GG 324
Hippocratis Coi, medicorum omnium facile principis, Liber Secundus de Morbis vulgaribus, difficilimus & pulcherrimus: olim a Galeno Commentarijs illustratus, qui temporis iniuria interciderunt: nunc vero pene in integrum restitutus, Commentarijs sex & Latinitate donatus. Anutio Foësio Mediomatrico Medico Authore. Ad Carolum Lotharingium, Lotharingiae Ducem Illustrissimum. Basel: Jacob Parcus für Verlag der Witwe Michael Isingrins März 1560. 8°.
Erster Einzeldruck des 2. Buches der Epidemien des Hippokrates, wie die Bücher 4-7 nicht von diesem stammend, und erster bekannter Druck einer Arbeit eines in der Folge führenden Hippokratesübersetzers, des Metzer Arztes Anuce Foës (1528-1591). Seine Übersetzung des Gesamtwerks ist 1596 in Frankfurt erschienen. Gewidmet hat er unsern Druck, in dem in sechs Teilen jeweils abschnittweise der griechische Text der lateinischen Übersetzung und dem sehr ausführlichen Kommentar Foës' voransteht, aus Metz Herzog Karl von Lothringen (wie schon im Titel erwähnt) am 29. März 1558, d.h. dass der Druck erst zwei Jahre nach Abschluss seiner Arbeit erschienen ist. Das kann mit der damaligen Unbekanntheit des jungen Autors, aber auch nur mit dem Tod Isingrins, der im März 1557 erfolgt war, zusammenhängen (ein früherer Druck ist nicht bekannt). Wer sich der Übersetzung antiker Autoren hingebe, beginnt er seine Widmung, müsse sich dazu für sein ganzes Leben entscheiden (was Foësius getan hat), sich festlegen zum Erwerb der Fachkenntnisse, der Ausdrucksfähigkeit und allgemeiner Wissenschaft (doctrina, eloquentia, scientiae omnes), zumal dies nur zum gemeinen Nutzen geschehe. Zudem erwerbe man sich persönlich keinen Ruhm, riskiere aber dennoch Neid und Missgunst. Sich dessen voll bewusst habe er trotzdem mit seiner Hippokratesübersetzung diesen Weg eingeschlagen, um der Notwendigkeit der Sache willen. Er habe sein Ziel allerdings nicht ganz erreicht. Vor acht Jahren habe er nach Abschluss seines Medizinstudiums die Übersetzung begonnen (d.h. mit 22 Jahren) und sie seinem Fürsten widmen wollen. Er freue sich, dieses Arbeitsfeld und, dank der Widmung an seinen Fürsten, die Möglichkeit bekannt zu werden, gefunden zu haben. Ermutigt hierzu habe ihn, trotz seiner Jugend, sein Hofarzt Antonius Piso (Antoine Lepois, 1525-1580, Leibarzt Karls III., Autor u.a. von Discours sur les médailles et graveurs antiques), dessen er sich würdig erweisen wolle, gegen den Neid derer, die nur den Glanz seiner Tätigkeit, nicht die Mühen sähen. Doch deren gehässige Angriffe würden ihn nicht von seiner Arbeit für das Gemeinwohl abbringen. Einem Schuldlosen würden sie nur seinen Ruhm vermehren. Er habe sich sofort nach Abschluss seines Medizinstudiums eine Arbeit gewählt, in der seine Jugend sich austoben, die Reife seines Alters sich ehrenvoll zur Ruhe setzen könne, die nicht nur eine Befreiung von einem öffentlichen Amt nicht ertrage, sondern sich gerade um die Rettung der Freunde und des ganzen Staates aus Gefahren einsetze, auch wenn sie Gefahren von Missgunst bringe, bis er anerkannt werde, wo andere schon Beredsamkeit und Erfahrung besässen. Doch ihn erquicke seine Übersetzertätigkeit, auch wenn er zuweilen in sprachliche Engpässe gerate, um der Wahrheit und seinem Ahnherrn getreu zu sein. Jeder Wissenschaft bringe Beredsamkeit grosse Vorteile, nicht eine beliebige, sondern eine sachgemässe. In der Medizin gehe es so nicht um rhetorischen Schmuck, sondern um