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Hippocratis Coi Asclepiadeae gentis sacrae coryphaei viginti duo commentarii Tabulis illustrati: Graecus contextus ex doctisz. vv. codicibus emendatus. Latina versio Iani Cornarij innumeris locis correcta. Sententiae insignes per Locos communes methodice digestae. Theod. Zvingeri Bas. studio & conatu... Basel: Episcopii (d.h. Eusebius Episcopius und Erben seines Bruders Nicolaus Episcopius d. J.) [März] 1579. Fol.
1561 hatte der grosse Basler Humanist und Arzt der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Theodor Zwinger (1533-1588) Tabulae und Commentarii zur Ars medicinalis und zur Constitutio artis Medicae Galens herausgegeben, die in zwei eher dünnen Grossfolioheften bei Jacob Parcus für den Verlag Johannes Oporins erschienen sind. Sohn des 1538 früh verstorbenen Kürschners Leonhard Zwinger und einer Schwester des Buchdruckers Oporin Christiane Herbster (zweite Ehe mit dem Basler Theologen und Professor an Pädagogium und Artistenfakultät Conrad Lycosthenes), hat sich Zwinger im Mai 1548 an der Basler Universität immatrikuliert, war dann aber 1548 bis 1551 in Lyon in einer Druckerei tätig. 1551 folgten Studien in Paris, 1553 in Padua, 1559 die Promotion in Medizin und Rückkehr nach Basel. Hier wurde Zwinger, Mitglied der medizinischen Fakultät seit seiner Heimkehr, 1565 Professor der griechischen Sprache, 1571 der Ethik, 1580 der theoretischen Medizin. Über Basel hinaus bekannt wurde Zwinger zu Lebzeiten vor allem durch sein Theatrum vitae humanae, in dem er Material seines Stiefvaters Lycosthenes ausgearbeitet hat und das als Enzyklopädie des damaligen Wissens 1565, 1571, 1586 und, von seinem Sohn Jacob herausgegeben, 1604 stets erweitert in Basel erschien, und sein Kulturreisehandbuch Methodus apodemica von 1577. Zudem stand Zwinger europaweit in wissenschaftlichem Briefwechsel. Die hier vorliegende tabellarische Darstellung - eine von Petrus Ramus herrührende, auch von dessen Basler Schüler Johann Thomas Freigius immer wieder angewendet - von 22 Schriften (commentarii) des Hippokrates hat Zwinger dem berühmten Fachkollegen, Leibarzt Kaiser Ferdinands I. und Maximilians II. Johannes Crato von Craftheim gewidmet mit einer lateinisch-griechischen Ehreninschrift und einer Vorrede von 25 Seiten, in der er ebenfalls schon zu tabellarischen Darstellungen greift, in der er anderseits schon entwicklungsphilosophische Gedanken Lessings vorausnimmt und durch die Erwähnung seiner wissenschaftlichen Verbindungen nebenbei ein Panorama der gesamteuropäischen Hippokratesforschung jener Jahre von Stettin bis Montpellier, von Paris bis Padua bietet, aus seiner "medizinischen Hütte" vom 1. März (wohl das Jahr des Druckes). Marcus Varro (der vielseitige römische Gelehrte und Dichter des 1. Jahrhunderts v. Chr. Marcus Terentius Varro, 116-27) habe erst mit achtzig Jahren sein Gepäck zu sammeln begonnen, beginnt er, ihn habe, obwohl um vieles jünger (Zwinger ist neun Jahre später im Alter von erst 53 Jahren gestorben), das zahllose Sterben der letzten zwei Jahre an den Tod erinnert und dazu veranlasst, seine Hippokratesarbeiten, die er vor mehreren Jahren begonnen habe, langsam zu publizieren. Nach Conrad Gesners Tod habe er, Crato, ihn stets an diese Arbeit erinnert. Der Plan seiner Arbeit sei ihm zwar bekannt, doch wolle er ihn den übrigen Ärzten, bevor er von seiner Arbeit an dem grossen Schriftsteller selber schreibe, zu erklären versuchen (Widmungsbriefe sind stets ebenso an das allgemeine Leserpublikum wie