GG 127

Aristotelis Stagiritae De Moribus ad Nicomachum Libri decem. In quibus Latina Graecis, Dionysio Lambino interprete, eregione respondent. Libri per Capita methodice distribuuntur. Capita singula argumentis suis declarantur: numerorum notis, sic ut Tabulis exacte respondeant, distinguuntur: necnon Annotationibus Lambini, novisque Zvinggeri Scholijs illustrantur. Opera & studio Theodori Zvinggeri Basiliensis, Medici & Philosophi. Adiecta sunt Fragmenta quaedam Pythagoreorum vetustissima, ex emendatione & versione Gul. Canteri... Basel: Johannes Oporin und Eusebius Episcopius August 1566. Kleinfol.

1540 war in Paris die neue Übersetzung der Nikomachischen Ethik des Aristoteles aus der Feder des französischen Benediktiners und Philologen Joachim Périon erschienen, 1542 (GG 126) vollständig, 1545, 1552 und 1555 in Basel ohne Beigaben nachgedruckt worden. 1541 erschien in Venedig eine weitere neue lateinische Übersetzung, vereint mit der Übersetzung byzantinischer Kommentare (nach der griechischen Ausgabe von Venedig 1536), aus der Feder des Venezianer Benediktiners Giovanni Bernardino Feliciano, Kardinal Alessandro Farnese gewidmet; auch sie wurde sogleich in Basel nachgedruckt, wohl von Oporin um 1542. Nochmals eine neue Übersetzung - neben weiteren - die in Basel Folgen zeitigte, erschien 1558 in Venedig, aus der Feder des bekannten französischen Philologen Denis Lambin. Lambin (Montreuil-sur-Mer 1520 - Paris 1572 infolge der Geschehnisse der Bartholomäusnacht), weilte nach Studien in Amiens längere Zeit in Italien und wurde 1561 Professor am Collège de France in Paris. Dieses Werk gibt hier der Basler Philosoph und Arzt Theodor Zwinger in neuer Bearbeitung nochmals heraus, nachdem es 1565 auch noch in Paris erschienen war. Zwinger (1533-1588) war, nach Studien in Basel, Paris und Padua (Medizin) gerade 1565 in Basel Professor der griechischen Sprache geworden (1571 dann Professor für Ethik, 1580 für theoretische Medizin). Mit eingearbeitet hat Zwinger, wie auch die wieder abgedruckten Vorreden zeigen, auch den Kommentar zum 5. Buch der Nikomachischen Ethik von Marc Antoine Muret (Muret 1526 - Rom 1585), einem ebenfalls bedeutenden französischen Philologen, der in Poitiers, Bordeaux, Paris und Toulouse lehrte, seit 1554 in Venedig und Padua, 1563 dann in Rom, wo er 1576 Priester wurde. Zwinger hat Übersetzung und Kommentar (Annotationes) des mit ihm wohl von seinem Pariser oder Paduaner Studium her befreundeten Lambinus für seine Ausgabe durch den griechischen Text ergänzt, begründet das in seiner Widmung an Lambin aus Basel vom 1. September 1566; weiter hat er den meist recht umfangreichen Annotationes des Lambinus in der Widmung als gering bezeichnete Scholien als zweiten Kommentar beigegeben, die in Wirklichkeit oft ausführlicher als die Lambins sind. Schliesslich hat er den Text übersichtlicher gegliedert, erwähnt in seiner Widmung auch Tafeln, die den Aufbau des Werkes zeigen sollten und die auch im Titel erwähnt werden, welche wie die beiden Basler die meisten Exemplare nicht mehr enthalten, und hat dem Werk des Aristoteles, da dieser sich häufig auf Pythagoreisches berufe, Fragmente des Pythagoras aus der Anthologie des Stobaios beigegeben, die, soweit damals bekannt, griechisch 1536 in Venedig, mit einer lateinischen Übersetzung Conrad Gesners 1543 in Zürich, 1549 verbessert in Basel und 1559 nochmals in Zürich erschienen war, diese aber neu übersetzen und kommentieren lassen von dem jung verstorbenen tüchtigen niederländischen Philologen Willem Canter (1542-1575), der, nach Studien in Utrecht und Löwen, sich 1563/64 in Basel immatrikuliert hatte und hier bei Oporin 1564 seine Novarum lectionum libri quatuor, 1566 seine Novarum lectionum septem zur lateinischen und griechischen Literatur, 1566 neben den hier vorliegenden Fragmenten bei Oporin und Perna Lycophron (GG 184), bei Perna und Petri seine Aristidesübersetzung (GG 235) und bei Thomas Guarin den pseudo-aristotelischen Peplos (GG 132) zum erstenmal herausgegeben hat. Der umfangreichste und für ihn wie den Drucker aufwendigste Anteil Zwingers an seiner Ausgabe fehlt allerdings, wie schon oben bemerkt, in beiden Basler Exemplaren, bisher unbemerkt: die 388 Seiten Tabulae (zu den 487 Seiten Text hinzu - sie sind laut VD 16 auch im Münchner und im Aschaffenburger Exemplar nicht enthalten, während die British Library umgekehrt von unserer Ausgabe nur sie besitzt). 

