestellt bekommen, vom ebenso freundlichen wie gelehrten Professor des Hebräischen an der berühmten Universität (Academia) von Wittenberg Matthaeus Aurigallus, und da habe er es für seine Pflicht gehalten, dafür zu sorgen, dass ein so berühmter Autor, der durch die Nachlässigkeit anderer fast verschüttet worden sei, an den Tag komme, da er es nicht verdiene, so verborgen zu bleiben, höchst würdig, in aller Hände zu gelangen. Denn neben seiner vielfältigen und keineswegs anfängerhaften (trivialis) Bildung, die er überall zeige, stelle er die Philosophie, wie sie geboren und stufenweise gewachsen sei, so dar, dass ein Student (studiosus iuvenis) diesem einen Werk das Wesen (rationem) der gesamten Philosophie leicht umfassend entnehmen könne (da gilt nur die griechische Philosophie, nichts Römisches, dessen gewisse Selbständigkeit erst in unserem Jahrhundert entdeckt werden sollte). Denn er stelle nicht nur das Leben (vitam & mores) jedes einzelnen Philosophen, sondern auch seine Lehre (institutum doctrinamque) gewissenhaft dar. Dazu streue er kurz Lehrsätze, Aussprüche, Taten an passenden Stellen ein. Und zuverlässig nichts ohne Namensnennung. Daher könne er seinen Fleiss im Studieren der Denkmäler der Alten nicht genug bewundern, wenn anders er die gelesen habe, deren Zeugnisse er zitiere. Er zitiere aber viele, und gerade die Ältesten, wie es für eine keineswegs neue Geschichte passe. Einzig Plutarch ziehe er, als wohl jüngsten aller Zitierten, ein oder zweimal als Zeugen bei. Daraus werde geschlossen, dass er im Jahrhundert Plutarchs, also zur Zeit Trajans, oder im folgenden gelebt habe. Denn kein Chronist oder Biograph erwähne, soviel er wisse wenigstens, Laertius irgendwo. Daher bleibe er auf Vermutungen angewiesen. Einzig bei dem Stephanus, der über Städte geschrieben habe (Stephanus Byzantius, 6. Jh. bis dahin nur griechisch im Druck erschienen: 1502 in Venedig, 1521 in Florenz), finde er irgendwo eine Erwähnung. Daraus könne ein wissbegieriger Leser die Zeit ausrechnen. Auch über die Zahl seiner Bücher wisse man nicht mehr als über sein Leben. Sicher habe er ausser diesem Buch über Leben und Sitten der Philosophen eines namens Pammetros geschrieben, in dem er alle berühmten Philosophen und Gelehrten in allerart Gedichten behandelt habe, wie er selber u.a. im Leben Solons klar bezeuge. Von der Art jener Pammetros könne man sich aus den hier von dort entnommenen Epigrammen ein Bild machen (es waren darin Todesarten berühmter Männer in Distichen und andern Metren behandelt). Diese habe er (Curio) griechisch beidrucken lassen, da er wisse, dass Anmut und Klarheit eines Gedichtes in einer fremden Sprache nicht wiedergegeben werden könnten, und hoffe, dass es den studiosi willkommen sei, wenn er eine Kostprobe des Stils des Laertius vorführe, da er bisher nichts griechisch Gedrucktes von ihm kenne und nicht überall eine griechische Handschrift greifbar sei. Und er habe sich auch nicht dadurch davon abschrecken lassen, das Griechische beizumischen, dass darin Gewisses fehle und vieles durch Nachlässigkeit der Schreiber unrichtig abgeschrieben sei; sonst hätte er das ganze Werk nicht einmal angerührt, da es viele Fehler enthalte. Vielmehr sei er dadurch zusätzlich animiert worden, es zu tun, dass diese Dinge, da sie überaus nützlich, aber fehlerhaft seien, einst durch Kollation alter Handschriften verbessert würden. Was vergönnt gewesen sei, habe er also geleistet, die eingefügten fremden Verse und die Epigramme des Autors einigermassen übersetzt. Verstümmelt und abgerissen würden sie grossenteils angeführt, vor allem jene, die er, an sich schon recht dunkel, den Sillen Timons entnommen habe (der Skeptiker Timon von Phlius, ca. 320- ca. 230; Spottgedichte u.a. über Philosophen verschiedenster Richtungen). Und der Übersetzer scheine ihm auch nicht im Recht zu sein, wenn er in der Vorrede dieses Werkes bekenne, viele verschiedene Verse, die der Autor eingestreut habe, mit Absicht weggelassen zu haben, da sie ihm dem Ernst des Werkes zuwider zu laufen schienen, weil er - Curio - meine, dass jener nicht nur für den Ernst der Geschichte untauglich sei, sondern ihm sogar viel davon entziehe, und dass es keineswegs Zeichen