an den Empfänger der Widmung gerichtet). Dank Begabung und Lerneifer habe es Hippokrates durch Autopsie auf Reisen und Erkenntnis aus den in den Asklepiostempeln aufbewahrten Krankengeschichten als erster zur Kenntnis und Beschreibung der Physiologie gebracht. Darüber hinaus sei ihm, laut Plato, als einzigem jene Logik der beiden Methoden zu eigen gewesen: der Vortrag seiner neuen Forschungen und die Verbreitung älterer Kenntnisse; diese habe er systematisch gegliedert (Divisio unius in multa), jene sinngemäss konzentriert (Compositio multorum in unum), durch Gleichsetzung und Unterscheidung im Sinne des Hippokrates. Die richtige Wundbehandlung weise Galen ihm zu, die Erfindung der Diät er sich selber. Aus seiner Schrift über die Diät könne man seine Methode am besten erkennen. Über sein Leben wolle er, über die Überlieferung bei Soran hinaus, ein andermal schreiben. In seine Schriften, soweit sie durch ein besonderes Schicksal erhalten geblieben seien, wolle er hier, als in sein Hippokratesstudium, kurz einführen. Es sei schwierig, nicht zusammenhängende Schriften in eine Ordnung zu bringen, und es bestehe die Gefahr, dass man den Gedanken des Autors nicht gerecht werde. Wenn man jedoch im Schwierigsten ein überzeugendes Vorgehen finde, dürfte man auch im Übrigen Glauben finden. Jede Kunst sei ein Zusammenstellen (systasis) zusammengehöriger Universalien. Den Stoff der Medizin bildeten die universalen Lehren und die einzelnen Beispiele. Der tüchtige Arzt brauche theoretische Kenntnis und Handfertigkeit (cognitio - actio). Wenn somit Hippokrates verschiedene medizinische Kommentare geschrieben habe, könnten diese doch, obwohl sie keinen bestimmten Zusammenhang hätten, aus den obgenannten Gründen in eine bestimmte Ordnung gebracht werden. Dabei könne man die selben Bücher sowohl nach ihrem Inhalt, nach ihrer Form, nach der ärztlichen Tätigkeit und nach ihrem Zweck einteilen. Hierauf folgt eine sechsseitige tabellarische Systematik. Diese Disposition und Aufzählung der einzelnen Themen der hippokratischen Schriften habe er nach dem Vorbild des Lehrers Cratos, Giovanni Battista Montano, angefertigt, der dies für Galen versucht habe. Doch wie die Kosmographen, wenn sie einen der drei Erdteile (immer noch Europa, Asien und Afrika...) beschreiben wollten, jeweils eine allgemeine Einleitung hätten vorausschicken müssen, so hätten Hippokrates und Galen vor jeder einzelnen Beschreibung eines Teils der Medizin auch deren übrige kurz erwähnen müssen. Freilich habe Hippokrates nicht alles erkannt und gewusst und das auch selber bekannt, aber die Menge seiner Kenntnisse wiege das bei weitem auf. Das theoretische Verständnis der Universalien habe, laut Simonides, allein Gott; die historische Kenntnis des Einzelnen komme ebenso ihm allein zu. - Im folgenden kommt Zwinger nach philosophischen Erörterungen auf Schwierigkeiten des sprachlichen Verständnisses des Hippokrates in Syntax und Wortschatz zu sprechen, weshalb Galen und Erotian Hippokrateslexika angefertigt hätten (beide Lexika, das Erotians in Erstdruck, waren 1564 in Genf bei Henri Estienne erschienen). Ausserdem habe er selber erklärt, dass nicht alles für profane Leser bestimmt sei und habe er nicht alles im selben Alter geschrieben. Zuerst habe ihn der grosse Polyhistor Conrad Gesner (1516-1565), der Plinius ihrer Zeit, zur Analyse der Schriften des Hippokrates veranlasst, da diesem bei der Unterschiedlichkeit der Meinungen der Ärzte allein zu folgen sei, und, wie anerkannt, seinen ältesten Bezeugungen. Nach dessen