GG 64
Martini Crusii Poematum Graecorum libri duo. Addita eregione partim ipsius conversione, partim Leonhardi Engelharti, partim Erhardi Cellii, carmine Latino. Eiusdem Martini Crusii Orationum Liber unus. Basel: Johannes Oporin (September 1566). 4°.
Allein durch die Widmung datiert erscheint bei Johannes Oporin in Basel auf die Herbstmesse des Jahres 1566 eine in zwei Bände gegliederte Sammlung griechischer Gedichte, gefolgt von einem dritten Band mit griechischen und lateinischen Reden und zwei Briefen des Tübinger Professors der griechischen und lateinischen Sprache Martin Crusius (1526-1607). Die Gedichte sind sämtlich ins Lateinische übersetzt, teils von ihm selber, mehrheitlich von einem Kollegen des Crusius, der seine Doppelprofessur während fast fünfzig Jahren, von 1559 bis zu seinem Tode innehatte, dem Tübinger Prediger und Professor Leonhard Engelhard (1526-1602), um 1583/84 Schulrektor in Stuttgart und von einem seiner Schüler, Erhard Cellius (Horn aus Zell, 1546-1606), der 1564-67 in Tübingen studiert, hier 1567 den Magistergrad erlangt hat und dann 1582 Nachfolger des Erzfeinds des Crusius, Nicodemus Frischlins als Professor der Rhetorik und Geschichte geworden ist, und jeweils von ihm, wie die Vorrede besagt, verbessert. Hauptwerk des Crusius ist, neben seinen zahlreichen Klassikerausgaben und Grammatiken, eine schwäbische Chronik: Annales Suevici, 1593 in Frankfurt erschienen. Überdies scheint er ein fleissiger Kirchgänger gewesen zu sein, die Frömmigkeit aber zugleich als Griechischübung nützlich verwendet zu haben: neben zahlreichen Gelegenheitsgedichten und -reden, Briefen und einem neunbändigen Tagebuch sind von ihm auch zwanzig Bände mit 7000 resümierenden Predigtnachschriften auf Griechisch erhalten. Seine Forschungen über das nachbyzantinische Griechentum hat er 1584/85 in zwei Bänden gesammelt in Basel herausgegeben (GG 65; GG 66). Der erste Band ist auf ein Thema konzentriert, verwandt den Predigtnachschriften: auf die feststehenden Sonntagslesungen aus den Evangelien. Im zweiten Band finden sich zuerst die Geschichte der Susanna und sieben Psalmen, dann andere biblische Stoffe, schliesslich Briefe, Epigramme auf Bücher, Trost-, Grab- und Hochzeitsgedichte (u.a. auf den Tod Sebastian Castellios, des Thomas Grynaeus, Trost- und Hochzeitsgedichte an Oporin, ein Mahngedicht an faule Scholastiker; dem Trostgedicht zum Tod Elisabeth Holzachs, der Gattin zuerst Johannes Herwagens, dann Oporins, vom 9. August 1565 folgen nicht nur, gewiss erst in Basel beigegeben, ein griechisches und ein lateinisches Grabepigramm Wilhelm Canters auf die Gattin Oporins, sondern, gewiss ebenfalls eine Basler Beigabe, eine Art Grabsteinabbild mit Inschrift und u.a. Wappen Holzachs und einem wehklagenden Arion auf dem Delphin (in Abwandlung des Signets Oporins).
Während der zweite Band durch ein Gedicht von 1555 und eine Epistola dedicatoria von 1552 griechisch und in einer eigenen Übersetzung dem Hallenser Schulrektor Jacob Fabricius, einem Bruder des bekannteren sächsischen Philologen Georg Fabricius, gewidmet wird, der dritte keine Widmung enthält, hat Crusius die gesamte Sammlung am 1. August 1566 in Tübingen dem jungen polnischen Fürsten Mikolaj Krzysztof Radziwill, Herzog von Olisz und Nieswiez, Grafen von Schidlowietz, dem "Weissen", späteren Hofmarschall von Polen (1549-1616) gewidmet, von dem denn auch ein Jugendbildnis in Form eines gewiss aus Polen gelieferten Holzschnitts der Widmung folgt (seine 1563 begonnene Bildungsreise hat ihn über Dresden, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart nach Strassburg und Tübingen geführt, und auch Vergerius, Dasypodius und Tuppius haben ihm reformatorische und mathematische Werke gewidmet; der Holzschnitt ist mit ineinandergeschriebenen IZ signiert, vom Vater des 1596-1622 nachgewiesenen Lemberger Kupferstechers Jan Ziarnko?). Die Gedichte und Reden hätten sich im Lauf der Jahre angesammelt, beginnt Crusius seine Widmung, so dass er sie nun veröffentlichen wolle. Man könne ihm die Zahl der Bücher vorwerfen, aber sie kreisten vorwiegend um ein Thema, die Bibel. Dass sie griechisch geschrieben seien: doch wenn man Gott mit allerart Musikinstrumenten lobe, dann auch in allen Sprachen, und in der griechischen sei zudem die Geschichte und Lehre Christi geschrieben; ausserdem würde sie jetzt überall in den Schulen gelehrt, nicht nur zur Zeit Juvenals. Auch Laonicus Chalcocondyles habe vor etwa hundert Jahren geschrieben, dass die griechische Sprache nun über die ganze Erde hin zerstreut sei. Auch jetzt sei sie aber, wenn auch in verderbter Form, unter türkischer Herrschaft in Griechenland noch in Gebrauch. Und wenn einer dem Deutschen unvollkommene Kenntnis vorwerfe, entgegne er, dass er sie gerne besser beherrschen würde, aber auch so daran Freude und auch andern schon einigen Nutzen gebracht habe. Und Nutzen könne das vorliegende Buch auch bringen; Frömmigkeit und Anstand könne die Jugend darin lernen und es führe sie auf die griechischen Autoren hin. Zum leichteren Verständnis hätten er, der fromme und gelehrte Leonhard Engelhard und der hoffnungsvolle junge Erhard Cellius die Gedichte übersetzt und die Übersetzungen seien synoptisch gedruckt; wegen seines Unterrichts (labores scholastici) habe er nicht selber alles übersetzen können, doch habe er, die Lektüre zu erleichtern, auch Scholien beigegeben. Das Buch erscheine aber vor allem auf Wunsch vieler Gelehrter, ganz besonders auf wiederholte Aufforderung des um die Gelehrtenrepublik (literaria Respublica) hochverdienten Johannes Oporin. Ihm aber widme er das Buch zum Dank für seine Wohltaten andern Gelehrten und ihm gegenüber, als Schutzherrn, und für seine Liebe zu Literatur und Bildung (amor literarum & eruditionis), die - selten bei solch hohem Adel - sich auch in seinen weiten Bildungsreisen zeige: zuerst nach Strassburg und nun schon während fast zweier Jahre in Tübingen, wo er mit grösster humanitas und freundlichem Ernst mit den Gelehrten und den Bürgern verkehre, auch zur Freude seiner Lehrer Stephan Culing und Baltasar von Lewald (in der Tübinger Matrikel findet sich Radziwill nicht; er muss privat studiert haben).
Ex libris Academiae Basiliensis: D A III 8
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: DA III 8