GG 129
Aristotelis Politicorum libri octo ex Dion. Lambini & P. Victorii interpretationib. puriss. Graecolatini Theod. Zvingeri Argumentis atque Scholiis, Tabulis quinetiam in tres priores Libros illustrati: Victorii Commentarijs perpetuis declarati. Pythagoreorum veterum Fragmenta Politica, a Io. Spondano conversa & emendata... Basel: Eusebius Episcopius [August] 1582. Fol.
Ein halbes Jahr nach der kommentierten Ausgabe der Nikomachischen Ethik (GG 128), bei der Zwinger auf seine frühere Ausgabe von 1566 (GG 127) aufbauen konnte, auf die folgende Buchmesse vom September 1582 erscheint, ebenfalls bei Episcopius, ein Kompendium zur Politik des grossen Philosophen. Auch hier baut Zwinger auf dem Kommentar von Denis Lambin auf, zusätzlich noch auf dem des Florentiner Professors für Griechisch und Ethik Pietro Vettori (1499-1585). Die kommentierte lateinische Ausgabe des Lambinus war 1567, nochmals 1580 in Paris erschienen, die kommentierte griechische Ausgabe Pietro Vettoris 1552 und 1576 in Florenz, dazwischen 1556 in Paris. Weiter enthält der Band, analog zu den ethischen Fragmenten der Pythagoreer, die Zwinger 1566 vom jungen Willem Canter als Anhang zur Nikomachischen Ethik hatte herausgeben lassen (und die dort auch 1582 wieder erschienen sind), deren Fragmente zur Politik. Auch diese Edition hat Zwinger einem jungen Basler Studenten übergeben, nun nicht einem Niederländer, sondern einem Südfranzosen, dem jungen Hugenotten Jean de Sponde (1557-1595), der sich im April 1581 in Basel immatrikuliert hatte, dann auch in Basel das Organon (GG 121) und Homer (GG 173) herausgegeben hat. Auch hier ist die aufwendigste Arbeit Zwingers an der Ausgabe, wie bei seinen beiden Ausgaben der Ethik, aufwendiger als seine Inhaltsangaben (Argumenta) und Scholien, die Analyse der Schrift des Aristoteles auf zahlreichen Tabulae - tabellenartig, auch hier nicht mehr wie 1566 vom Text getrennt, sondern jeweils in diesen eingeschoben.
Auch diese Ausgabe hat Zwinger, am 1. August 1582, dem Grossfürsten von Litauen Alexander gewidmet: Bekannt und für die Professoren aller Fächer gültig sei das Wort des Hippokrates, dass man Kenntnis in (praktische) Kunst überführen müsse (sophiēn es technēn metagein). Diese Methode hätten Plato und Aristoteles weitergeführt, dieser in seiner gesamten umfassenden Wissenschaft (encyclopaedia), wie seine Schriften zeigten: vorzüglich seine zehn Bücher über ethische Philosophie, die im vergangenen Frühling unter seinem Namen erschienen seien, und die diesen folgenden über die Politik. Während sich mit den übrigen Fächern der Philosophie nur wenige zu befassen hätten, müsse man sich mit dieser, die jeden zur Selbsterkenntnis führe, häufig befassen. Über die Nikomachische Ethik habe er damals das Nötige gesagt, jetzt füge er gemäss seinem Versprechen seiner Frühlings- eine Herbstarbeit (mit den Worten des Epigrammatographen) bei und wolle der Politik, d.h. nach Victorius den acht Büchern über den besten Stand des Staates, nach Lambinus über die beste Art der Staatsführung, oder nach allgemeinem Verständnis über den Staat eine Vorrede vorausschicken. Über die Verwandtschaft der Politik mit der Ethik habe er dort gesprochen: dass die Sitten des Menschen allgemein in den Ethikbüchern beschrieben würden, sein praktisches Leben in Staat und Haus in der Politik und der Ökonomik. So müssten nach der gesetzlichen Lehrordnung die ethischen als generelle, die politischen und ökonomischen als spezielle Lehrsätze für das praktische Leben aufgestellt werden. Jeder Mensch habe über die sokratische kosmopoliteia hinaus mit Staat und Haus zu tun; ganz besonders aber die zukünftigen Herrscher müssten darin Kenntnisse besitzen. Auch wenn nämlich mit Bias (Bias von Priene, einer der sieben Weisen) "der Staat den Menschen lehren" könne, so müsse doch, mit Aristoteles im zehnten Buch der Ethik und Platon in seinen Dialogen, der Lehrer der Staatsweisheit ein Gesetzgeber