eines guten Übersetzers sei, etwas auszulassen, das den Sinn vervollständige. Doch das sei es wohl kaum sosehr gewesen, wie er selber anzugeben scheine, weshalb er die Verse nicht mit Versen wiedergegeben habe, wie dessen Schwierigkeit. Deshalb habe er sie so, wie er sie jener Handschrift habe entnehmen können, griechisch beigegeben und lateinisch, so gut er könne, wiedergegeben. Einige, die der Prosa recht verwandt und, offen gestanden, ihm unbekannt seien, habe er unberührt gelassen, unter Wahrung wenigstens des Sinnes, um auch sie metrisch zu unterteilen (distincturi), wenn er eine korrektere Vorlage habe. Auch was den Kontext betreffe, so habe er vieles verbessert, auch einiges umgestellt, doch überlegt und nur, wenn es die Sache unbedingt verlange. Vieles nämlich habe jener gar nicht übersetzt griechisch belassen oder gänzlich verfälscht, wovon er einiges am Rand angegeben habe (auf der letzten, freigebliebenen Seite des Vorspanns nach den Vorreden, dem Philosophenkatalog und dem alphabetischen Namen- und fachlichen Sachindex, hat Curio eine längere Passage aus dem Leben Platons, mit genauer Stellenangabe seiner Ausgabe - wo ein Asteriscus auf eine Korruptel oder Lücke hinweist - griechisch aus seiner Handschrift abgedruckt, die der Übersetzer ausgelassen hat, da sie - wie Curio vermutet - ihm zu verderbt und unverständlich gewesen sei). Er wolle hier aber nicht den Übersetzer verunglimpfen, denn wer es auch gewesen sei: so gut er gekonnt habe, habe er, auch wenn er nicht alles erreicht habe, gewiss nützen wollen. Wer es aber gewesen sei, sei ihm nicht bekannt, ausser dass er aus dem Stil vermute, dass es nicht jener Kamaldulenser Ambrosius in jenem gelehrten Jahrhundert gewesen sei, der mit Polizian und andern Gelehrten seiner Zeit befreundet gewesen sei, und überzeugt, dass die Übersetzung eher von irgendeinem andern Mönch stamme. Seine Vorrede habe er, um ihn nicht um seinen Ruhm zu bringen, hier beifügen wollen, damit der Leser einsehe, dass er sich nicht mit fremden Federn schmücken wolle, sondern gern alle Mühe für den allgemeinen Nutzen aufwenden und keine Kosten sparen (die zusätzliche Widmung von Benedetto Brugnolo in seinem Pariser Druck, der ihn so geärgert hat, hat er nicht abgedruckt; Brugnolo war aber Herausgeber nicht des Pariser Drucks Curios, sondern des zweiten Drucks überhaupt von Venedig 1475 und hat dort schon, laut dieser seiner Widmung, selber auch schon die Übersetzung des Ambrosius mit einem guten Teil von fehlenden "Epigrammatibus & versibus quibusdam" in eigener Übersetzung ergänzt, muss somit ebenfalls auch eine griechische Handschrift vor sich gehabt haben). Wenn er, der Leser, aus seinem Versuch einen Ertrag habe, so möge er dafür ganz seinem Aurigallus danken, der in den drei Sprachen höchstgelehrt, aber ebenso bescheiden sei, der, obwohl er viel plane und leiste, ihm im Namen der Wissenschaften von sich aus die griechische Handschrift zur Verfügung gestellt habe. Einiges verdanke er auch Michael Bentinus, der ihm bei der Arbeit geholfen habe. Er möge seine Proben gut aufnehmen, und er selber wolle seiner Offizin nicht fehlen.
Natürlich darf man annehmen, dass einige philologische und editorische Leistung für diesen Druck von Bentinus stammt, der von seiner Mitarbeit bei Froben darin Übung gehabt haben dürfte, dass auch schon Aurigallus einiges in der Handschrift annotiert gehabt hatte; anders als Froben haben daher Curio und Cratander, bei denen Bentinus nun tätig ist, selber Hochschulstudien und Korrektorentätigkeit und -erfahrung hinter sich gehabt, als sie ihre Offizinen eröffnet haben; rührt eine gewisse Unzufriedenheit, aus der heraus Bentinus trotz dieser Tätigkeit nochmals nach anderen Arbeitgebern sucht, nicht vielleicht gerade daher, dass er in diesen beiden Offizinen durch die eigene editorische und Korrektorentätigkeit der Drucker selber sich gegenüber zuvor bei Froben, wo aber sein Zerwürfnis mit Erasmus im Wege stand, hintangesetzt fühlte? Dass somit wirklich Curio den Text hergestellt und für den Druck vorbereitet hat und Bentinus ihm, wie Curio sagt, dabei (nur) geholfen hat?
B c VII 428
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc VII 428 | Rb 830