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D. Gregorii Nazianzeni Orationes XXX, Bilibaldo Pirckheimero interprete, nunc primum editae... Basel: Hieronymus Froben und Nicolaus Episcopius September 1531. Fol.
1521, 1528 und 1529 waren in Nürnberg kleinere Drucke mit Übersetzungen des Nürnberger Patriziers, Staatsmanns und Humanisten Bilibald Pirckheimer (1470-22.12.1530) von Reden Gregors von Nazianz erschienen. Kurz nach seinem Tode erscheint hier nun in Basel, wohl durch seinen Schwiegersohn Johannes Straub veranlasst, eine Sammlung seiner sämtlichen Gregor-Übersetzungen: insgesamt deren 30 neue Reden, wie im Titel angeführt, auf 304 Seiten, dazu mit eigener Paginierung offenbar zuletzt noch beigegeben die acht Reden der Drucke von 1521 und 1528, auch in der Inhaltsübersicht als "iam ante editae" bezeichnet, mit ihren alten Widmungen (126 Seiten). Die neue Ausgabe haben sowohl Pirckheimers Schwiegersohn Johannes Straub - aus Nürnberg, 12. Mai 1531 - als auch Erasmus von Rotterdam - aus Freiburg, 15. Mai 1531 - Herzog Georg von Sachsen gewidmet, wie es schon Pirckheimer geplant hatte.
Wer Autoren, die zu Unrecht lange verschollen gewesen seien, ans Licht bringe, beginnt Straub seine Widmung, empfange Dank von den betreffenden Studiosi, wenn sie die Literatur anwachsen sähen und wenn gerade die besten Gelehrten Genugtuung empfänden, den Alten nahegekommen zu sein. Wie viel ruhmvoller als einen profanen Autor herauszugeben sei aber die Edition eines Kirchenautors, zudem noch eines hochgebildeten. Und zu diesen gehöre gewiss Gregor von Nazianz. Seinen grossartigen Stil habe sein Schwiegervater so sehr verehrt, dass er unablässig in ihm gelesen oder aus ihm übersetzt habe. Er habe dies aber nicht nur zu seinem privaten Vergnügen tun wollen, sondern das ihm anvertraute Talent der Gesamtkirche nützen lassen. So habe er möglichst viele Schriften des Kirchenvaters lateinisch vorlegen wollen. Und er, Straub, wolle nach seinem Tod als sein Erbe seinen Willen ausführen, alle seine Arbeiten zum Nazianzener ihm widmen.
Erasmus verbindet in seiner Widmung einen Nachruf auf den ihm befreundeten Nürnberger Humanisten mit einer Würdigung seiner Gregor-Übersetzungen und einer Rechtfertigung seines Stils. Beim Gedanken an die Bestimmung des Menschen, beginnt er, könne man über den Tod Pirckheimers kaum trauern, so seltenes Glück habe er auf Erden erfahren dürfen: Patrizier, und dazu des berühmten und reichen Nürnberg, grosser Reichtum, Gunst, Einfluss und Ehre unter zwei Kaisern. Frömmigkeit, Standhaftigkeit, Gerechtigkeit, Offenheit seien seine Eigenschaften gewesen, eine Tochter habe er haben dürfen, Gesundheit bis gegen das Alter hin. Seine Alterskrankheiten Podagra und Blasenstein hätten ihn seine Staatsgeschäfte und Studien weiter betreiben lassen. Mit der Feder habe er die schwindenden Körperkräfte ausgewogen: für den Staat, den Fortschritt der Wissenschaften, die Kirche. Diesen hätten auch seine letzten Gespräche gegolten, und als er zuletzt nach einem Boten zu Zasius und Erasmus nach dem irdischen Freiburg habe suchen lassen, sei er selber ins himmlische Jerusalem enteilt. Wohlergehen des Staates und Friede der Kirche seien seine letzten Wünsche gewesen. Nicht sein Tod sei zu beklagen, doch wohl der Verlust der Wissenschaften: dass er seine beiden Werke, die griechisch und lateinisch gleich verderbte Kosmographie des Ptolemaeus wiederherzustellen und Gregor von Nazianz lateinisch so herauszugeben, dass niemand mehr die griechische Quelle vermisse, nicht habe vollenden können. Doch welcher Gelehrte habe nicht solche Klagen der Nachwelt gelassen? Solche Männer hätten immer eine grosse Arbeit vor sich, zumal gegen ihr Lebensende hin, und so würde der Tod immer etwas abbrechen (dies schreibt Erasmus im Alter von bald 65 Jahren, fünf Jahre vor seinem eigenen Tod). So werde der Leser vielleicht hie und da die letzte Hand vermissen. Gerade die Übersetzung Gregors, im Kampf zwischen Frömmigkeit und Redekunst, sei schwierig, zwischen isokratischem Stil und unaussprechlichen Dingen, mit seinen Zeitgenossen Basilius und Johannes Chrysostomus nicht zu vergleichen, unter den Lateinern dem Ambrosius nahe. Er selber habe immer vor einer Übersetzung Gregors zurückgeschreckt: wegen der Schärfe seines Ausdrucks, der Erhabenheit seiner Stoffe, seiner recht dunklen Anspielungen. Pirckheimer habe sich diese Arbeit erwählt und sei darüber gestorben. Die hier vorliegende Ãœbersetzung, für ihn bestimmt, erhalte er nun als Erinnerungsstück. Sie werde damit vielen ein Ansporn zur Frömmigkeit sein. Diese Leute werde es nicht stören, wenn Pirckheimer in der Übersetzung der alten Kirchenväter zuweilen der christlichen Religion eigene Begriffe gewählt habe, da er christliche Rede einer römischen vorgezogen habe, obwohl er, Erasmus, nicht einsehe, warum nicht als römisch gelten dürfe, was römische Autoren vor 1500 Jahren gebraucht hätten, zumal nach dem Beispiel der Griechen. Im Sinne der Rechtfertigung des Erasmus haben auch die Drucker auf dem Schlussblatt eine ungewöhnliche Notiz beigefügt: Der Leser solle kein Urteil fällen, bevor er die Übersetzungen mit dem griechischen Text verglichen oder sehr gründlich gelesen habe; wenn ihn dann mangelhaftes Laienwissen darin störe, solle ihn das nicht hindern, selber Gelehrteres und Besseres zu bieten.
Das Exemplar F L I 3 Nr. 2, zusammengebunden mit Cyprian-Druck von Basel 1558, gehört seit der Zeit des Drucks der Bibliotheca Academiae Basiliensis: das Exemplar G III 13 Nr. 2, zusammengebunden mit Basler Eugyppius-Sammeldruck von 1542, hat der letzte Praefekt der Basler Kartause, Nicolaus Molitoris, für diese gekauft.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Aleph G III 13:2 | FL I 3:2