sein, d.h. einer, der den andern durch eine Anordnung einer fehlerfreien Überlegung (ex rectae rationis praescripto) Gesetze geben könne, die alle hielten, die Besten kraft ihres Ansehens hüteten, klug handhabten und auslegten. So müsse die allgemeine Kenntnis des Richtigen und Schicklichen der Einzelerkenntnis (cognitio universalis - partialis), die die Umstände der Personen, Örtlichkeiten und Zeiten berücksichtige, ein Fenster öffnen. Und dessen idea in diesen Büchern sei bewundernswerter als die Langweiligkeit derer, die unter Vernachlässigung der nie versiegenden Rechtsquellen Bächlein folgten und grossartige Arbeit geleistet zu haben meinten, wenn sie Gesetzesflickwerk aus dem Gedächtnis zusammenstoppelten und nach Sklavenart gerade noch die Namen ihrer Herren aufzuzählen vermöchten, in völliger Unkenntnis von deren Weisheit, die sie aus den Schriften der Philosophen vermittelten. Diese Bücher habe er vor vielen Jahren zu privatem Studium mit Hilfe der zwar barbarischen, doch gelehrten und ansehnlichen Kommentare des Thomas von Aquin und Donato Acciaiuoli (erschienen zuerst Florenz 1478), des geschickteren des Johannes Genesius de Sepulveda aus Cordoba sich weniger des Inhalts als der Methode wegen vorgenommen; dann habe er sich, bei Gelegenheit der Lehre an der Universität, um die Studenten nicht nur in der allgemeinen Lehre der Ethik auszubilden, durch regelmässig wiederkehrende Gegenbehauptungen der Jugendlichen dazu veranlasst, an die Erklärung der Politikbücher durch fortlaufende tabulae (Tabellen) gemacht, in der Absicht, den Dialogen Platos mit ethischem und politischem Inhalt eine gleiche logische Analyse folgen zu lassen, und dann zur Erklärung der Ökonomik des Aristoteles, auch wenn sie voller fremder Einfügungen und eigener Lücken sei, mit Hilfe des Oeconomicus Xenophons beizutragen und damit gleichsam einen Schlusspunkt der Moralphilosophie zu setzen. Im übrigen habe diesen seinen Versuch sein Amt medizinischer Lehre, das ihm gegen seinen Willen von denen, die ihn durch ihre Stellung hätten zwingen können, auferlegt worden sei, nicht nur durcheinandergebracht, sondern ihm jegliche Hoffnung genommen, die Moralphilosophie weiter zu verfolgen. Da er also, so lange es dem höchsten Herrn gefalle, sich nicht nur in der Tätigkeit, sondern auch in der Lehre eines ganz andern Faches werde üben müssen, und diejenigen, denen seine bisherigen methodischen Analysen gefielen, nicht nach seinem Versprechen zufriedenstellen könne, habe er wenigstens als Muster seiner vergangenen Arbeit seine Scholien und Tabellen zu den ersten drei Büchern des Aristoteles vom Staat zwar als verstümmelte, aber als mühevolle Geburt (wenn man nicht von Frühgeburt sprechen wolle) den studiosi zur Verfügung stellen wollen. Durch sie ermuntert, könnten andere das Fehlende ergänzen oder gar Besseres an seine Stelle setzen, besonders da es die Kommentare des Italieners Pietro Vettori und die allerdings französischen des Louis Le Roy (Paris 1568, 1576) gebe, von denen er gern gestehe, dass sie seine Arbeit sehr gefördert hätten. Die Kapitel der ersten drei Bücher mit ihren Zusammenfassungen habe er nicht aus Neuerungssucht geändert, sondern durch die Methode bedingt; die der übrigen habe er belassen. Um dem Autor nicht Unrecht zu tun, habe er dessen griechischen Text unberührt belassen, eingerahmt von der getreuen Übersetzung (versio) des Victorius, und der treffenden (interpretatio) des Lambinus (dass diese beiden Begriffe jedoch auswechselbar sind, zeigen ihre Bezeichnungen zum Textbeginn auf S. 2: hier wird die Übersetzung Vettoris als interpretatio bezeichnet, die Lambins als versio). Den fortlaufenden Kommentar Vettoris habe er, abweichend von der Florentiner Ausgabe, zu seinem Vorhaben passender den einzelnen Kapiteln folgen lassen. Gewisse alte Fragmente der Pythagoreer zur Politik aus der Sammlung des Stobaeus habe er am Ende beigefügt, was er zuvor schon für die