GG 389
Ad reverendissimum atque illustrissimum principem, D. Albertum Archiepiscopum Moguntinum, Cardinalem &c. epla V. Fabritij Capitonis. Paraenesis prior Divi Io. Chrysostomi ad Theodorum lapsum. V. Fabritio Capitone interprete cum praefatione, ad eundem D. Albertum Archiep. Mogunt. Card. Basel: Johannes Froben November 1519. 4°.
1517 war, nach den ersten lateinischen Gesamtausgaben der Schriften des Johannes Chrysostomus in Venedig und Paris, deren dritte bei Johannes Froben in Basel erschienen, zur Zeit also, da der neue Ãœbersetzer der hier vorliegenden Schrift, der aus Hagenau stammende Wolfgang Capito (Köpfel), nach Tätigkeit in der Frobenschen Offizin 1513-1515 in Basel schon als Prediger am Münster wirkte, in diesem Jahr zudem das Rektorat der Universität bekleidete, gewiss immer noch wie auch jetzt in engem Kontakt mit der Offizin Frobens. Im April 1520 hat er dann das Amt eines Dompredigers in Mainz übernommen und ist bald darauf auch zum Leiter der erzbischöflichen Kanzlei ernannt worden. Die hier von ihm neu übersetzte Schrift des Chrysostomus war auch in jener Ausgabe von 1517 schon enthalten (Bd. 5, Bl. 71 ff.), in einer recht hölzernen alten Ãœbersetzung von Unbekannt unter dem Titel De reparatione lapsi liber unicus, incerto interprete. Capito hat seine neue Ãœbersetzung mit einem Widmungsbrief aus Basel vom 3. November und einer ebenfalls an seinen baldigen Herrn in dem seiner Vaterstadt nicht so fernen Mainz gerichteten Vorrede von Basel, 16. November 1519, Kardinal Kurfürst Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, einem der bedeutendsten Förderer des Humanismus in Deutschland, gewidmet, nachdem er damals schon mit ihm und seinen Beamten über die neue Stelle verhandelt hatte, wie sich dem Widmungsbrief entnehmen lässt. In der Widmung, in der Capito vor allem die Grosszügigkeit des Kurfürsten preist und die Verhandlungen darstellt, dankt er diesem für eine grosszügige Aufnahme in Mainz, als ihn auch Ulrich von Hutten, der Arzt Heinrich Stromer und Thomas Caietanus empfohlen hatten (Hutten hatte schon dank Unterstützung Albrechts in Italien studieren können, war dann als Hofrat und Sondergesandter 1517 bis August 1519 am Hof Albrechts, der auch Erasmus nach Mainz zu ziehen versuchte, tätig, Tomaso de Vio Kardinal Caietanus weilte von April 1518 bis Sommer 1519 als Gesandter Leos X. in Deutschland). Er beklagt seine schlechten Lehrer in seiner Jugend, bereut die Zeit, die er mit Autoren wie Tartaretus, Orbellus, Brulifer, Bricot, Scotus vertan habe (deren Aristoteleskommentare und Sentenzensummen wurden allgemein noch bis um 1515, auch in Basel, gedruckt - von Lachner und Froben hier gegen den Willen des Beatus Rhenanus). Erst bärtig, und wohl zu spät, habe er zu lernen versucht, was er als Knabe hätte wissen müssen. Der Saft des Geistes, der durch fruchtbare Lektüre der Autoren zu nähren sei, gehe zugrunde, wenn er massenhaft trockenen Spitzfindigkeiten von Problemen und Narreteien ausgesetzt werde. So sei er um seine Anlagen gebracht worden. Den Hauptinhalt bilden in der Folge die Verhandlungen mit geistlichen und weltlichen Beamten Albrechts - Laurentius Truchses von Bommersfelden, Conrad von Liebenstein und nochmals Hutten - für die vorgesehene Stelle des ersten Dompredigers.
