GG 132

Aristotelis Stagiritae Pepli fragmentum, sive Heroum Homericorum Epitaphia: Nunc primum autori suo restituta, Latine versa, & annotationibus illustrata, per Gulielmum Canterum. His adiecta sunt propter argumenti similitudinem, Ausonij Epitaphia Heroum, qui bello Troiano interfuerunt, aliquot locis ab eodem emendata. Basel: Thomas Guarin Juli 1566. 4°.

In einem kleinen Quartheft von gerade 35 keineswegs platzsparend gesetzten Seiten, davon 10 Seiten mit dem griechischen Peplos-Fragment und der Übersetzung Canters, 16 Seiten Annotationes dazu, 2 Seiten weiteren Grabepigrammen "des Aristoteles" und 7 Seiten lateinischen Grabgedichten des spätantiken Dichters, Lehrers der Grammatik und Rhetorik in seiner Heimatstadt Bordeaux und später Prinzenerziehers in der Hauptstadt Trier Decimus Magnus Ausonius (ca. 310-395), doch mit zwei Vorreden von insgesamt 8 Seiten gibt der junge niederländische Philologe Willem Canter aus Utrecht, der 1563/64 bis/und 1566 in Basel tätig ist, ein Fragment eines vermeintlich aristotelischen Werkes heraus, als Erstdruck und in Erstübersetzung. Auf zwei ihm freigebliebenen Seiten des letzten Bogens hat der Drucker mit kurzem Hinweis noch in eigener Sache "einige bisher nicht gedruckte Verse, die er auf alten Zetteln gefunden" habe, beigefügt, da er sie nicht länger verborgen sein lassen wolle. Der Peplos, von Hesych als erstem als Werk des Aristoteles aufgeführt, doch in der einzigen bekannten Handschrift fragmentarisch und anonym überliefert, eine Art mythologischen Handbuchs, das seinen Titel vom Peplos der Athene mit den Taten der Götter und Heroen erhalten hat, den die Athener ihr jeweils an den Panathenäen darbrachten, gilt heute, vor allem seit Theodor Bergk, als nicht von Aristoteles stammend. Diesem hat Canter als erster in der Neuzeit die Epigramme, die wohl zudem spätere Zitate sind, und die geringen Prosareste zuweisen wollen. Der grösste Teil dieser Grabepigramme geben sich als solche auf griechische Heroen des trojanischen Krieges. Im Januar 1566 ist bei Christoph Plantin in Antwerpen der Erstdruck der Erotischen Briefe des Aristainetos (5. Jh. n. Chr.) nach einer Handschrift aus der Bibliothek des ungarischen Humanisten Johannes Sambucus (Zsamboky) erschienen, in deren Widmung aus Wien vom 13. Juli 1565 Sambucus den Leser als Trost für die nur fragmentarische Erhaltung des Briefromans auf die Beigabe griechischer Epigramme hinweist, die denn auch im Titel mit angeführt sind (über die Entstehung dieses Druckes - Satz- und Druckdaten, Kopist und Setzer, Kosten und Auflagenhöhe sind wir dank dem Archiv des Druckers genauestens orientiert). Im Laufe des Jahres 1566 ist bei Henri Estienne in Genf eine Anthologia diaphorōn epigrammatōn palaiōn erschienen, in der dieser auf S. 497ff. den schon aus andern Ausgaben bekannten Epigrammen von ihm aus verschiedenen Drucken zusammengetragene und bisher noch nicht gedruckte beifügt, als erste unsere Heroenepitaphien: nach einer Handschrift der Mediceischen Bibliothek, die er sich einst in Florenz abgeschrieben habe; er weist auch auf diese Epigramme als Quelle des Ausonius hin. Ob die Handschrift des Sambucus wie die eigene des Stephanus ebenfalls eine Abschrift nach dem Laurentianus des 13. Jahrhunderts ist, ist unbekannt; sie scheint - nach dem Druck Plantins zu urteilen - von der Druckvorlage Estiennes leicht abgewichen zu sein. 