Ethik aus dem selben Grund getan habe, nämlich um die Quellen der Philosophie des Aristoteles zu zeigen und die Übereinstimmung der bedeutendsten Moralphilosophen zu bezeugen. Dass doch die beiden letzten der zehn Bücher zur Einrichtung des besten Staats, die zum grossen Schaden der studiosi schon zur Zeit des Diogenes Laertios (3. Jh. n. Chr.) verloren gewesen oder, als von den acht Büchern der politikē akroasis abweichend, die man jetzt in Händen habe, getrennt überliefert worden seien, endlich zum Vorschein kämen! Es sei denn, dass sie durch Gottes Ratschluss verborgen seien, damit man nicht in Schriften von Menschen das suche, was man allein den von Gott vermittelten Schriften entnehmen könne und dürfe. In der gegenwärtigen Verwirrung und Unbeständigkeit, da trotz des Widerstands der göttlichen und menschlichen Gesetze nicht weniger Finsternis im Geistigen (cognitio) als Unredlichkeit im Handeln wahrzunehmen sei, dürften alle Redlichen sich die Rückführung aller Dinge an ihren Ausgangspunkt, die Erschaffung eines Stalls unter dem einen gottmenschlichen Hirten Christus wünschen, die Glücklichen erleben, da diesem auch aus Antrieb der Natur, den Aristoteles beobachtet habe, indem er seine Schriften in pythagoreische Mysterien hülle, die Herrschaft gebühre, da er durch seine Göttlichkeit der grösste und beste Mensch (maximus & optimus homo) sei. Er aber, der er durch den Willen des höchsten Wesens in dieses eiserne Zeitalter geboren sei, wolle diese ägyptische Beute (das Pythagoreische) als Weihgabe an den selben Schöpfer und Heiland der Öffentlichkeit darbieten und, da er ihn auf diesem Posten habe Wache halten lassen, wenigsten den Willen zur Förderung der Wissenschaften bezeugen. Alexander aber möge dieses Werk als Ergänzung zur vorangegangenen Ethik gnädig aufnehmen und fortfahren, die erstens aus Göttlichem, zweitens aus aristotelischen Naturquellen gewonnene Staatslehre mit herrlichen Beispielen zu beleben, dass seine Untertanen ihn als Vater des Vaterlandes liebten, seine Feinde ihn fürchteten, seine Umgebung, speziell sein Hofmarschall und königlicher Sekretär Jan Dzierzek, ihn wie den Agamemnon Homers nie vergässen.
Johannes Spondanus hat seine Pythagoreerfragmente "dem hervorragenden Arzt und Philosophen Zwinger" gewidmet, der ihn zu dieser Arbeit veranlasst und ihm dabei Mut gemacht habe (mihi & author & hortator... fuisti), am 24. August, "dem unheilvollsten Tag für uns Franzosen vor zehn Jahren", 1582. Er habe getan, worum er ihn gebeten und was er ihn tun geheissen habe, wenn er auch nicht die letzte Hand habe anlegen können. Er habe beim Sammeln aus dem gnomologischen Schatz des Stobaeus erkannt, dass dort nur Bruchstücke einer riesigen höchst lesenswerten Literatur erhalten seien, so dass man diesem zwar für diese danken, zugleich aber ihn tadeln müsse, dass er, der noch die vollständigen Bücher zur Verfügung gehabt habe, nicht mehr überliefert habe. Er habe sie, nach dem grossen Conrad Gesner, neu übersetzt; jener habe ebenfalls noch nicht die letzte Hand daran legen können, bevor das griechische prōtotypon nicht verbessert sei. Er habe seine Textverbesserungen getrennt, umfangreicher als in den Marginalien möglich, drucken lassen wollen. Doch da die Drucker auf den nahen Termin der Messe hin gedrängt hätten, habe er sein Vorhaben nicht ausführen können, da ihn auch die unterbrochene Arbeit am Homer und andere Arbeiten zurückgerufen hätten (Homer erschienen Sommer 1583 bei Eusebius Episcopius, Organon erschienen Frühjahr 1583 bei Gemusaeus und Han). Der Leser könne sie aber auch so finden; die Lesartenvorschläge Gesners habe er in den Marginalien mit dessen Namen gekennzeichnet (er hat auch Hinweise Zwingers mit Namen vermerkt).
Das Exemplar B c I 30 Nr. 2 (Nr. 1 ist die Ausgabe der Ethik vom März 1582) ist ein Geschenk Zwingers (mit dessen Eintrag) an Basilius Amerbach.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc I 30:2