Mehr auf den Inhalt des Druckes geht Capito in seiner Vorrede zur Paraenesis (Ermunterungsrede) an den gefallenen Theophilus ein. Er weist darauf hin, dass er sie nach einer alten griechischen Handschrift übersetzt habe (nach der Basler Handschrift B II 15 des 9./10. Jahrhunderts aus dem Predigerkloster mit Homilien des Chrysostomus: Bl. 90 v°-113 r° - wie ein Vergleich mit der alten Ãœbersetzung zeigt, dürfte er diese ebenfalls vor sich gehabt haben). Weiter dass Chrysostomus sie rhetorisch so ausgestaltet habe, wie wenn er sie in einer Schule gehalten hätte. Die alten Autoren, besonders Chrysostomus und Hieronymus, hätten mit allen rhetorischen Mitteln gearbeitet (von denen er in der Folge eine Anzahl anführt) und dann, um den Verdacht der Kunst (d.h. des Mangels an religiösem Ernst) abzuwenden, einen ehrbaren Titel davorgesetzt - anders als die heutigen professores (der Theologie), die, obwohl jeder Kunst fern, alles kunstreich zu schaffen scheinen wollten (worauf die Marginalie Ostentatio neotericorum hinweist). So putzten sie mit Zitaten überallher, aus Aristoteles, Justinian auf und behaupteten, dass das nötig sei, wie wenn Christus menschliche Hilfe brauchte. Diejenigen, die in ihren Büchern apostolisch handelten, berichteten in diesen von Christus, rechtfertigten sachlich den Glauben oder behandelten kunstvoll ausführlich wirkungsvoll Glauben, Frömmigkeit, unbescholtene Sitten, Leidensfähigkeit (tolerantia) und andere Vorschriften Christi (worauf die Marginalie Veterum institutum hinweist). Denn wie der Stil die Ausdrucksfähigkeit schaffe, so sei er dann auch ihr getreuester Beschützer. Es habe wie damals die Freiheit bestanden, unter Einhaltung der Gebote Christi, massvoll und kritisch abzuschweifen. Dementsprechend hätten vor allem die griechischen Theologen ihre Bildung versteckt. Man müsse unterscheiden zwischen den göttlichen Verordnungen und den Meinungen der Menschen. Im folgenden verurteilt Capito, dass man unterschiedliche Autoren in einen Topf werfe, das Aufputzen mit Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen, unnütz würden. Mit dem Hinweis auf die vorsichtige Art, auf Dinge anzuspielen, die nur ein Leser verstehe, der den Stil (phrasis) des betreffenden Autors kenne, leitet er zu seiner Ãœbersetzung über, in der er einigermassen das Wesen (multum indolis) des Autors zu zeigen versucht habe (Marginalie: Chrysostomi phrasis ex hac paraenesi). Sie sei heikler zu übersetzen als die andern: er spüre daher, warum der Kamaldulenser Ambrosius nur die zweite Paraenesis und die Schriften übersetzt habe, die der seinen in den griechischen Handschriften vorangingen (Ambrogio Traversari, 1386-1439, Kamaldulensergeneral, Mitglied des Florentiner Humanistenkreises und einflussreicher Teilnehmer an den Konzilien von Basel und Ferrara/Florenz, hat zahlreiche griechische Kirchenväter, aber auch u.a. Diogenes Laertios übersetzt). Die geistreich rätselhafte Auseinandersetzung dürfte den gelehrten Mann kaum abgehalten haben; abgeschreckt haben dürften ihn einige Ansichten, die zu den allgemeinen Lehren in Widerspruch stünden, wie nach der Vergebung der Sünde die Befreiung von der Restschuld, die wir unerbittlich einforderten, wie wenn Gott nicht bereiter wäre zur Vergebung als erbitterte Weiblein, die sich manchmal durch ein einziges Wörtlein versöhnen liessen. - Auch die Handschrift B II 16/17 mit den Homiliae LXVII in Genesim (10./11. Jh.) stammt aus dem Besitz des Stoichovic und der Prediger.
Exemplar F J IX 6 Nr. 2 in Sammelband mit Basler Chrysostomus-Drucken aus dem St. Leonhardstift; Exemplar D J III 6 Nr. 4 in Sammelband aus Besitz des Raphael Hindenlang aus Schopfheim, der sich im Mai 1579 in Basel immatrikuliert hat, von 1577/78, zuvor eines Theodericus.
Abbildung der von Capito benützten Handschrift s. Vorsatz.
Nachtrag:
Eine weitere zweibändige Pergamenthandschrift mit den Homilien des Chrysostomus zur Genesis aus dem 10./11. Jahrhundert aus der Predigerbibliothek hatte Stoikovic am 3. November 1436 für 4 iperpera und 12 ducateli (Bd. 1) bzw. 8 iperpera (Bd. 2) in Konstantinopel gekauft (B II 16.17).
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: DJ III 6:4 | FJ IX 6:2