Seine Widmung, in der er in seiner für ihn, für seine Zeit jedoch nicht im geringsten typischen Weise mehr die Leistungen seiner Vorgänger - hier des Lambinus - und Mitarbeiter - hier Canters - als die eigenen herausstreicht, die Scholien als gegenüber den Annotationes Lambins als gering anführt, die Tabulae nur im Zusammenhang mit der Texteinteilung nebenbei erwähnt, obwohl sie fast so umfangreich wie die Textausgabe mit ihren Kommentaren sind, auch eine eigene datierte Vorrede erhalten haben, beginnt Zwinger mit, als bekannt angenommen, dem Zitat zweier Verse aus Hesiod, dass man dem Nachbarn eine Gabe gleichwertig, oder, wenn möglich, besser vergelten solle (Opp. 349/50), und weist Lambin darauf hin, dass er ihm als Dank für seine nicht alltägliche Freundlichkeit (humanitas), mit der privaten Verpflichtung dem öffentlichen Nutzen Rechnung tragend, die zehn Bücher des Aristoteles über die Sitten sende - d.h. widme und mit der gedruckten Widmung ein Exemplar sende - die von ihm unlängst (1558) gelehrt und elegant ins Lateinische übersetzt worden seien, wovon er von ihm ein an zahlreichen Stellen verbessertes Exemplar vor einigen Monaten erhalten habe. Schneller Dank vergehe schnell, heisse es. Unter Rechtschaffenen gedeihe und halte Freundschaft. Er habe in erster Linie den griechischen Text des Aristoteles, nach seinem, des Lambinus, hochgelehrtem Kommentar verbessert, mit dessen lateinischer Übersetzung vereinigt (die Ausgaben von 1558 in Venedig wie 1565 in Paris hatten nur die Übersetzung und Annotationes Lambins enthalten), damit die Studenten (studiosi) sich in beiden Sprachen üben und mit der Sachkenntnis sich auch eine Ausdrucksfähigkeit erwerben könnten, zumal seine Übersetzung (interpretatio) ebenso den des Griechischen Unkundigen philosophieren helfe wie sie denen, die Griechisch lesen wollten, Licht auf tiefere Gedanken des Autors werfe. Er habe die Bücher auf neue, aber notwendige und methodische Weise in Kapitel eingeteilt, die alte Numerierung aber zusätzlich angegeben (jeweils zu Beginn zwischen der griechischen und der lateinischen Kolumne vom Setzer angebracht), die einzelnen Kapitel in Inhaltsangaben (Argumentis) erklärt und, um den künstlerischen Aufbau auf getrennt gedruckten Tafeln deutlicher zeigen zu können (diese, auf 388 Seiten, fehlen hier: s. oben), die Kapitel nochmals in numerierte Abschnitte eingeteilt (innerhalb des griechischen und des lateinischen Textes: z. T. Sätze, z. T. sogar Teilsätze). Seinen gelehrten Kommentar (Annotationes), mit dem er seine Gewissenhaftigkeit erweise und das Werk des Aristoteles wiederherstelle, habe er den Kapiteln beigegeben, ihm einen kurzen eigenen (Scholia), in dem er dunkle Stellen erkläre und, seltener, eine abweichende Lesart begründe, angefügt (so ist der Text der zwingerschen Kapitel jeweils zweispaltig synoptisch gedruckt, darunter durchgehend die Kommentare Lambins und Zwingers). Als er durch einen Glücksfall bei Stobaeus (s. oben) durch ihre methodische Klarheit und ihren Inhalt bedeutsame Fragmente der ältesten Pythagoreer gefunden habe, habe er es für sinnvoll gehalten, sie mit der Ethik des Aristoteles zu verknüpfen, zumal keineswegs dunkle Spuren in ihr oft auf sie hinwiesen. Schliesslich habe er, da ihm der griechische Text auch nach den zahllosen Verbesserungen des berühmten Arztes und Philosophen Conrad Gesner, den er immer als seinen Lehrer verehrt habe (er ist im Vorjahr 1565 gestorben), immer noch an zahlreichen Stellen verderbt zu sein geschienen habe, vom aussergewöhnlich gebildeten Willem Canter (s. oben) dank ihrer Freundschaft erreicht, dass er den griechischen Text verbessert und eine neue, der philosophischen Knappheit und des pythagoreischen Ernsts würdige Übersetzung angefertigt habe. Da er beides, nach seinem Ermessen, erfolgreich fertiggestellt habe, dürfte jedem klar sein, was die Gelehrtenrepublik noch von ihm erwarten dürfe (Canter ist schon 1575 mit 33 Jahren gestorben). Lambin sehe, was er, Zwinger, mit diesem Werk geleistet habe, bzw. habe leisten wollen. Es sei an ihm als Freund und als rechtschaffenem Gelehrten, den Erfolg zu beurteilen. Es bleibe, die Arbeit, die er zum öffentlichen Nutzen in diese Bücher gesteckt habe, auch an die politischen und ökonomischen Schriften des Aristoteles und vielleicht auch an alle ethischen Dialoge Platos aufzuwenden. Doch man gehe besser zu zweit vor (mit Zitat von Ilias 10, 224 angedeutet, wo Diomedes auf Kundschaft einen Begleiter wünscht, da man zu zweit schneller etwas sehe). Von ihm komme kein Verzug. Wenn nur Lambinus das, was er sich von ihm verspreche und was alle studiosi von ihm verlangten (sie wüssten nämlich, wie er diese Art Philosophie zu erklären vermöge), nämlich die längst begonnene Übersetzung der Politik des Aristoteles, wieder zur Hand nehme und vollende (Lambins Übersetzung der Politica erschien dann schon im folgenden Jahr in Paris). Dasselbe möge er sich für Plato selber wählen oder er es ihm als ehrenvolles Amt übergeben dürfen. Was er sich wünsche, was die Gelehrtenrepublik von ihm verlange, verstehe er zur Genüge. An ihm sei es, den berechtigten und dank seiner Gelehrsamkeit leicht zu erfüllenden Wünschen und Bitten der Gelehrten und der Freunde nach Vermögen zu willfahren. Auf keinem andern Gebiet der Philosophie könne er sich, wenn er das erste Eis gebrochen habe, nachher weniger mühselig, zu grösserem Nutzen und unter grösserem Beifall der Menschheit tummeln. Er möge so, wie er täglich der Pariser Akademie vom königlichen Lehrstuhl herab Ruhm bringe, fortfahren, sich mit seinen Schriften um die ganze Christenheit verdient zu machen. 