Tod habe er, Crato, diese Aufgabe übernommen. Er habe sämtliche erhaltenen alten Kommentatoren konsultiert - von vielen sei nur noch der Name bekannt; von den jüngeren kämen nur wenige in der Sorgfalt Galen gleich: für einzelne Schriften Eustachius Quercetanus (Eustache Du Quesnoy: sein Acroamaton in librum Hippocratis de Natura hominis Commentarius unus war 1549 bei Oporin erschienen [GG 323]), Jacobus Scutellarius aus Parma, Sebastianus Paparella, der "Häduer" Jacobus Allemantius (wohl der Mediziner und Philologe Jehan Lalemant aus Autun), der Pariser Johannes Gorraeus (der calvinistische philologische Mediziner, Professor der Pariser Universität Jean de Gorris, 1505-1577), Jacobus Alemanus (ein Jakob Alemann?), Julius Caesar Scaliger (1484-1558, als Philologe und Arzt tätig in Venedig, Padua, Agen). Die sprachliche Erklärung habe nach Galen und Erotian Bartholmaeus Eustachius weitergeführt (Bartolommeo Eustachi, um 1500-1574, berühmter Anatom galenischer Richtung, Leibarzt des Herzogs von Urbino, dann Stadtarzt Roms). An Übersetzungen sei die erste des Fabius Calvus von Ravenna (15. Jh.) entsprechend recht frei (velotaria), die spätere des Janus Cornarius sei genauer, aber an schwierigen Stellen dürfe man ihr nicht mehr Vertrauen schenken als dem griechischen Text. Gorraeus, Alemanus, Allemantius und Scaliger hätten gut und genau übersetzt, aber nur einzelne Schriften. Glossen und abweichende Lesarten aus verschiedenen Handschriften habe der Kaiserliche Historiograph (und Hofarzt Maximilians II. und Handschriftensammler Johannes Sambucus (Samboky, 1531-1584) sorgfältig gesammelt und ihm als erster mitgeteilt, seine eigenen aus lateinischen Handschriften Hieronymus Mercurialis aus Padua, die Zierde der italienischen Ärzte (der bedeutende Arzt und Philologe Geronimo Mercuriali, 1530-1606, Professor der Medizin u.a. in Rom 1562-1569, Padua 1569-1587). Dazu kämen die Konzeptbücher des Goupylus (Jacques Goupyl, ca. 1525-1564, Professor der Medizin am Collège Royal, Besitzer zahlreicher Handschriften, deren Verlust in einem Aufstand seinen Tod mitverursachte), die der grosse Petrus Ramus (der Philosoph und Pädagoge Pierre de la Ramée) nicht lange vor jenem nie zu vergessenden Leichenfest (Ramus ist im Gemetzel der Bartholomäusnacht 1572 umgekommen) aus Wertschätzung seines Schülers geschickt habe. Schliesslich habe ihm die Handschrift seines einstigen Lehrers Turnebus zwar nicht viele, aber einige dieses Mannes würdige Hilfen bei der Behandlung des Hippokrates geboten (Adrien Turnèbe, 1512-1565, war 1547 Professor der griechischen Sprache in Paris geworden, 1552 Leiter der Imprimerie Royale für griechische Drucke, 1555 Professor Regius - 1551/52 hat Zwinger in Paris studiert). Auf der Suche nach der Methode sei er auf die grossartigen Schriften Galens gestossen, doch hätten sie sich für ihn hierin nicht geeignet. Da habe er, Crato, ihm wieder Mut gemacht. Dann sei es um die Bemessung, die Gestalt eines solchen noch von niemand begonnenen Unternehmens, um die Darstellung der einzelnen Teile gegangen. Einen methodischen Schriftsteller müsse man methodisch behandeln. Der Form nach seien seine einen Schriften theoretisch, andere historistisch, der Absicht nach die einen methodisch, andere ohne Methode, und überall seien neben den medizinischen Lehren und Beispielen auch philosophische und dialektisch-rhetorische (Organica) zu beachten.