Canter hat seine Ausgabe mit Kommentar und Ergänzungen seinem ehemaligen Löwener Lehrer Cornelius Wouters (Valerius, 1512-1578) gewidmet (ohne Datums- und Ortsangabe). Wouters hatte 1538-1542 in Utrecht am Hieronymuskollegium Rhetorik gelehrt, hatte dann in Löwen u.a. als Erzieher gewirkt und war hier 1557 Professor für Latein am Collegium Trilingue als Nachfolger seines Freundes Petrus Nannius geworden. Alt sei die Klage vieler, beginnt der 24jährige seine Widmung, in der er recht selbstbewusst auf den Wert der antiken Autoren und der Philologie hinweist, dass es in dieser Zeit kein Mass und kein Ende des Schreibens und der Autoren gebe und dass viele aus einer verkehrten Sucht heraus, mit irgendetwas das Papier zu beschmieren, ihre und der andern Zeit schändlich vergeudeten und eifrig dieses wie anderes Unglück auf das schon genügend geplagte Jahrhundert häuften. Und man könne sich mit Recht fragen, ob mehr Schlechtes oder Gutes aus der Druckkunst, die den meisten so berühmt scheine, gekommen sei. Etwas richtiger sei die Meinung derer, die fänden, dass die alten Schriften den neuen bei weitem vorzuziehen seien und dass den antiken Autoren alles für jegliche Wissenschaft voll entnommen werden könne, und die bedauerten, dass durch die stets wachsende Menge neuerer Autoren das Alte, Bessere nicht beachtet werde. Deren Meinung verdiene zwar keinen scharfen Tadel, doch lasse sich kurz dazu sagen, dass denen, die die Schriften der Alten benützen wollten, meist zahllose Hindernisse entgegenträten. Seit endlich berühmte antike Werke aus dem Schmutz vieler Jahrhunderte ans Licht gebracht würden, erschienen einige labyrinthisch, wie sie wirklich stets gewesen seien, einige würden durch die Gleichgültigkeit der Drucker und Herausgeber verstümmelt und verderbt und fehlerhafter und schwieriger, als sie je gewesen seien. Daher müsse man denen, die sich um die Erklärung und Wiederherstellung der Schriften der Alten bemühten, vertrauen, dass sie nicht so sehr Neues vor- als Altes zurückbrächten und reinigten und diejenigen unter ihnen, die sich richtig verhielten, wie die Alten selber achten. Auch diejenigen, die zu den von den Alten her überlieferten Wissenschaften mit ihren Arbeiten einen gewissen Weg bahnten und die oft recht dunklen Erfindungen der Alten gekonnt und durch eine zweckmässigere Vermittlungsart (tradendi ratione) erhellten, dürften keineswegs verschmäht werden, da ja, wie nicht alles von allen erdacht und weitergegeben werden könne, nicht zu allen Zeiten die Lernenden die gleichen Anlagen besässen oder die gleiche Befähigung zur Aneignung der Überlieferung bestehe. Da habe er, Valerius, sich ganz besonders und geschickt wie kein zweiter um die Vermittlung der Logik, der Grundlage aller Wissenschaften bemüht, und er hoffe, dass er das auch für die Ethik und die Naturlehre leisten werde (als erstes war in Löwen 1560 seine Grammatik erschienen, schon im folgenden September 1566 erscheint im Verlag Oporins, gedruckt von Paul Queck, in Basel seine hier erhoffte Ethik, von der Schüler des Valerius auf dem Weg nach Italien Oporin eine Abschrift gebracht hätten, zusammen mit der schon einmal 1554 von ihm gedruckten Ethik des spanischen Philosophen Sebastián Fox Morcillo (und zum Auffüllen leerer Seiten Canters Übersetzung zweier Pythagoreerfragmente aus Stobaeus und Zwingers Ausgabe der Nikomachischen Ethik vom August des Jahres), die in der Zwischenzeit 1560 und 1561 bei dem aus Basel übergesiedelten Ludwig Lucius in Heidelberg erschienen war, 1567 erschienen bei Plantin in Antwerpen ein weiterer Druck der Ethik, seine etwa zwanzig Jahre zuvor für den Unterricht entstandene Dialektik und seine Physik, 1568 seine Rhetorik). Zur oben erwähnten Art gehöre auch die vorliegende kleine Arbeit, habe sozusagen weniger als neue denn als alte zu gelten, da sie einer über Jahrhunderte verschollenen Schrift eines berühmten Mannes gewissermassen zur Wiedergeburt verhelfe und sie leichter und angenehmer lesbar zu machen versuche (auf seine Quelle kommt Canter in der folgenden Vorrede an den Leser zu sprechen). Sein Grund zur Widmung sei, dass man nach Gott und den Eltern niemandem mehr schulde als seinem Lehrer in einer Wissenschaft (scientia aliqua liberalis): so er ihm und Johannes Auratus, die er als seine Lehrer erkenne (der Humanist und Dichter Jean Dorat, um 1508-1588, aus Limoges war seit 1540 in Paris als Lehrer und Erzieher tätig, 1556-1567 Professor für Griechisch am Collège Royal; Canter muss also nach 1556 auch am Collège Royal studiert haben). Ihnen wolle er jetzt danken; und wie er vor einigen Tagen Dorat die zweisprachige metrische Zusammenfassung der Orakel Lykophrons gesandt (d.h. gewidmet) habe (seine Lykophronausgabe mit dieser Epitome ist im Mai 1566 bei Oporin und Perna erschienen [GG 184] ), so wolle er jetzt diese Gedichte des Aristoteles, gleichsam von den Toten auferweckt, unter seinem Namen herausbringen und so seiner dankbar gedenken. Dies umso leichter, als wer für ein wissenschaftliches Geschenk ein gleichartiges zurückgebe wie einer, der als Dank für das Geschenk eines Baumes von dessen Früchten bringe, eine Wohltat auf passende Weise vergelte. Es möge es ihm als Vorgabe auf gewichtigere Arbeiten erleichtern, die Verzögerung der schon längst versprochenen neuen Ausgabe des Kommentars des Servius hinzunehmen (diese Ausgabe des Äneiskommentars scheint nicht mehr erschienen zu sein; Canter hat sich die letzten zehn Jahre seines kurzen Lebens allein noch mit griechischen Autoren befasst).

