GG 450

Opera D. Basilii Magni Caesariae Cappadociae episcopi omnia, sive recens versa, sive ad Graecos archetypos ita collata per Wolfgangum Musculum Dusanum, ut aliam omnino faciem sumpsisse videantur... Basel: Johannes Herwagen (März) 1540. Fol.

1515 war, nach mehreren Einzeldrucken, vor allem seiner Schrift an die Jugend, in Rom die erste Sammlung mehrerer Schriften des grossen kappadokischen Kirchenvaters Basilius, des Bischofs seiner Vaterstadt Caesarea in der Mitte des 4. Jahrhunderts, in lateinischer Übersetzung des Raphael Volaterranus (Raffaele Maffei aus Volterra) erschienen; es folgten Sammeldrucke in Paris (1520 und 1523) und Köln (1523 und 1531) mit Übersetzungen des Volaterranus und älteren des Johannes Argyropulos (15. Jh.) und Georgios Trapezuntios (15. Jh.). Hier erscheint nun - die erste griechische Gesamtausgabe wird erst 1551 bei Froben und Episcopius erscheinen (GG 452) - eine neue lateinische Ausgabe, die gegenüber den vorangehenden auf über das Doppelte angewachsen ist (in 2 Bänden mit zusammen über 1000 Seiten, gegenüber stets um deren 370), die bisher unbekannte Schriften enthält, während die schon erschienenen laut Titel so umfassend verbessert seien, dass sie ein ganz anderes Aussehen erhalten hätten. Übersetzer und Herausgeber ist der aus Lothringen stammende, als Prediger in Augsburg und von Anfang 1549 an dann in Bern wirkende reformierte Theologe Wolfgang Musculus. Im selben Jahr, wohl im selben Monat, erscheint in Basel noch eine zweite neue Übersetzung, auch sie gegenüber den früheren auf das Doppelte angewachsen, aus der Feder des Arztes Janus Cornarius bei Herwagens Stiefsohn Hieronymus Froben und dessen Schwager Nicolaus Episcopius (GG 451).

