GG 156

Themistii Euphradae Philosophi Peripatetici Orationes octo elegantissimae, ac eruditione varia refertissimae. A Hieronymo Donzellino Philosopho ac Medico Brixiano, in Latinam linguam e Graeca nunc primum versae, & planissimis argumentis illustratae. Basel: Peter Perna 1559. 8°.

1534 war bei Aldus Manutius in Venedig der erste griechische Druck der Werke des einflussreichen Sophisten Themistios - seiner Eloquenz wegen Euphrades benannt - aus dem Konstantinopel des 4. Jahrhunderts (um 317-388), wo er als Senator, Prinzenerzieher und Leiter einer Rhetorenschule wirkte, erschienen, acht seiner seither vierzehn bekannten Fest- und Gesandtschaftsreden und seine Aristoteleskommentare umfassend. Der nächste griechische Druck der Reden erschien erst 1562, in Genf bei Henri Estienne, illustris viri Huldrichi Fuggeri typographus: er enthält nun sämtliche heute bekannten 14 Reden. Während anderseits die peripatetischen Kommentare des Themistius in einer Übersetzung des Hermolaus Barbarus bis zum Erscheinen unseres Druckes seit 1481 schon mindestens weitere zehn Mal erschienen sind, darunter 1530 bei Heinrich Petri, 1533 bei Johannes Walder, 1545 bei Hieronymus Curio in Basel, liegt von den Reden hier die erste Übersetzung zum ersten Mal vor. Auch der Brescianer Arzt, Epidemiograph und Philosoph Girolamo Donzellino degli Orzi Nuovi, später in Venedig tätig, hat seine Übersetzung Huldrich Fugger gewidmet, den er von einem Besuch in Augsburg her kennt. In dieser 34seitigen undatierten Widmung bekommen wir, nach einer allgemeinen Geschichte der "Weisheit" (sapientia - stets dieser Begriff, nicht philosophia), der Philosophie, eine kurze Geschichte der Griechischstudien und des Humanismus in Europa seit dem Fall Konstantinopels mit besonderem Lob der Medici vorgetragen, die Bemühungen eines Übersetzers, den Text kennenzulernen, und finden - ein buchgeschichtlich seltener Fall - durch eine Bemerkung gegen Schluss (Bl. 7 r°) belegt, dass dem Autor bei der Niederschrift seiner Widmung schon der Druck des Textes vorgelegen hat. Der Fehler - die Bezeichnung Donzellinis als Übersetzer statt als Autor der Argumenta - ist, wenigstens für die erste und zweite Rede, noch in die Errataliste aufgenommen und im Titel des offenbar beim Satz und Druck des Textes vergessenen und am Schluss des Vorspanns nachgeholten Argumentum zur letzten Rede korrigiert worden (die Titelseite, auf der sich ebenfalls die richtige Angabe findet, ist erst mit der Widmung zusammen gedruckt worden). Schliesslich erfahren wir aber auch - in einem Lobpreis auf dessen Bildung und Bibliothek - den Grund der für einen Arzt in Brescia immerhin nicht so naheliegenden Widmung an einen Fugger, und damit wohl auch den Grund des Drucks in Basel und nicht in Venedig: sie geht letztlich auf einen Besuch in Augsburg zurück (der Cornelio Donzellini aus Brescia, von dem 1551 und nochmals 1561 ein Griechischlehrbuch bei Oporin in Basel erschienen ist (GG 50), wird bisher in der Literatur teils mit Girolamo - Doppelvorname - gleichgesetzt, teils unterschieden; dieses zweite dürfte zutreffen). 

