GG 355
In libros Pauli Aeginetae omnes, Annotationes nunc et primum concinnatae, & in lucem editae. Lectori S. In hoc Annotationum libro, candide Lector, locos Pauli Aeginetae omnes, quotquot in hunc usque diem a varijs restituti potuerunt, quambrevissime cognosces... Basel: Andreas Cratander [März] 1543. Fol.
Eine Sammlung der Kommentare zum Text des Paulus Aegineta, in der die einzelnen Kommentatoren jeweils zu jeder Stelle nacheinander zu Worte kommen, vor allem Oroscius und Andernacus, zusammengestellt, wie seine Widmung vom l. März 1543 an Bonifacius Amerbach zeigt, vom Basler Arzt Hieronymus Gemusaeus, der 1538 auch die griechische Ausgabe des Paulus bei Cratander besorgt hatte (GG 353), deren Restexemplare Cratander im März 1543 mit einer neuen Lage D, die 1538 u.a. 5 1/2 Seiten Loci ex Paulo annotati enthalten hatte, in den Verkauf gebracht hat, gewiss gleichzeitig mit diesen Annotationen, mit deren Exemplar aus Besitz Bonifacius Amerbachs diese Ausgabe auch zusammen gebunden worden ist: zu diesem selbständigen Heft und Druck haben sich die Loci von 1538 durch des Gemusaeus Kenntnis einer neuen Quelle ausgewachsen: 1540 waren bei Robert Winter in Basel Annotationes in interpretes Aetii des Spaniers Cristóbal Orozco (Oroscius) erschienen. - Gemusaeus hat die Annotationes am l. März 1543 dem berühmten Basler Juristen Bonifacius Amerbach gewidmet: bonarum disciplinarum omnium Mecenati unico. Als er vor einigen Jahren eine sehr alte Handschrift des Paulus Aegineta vom französischen Gelehrten Jean Ruelle in Paris erhalten habe, habe er begonnen, an eine Ausgabe des Autors zu denken. Er habe sich überlegt, den Studiosi eine grössere Freude zu bereiten, wenn er nicht nur ein paar Wörtlein daraus, wie einige vor ihm getan hätten, sondern den ganzen Text allen publiziere, und sich gleichzeitig bemühe, ihn so billig wie möglich verkaufen lassen zu können. Eine Untersuchung sei nötig gewesen, da die vorangehende Ausgabe an vielen Stellen so fehlerhaft sei, dass sie sogar die Übersetzer in die Irre führe. Aber auch der Drucker Cratander habe sich schon anderes beschafft gehabt, was zu einer Ausgabe beitragen zu können schien. Sie hätten also mit der Arbeit begonnen, sich bewusst, nicht gleich alles verbessern zu können, hätten ihre Funde annotiert, zuweilen von Leuten, die sich mehr Freiheit im Ändern des Textes nähmen, abweichend, und dies dargelegt. Wären ihm doch die Annotationes des Christophorus Oroscius gleich in die Hände gekommen, denn dessen Handschrift sei an vielen Stellen besser gewesen, wie auch sie nicht unnütz einiges zuvor bemerkt zu haben schienen. Manches hätten beide gesehen: wo die Handschriften übereingestimmt hätten. Beides zusammengenommen, bleibe nicht mehr viel zu verbessern. Gelehrte müssten untereinander Kontakt pflegen. Und in der Medizin sei dieser Kontakt besonders wichtig. Und die Medizin als ganze wie ihre einzelnen Autoren seien nicht unähnlich andern Fächern kürzlich wiedergewonnen worden. Man sei Schritt für Schritt bis zur Vollendung vorgegangen. Und all die verschiedenen Künste, die man unter dem Begriff der Enzyklopädie zusammenfasse, wären nicht entstanden, wenn nicht viele Menschen und Zeiten mit ihren Überlegungen an der Erfindung, Ordnung und Zusammenfassung teilgenommen hätten. Jede sei zuerst äusserst einfach gewesen: die Musik mit nur wenigen Tönen, die Geographie, als man alle Fremden einfach als Äthiopen, Skythen oder Nomaden, Kelten und Inder bezeichnet habe, ebenso die Astronomie und Jurisprudenz. Die Medizin habe erst Hippokrates zur Kunst gemacht, Galen vollendet. So seien die Künste aus einem Zusammenwirken Mehrerer entstanden. Grosszügige Fürsten, ruhige Zeiten und Eifer der Forscher hätten sie so wachsen lassen, dass ein Zusammenbruch zu erwarten gewesen sei. Und durch barbarische Tyrannen und Kriege sei er denn auch eingetreten. Aber durch gemeinsame Anstrengungen würden sie nun wiedererrichtet ("Renaissance"!). Als es zur Wiederherstellung der Medizin nötig geschienen habe, deren Bücher, wenn die Schulen der Griechen eingingen, ins Latein zu übersetzen, hätte man die Aufgaben verteilt und sich sofort an die Übersetzung gemacht: zuerst Nicolaus Leonicenus, dann Laurentius Laurentianus, bald Gulielmus Copus (der Basler Arzt Wilhelm Kopp in Paris) und Thomas Linacre. Zuerst an das Wichtigste: Galen, dann an Einzelwerke. Im folgenden würdigt Gemusaeus die einzelnen Ärzte: die Publikationen des Leonicenus und Johannes Manardus, die Vorlesungen des Matthaeus Curtius vor vollen