Auf die Widmung lässt Canter eine Vorrede an den Leser folgen, in der er näher auf die Entstehung seiner Ausgabe und auf das Werk sowie seine Zuschreibung eingeht, in der er denn auch sogleich erklärt, dass er zwei Dinge vorausbehandeln wolle: seine Erstzuschreibung an Aristoteles und seine übrige Arbeit am Werk. So seien kürzlich aus der Bibliothek des Rechtsgelehrten Sambucus (s. oben) und der Druckerei des feinsten belgischen Druckers Christophe Plantin (in Antwerpen) einige Grabinschriften griechischer Heroen unter folgendem Titel erschienen: Wo ein jeder Grieche begraben und was auf seinen Grabstein geschrieben sei, ohne weitere Beifügung eines Autorennamens. Diese Epigramme seien für ihn mit grösster Gewissheit ein Fragment eines bestimmten Buches des Aristoteles, und das werde er beweisen. Der Homererklärer oder vielmehr Vollender der Homererklärung Eustathius (seine Homerkommentare waren 1550 in Rom, 1559/60 in Basel erschienen [GG 175]) bezeuge in seiner Behandlung des Verses über Böotien und Aias und seine Schiffe, Porphyrius schreibe, dass Aristoteles unter andern einen Kommentar namens Peplos herausgegeben habe, in dem er das Herkommen der homerischen Fürsten und die Zahl ihrer Schiffe verzeichnet und auf sie einfache Epigramme verfasst und so - was Eustathius anderswo sage - aus einem kurzen Gewebe ein vielfältiges Gewand (peplum) der homerischen Dichtung geschaffen habe. Aus diesem Peplos seien allein diese Epigramme erhalten geblieben, und er meine, dass sie durch Porphyrius, der laut Eustathius in seinem Kommentar das selbe behandelt habe, überliefert und aus dessen Büchern, nachdem nun auch diese untergegangen seien, zuvor abgeschrieben worden seien. Das sicherste Zeugnis: Porphyrius habe geschrieben, die einzelnen Epigramme des Aristoteles bestünden aus zwei Versen, ausser dem auf Aias, und eben dieses zitiere Eustathius vollständig aus Porphyrius. Und das erkenne man in diesem Werk deutlich, ausser dass das Epigramm auf Aias, da es sich ja in den Büchern griechischer Epigramme finde, in der vorangehenden Ausgabe (Antwerpen) weggelassen worden sei (Canter bringt dieses - als einziges nicht nur vierzeilige, sondern durch seinen dorischen Dialekt auch sprachlich abweichende - Epigramm als sechstes, während es bei Stephanus, wie überliefert, als siebentes abgedruckt ist). Das könne er, da er die Handschrift eine Weile vor dem Druck kopiert und als erster bemerkt habe, dass dieses Epigramm schon lange gedruckt vorliege, leicht bezeugen. Ausserdem bringe Eustathius so, wie er dieses Epigramm auf Aias alt nenne, beide auf Nestor, woraus er einige Wörter zitiere, unter der selben Bezeichnung. Und es dürfe auch nicht verwirren, dass am Schluss einige Gedichte beigefügt seien, die nicht von Aristoteles zu sein schienen; denn in solchen Dingen würde oft Verwandtes, wenn nirgends ein Autor genannt sei, gewissermassen zu einem Klumpen aufgehäuft. Er aber habe, was sich nicht auf die homerischen Fürsten beziehe, wie man sehen werde, abgetrennt (diese Epitaphien folgen im Basler Druck erst nach Canters Kommentar zu den 32 von ihm als zum Peplos gehörig anerkannten), und dem Peplos seine Gedichte zugewiesen. Als er durch die obigen Kennzeichen das Werk als das eines so edlen Autors erkannt habe, habe er es für wichtig gehalten, es ins Lateinische und möglichst angemessen in römische Verse (ebenfalls Distichen) zu übersetzen, damit nicht, während seine übrigen Schriften so gewissenhafte und gelehrte Übersetzer gefunden hätten, dieses eine Fragment wie ein Bastard den lateinischen Ohren unbekannt bleibe. Und da Aristoteles in