Der knapp zehn Jahre jüngere Canter hat dann seine Bearbeitung der Pythagoreerfragmente seinem Auftraggeber - und wohl auch nochmals Lehrer an der Basler Universität - Zwinger gewidmet, wie Zwinger seine Arbeit Lambinus. Da dieser ihn aus Zeitmangel gebeten habe, beginnt er die Widmungsvorrede, diese dank Stobaeus erhaltenen philosophischen Fragmente als Ergänzung zur Philosophie des Aristoteles im griechischen Text zu verbessern und eleganter als bisher ins Latein zu übersetzen, habe er trotz der Schwierigkeit und der kurzen Frist (vermutlich war der Aristoteles-Teil schon im Satz) um seines Ansehens und seiner Verdienste um ihn willen versucht, wessen er selber sich nicht für fähig gehalten hätte, und, wenn sich nicht beide täuschten, vollendet. So habe er zuerst den recht fehlerhaften griechischen Text, wo er von Gesner nicht verbessert worden sei, wieder hergestellt. An den von jenem verbesserten Stellen habe er kaum etwas tun müssen, so dass er dessen Verbesserungen fast alle in den Text aufgenommen, die eigenen sowie einige abweichende Lesarten unter die einzelnen Fragmente gesetzt habe. Dann habe er, obwohl die Übersetzung des hochgelehrten Mannes kaum zu tadeln gewesen sei, da doch jeder einmal etwas übersehe und sie an manchen Stellen, die nun im Griechischen verbessert worden seien, zu ändern oder neu zu schreiben gewesen wäre, es vorgezogen, allenfalls in einer eigenen Arbeit statt in einer fremden Fehler zu begehen, und Gesners Übersetzung unberührt weggelassen. Diese eilig als Ergänzung angefertigte Arbeit widme er ihm, Zwinger, als Zeugnis seiner Dankbarkeit und übergebe sie seinem Schutz.