Die von Gott den Menschen als Geschenk gebotene Weisheit, beginnt Donzellini, bezeugten nicht nur die göttlichen Orakel, sondern auch die höher geachteten unter den alten Weisen hätten sie in ihren Schriftwerken überliefert. Heraklit habe sie für in einem tiefen Brunnen verborgen gehalten, und das selbe habe das Altertum mit der Geschichte von Prometheus gemeint. Und Adam habe die ursprüngliche, von Gott erhaltene Weisheit über Gott, die Engel, die Dämonen, das doppelte Wesen des Menschen, die Gestirne, Elemente, Pflanzen und Tiere, die gesamte Natur, und die Entstehung der Dinge seinen Nachkommen mitgeteilt. So sei sie auf Noa, den Janus der Alten, gekommen. Anhand der Genesis verfolgt Donzellini ihren Weg der Entfernung von der Wahrheit über die Magier der Chaldäer zu den Hebräern, durch Joseph zu den Ägyptern, von diesen zu den Griechen. Diese hätten die Überlieferung durch ihren Verstand und ihre Redegabe aus ihrer Naturbetrachtung heraus erweitert und völlig umgewandelt. Sie sollten ja auch von Noas Sohn Iapetos abstammen. Doch diese ersten Kenntnisse seien wohl durch die Dürftigkeit des frühen Griechenlands untergegangen. Kadmos habe die griechische Schrift aus Phönizien nach Griechenland gebracht und laut Josephus hätten die Phönizier die griechische Sprache erfunden. Aus dem selben Phönizien solle Linus die Gelehrsamkeit nach Griechenland gebracht haben. Sein Schüler Orpheus habe griechisch geschrieben und die Griechen vieles gelehrt; ihm sei sein Sohn Musaeus gefolgt. Atlas solle die Gestirn- und Himmelslehre aus dem Ägypten benachbarten Libyen nach Griechenland gebracht haben. Homer habe seinem Volk dann die göttliche und menschliche Philosophie (hier der Begriff philosophia) beigebracht, dann Hesiod, die "Sybillinischen Orakel", die schon gedruckt vorlägen und die auch Laktanz zitiere. Phokylides habe sie vor dem Untergang gerettet und gesammelt. Dass Homer seine Weisheit in Ägypten erworben habe, schreibe Diodor. In der Folge ergeht sich Donzellini breit über die Theologie Homers und deren Deutung durch Aristoteles und kommt auf die sechs griechischen Philosophenschulen nach diesem zu sprechen, von denen drei Bestand gehabt hätten. Es folgt eine Geschichte der Philosophie, in der neben Aristoteles sowohl Thales wie Plato und Xenophon, Philo neben Hermes Trismegistos, der Ägypter Theut und der Pythagoreer Numenios wie die christliche Theologie und Augustin zu Worte kommen. Es folgt eine Geschichte der griechischen Literatur mit ihren Rednern und Historikern, der Übergang der Weisheit, wie aus Ägypten nach Griechenland, so nun von den Griechen an die Römer und deren Niedergang nach der Blüte unter Augustus bis zum Ende durch Attila, Totila, die Hunnen, Vandalen und Gothen. Doch wie der griechische Geist auch nach der Zerstörung des Landes nie ganz untergegangen sei, so auch der der Römer nicht in der Kaiserzeit, und auf Plinius und Seneca seien schliesslich die griechischen und lateinischen Theologen gefolgt, deren bedeutendste Donzellini aufzählt, dann Albertus magnus, Thomas von Aquin, Lorenzo Valla, Leonardo Aretino, Acciaiolo, Philelpho und zahlreiche andere. Um diese Zeit habe die Othmannische Raserei begonnen, das konstantinopolitanische Reich stärker zu bedrängen und schliesslich hätten die Türken die Stadt eingenommen und Griechenland unterworfen, und der Tyrann dulde kein Recht und keine Wissenschaften. So liege das einst blühende und glückliche Volk und Land wie ein halbbegrabener abgestorbener Leichnam am Boden. Und nur ein gänzlich inhumaner Mensch (omnis penitus humanitatis expers) könne ohne Tränen daran denken, dass das einst weltbeherrschende Volk, das die andern so verachtet habe, dass es sie sämtlich barbarisch genannt habe, jetzt