seinen Peplos nicht nur einige Gedichte eingefügt, sondern auch die Genealogien der homerischen Fürsten dargestellt habe und hiervon keine Spur mehr vorhanden sei, habe er geglaubt, das Verlangen hiernach irgendwie stillen und den von ihm sorgfältig wie alles behandelten Stoff irgendwie gewissenhaft und aufmerksam wiedergeben zu können. Daher habe er der Übersetzung Annotationes folgen lassen, in denen er kurz aus Apollodor und Eustathius die Vorfahren der einzelnen Helden durchgegangen sei, und habe sich nicht gescheut, Zeit für eine sorgfältige Bearbeitung von etwas aufzuwenden, das der grosse Philosoph seiner nicht für unwürdig erachtet habe, da die Aufzählung der einzelnen Vorfahren nicht wenig zum Verständnis der Dichter beitrage. Das habe ihn auch einst bewogen, den Stammbaum der Götter und berühmter Männer aus Apollodors Bibliotheke auf einer Tafel zusammenzufassen, die, kürzlich irgendwo unter dem Namen des Druckers herausgegeben, einst wohl reicher erscheinen könne (die erste griechische Ausgabe war mit der ersten Übersetzung zweisprachig 1555 in Rom erschienen; es folgten zwei Drucke allein der Übersetzung Benedetto Egios in Antwerpen: 1565 bei Guillaume Sylvius und ohne Datum bei Jean Bellère; da die Ausgabe von Sylvius mit Privileg auf sechs Jahre erschienen ist, die von Bellère die Vorrede des Sylvius, nur ohne dessen Namen, ebenfalls enthält, dürfte diese undatierte in der selben Stadt erst nach Ablauf des Privilegs erschienen, somit die des Sylvius von 1565 von Canter gemeint sein - seine Tabula enthalten beide Drucke). Und während Homer ihm zur Erklärung dieser Epitaphien oft nichts beigetragen habe, fährt Canter fort, habe ihm Lykophron, den er während dieser Arbeit herausgegeben habe, geholfen, und sich als recht reichhaltige und zuverlässige nachhomerische Quelle erwiesen. Daher meine er, aus Homer, der Namen und Schiffe der Fürsten Böotiens und auch den Tod vor allem einiger im Kriege Gefallener überliefere, Lykophron, der die Schicksale der Heimkehrer und der in fremde Länder Verschlagener erzähle, und Aristoteles, der Grabgedichte auf die Toten verfasst habe, eine vollständige Geschichte der homerischen Heroen zusammenstellen zu können. Deshalb habe er nach der Aufzählung ihrer Vorfahren zu jedem Sterbeort und -art aus Homer oder der Kassandra (d.h. Lykophron) beigefügt und was allenfalls sonst zur Erklärung eines Epitaphs habe beitragen können. Und da er alle homerischen Helden habe kommentieren wollen, habe er nicht die aristotelische Reihenfolge beibehalten, sondern die homerische vorgezogen, zumal kein grosser Unterschied bestehe. Worauf Canter sich - verständlich - für die lange Vorrede zu einem kurzen Werklein entschuldigt.

D B VI 12 Nr. 17

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: DB VI 12:17

Illustrationen

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Titelseite

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Vorrede vom Herausgeber Willem Canter an Cornelius Wouters (Valerius), ohne Datum, 1. Seite

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Vorrede, 2. und 3. Seite

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Vorrede, 4. und 5. Seite

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Vorrede, 6. und 7. Seite

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Vorrede, 8. Seite; Distichon auf die Herkunft des Aristoteles

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Anfang des 'Peplos' mit der lateinischen Übersetzung Canters (re)

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Kolophon (li); Druckermarke von Michael Isingrin (re)