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Laonici Chalcondylae Atheniensis, de origine et rebus gestis Turcorum Libri Decem, nuper e Graeco in Latinam conversi: Conrado Clausero Tigurino interprete. Adiecimus Theodori Gazae, & aliorum quoque doctorum virorum, eiusdem argumenti, de rebus Turcorum adversus Christianos, & Christianorum contra illos hactenus ad nostra usque tempora gestis, diversa Opuscula... Basel: Johannes Oporin (auf Titel, zusätzlich noch sein Signet)/Ludwig Lucius und Michael Martin Stella (Kolophon) März 1556. Fol.

Ein Werk aus der jüngeren Vergangenheit, das in der eigenen Zeit mahnen, wirken soll und zu diesem Zweck aus dem Griechischen ins Lateinische und bald auch ins Französische (1577) übersetzt wird, während die philologische griechische Erstausgabe - mit unserer Übersetzung zusammen - erst 1615 nach drei Handschriften in Genf erscheinen wird. Der Übersetzer, der in Brugg als Schulmeister und im benachbarten Windisch als Pfarrer tätige Zürcher Conrad Clauser, der mehrere Schriften zur griechischen Rhetorik und Grammatik in Basel veröffentlicht hat, hat den Druck der Apodeixeis historiōn, des Laonicus Chalcondylas, einer Geschichte der Türken von 1298 bis 1463 aus griechischer Sicht, die dem Druck den Titel gegeben hat, aber nicht einmal einen Drittel des Bandes ausmacht, zu einem Kompendium der türkischen Geschichte und der Türkenkriege und mit seiner siebzehnseitigen Widmung von Brugg, den 19. Februar 1556, an den Johanniter, Reiterbefehlshaber im Türkenkrieg und, wie schon sein Vater Conrad, Komtur der Kommende Tobel im Thurgau Adam von Schwalbach und seinen Bruder, den Rechtsgelehrten Georg Otho, zu einem umfassenden Aufruf zur Einigung und zur Befreiung der von den Türken eroberten Teile Europas gestaltet. Der laut Kolophon beim Druck beteiligte Michael Martin Stella aus Brabant, ein Verwandter Andreas Vesals, hatte sich 1546/47 in Basel immatrikuliert, war im Oktober 1555 Basler Bürger geworden und hatte, wie Thomas Platter seinem Sohn Felix in Nîmes mitteilte, Platters Druckerei in Pacht übernommen, nachdem dieser sie Lucius verkauft gehabt hatte, aber wieder hatte zurücknehmen müssen und sie dann für sein Alter oder Enkel hatte behalten wollen. Im August 1556 allerdings sei Stella dann ohne zu zahlen davongelaufen. Die letzten der über dreissig meist kurzen Schriften verschiedenster Autoren auf den Seiten 181 bis 646 dürfte Stella beigesteuert haben: sie stammen von seinem Bruder, dem Juristen Johann Martin Stella, meist Briefe aus Wien, Altenburg und Speyer von 1543 und - einer - 1553 an ihn und einen weiteren Bruder Wilhelm über Türkenkämpfe in Ungarn, und einem Johann Christoph Calvetus Stella. Laonikos Chalkondylas (auch Chalkokondylas, um 1423 - um 1490) war Schüler des Georgius Gemistos Plethon in Mistra gewesen, hat dann um 1460 die Peloponnes verlassen. Sein Geschichtswerk, in dem er sich für eine objektive Behandlung der Barbaren Herodot, für den Stil Thukydides als Vorbild genommen und für das er auch türkische Quellen verwertet hat, das zudem interessante Exkurse über Frankreich, England, Deutschland und Russland enthält, ist dadurch zu einer kritischen verlässlichen Quelle geworden. Clauser hatte seine Übersetzung schon über zehn Jahre vor dem Druck, wie sein Kolophon vom 1. November 1544 zeigt, abgeschlossen gehabt. Seine Widmung von 1556 ist dann zu einer engagierten, aber sachlich überlegten Forderung einer moralisch-kirchlich-kulturell-politischen Reform Deutschlands und Rettung Europas vor den Türken geworden: Er befürchtet, mit seiner Publikation und ihrem Ratschlag wie der unförmige byzantinische Redner Pytho öffentliches Gelächter zu provozieren; so lasse er sie unter ihrem Schutz, des Verteidigers von Malta Adam und des Juristen Georg Otho Schwalbach ausgehen. Als er zu dieser Geschichte der Entstehung und des Wachstums des türkischen Reiches die Vorrede habe schreiben müssen, habe er es für richtig befunden, Vorschläge zu unterbreiten, wie der Barbar aus Europa wieder nach Asien vertrieben werden könne. Dazu brauche es Eintracht im zerstrittenen Deutschland. Ein einträchtiges Deutschland werde der Türke nicht anzugreifen wagen; Zwietracht in Deutschland werde den trojanischen Feinden jedoch stets Freude bereiten. Dazu brauche es zuerst eine