in solches Unglück gestürzt sei, dass es dem barbarischsten aller Menschen dienen müsse. Ein Beispiel eines Umschwungs (catastrophe ac commutatio), wie sie sich keiner habe vorstellen können. Seit dieser Zeit sei die restliche griechische Weisheit ins Exil gezwungen. Sie sei nach Italien ausgewandert und habe dort zuvorkommende Gastfreundschaft gefunden, und als Gäste der Päpste, des hehren Rats Venedigs, der Medici und anderer Fürsten Italiens seien sie nach Rom, Venedig, Florenz und Mailand gekommen, die gelehrten und vornehmen Männer, die nie vergessen würden: Emanuel Chrysoloras, Bessarion, Georgius Trapezuntius, Theodorus Gaza, Argyropylus, Marullus Tarchaniota, Demetrius Calchondyles, Marcus Musurus, Ioannes Lascares. Die berühmte Familie der Medici, die, durch den Handel reich geworden, auch durch Verstand und Tapferkeit ausgezeichnet, durch ihre Verdienste allgemein beliebt die Republik beherrscht habe, habe dank ihren Mitteln und in ihrer Liebe zu den Wissenschaften jene Exulanten weit grosszügiger und ehrenhafter aufgenommen und mit Ehrengeschenken geehrt als das übrige Italien, ganz besonders der Medicäer Leo X. in Rom. Lorenzo Medici habe sich damals um den Aufbau seiner Bibliothek bemüht und, da Laskaris, aus der kaiserlichen Familie und hochgebildet, bei ihm geweilt habe, durch dessen Bemühungen vom damaligen türkischen König Baiazeth den vollständigen Schatz der besten Bücher erhalten können (Janos Laskaris). Auf einer Gesandtschaft nach Griechenland habe dieser alles durchforscht und, was es wert gewesen sei, nach Italien gebracht, womit jene reiche Bibliothek in Florenz eingerichtet worden sei. Da nun in Italien genügend griechische Schriftdenkmäler und auch Lehrer gewesen seien, die jene erklärt hätten, hätten durch das Verdienst der Medici die Italiener die griechische Sprache gelernt und mit ihr habe auch die lateinische Sprache ihren alten Glanz wieder zu gewinnen begonnen, da die Lateiner, die die Griechen ihrerseits im Latein unterrichtet hätten, gezwungen gewesen seien, sich in ihr zu üben. Nicht wenig hätten dazu die ununterbrochenen Bemühungen aller Griechen und Lateiner beigetragen, die griechischen Schriften zu übersetzen. So seien in Italien mit der Sprachkunde alle Künste und Wissenschaften, schliesslich die gesamte Enzyklopädie wiederaufgelebt, eine in vieler Hinsicht höchst glückliche Zeit. Nicht nur habe sie die Bücher und Lehren aus Griechenland nach Italien gebracht, sondern auch in Italien hervorragende Männer hervorgebracht, die jene fremde Bildung leicht eingesogen und begeistert in sich aufgenommen hätten, unter ihnen Leonardus Aretinus, Philelphus, Laurentius Valla, Blondus, Pogius, Platina, Varinus Phavorinus, Angelus Politianus, Donatus Acciaiolus, Nicolaus Perotus, Leo Baptista Albertus, Hermolaus Barbarus, die beiden Fürsten Mirandulani, Marsilius Ficinus, Iovianus Pontanus, Sabellicus, Georgius Valla, Beroaldus, Petrus Crinitus, Marcellus Virgilius. Durch die Bücher und Lehrer und diese lernbegierigen Männer sei in Italien in Kürze ein gewaltiges Licht der Weisheit entzündet worden und bald seien Caelius Rodiginus und Caelius Calcagninus, Volaterranus, Bembus, Contarenus, Sadoletus, Frascatorius, Foelicianus, Hieronymus Donatus, Longolius, Leonicenus, Achillinus, Pomponatius, Naugerius, Leonicus, Thomeus, Niphus, Alcyonius, Polidorus Virgilius, Trissinus Vida, Amaseus, Alciatus, Flaminius, Iovius, Augustinus Stenchus und andere gefolgt (die Wertung des Fast-Zeitgenossen ist nicht immer mit der der Nachwelt identisch); die noch Lebenden brauche er nicht zu nennen. In alle Zeiten müsse man dafür der grossartigen Familie der Medici danken, die damit der Einrichtung der Ptolemäer gefolgt sei. Von Italien aus