Zu seinen Studien sei zu sagen, dass Hippokrates durch seine schwerverständliche Knappheit ihn und seinesgleichen mit Recht von der Erklärung hätte abhalten müssen. Doch er, Crato, habe ihn bei der Stange gehalten. Und da er bei der herrschenden Richtungslosigkeit in der Medizin Freiheit des Urteils für jeden notwendig, Besserwisserei hingegen durch die Autorität der guten Autoren einzuschränken für ebenso notwendig halte und jede Anarchie für gefährlicher als die grausamste Tyrannis, habe er sich, soweit neben seinen übrigen Studien möglich, an die Erklärung und Kommentierung des Hippokrates gemacht. Mit Hilfe der oben genannten Autoren, daneben privat an den schwierigsten Stellen durch den berühmten Arzt und Philosophen Gulielmus Aragosius aus Toulouse unterstützt, habe er zwanzig der methodischen und zwei aphoristische Schriften tabellarisch kommentiert und den griechischen Text so gut wie möglich wiederhergestellt (Guillaume Arragos, Toulouse 1513 - Basel 1610, zuvor Leibarzt des Königs von Frankreich und des deutschen Kaisers, lebte seit spätestens Anfang 1577, da er sich in Basel immatrikuliert hat, als Glaubensflüchtling in Basel, beschäftigte sich hier hauptsächlich mit Chemie und wohnte bei Theodor, dann bei dessen Sohn Jacob Zwinger. Er starb kurz vor Zwingers Pesttod und setzte ihn noch zum Haupterben seiner Bibliothek und seines Instrumentariums ein). Weiter habe er eine erweiterbare Sammlung von Begriffen und Redensweisen angelegt, die Übersetzung des Cornarius beibehalten, da Claudius Auberius ihn, durch Aristoteles-Arbeiten abgehalten, versetzt habe, jedoch so gut wie möglich verbessert, Lehrsätze aus den genannten Büchern ausgewählt und nach Themen (loci communes) geordnet und ein Urbild (idea) der gesamten hippokratischen Medizin zu geben gesucht (der Arzt Claude Aubery aus Triaucourt bei Bar-le-Duc hatte 1563 in Genf studiert, war dann in Paris tätig, flüchtete als Anhänger der Reformation 1568, doktorierte in Medizin in Basel 1574 und wirkte 1576-1593 als Dozent der Philosophie, vielleicht auch der Medizin an der Akademie von Lausanne; seine theologischen Schriften wurden in der Schweiz als prokatholisch verurteilt und eingezogen - in Basel gehörte Antoine Lescaille zu seinen Anhängern; gestorben ist er 1596 in Dijon; die offenbar begonnene oder zumindest geplante Hippokratesübersetzung ist nie erschienen, wohl aber in Basel u.a. eine solche der Charakteres Theophrasts 1582) . Vielleicht werde man ihm vorwerfen, statt dem schon mehrfach versprochenen ganzen Hippokrates kaum den halben methodischen, nur 22 Kommentare, zu bieten. Doch wenn sie richtig seien, seien es genug, um auch andere anzuspornen, wenn falsch, seien es auch so zu viele. Wie Galen habe er nur eine Auswahl geben können und wollen. Die meiste Freizeit hätten ihm die Neubearbeitung des Theatrum vitae humanae (die Ausgabe von 1571 oder 1586), die Weiterführung des Kommentars der aristotelischen Ethik (1582 erschienen [GG 128]), der Beginn desjenigen der Politik (erschienen ebenfalls 1582 [GG 129]), die Sammlung zur Poetik (Morum philosophia poetica... , erschienen 1575), die Niederschrift der Landbau- und der Reisemethodik (die Methodus rustica Catonis atque Varronis praeceptis aphoristicis per locos communes digestis ist 1576, die Methodus apodemica 1577 erschienen) und unvorhergesehene zusätzliche ärztliche Behandlungen genommen. Zwar erleichtere Abwechslung die ununterbrochene Arbeit, doch sollte man sich bei der Kürze des Lebens konzentrieren können. So kreisten alle seine Arbeiten, so verschiedener Art sie auch seien, um die Darstellung allein der Logik der Methodik (ad unius logicae methodi illustrationem). Wer