treffenden Ausdruck und Klarheit. Wie bei den andern Künsten sei auch in der Medizin Beredsamkeit ein Vorteil, doch nicht Grundbedingung. Mit ihr behandle man keine Krankheit, aber auch ihr Mangel und Barbarei heilten keine. So liege seine Arbeit zwischen Überheblichkeit und Verrat an der Heilkunst, und er überlasse die Beurteilung seiner Übersetzung ohne Ausreden den Fachleuten, auf deren Empfehlung hin er sie sich vorgenommen habe und die alle Hippokrates und Galen verstünden. Diese Literatur sei des Urteils des Fürsten würdig, kein Stoff ruhmwürdiger als einer, der durch Schriftdenkmäler und lange Überlieferung gefestigt sei, und nichts Ruhmreicheres in der Medizin zu behandeln als Hippokrates. Darum übergebe er ihn seinem Schutz und verpflichte ihm sich und seine künftige Arbeit. Er hätte seine Arbeit für eine ruhigere Zeit im Staat aufsparen können, doch ihn habe im allgemeinen Unglück der Hoffnungsschimmer aufrecht gehalten, sich zu einer ehrenvollen Musse zurückgezogen zu haben, wenn er ihr Ergebnis dankbar dem Staat übergebe (Karl III., 1543-1608, hat die Regierung mit neun Jahren 1552 übernehmen müssen, in welchem Jahre Heinrich II. von Frankreich die Städte Metz, Toul und Verdun besetzt hat; 1559 hat er dann Heinrichs Tochter Claudia geheiratet). Er befürchte, in den gegenwärtigen Kriegen wissenschaftliche Musse nicht mehr rechtfertigen zu können. Davon halte ihn aber nicht ab, dass seine Pläne durch Verpflichtungen von Seiten seiner Freunde und Krankenpflege verzögert worden seien, dass jene Musse ihm kaum noch Musse gelassen habe. Doch gerade durch die Zeitumstände sei seine Arbeit so viel gewichtiger geworden, dass nichts anderes ihn in der Mühsal besser aufrichten könne. Immer habe ihm Catos Satz zu Beginn der Origines grossartig geschienen, dass bedeutende Männer nicht weniger über ihre Musse als über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen hätten. Das habe ihn dazu veranlasst, im öffentlichen Interesse, von dessen Ämtern ihn seine ängstliche Natur abgehalten habe, ihm, in der Art der besten Architekten, auf einer Tafel eine Skizze vorzulegen, damit er aus deren Form das Wesen seines Baus (der geplanten Gesamtübersetzung) ersehen könne. Aus dem Muster könne er bestimmt die Gesamtheit erkennen. Er habe gewiss die ganze Apotheke des Hippokrates und sämtliche Kästchen und Salben Galens in seinem Kommentar mit all seinem medizinischen Wissen vereinigt, wonach man dieses beurteilen dürfe. Über die verschiedenen Schwierigkeiten wolle er an den betreffenden Stellen sprechen. Fast aus der selben Arbeit heraus lasse er die hippokratische Oeconomia drucken, die die Würde und Genauigkeit seines Urvaters so in Schutz nehme, dass sie die glänzendsten Sachgebiete Galens, die asiatische Schreibart leicht mit umfasse (während eine Pharmacopoeia des Foësius 1561 in Basel bei Thomas Guarin erschienen ist, ist seine Oeconomia Hippocratis, ein spezielles Wörterbuch zu Hippokrates, erst 1588 in Frankfurt erschienen). Die treffenden Begriffe, die knappe Genauigkeit der Sätze, die Würde des Stils des Hippokrates würden genau wiedergegeben und der zerstückelte Hippokrates wiederhergestellt. In der Folge bittet Foës den Fürsten, auch in diesen Kriegszeiten seinen Erstling aus einem dornigen, nüchternen und trockenen Fachgebiet ebenso wohlwollend wie solche aus an sich schon beliebten Gebieten anzunehmen. Er werde ihn zeitlebens gleich den unsterblichen Göttern verehren.
