GG 261
Thoukydidēs meta scholiōn palaiōn, kai pany ōphelimōn, chōris hōn ho syngrapheus poly aneucherēs esti.
Thucydides cum Scholiis et antiquis et utilibus, sine quibus autor intellectu multum est difficilis. Accessit praeterea diligentia Ioachimi Camerarij, in castigando tum textu, tum commentarijs, una cum Annotationibus eius. Basel: Johannes Herwagen 1540. Fol.
Um 1483 war der erste lateinische Druck der Geschichte des Peloponnesischen Krieges des Thukydides in Treviso erschienen, übersetzt von Lorenzo Valla. 1502 folgte der erste griechische Druck, natürlich bei Aldus Manutius in Venedig. Drucke der Übersetzung Vallas folgten, jeweils verbessert, 1513 und 1528 in Paris bei Badius Ascensius, dazwischen 1527 in Köln, der zweite griechische Druck erst 1526 in Florenz, früh schon eine französische (1527), 1533 gar eine deutsche Übersetzung (Augsburg). Der erste griechische Basler Druck ist somit der dritte überhaupt, der erste ausserhalb Italiens; erst 1564 folgt der nächste Druck, der erste in Paris. Der Text unseres Druckes ist mit Hilfe einer Basler Handschrift hergestellt, auf deren Herkunft und Benützungsweise unser Herausgeber, der Tübinger Gräzist Joachim Camerarius gegen Ende seiner Widmung vom 28. Februar 1540 an den Bischof von Eichstädt Moritz von Hutten zu sprechen kommt. Camerarius (Bamberg 1500 - Leipzig 1574), der schon 1524 Erasmus in Basel besucht hatte, ist in seinen Stellungen jeweils zu Reformen durch Melanchthon berufen worden: 1525 an die Hohe Schule nach Nürnberg, 1535 an die Universität Tübingen, 1541 an die Leipzigs. Den Hauptraum der Widmung nimmt, in Anklang an die geschichtstheoretischen Schilderungen des Thukydides von der Verwilderung der Sitten und dem Triumph sämtlicher Arten von Egoismus durch Pest, Bürgerkrieg und Krieg, eine Darstellung der kulturellen Lage seiner Zeit und der Entwurf eines Gegenprogramms ein. Er klagt über die Barbarei, die das Leben vernichten werde. Vor kurzem habe man begonnen, die Lehren der Humanität wiederzubeleben und in die Schulen zurückzubringen, und es habe die Hoffnung bestanden, dass sich die Geistesbildung im Leben ausbreite. Doch was geschehe? Rasch würden die zarten Studien, von denen im Stich gelassen, die sie hätten schützen müssen, von den Lastern, die sie auszutreiben gesucht hätten, wieder unterdrückt. Eine üble Barbarei sei in die Menschen gefahren. Die Lehrsätze und Bemühungen um Wahrheit und Tugend würden ohne Mühe ausgetrieben und nur noch Irrtum, Falschheit, Schändlichkeit hätten Zutritt. Alles sei durch unsicheren Frieden und Krieg durcheinandergebracht. Er wolle ein Ebenbild des Lebens nach dem Verlust aller Tugenden zeichnen, ein trauriges Bild eines Lebens, das man um jeden Preis verhindern müsse. Dazu aber bedürfe es vor allem der Hilfe der Fürsten und Könige zu Gunsten der Tugend, der Weisheit und der Wissenschaften. Viele liessen sie im Stich aus Mangel am Nötigsten, einige gingen gar mit ihren Waffen zum Gegner über. Die wahren Gelehrten (boni & docti) würden Widerstand leisten, die Herrscher notfalls mit Waffen das Unrecht abwehren. Doch es bedürfe keiner Waffen. Ehren und Lohn sollten für die richtigen Studien ausgesetzt werden, für die freie Lehre und die Wissenschaft. So würden sie sich von selber ihren Platz zurückerobern, Dummheit, Irrtümer und Fanatismus vertreiben, die Mitläufer der Barbarei. Was für läppische Strafen oft sogar schädlich aufgewandt werde, davon solle ein Teil auf die Pflege und Übung der Wissenschaften und Künste übertragen werden. Es brauche nur einen Anreiz, gewissermassen einen Hauch des Zephirs; dann würden sie von selber wachsen, erstarken. Dieser Arbeit müsse er, der Bischof, sich selber widmen, einer Beschäftigung, die Gott und dem Vaterland willkommen sein werde. Vergnügungssucht, Geltungssucht, Eifersucht, Habgier: denen könnten zur Rettung der Menschheit vor ihrem Untergang nur Truppen aus den Schulen der hohen Künste und der wahren Lehre entgegenwirken, und zwar ihrer drei müssten aufgestellt werden: Ehrfurcht vor Verfassung und Gesetz; Achtung zur Wiederherstellung der Religiosität gegen Gottlosigkeit und Aberglauben und Öffnung für die Wahrheit; Verlangen nach einem besseren Studium, von jung an, damit man später nach den Kenntnissen und Wahrnehmungen Verlangen trage, die Geist und Sitten bilden könnten. Von einer Blüte der Studien würden alle profitieren: zuerst die Gotteslehre, dann Gesetz und Recht. Sobald man wieder hierauf hörte, könne Hoffnung auf einen glücklichen Lauf des menschlichen Lebens geschöpft werden. Hierfür müsse er sorgen, hierüber stets nachdenken. Keiner finde da besser Rat. Er, Camerarius, wisse, dass der Bischof schon daran sei; nur der Sitte (der Vorreden) entsprechend und nicht im Zweifel über seine Pläne, sondern um diese öffentlich zu unterstützen, halte er das hier fest, wofür er Ovid zitiert (die beiden Abschlussverse der Tristien). Nun komme er aber auf Thukydides zu sprechen, den er nicht allein deswegen jetzt herausgebe, weil bekannt sei, dass es in der griechischen Geschichtsschreibung nichts Klügeres und Beredteres gebe, dass die Geschichtslektüre grossen Nutzen für eigene Überlegungen bringe (was damals ein Topos jeder Vorrede eines Geschichtswerks ist), sondern auch weil die Dinge, die Thukydides beschrieben habe, eine solche Ähnlichkeit mit der eigenen Zeit hätten, mit der jüngsten Vergangenheit und dem, was noch bevorstehe, dass kein Ei einem andern mehr gleichen könne. Wer in diese Bücher schaue, werde wie in einem Spiegel Zustand, Lebensweise, Sitten, Studien, Unternehmungen seiner eigenen Zeit wiedererkennen. Hieraus könnten sicherere Voraussetzungen gemacht werden als aus jeder anderen Schrift eines Wahrsagers oder Zeichendeuters. Hieraus könne man Beispiele für alles nehmen, wofür man kluge Lehren zu geben pflege. Deshalb habe er diesen hervorragenden Autor ihm gewidmet, für dessen neue Durchsicht er einige Mühe aufgewandt habe. Er habe sich hierzu der Hilfe einer alten Handschrift bedient, aus der dank der Umsicht Herwagens viel Bemerkenswertes abgeschrieben und ihm mitgeteilt worden sei. Diese Handschrift aber sei in Konstantinopel (wie darin vermerkt sei) von Eugenius Papa (so hätten die Griechen aus väterlicher Liebe ihre Lehrer genannt) vor mehr als hundert Jahren einem gewissen Johannes Aretinus, der sich studienhalber dorthin begeben habe (Herwagen hat also auch dessen Eintragung nach Tübingen mitgeteilt), geschenkt und bis jetzt in Basel aufbewahrt worden. Der Buch- bzw. Handschriftenhändler und Kopist Giovanni Tortelli d'Arezzo ist in Florenz belegt von 1375 bis 1417, später Bibliothekar Papst Nikolaus V.; wie wir aus seinem Eintrag auf dem letzten Blatt der wegen ihrer Überlieferung der Scholien auch heute noch wichtigen Basler Handschrift E III 4 erfahren, hat Tortelli die Handschrift am 3. Juli 1435 von seinem Lehrer Johannes Eugenicus geschenkt bekommen, als er mit seinem Landsmann Thomasius und seinem Bruder Laurentius zu Studien - also bei diesem Johannes Eugenicus - geweilt habe. In Florenz ist sie im 15. Jahrhundert abgeschrieben worden. Ihre Benützung durch Herwagen/Camerarius hat auf dem vordern Schutzblatt der Basler Professor und Bibliothekar jener Jahre Conrad Pfister 1627 eingetragen. Besondere Aufmerksamkeit habe er der Durchsicht der commentarioli - d.h. der Scholien - gewidmet. Die Scholien, die in der Erstausgabe des Aldus von 1502 noch nicht enthalten, dann aber schon 1503 seiner Georgius Gemistus/Herodian-Ausgabe als Enarratiunculae zu Thukydides beigegeben waren und auch in der Giunta von 1526 erschienen, sind mit ihren getrennt paginierten 178 Seiten in unserer Ausgabe fast so umfangreich wie der Text selber (224 S.).
Aus Besitz eines SLVP von 1564 (wie der Basler Xenophon von 1555 und der Basler Herodot von 1557), in Einband Hans Cantzlers (Wittenberg) mit u.a. Wappen-Plattenstempel, zusammengebunden mit dem lateinischen Thukydides Köln1550; dann Remigius Faesch: B c II 111 b Nr. 1
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc II 111b:1