sich mit vielerlei beschäftige, bringe es in nichts zu etwas. Auch ziehe er - nach den Worten des Euripides - ein ruhiges privates Bürgerleben in einer Demokratie dem Ruhm in einem Königreich vor und lasse darum neidlos andern die Möglichkeit, sein Werk zu vervollständigen. Und wer von ihm über seine freie Zeit Rechenschaft verlange, solle selber ans Werk gehen, zumal der Prozess im helvetischen, nicht im griechischen Athen geführt würde. Andere hätten kürzere und dafür zahlreichere Kommentare vorgezogen. Er würde eher die Methodik erweitern als die Anzahl. Und es habe Schriften darunter, die bis dahin noch niemand behandelt habe. Berechtigter sei eine dritte Klage: dass er, im Latein nur mässig, im Griechischen noch weniger ausgebildet (womit er allerdings tüchtig untertreibt, nicht nur seiner Griechischprofessur von 1565-71 wegen), sich die Verbesserung des griechischen Textes vorgenommen und die Fehler des Cornarius stehen gelassen habe, sich somit Nachlässigkeit im Verbessern und Unwissenheit im Urteil habe zuschulden kommen lassen. Als erster habe in der Neuzeit Calvus Hippokrates übersetzt (1515 vollendet, 1525 erschienen) und damit das Eis gebrochen. Ihm sei - um die Übersetzer einzelner Bücher zu übergehen - Cornarius gefolgt, dem damit eine bessere Übersetzung leichter gefallen sei als Calvus eine mässige. Als er nun entgegen seinem Plan gezwungen gewesen sei, die Übersetzung des Cornarius aufzunehmen, sei er gezwungen gewesen, vieles zu ändern, so dass oft eine neue Übersetzung weniger mühsam als diese Verbesserungen gewesen wäre. Jener habe Wort für Wort übersetzt, wohl um den Studiosi die Möglichkeit zu geben, den griechischen und den lateinischen Text zu vergleichen (was auch seine Absicht dabei war, wie er selber erklärt hat) und jedem sein Urteil zu überlassen, und dabei den Ruf eines uneleganten Übersetzers in Kauf genommen. Wenn er manches richtiger als jener erklärt habe: jener habe nicht nur früher gewirkt, sondern habe auch Wege geöffnet, die vor ihm keiner, weder Lateiner noch Griechen, begangen hätten. So werde auch er keinem Nachfolger dessen Fortschritte missgönnen, sogar umgekehrt solche von ihm verlangen. Damit die menschliche Gesellschaft durch die Notwendigkeit zu gegenseitiger Unterstützung erhalten bleibe, habe die immerwährende Vernunft nicht einem Sterblichen, nicht einem Volk, nicht einem Zeitalter alle äusseren und inneren Güter zuteil werden lassen, sondern sie habe, um die Menschen durch Wissensdurst und Erwerbslust vom faulen Nichtstun, dem Erzeuger allen Übels, zum Denken und Handeln (ad contemplandum agendumque) einzuladen, die verschiedenen Dinge an verschiedenen Orten, verschiedenen Personen und Zeitaltern eröffnet, damit die Menschen so unablässig, nach dem Wort jenes grössten Dichters (Homers) betriebsam - alphēstai anthrōpoi - seien. Die grössten Philosophen diskutierten über die Urbilder (Ideae) der Dinge, könnten zu diesen selber nichts nachweisen, sondern dieses Wissen bleibe der himmlischen Universität vorbehalten. Und so sei es auch mit der sprachlichen Erklärung des Hippokrates: oft habe er griechische Begriffe zur Erklärung des griechischen Textes einsetzen müssen, da ohne Griechischkenntnisse wohl niemand Hippokrates richtig verstehen könne. Mühsamer und der Kritik ausgesetzter sei die logische Arbeit. Es gebe Methodiker der Logik, die tabellarische Darstellungen als kindisch und schulmässig verspotteten. Wenn diese so gescheit seien, dass sie die Unterteilung ihrer Methodik in fortlaufendem Text