In seiner über siebenseitigen Vorrede an den Leser vom 24. Dezember 1539 weist Musculus diesen in einer langen Entschuldigung zunächst darauf hin, dass die Aussage des Königs Agesilaos von Makedonien (richtig: Sparta), dass man beim Lob oder Tadel einer Person nicht weniger die Sitten des Sprechers als die desjenigen, von dem die Rede ist, kennenlernen müsse, nicht nur deswegen zu beherzigen sei, weil man oft aus Affekten heraus nach Sympathie und Antipathie lobe oder tadle, so dass man aus dem Geist des Lobredners leicht den des Gelobten erkennen könne, sondern auch deswegen, weil es kaum passe, dass Leute, deren Leben kaum dem entspreche, die Taten grosser Männer priesen, wofür Musculus die Geschichte von Kleomenes und dem Sophisten als Beispiel anführt. So habe auch er lange gezweifelt, ob ihm eine Vorrede zu den Werken Basilius des Grossen zustehe, da er in nichts an ihn heranreiche, zumal seine Bedeutung bekannt sei. Doch die Eile des Werkes, ans Licht zu gelangen, die Sitte, auch die Ausgaben fremder Werke zu bevorworten und schliesslich der um die Gelehrtenwelt (de re literaria) und die guten Autoren höchst verdiente Drucker Johannes Herwagen selbst, der mit diesem Werk schwanger gegangen sei, hätten ihn, dieser schon während der Wehen selber, dazu gedrängt, wohl weil er gemeint habe, dass er, Musculus, bei der Lektüre und der Verbesserung sowie bei der Übersetzung derjenigen Schriften, die bisher lateinisch gefehlt hätten, einiges bemerkt habe, das den Leser auf das Werk vorbereiten könne. Das habe er nicht ablehnen können. Er habe sich aber entschlossen, nur kurz einzuleiten, auf die nötigen Einzelheiten nur hinzuweisen, zumal Lobpreisung des Lebens, der Frömmigkeit und der Bildung sich in der Monodia Gregors von Nazianz finde, die darum den Schriften des Basilius vorangestellt worden sei, damit er umso schneller sich mit dem Werk befasse, das jener besprochen habe. Beispielhaft sei seine, ihm schon von seinen Eltern beigebrachte Frömmigkeit, die er in den Ascetica bezeuge, auch wenn bei einigen die Echtheit umstritten sei und sie überaus streng seien. Oft gehe auf dieser Welt etwas zu Gutem, zum Ruhm Gottes Begonnenes durch die Tücken Satans schlecht aus. Basilius aber befasse sich nirgends mit dem Äussern (schēma) der Frömmigkeit, sondern nur mit dieser selber. Dazu komme sein einzigartiges Studium der heiligen Schriften, das er von Kind auf betrieben habe, wofür Musculus Stellen wiederum der Ascetica zitiert, in denen er über zweihundert Stellen aus jenen behandle (Bonifacius Amerbach, der zeitgenössische Besitzer des Basler Exemplars, hat sich zu den Ascetica im zweiten Band eine ganze Reihe dieser Stellen am Rand notiert). Im folgenden behandelt Musculus mit Hilfe von kurzen Aussagen des Basilius seinen Kampf gegen die Häretiker, da der von Paulus vorausgesagte Abfall (apostasia) zu seiner Zeit begonnen habe, und die Reinheit seines Glaubens, seine Lehre von der Gnade Gottes und der wahren Rechtfertigung, auf der das Heil aller Auserwählten beruhe, die seine Predigt über die Reue bezeuge, die man mit goldenen Typen drucken müsste, und andere Perlen in seinen Schriften, sowie seine Rede über die Taufe. Hier zeigten sich sein reiner Glaube an Christus, sein rechtgläubiges (orthodoxes) Verständnis der Gnade Gottes und der Rechtfertigung der Christen, die auf dem Glauben an Christus beruhe. Dazu komme sein Einsatz für die eine gemeinsame (catholica) Kirche Christi, besonders in seinen Briefen an die Bischöfe des Westens, in denen er sie zur Hilfe an die wankende Kirche des Ostens aufrufe, bevor die Feuersbrunst auf den Westen übergreife. Worauf Musculus seine Peinigung durch Häretiker und die Ursachen seiner Sorge um die Kirche mit Zitaten belegt, Ursachen, die auch zu seiner Zeit wieder die Kirche spalteten. Wen dieses Unheil nicht beunruhige, der dürfe sich kaum als Glied des Leibs Christi bezeichnen. Weshalb er hier alle, die sich als Christen bekennten, besonders diejenigen, die in Behörden und im Hirtenamt des Herrn Einfluss hätten, dazu aufrufe, die Ursache der Spaltungen, die von Basilius für seine Zeit aufmerksam