hätten sich, zusammen mit der Sprachkenntnis, Wissenschaft und Weisheit über Spanien, Frankreich und Deutschland und fast ganz Europa hin ausgebreitet. Und da durch göttliche Vorsehung um diese Zeit die Typographie erfunden und ausgebildet worden sei, sei es unglaublich, in wie kurzer Zeit der erwünschte Fortschritt erfolgt sei. Nun könne die Gegenwart dank den seither nicht mehr unterbrochenen Studien den gelehrtesten Zeiten gleichgestellt werden, so dass, was einst Polizian in seiner Strenge zu Griechen wenig freundlich gegenüber Italien gesagt habe, dass das grosse Italien von Griechenland abhänge, jetzt für ganz Europa gelte. Spanien habe dann Ludovicus Vives hervorgebracht, der allein mit seiner Bildung die seinem Volk aufgedruckte Marke der Unwissenheit abgewaschen habe, Frankreich Budaeus, Faber (Stapulensis), Fernellius, Castalio (Castellio), Britannien Thomas Morus, Linacer, Roffensis (John Fisher, Bischof von Rochester, Freund des Erasmus), Reginaldus Polus. Doch keines der auswärtigen Länder habe mehr hervorragende Sprachkundige und Gelehrte gehabt als Deutschland: zuerst Cornelius Agrippa, Reuchlin, Rudolph Agricola, Ruellius (allerdings ein Franzose, aber auch in Basel gedruckt: Jean Ruelle), Erasmus, dann Philipp Melanchthon, Joachim Camerarius, Conrad Gesner, Johannes Cornarius, Johannes Sturm, Hieronymus Vulfius (Wolf) und andere, von denen die Letztgenannten nicht weniger griechisch schreiben und sprechen könnten als lateinisch (Wolf dürfte er in Augsburg kennengelernt haben), was die von ihnen herausgegebenen Kommentare zeigten. Bei der Betrachtung der Studienart aller dieser zeitgenössischen Weisen habe er ein allen gemeinsames Vorgehen entdeckt: da sie gesehen hätten, dass die Griechen ihnen jeglichen Ruhm der Erfindung genommen, nicht nur alle Künste und Wissenschaften erfunden, sondern sie auch dargestellt und kommentiert hätten, und, sie sie den Lateinern nicht besser darbieten könnten als die Griechen es schon getan hätten, da hätten sie sich fleissig in dem geübt, was für deren Vermittlung noch übrig geblieben sei, woraus ein doppelter Nutzen entstanden sei: sie hätten die lateinische Sprache ausgebildet und aus jener pedantischen Barbarei zu ihrem Glanz zurückgeführt und dann nicht nur die griechischen Historiker, Dichter und Redner, bei denen sich viel Nützliches für die Staatsführung finde, sondern auch die Schätze der Wissenschaften und die heiligen Bücher der Theologen und das reinere Verständnis des Wortes Gottes, seine Deutung und seinen Sinn nahegebracht, was in diesem Leben glücklich machen könne. Und da es immer ruhmvoll gewesen sei, kluge und weise Männer nachzuahmen, habe er ihr Beispiel befolgt und vor drei Jahren die an Gelehrsamkeit reichen Reden des peripatetischen Philosophen Themistius ins Lateinische übersetzt. Da sie trotz ihres Inhalts noch von niemand übersetzt worden seien, habe er sie nicht länger den des Griechischen nicht Kundigen vorenthalten wollen. Mehr als einmal habe ihn die Verderbtheit seiner Vorlage (es muss die Aldina gewesen sein) abgeschreckt; und wenn nicht seine Freunde ihn ermuntert hätten, hätte er sein Vorhaben aufgegeben. Und damit man nicht irgendeine Sorgfalt vermissen könne, habe er sämtliche alten verborgenen Bibliotheken Venedigs durchforscht und nach Handschriften einige Stellen verbessert; doch vieles sei in ihnen ebenso verderbt gewesen wie in den Drucken, so dass es zum Herausfinden des wahren Sinnes eines Delischen Schwimmers bedurft hätte. Nichtsdestoweniger habe er aus den vorangehenden und nachfolgenden Texten einen passenden Sinn herausgebracht. Eine Stelle, wo einige Wörter fehlten, und dies auch in den Handschriften, habe er unvollständig lassen müssen. Wenn seine Übersetzung