darstellen könnten, so möchten sie seine Dürftigkeit eher bedauern als darüber zürnen, dass er nur mittels tabellarischer Darstellungen Hippokrates, wenn auch nicht für die Gelehrten, so doch für eher Unbemittelte seinesgleichen vorlegen wolle. Er schreibe für Anfänger der Medizin. Er habe sich um Verständlichkeit, Klarheit und Kürze bemüht. Er habe nicht Logik betreiben wollen, wie Galen und Erotian mit ihren Hippokrateslexika nicht Philologie, sondern mit Hilfe der Logik methodisch Licht in die hippokratische Medizin bringen. Ausführlicher sei er gewesen, wo Erklärungen Galens, des Gorraeus, Allemantius, Alemannus, Scaligers vorhanden gewesen oder eine Schwierigkeit eine breitere Erläuterung verlangt habe. Wenn etwas allein durch die Methodik verständlich sei, habe er, der Knappheit des Hippokrates entsprechend, den Studiosi nur Hinweise auf ausführlichere Kommentare gegeben. Wenn er die Wortwahl (lexis) nicht grammatisch treu genug, die Abfolge des Satzbaus (der taxis) nicht logisch genug, die Wirklichkeit nicht philosophisch genug dargestellt habe: all das zusammen bringe nur der vollkommene, d.h. der göttergleiche hippokratische Arzt und Philosoph zustande. Die Dunkelheit mancher Stellen und die Zweideutigkeit mancher Probleme hätten ihn fast aufgeben lassen, wenn es nicht eher sein Plan gewesen wäre, die Methode anzugeben als für die Erklärung des Inhalts einzustehen. Das dürften andere leisten. Die medizinischen Gnomen am Schluss habe er nach medizinischen, nicht nach grammatischen Gesichtspunkten zusammengestellt, über die er zuvor schon viel mit Jacob Horst unter Leitung Simon Scheibes brieflich diskutiert habe (Horst - 1537-1600 - war Stadtarzt von Schweidnitz, dann von Iglau, 1584 Professor der Medizin in Helmstedt, Scheibe - 1521-1597 - Professor der Medizin in Leipzig; Briefe von Scheibe sind miterschienen in Horsts Epistolae philosophicae et medicinales, Helmstedt 1596; von Horst sind in Basel zehn Briefe an Caspar Bauhin und vor allem Zwinger erhalten, dazu zwei Konzepte Zwingers an Horst, von Scheibe über drei Dutzend Briefe). Der Nutzen entschuldige die Kühnheit. Da aber Crato es mit Sokrates gemein habe, Geburtshilfe zu leisten, möge er diese Elfmonategeburt gnädig entgegennehmen. Möchten den Simonius von Lucca seine ärztliche Tätigkeit und seine Aristoteles-Arbeiten allenfalls in seinen gleich wichtigen Hippokratesarbeiten verzögern, nicht aber ihn davon abhalten (Pietro Simone Simoni, Lucca 1532 - Breslau 1602, war nach Promotion in Padua von 1562 Lehrer der Philosophie in Paris, flüchtete als Protestant nach Genf, Heidelberg und Basel, wurde 1569 Professor der aristotelischen Philosophie, 1577 der Medizin in Leipzig und Leibarzt des Kurfürsten. Aus religiösen Gründen 1580 in Prag Leibarzt Kaiser Rudolfs, später König Stephans von Polen in Breslau; Zwinger dürfte ihn während seines Basler Aufenthalts kennengelernt haben). Dass es Johannes Pistorius trotz seiner Tätigkeit am markgräflichen Hofe nicht weniger zu Hippokrates hin ziehe als den Ithaker zu seiner Penelope, zeigten seine Versuche zur Genüge (Pistorius, 1544-1607, Theologe und Mediziner mit recht engen Verbindungen zu Basler Druckern, war Arzt am Hofe der Markgrafen von Baden-Durlach). Sehr schätze er die Intelligenz des Johannes Rungius aus Greifswald in Pommern, des Stettiner Stadtarztes. Er habe einige Monate seine Freundschaft genossen. Er wünsche sich, dass sein Leben es ihm noch vergönne, wenigstens die dunkeln Stellen im Hippokrates zu erklären (von Runge besitzt die Basler