Das erste der beiden Basler Exemplare, das gewiss seinerzeit vollständig mit den Tabulae von den Druckern der Bibliothek übergeben worden ist, trägt heute die Signatur B c IV 54 (Ex libris Academiae Basiliensis). Hierin folgt auf die Widmung Zwingers auf a 3 v° die Vorrede Canters, auf [a 4] r° ein zehnzeiliges lateinisches Epigramm Canters auf Lambinus und Zwinger, die besten interpretes des Aristoteles, v° ein Index der "Reden" des Stobaeus, denen die Pythagoreerfragmente entnommen seien, sowie auf Bl. b - [b 4] = S. 9-15 die Vorreden des Lambinus und Muretus von 1558 und Gedichte von Jean Dorat (Auratus) und Marc Antoine Muret, griechisch mit lateinischer Übersetzung des Venezianers Lazaro Mocenigo, an Lambinus. Im zweiten Exemplar B c IV 54a, das 1568, wie die Einprägung im Einband zeigt, einem VPH gehört hat, folgt das Epigramm Canters auf a 3 v° und erst auf Bl. [a 4] r° die Vorrede Canters, auf dessen Rückseite auch hier der Stobaeus-Index, während die folgenden Beigaben des andern Exemplars hier - von Anfang an - fehlen.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc IV 54 | Bc IV 54 Tab Folio | Bc IV 54a

Illustrationen

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Titelseite

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Vorrede vom Herausgeber Theodor Zwinger an Dionysius Lambinus, Basel den 1. Sept. 1566, 1. Seite

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Vorrede Zwinger, 2. Seite

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Vorrede Zwinger, 3. Seite

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Vorrede von Willem Canter zu seiner Übersetzung der Pythagoreerfragmente an Theodor Zwinger

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Epigramm von Canter auf Zwinger und Lambinus, "die besten Übersetzer des Aristoteles"

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Anfang der 'Ethica Nicomachea'

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Anfang der Pyathagoreerfragmente

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Kolophon