erkannt worden sei, zu untersuchen und sich nach Kräften durch Gebet und Beratung darum zu bemühen, dass die Einheit des Leibes Christi bestehen bleibe, die auf dem Geist und der Wahrheit Gottes durch die Bande der Nächstenliebe und des wahren Friedens beruhe. Es solle jeder bedenken, dass die Sache der Kirche nicht die privaten Gefühle angehe, sondern das allgemeine Heil sämtlicher Gläubiger betreffe, in dem kein echter Christ nur auf das seine schauen und seine Schicksalsgenossen nicht beachten oder gar behindern dürfe. Es führen alle im selben Schiff, in den selben Wellen; es drohe allen die selbe Gefahr, wenn die Spaltung obsiege, die Einzelnen mehr für sich schauten als auf die Wahrheit Christi und die allgemeine Brüderlichkeit. Werde man ungestraft den Herren verachten können? Sei man mächtiger als er? Er werde als Richter kommen für die, die dann lebten, und die, die inzwischen gestorben seien. Es gehe ihm aber nicht darum, jemand zu reizen, sondern um Heilmittel und Versöhnung. Es gehe um die Beilegung jeglicher Streitsucht und um die eine Wahrheit Christi, die Ruhe christlicher Eintracht, dass die Gelehrten Theologie und nicht Technologie trieben und von ihren Meinungsverschiedenheiten zur Einhelligkeit der christlichen Lehre fänden, wofür Musculus auf eine briefliche Äusserung Cyprians hinweist. Und das sei auch die Hauptsache, die man bei der Lektüre des Basilius beachten und befolgen müsse. Was dessen Bildung und Beredsamkeit betreffe, so verweise er auf den Widmungsbrief des hochgelehrten Erasmus von Rotterdam, der seiner griechischen Ausgabe der Werke des Basilius von Basel 1532 (GG 447) voranstehe, in dem er ihn einen christlichen Demosthenes nenne, der allen christlichen und auch profanen Autoren seiner Zeit vorzuziehen sei. Darum gehe es ihm nicht, zumal sein eleganter Stil lateinisch auch nicht zu Ohren kommen könne und zu beurteilen denen vorbehalten bleibe, die von der griechischen Sprache zu kosten begabt seien: seine Reinheit, Gefälligkeit, Ungezwungenheit, Eleganz, fern jedem Aufprunken der profanen Literatur. Schliesslich weist Musculus den Leser auf sein Vorgehen bei der Verbesserung der schon zuvor übersetzten Schriften hin. Er habe nicht vorgehabt, alle Fehler auszumerzen, da es, nach dem Zeugnis des Erasmus, mehr Fehler als Zeilen habe, was er niemand geglaubt hätte, wenn er es nicht selber geprüft hätte. Er habe nur die sinnstörenden verbessert. Sonst wäre es viel leichter gewesen, alles völlig neu zu übersetzen, als die einzelnen Stellen anhand des griechischen Textes wiederherzustellen. Diese Verderbtheit wolle er nicht allein den Übersetzern zuschreiben, da er wisse, wie die Reinheit eines Textes (exemplarium puritas) nicht über das mehrmalige Abschreiben hinweg erhalten bleiben könne, zumal wenn Schreiber sich verständig vorkämen (ubi notarii nonnihil sapere volentes) und, was sie mit ihrem Geist nicht verstünden, strichen oder änderten oder Eigenes hinzufügten, so dass es sich vom Sinn und Wortlaut des Autors nicht weniger entferne, als wie wenn einer ein zuerst treffendes Porträt eines Menschen durch Austausch von Gliedmassen und Vermischung von Umrissen ohne Kunstkenntnisse so vom Prototyp entferne, dass dieser nicht mehr zu erkennen sei. Die jetzige Zeit gehe darauf aus, nach Art der Kinder nichts unverändert zu belassen, und dem sei die Mehrzahl der Fehler bei diesem und den andern guten Autoren zuzuschreiben, auch wenn es natürlich zahlreiche Fehler der Übersetzer habe, die doppelt lästig seien: der eine habe zu ängstlich alles zweimal wiedergegeben, so dass ein Vergleich der einzelnen lateinischen Sätze mit dem Griechischen äusserst mühsam sei, wenn sie trotz ihrer Verdoppelung nicht den Sinn des Autors wiedergäben; ein anderer habe zu sorglos oder unaufmerksam den griechischen Text im Lateinischen gekürzt, dabei ganze Sätze nicht angerührt, Eigenes hinzugefügt, anderes durcheinandergebracht, Zusammengehöriges auseinandergerissen, einander Fremdes vereinigt. Am verderbtesten sei die Ruffinus zugeschriebene Übersetzung der Ascetica, überall verstümmelt, dass es sich um Bruchstücke aus umfangreicheren