Bibliothek über dreissig Briefe an Zwinger von 1578-1587). Was seine französischen Brüder betreffe (er sei wenigstens nach Sitten und Sprache, wenn nicht nach dem Orte, deutsch), so sehe er viele hervorragende Männer sich um Hippokrates bemühen: Claude Aubery (s. oben) habe, um seine so oft versprochene Hippokratesübersetzung nicht übereilen zu müssen, da er durch Beschäftigung mit dem aristotelischen Organon davon abgehalten werde und in Erwartung der versprochenen Glossen einer Hippokrateshandschrift des Ersten Professors von Montpellier Dortomanus, (Nicolas Dortoman war Professor der Medizin in Montpellier seit 1573, 1589 dann Königlicher Leibarzt in Paris; von ihm ist in Basel ein Brief an Zwinger von 1578 erhalten), seine Hippokratesarbeit aufgeschoben. Er wisse aber, dass dieser nicht nur, wie versprochen, das Werk übersetzen, sondern die Ausgabe auch um Scholien bereichern werde. Was den unvergleichlichen Ersten Professor der Pariser Ärzteschule L. Duret betreffe, so sei er überzeugt, dass er ein des Hippokrates und seiner selber würdiges Werk der Wissenschaft zur Verfügung stellen werde (Louis Duret, 1527-1586, war 1568-1586 Professor der Medizin am Collège Royal, dem späteren Collège de France, und Leibarzt Karls IX. und Heinrichs III. Er soll 30 Jahre an den Werken des Hippokrates gearbeitet und sie als Sprachtalent auswendig beherrscht haben; seine Hippokratesarbeiten sind aber erst postum 1587/88 erschienen, z. T. noch ungedruckt). Und aus dem an hervorragenden Geistern reichen Italien dürfe man das Höchste von H. Mercurialis erwarten, dessen Können seine Variarum lectionum disquisitiones gezeigt hätten und dessen Pläne daraus ersehen werden könnten, dass er ihm, der noch jetzt unbekannt sei, seine Hippokratesglossen freigiebigst mitgeteilt habe (zu Hieronymus - Geronimo - Mercuriali, der sich grosse Verdienste durch seine textkritischen Schriften zu den griechischen Ärzten erworben hat, s. oben; 1588 ist von ihm eine griechisch-lateinische Hippokratesausgabe in Venedig erschienen; die Variarum lectionum libri V waren 1570 in Venedig, 1576 - wie auch später zahlreiche andere Schriften, u.a. auch seine Censura et dispositio operum Hippocratis bei Waldkirch 1584 - in Basel erschienen). Schliesslich ruft Zwinger, um nicht ihm unbekannte Forscher durch Verschweigen zu brüskieren, alle Ärzte feierlich nach Art einer Weihinschrift auf, zur Erklärung des edelsten Arztes Hippokrates nach Kräften beizutragen, dabei mehr auf seine Autorität als ihren Verstand, mehr auf die Intelligenz als die blosse Erfahrung zu bauen, und wünscht Crato, da man philosophische Musse eher wünschen als erhoffen könne, in seinem der höchsten Medizin geweihten Leben Gesundheit.
Dem Anhang der wie der vorangehende Index unpaginierten Hippocrateae Sententiae Ex viginti duob. Commentarijs divini Senis excerptae & in certas classes methodoce digestae, die, wie schon dieser Titel besagt, nach Sachgebieten geordnet zusammengestellt sind, hat Zwinger nochmals eine Einleitung Sententiarum Hippocratearum Dispositio vorangestellt. Die Sammlung, die einen Abriss der hippokratischen Naturlehre und Medizin nach loci communes geben soll, ist, wie zuvor der Kommentar, abschnittweise durch tabellarische Darstellungen eingeführt. Der erste Teil behandelt die Philosophia naturalis Hippocratea, der zweite, umfangreichere und mehrmals unterteilte, die Medicina Hippocratea.
Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis: K A I 5 Nr. 1
Zweites Exemplar (Besitzereinträge weggeschnitten): L k I 14