Der Widmung von über dreissig Seiten (immerhin Oktavformat) lässt Foësius noch eine Vorrede zur Einführung in das Buch, das mit seinem Kommentar - abschnittweise - jeweils griechischer Text, Übersetzung und Kommentar - gut 500 ausser der Übersetzung recht klein gedruckte Seiten füllt, von nochmals fast 18 Seiten folgen: Auch dieses Buch, beginnt er, habe sein Verdienst und gehöre zu den andern, auch wenn es die Krankheitsperioden und -umstände nicht so sorgfältig und genau beschreibe wie das erste und dritte (die heute allein noch für Werke des Hippokrates selber gelten), die als wirkliche Bücher gestaltet seien und die Lehre des Hippokrates wiedergäben, während hier Material als Gedächtnisstütze kurz gesammelt sei. Galen nenne es ein hypomnēma, jene syngramma. Ihm verwandt sei das sechste (das Leonhard Fuchs 1532 in Hagenau und verbessert 1537 in Basel mit seinem Kommentar hat drucken lassen [GG 318]). Dass dieses Buch von Hippokrates oder dann sicher von seinem Sohn Thessalos stamme, bezeuge Galen (diese Zuschreibung an Thessalos gilt auch heute noch). Auch der Stil zeige dies. Worauf Foës zweimal ausführlich Galen zitiert und auf seine Einteilung in sechs Sektionen hinweist, dann aber nur die ersten drei behandelt, zu einem Lobpreis des Hippokrates, Galens und aller derer, die sich Hippokrates gewidmet hätten, speziell des Jacobus Houllerius übergeht (Jacques Houllier, Professor der Medizin in Paris seit 1536, gest. 1562; zahlreiche eigene medizinische Schriften sowie Hippokrates- und Galenkommentare zeugen von seiner Tätigkeit). Der Schwierigkeit seines Unternehmens sei er sich von Anfang an bewusst gewesen, habe aber nicht Gleiches wie seine Vorgänger leisten wollen, sondern mit Hilfe von deren Lehren nach Überwindung der textlichen Schwierigkeiten in ruhigerem Gelände fortschreiten. Einst von Galen erobert, sei die Festung des Hippokrates durch die Ungunst der Zeiten den Feinden, dem Unwissen ausgeliefert worden (man merkt seinem Stil die Zeitumstände in Lothringen: Krieg mit Frankreich, was auch mit zu seiner Wahl der Basler Drucker geführt haben dürfte, an). So habe er sich um die Veteranen Galens, die tüchtigsten Truppen, mit allen Kräften bemüht, alte Handschriften (vetera exemplaria) zu Hilfe gezogen: deren drei habe er vom allerchristlichsten König (Heinrich II.) aus dessen reicher Bibliothek der Universität in Fontainebleau erhalten, eine vierte habe er selber gefunden und von einem Freund erhalten (die ein erstes Mal von Karl V. dem Weisen im 14. Jh. in Fontainebleau gegründete königliche Bibliothek war 1523-1544 von Franz I. durch Zusammenlegung mehrerer Bibliotheken, u.a. aus Blois, neu eingerichtet worden, vor allem um griechische Handschriften bereichert; sie wurde öffentlich zugänglich, ihr Leiter Guillaume Budé; um 1570 wurde sie nach Paris gezügelt). Dessen treue Hilfe bedeute ihm so viel, dass er sie an ihrer Stelle nicht verschweigen dürfe und er ihn nie vergessen werde. Mit den Übersetzern habe er sich sachlich auseinandergesetzt: keinen beleidigt, den Urtext beigezogen und sich sein freies Urteil vorbehalten. Calvus werde nicht seinem Verdienst entsprechend (anders tönte es da zum 6. Buch bei Fuchs), doch immerhin auch angeführt; ihm habe man allgemein erlaubt, von der Kunst abzuweichen. Ein zweiter alter Kämpfer habe viele Siege errungen, dieser aber sei wohl sein erster mit Auszeichnung. Hin und wieder gestehe er immerhin auch andern etwas Kunst zu. Die Arbeit Stevas, der sich auch mit diesem Buch beschäftigt haben solle, habe er nirgends benützen können, obwohl er sie eifrig gesucht habe (Pedro Jaime Esteve/Stevius /Steva hat in Montpellier und Paris studiert, war seit 1552 Professor der Medizin in Valencia; dort war auch 1551 und 1553 seine Ausgabe von Epidemien II mit eigener lateinischer Übersetzung und Kommentar erschienen; Foësius dürfte in Paris von dieser Arbeit erfahren haben). Die Nachsicht des Lesers möge seinen Fleiss fördern, den es für sein Sammeln und Zusammenstellen brauche.
Rb 79: Neuerwerbung von 1982. Im 17.(?) Jahrhundert im Besitz eines Masubianchi.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Rb 79