Texten zu handeln scheine, die notdürftig zusammengeflickt worden seien. Diese Übersetzung habe er vollständig weggelassen und alles neu übersetzt. Wem jene besser gefalle, wer ihm und dem Autor der Vorrede des griechischen Druckes (Erasmus, den Musculus zuvor schon in diesem Sinn zitiert hat: s. oben) nicht traue, der möge sie ruhig benützen. Zusätzliche Arbeit habe es bei seiner Verbesserung der Übersetzungen bereitet, dass jeder Übersetzer seinen eigenen Stil habe, manchmal dem Barbarenlatein recht nahe. Das habe er oft belassen müssen, denn er habe verbessern, nicht umgestalten wollen. Für seine eigenen Übersetzungen und Erweiterungen gegenüber dem Kölner Druck (die Kölner Ausgaben von 1523 und 1531 hatten die alten Übersetzungen des Argyropulos, Georgios Trapezuntios, Volaterranus und Ruffinus enthalten) verlange er nur, was die einzelnen Sätze an Vertrauen verdienten und dass ein nächster kenntnisreicherer Übersetzer sie überträfe, solange dabei nur Basilius klarer und richtiger herauskäme. Und vor allem wünsche er, dass einer den ganzen Basilius wieder neu gebäre, ihn wieder rein und elegant herausbringe, dies auch für andere Autoren leiste, besonders Chrysostomus, für dessen Wiederherstellung es, wenn einer den griechischen Text zur Verfügung hätte, unsagbare Arbeit brauche (die erste griechische Gesamtausgabe - auch keine grössere Sammlung zuvor - ist erst 1609-1633 in Paris erschienen; so enthielten die umso zahlreicheren lateinischen Gesamtausgaben des 16. Jahrhunderts jeweils höchstens und erst spät einzelne neue Übersetzungen, u.a. von Gentien Hervet). Für Origenes, Cyrill, Athanasius, Eusebius und andere könne man es gar nicht wagen, mangels griechischer Texte (propter exemplariorum Graecorum inopiam - die erste griechische Gesamtausgabe des Origenes ist, der bruchstückhaften Überlieferung des zeitweise verketzerten Autors wegen, erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen, Cyrill von Alexandria griechisch vollständig 1638 in Paris, Athanasius - u.a. nach einer Basler Handschrift - 1601 in Heidelberg, Eusebius 1628 in Paris, nachdem die drei Hauptwerke - Kirchengeschichte, Praeparatio und Demonstratio evangelica - dort immerhin schon bald nach dieser Klage, 1544/45 erschienen sind, die Kirchengeschichte denn auch sogleich von Musculus neu ins Lateinische übersetzt: Basel 1549). Mancher Leser sei, bei der Verschiedenheit der Geschmäcker, vielleicht nicht mit allem bei Basilius einverstanden, besonders in den Ascetica, oder nicht mit dem Übersetzer, dass er nicht einiges getilgt habe. Doch es sei nicht die Aufgabe eines Übersetzers, die Schriften eines Autors beim Übersetzen zu beurteilen; das sei Sache eines Kommentators. Er dürfe nicht nur übersetzen, was gefalle, was missfalle verwerfen oder verstümmelt wiedergeben, denn er übersetze nicht eigene, sondern fremde Gedanken (hierzu hat Bonifacius Amerbach kalōs am Rand notiert), dürfe nicht weniger getreu wiedergeben, was er nicht richtig finde, als was er wahrheitsgemäss finde. Auch er sei nicht bei allem sicher, ob es echt sei. Auch zwinge niemand den Leser, alles richtig zu finden. Immerhin verdiene der Autor unter all denen, die die Welt mit ihren Büchern füllten, nicht den letzten Platz. Und warum verdienten die keinen Dank, die seine Schriften durch Verbesserung, Übersetzung, Verbreitung durch den Druck gleichsam wieder zum Leben erweckten, die sie denen, die des Griechischen nicht kundig seien oder für die keine griechische Ausgabe greifbar sei, zur Lektüre zur Verfügung stellten?

Das Basler Exemplar F K VII 3 stammt aus dem Besitz Bonifacius Amerbachs (zu einzelnen Schriften überaus zahlreiche Notizen von seiner Hand, u.a. zu denAscetica).

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: FK VII 3

Illustrationen

Buchseite

Titelseite mit Besitzervermerk von Bonifacius Amerbach

Buchseite

Vorrede des Herausgebers Wolfgang Musculus an den Leser, datiert vom 24. Dezember 1539, 1. Seite

Buchseite

Anfang der Ethica mit Marginalien von Bonifacius Amerbach

Buchseite

Letzte Textseite mit Kolophon

Buchseite

Druckermarke der Officina Hervagiana