Hörsälen an den bedeutendsten italienischen Universitäten, und deren medizinische Entdeckungen; die Kräuterkunde des Hermolaus Barbarus und Marcellus Vergilius, dann des Jean Ruelle und zuletzt Leonhard Fuchs. Die Anatomie habe Andreas Vesal zuerst in Frankreich gelehrt, dann in einem Büchlein publiziert, jetzt habe er sie mit einmaliger Sorgfalt und nicht alltäglichem finanziellem Aufwand neu zusammengestellt und bereite ihre von allen Gelehrten ungeduldig erwartete Publikation vor, noch jung, doch mit seinem Wissen und seiner Erfahrung den Alten gleich (im März 1538 waren in Venedig seine mehrfach nachgedruckten Tabulae anatomicae sex erschienen, 1539 in Basel bei Winter seine Epistola docens venam axillarem dextri cubiti in dolore laterali secandam... , im Juni 1543 erscheint dann bei Oporin sein hier angekündigtes und natürlich auch schon in der Offizin in Arbeit befindliches Hauptwerk De Humani corporis fabrica Libri septem). So schreite durch gemeinsame Anstrengungen die Medizin voran, wie auch Timotheus nicht Terpander, Terpander nicht Merkur gescholten hätten, noch zu wenige Saiten auf ihrer Lyra gehabt zu haben. Darum habe man in allen Künsten immer die ersten Erfinder geehrt, auch wenn sie noch nicht - wie Aristoteles es darstelle - die ganze Wahrheit gefunden hätten. Auch mit der Verbesserung der Texte der alten Autoren verhalte es sich nicht anders. Da seien besonders wertvoll die Autoren, die ein Gebiet vollständig bearbeitet hätten. So hätten sich an Dioscorides viele gemacht, den Plinius schon mehrere verbessert - nach Hermolaus Barbarus Sigismund Gelenius und Guillaume Budé, andere einzelne Teile seines Werks wie Franciscus Massarius, den Livius zuerst Lorenzo Valla, dann Beatus Rhenanus und Sigismund Gelenius, aber auch Glarean, den Cicero u.a. Victorius (Pietro Vettori) und nach ihm Joachim Camerarius. Tadle etwa einer von diesen seine Vorgänger? Einzig Andernacus wünsche ein Autor völlig neuer Art zu sein, und während er sich als Kommentator der alten Schriften bekenne (professus, als "Professor"), höre er nicht auf, Magister der Verleumdung und Künstler der Witzelei zu sein (Johannes Guinterius von Andernach, Lehrer Vesals an der Pariser Universität, hatte u.a. im selben Jahr 1532 wie Albanus Torinus in Basel in Paris eine Übersetzung des Paulus Aegineta publiziert). Er aber, Gemusaeus, halte sich an das Vorgehen jener andern: vor Zeiten habe er Paulus Aegineta herausgegeben (1538), danach die Arbeit des Oroscius (1540) und die anderer kennengelernt und wohl auch selber manches richtiger gesehen. Daher halte er es für der Mühe wert, dies alles, soweit es zur Herstellung des Werkes nützlich sei, in einem Buch Annotationes zu sammeln und der alten Ausgabe hinzuzufügen (Cratander hat bei der Gelegenheit seine Restexemplare von 1538 à jour gebracht: s. oben u. GG 353), auch - ohne Übelrede - darauf hinzuweisen, was andere leichtfertig am Text geändert hätten, und seine Meinung dazu zu äussern, nicht aus Ehrgeiz, sondern aus seiner Verpflichtung heraus. So habe er es bei Paulus Aegineta gehandhabt, bei Galen und den andern Ausgaben, und so werde er es auch in Zukunft halten. Oroscius sei für seinen Scharfsinn, den er ohne jeden Angriff auf andere übe, zu bewundern, nicht hingegen Andernacus, der alle angreife, obwohl er von Oroscius widerlegt sei, der Oroscius zitiere ohne ihn zu nennen und dann mit seinem Wissen prahle. Aber das sei die Art der Melancholiker, sich als Könige, als Hohepriester aufzuspielen. Auch knappe Zeit entschuldige keine Fehler, zumal Andernacus sich schon lange mit Paulus beschäftige und er ihm schon zahlreiche Fehler korrigiert habe, was auch die Annotationes selber dann zeigen würden. Man müsse sich Zeit nehmen und die Vorlagen miteinander vergleichen, wie er es auch jetzt wieder getan habe. Er widme diese Arbeit darum ihm als Juristen, der abzuwägen verstehe, sachlich zu urteilen, fest zu seinem Urteil zu stehen, der jedem Schutzbedürftigen - nicht nur Berühmtheiten, wie es andere täten - zu seinem Recht verhelfe. Treu und Glauben habe der grosse Erasmus nicht nur in seinen Schriften vertreten und gepriesen, sondern auch auf seinem Totenbett bekräftigt, indem er ihm sein Hab und Gut anvertraut habe (Erasmus hat in seinem Testament Bonifacius Amerbach zu seinem Erben, Hieronymus Froben und Nicolaus Episcopius zu Testamentsvollstreckern bestimmt).
Aus Besitz Bonifacius Amerbachs (vermutlich Geschenk des Gemusaeus): L f II 14 Nr. l
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Lf II 14:1