Wiederherstellung eines reinen Glaubens (religionis & sacramentorum puritas). Karl, Ferdinand, die Kurfürsten und die übrigen Staaten Deutschlands müssten zu diesem Zweck einen Reichstag zur Behandlung der Glaubensstreitigkeiten einberufen. Es müssten 29 Männer gewählt werden, denen es um die wahre religio gehe, denen die wütenden Streitereien der Papisten und Lutheraner (dies die gebräuchlichen Bezeichnungen) missfielen. Sie müssten den hebräischen, griechischen und lateinischen Text der kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testaments behandeln und unter Beizug von Sprachkundigen eine orthodoxe Fassung festlegen. Wer dann in Deutschland öffentlich oder privat etwas lehre oder schreibe, das hierzu in Widerspruch stehe, müsse als Feind der christlichen Religion und Friedensbrecher behandelt werden. Damit in Deutschland aber nie ein Mangel an Gelehrten jeder Art entstehe, müssten die Schulen, Universitäten und die studia literarum gefördert werden. Die zivilen Behörden müssten mit ihren Steuern zufrieden sein, den Kirchen und den Armen das ihre belassen. Um ein unendliches Rechtschaos zu beenden, habe einst ein frommer Kaiser (Iustinian) das Recht reinigen und festlegen lassen, wie die Digesten, der Codex, die Institutionen und Authentica zeigten. Wenn man in Deutschland klares Recht haben wolle, müsse man sich an allen Universitäten und Gerichten an den reinen Text halten. In der Folge gibt Clauser Vorschläge zu einer dringenden Reform des Kriegswesens, die erfahrene und geschichtskundige Männer vornehmen müssten. Unter anderem schlägt er vor, da Deutschland überbevölkert sei, die Krieger sogleich in den von ihnen eroberten Landen anzusiedeln (also nach römischem Vorbild). Der Adel solle seine Söhne damit Ruhm erwerben lassen, statt aus ihnen miese Kleriker und Mönchlein zu machen. Die eroberten Gebiete seien dann durch Besatzungen zu schützen, wie es die Johanniter getan hätten. Obwohl Karl selber eigentlich das Heer führen müsste, müsse er, wegen der Vielzahl seiner Geschäfte, einen Feldherrn dazu wählen, der die türkische Kriegführung kenne, ganz besonders Robertus Monachus, Wilhelm von Tyrus und Nicolaus Calchocondylas (wie er seinen Autor in der Widmung stets nennt) gelesen habe (die Hystoria de itinere contra turchos des Abtes von St. Rémy Robert war um 1472, unter dem Titel Bellum Christianorum principum contra Saracenos pro terra sancta gestum nochmals 1533 in Basel erschienen, deutsch 1482 in Augsburg, die Belli sacri historia de Hierosolyma recuperata des Erzbischofs von Tyrus Gulielmus 1549 in Basel; diese umfangreicheren Werke sind hier natürlich nicht enthalten). Der müsse im Felde entscheiden können, da es oft eile. Man wolle auch nicht einen Angriffskrieg führen, nicht den Barbaren das ihre wegnehmen, sondern nur zurückgewinnen, was diese durch die deutsche Zerstrittenheit hätten erobern können. Die Eroberung fast der ganzen Welt durch die kleine Schar Alexanders des Grossen solle Vorbild sein. Ausserdem dürfte Hilfe kommen, so aus Polen. Darum solle man bei Nicolaus Calchocondylas merken, was an Leiden sonst auf einen zukomme. Wenn seine Übersetzung dunkle Stellen aufweise, so komme das von der äusserst verderbten griechischen Handschrift. In der Wiedergabe der Örtlichkeiten habe er nichts geändert, die Namen so belassen, wie der Autor sie geschrieben habe, z. B. Mpelograda für Bellogradum. Sobald ein korrekterer griechischer Text auftauche (s. oben: erst nach über einem halben Jahrhundert), würden die dunklen Stellen und Lesarten geklärt und die antiken Ortsnamen am Rand angegeben. Das alles werde die Edition des griechischen Textes bringen - Clauser hat sie nicht mehr erlebt.

Das Basler Exemplar B c I 53 Nr. 1 ist alt zusammengebunden mit der bei Oporin 1552 erschienenen Historia Sarracenica des Celio Agostino Curione.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc I 53:1

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2alpha/r: Anfang der Vorrede des Conrad Clauser mit einer Widmung an Adam von Schwalbach und Georg Otho vom 19. Februar 1556.

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1ar: Anfang des Kompendiums der türkischen Geschichte und der Türkenkriege des Laonicus Chalcondylas.

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3Hhv: Kolophon