irgendwo vom Wortlaut des Themistius abzuweichen scheine (d.h. von der den Lesern bis dahin einzig bekannten Lesart der Aldina), solle man, wo man solches bemerke, ihm nicht Unüberlegtheit oder Unwissenheit vorwerfen: vielmehr habe er diese Stellen nach alten Handschriften, die er mit grösster Anstrengung zu Rate gezogen habe, verbessert, um den Sinn des Autors rein wiederzugeben. Um den Leser in die Lektüre einzuführen, habe er den Reden Zusammenfassungen vorangestellt. Da der Drucker nicht sicher gewesen sei, ob sie von ihm übersetzt oder verfasst seien, habe er das Falsche vermutet und ihn in deren Titeln irrtümlich nicht als Verfasser, sondern als Übersetzer bezeichnet (z. B. auf S. 1, 56: viele Texte waren mit solchen Argumenta überliefert, so dass Perna das selbe auch hier vermuten konnte; bei der Niederschrift der Widmung muss somit Donzellini schon der fertig gedruckte Text vorgelegen haben). Im folgenden datiert Donzellini Themistius in die Zeit der Kaiser Valens, Julian und Theodosius und zeigt, wie er Antiarianer gegen den Arianer Valens in Schutz genommen habe, dass er somit dem wahren christlichen Glauben zumindest nicht ferngestanden sei, und führt dafür auch eine Stelle in der fünften Rede an, wo er unter der Bezeichnung als assyrisches Orakel einen Psalm Davids zitiere, so dass er die heilige Schrift zumindest gelesen habe. Dass er ein hervorragender Philosoph gewesen sei, bezeugten sowohl seine Paraphrasen (Kommentare) zu einigen Büchern des Aristoteles, die schon im Druck erschienen seien (griechisch in der Aldina, lateinisch mehrmals seit 1481: s. oben) als auch ausgiebig die vorliegenden acht Reden. Er sei vor allem Aristoteliker gewesen, aber auch Plato sei ihm vertraut gewesen. Themistius solle noch sechs weitere Reden geschrieben haben, die, noch unveröffentlicht, in der Bibliothek des Spaniers Diego Hurtado liegen sollten. Als er in Venedig gewesen sei, habe er zum Steineerweichen um sie gebeten. Er habe sie mit den vorliegenden zusammen veröffentlichen wollen. Aber sie seien mit solchen Skrupeln behütet worden, dass er sie nicht einmal ein einziges Mal habe sehen können. Aber er werde nicht nachlassen, bis er sie irgendwie erhalte, und dann wolle er sie alle griechisch und lateinisch zusammen oder getrennt herausgeben (die 14 Reden erschienen dann, nur drei Jahre nach unserm Druck, in Genf). Keiner der Gelehrten, die sich bisher hiermit beschäftigt hätten, habe, nach seinem Urteil, nicht irgendwo phantasiert. Wenn er deshalb viele Gelehrte seine Übersetzung habe beurteilen lassen und auf deren Hinweis hin manche Stelle geändert habe, meine er dennoch nicht, eine Ausnahme zu bilden. Gewiss gebe es von ihm nichtverstandene oder wenig glücklich übersetzte Stellen. Wenn ihn jemand freundschaftlich darauf hinweise, werde er ihm danken und sie verbessern. Fehler aus blosser Nachlässigkeit oder Sorglosigkeit gebe es keine. Gewiss werde es Kritiker seiner Arbeit geben: es sei leichtfertig gewesen, einen Autor übersetzen zu wollen, dessen Beredsamkeit lateinisch kaum zu erreichen sei. Er wisse um seine Dürftigkeit und sei nicht so unklug zu meinen, er vermöge es auf lateinisch dem beredten Philosophen und Redner Themistius gleichtun. Aber er glaube nicht, deswegen getadelt werden zu müssen, ausser man wolle ihn mit hochverdienten Männern zusammen anklagen. Denn von denen, die Plato, Aristoteles, Theophrast, Demosthenes, Basilius, Chrysostomus, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz, Isokrates, Thukydides, Herodot und weitere beredte Autoren auf lateinisch übersetzt hätten, habe wohl keiner gemeint, deren Sprachgewalt erreicht zu haben. Gleich wie diese sollte man auch ihn entschuldigen. Beim Übersetzen dieser Schriften geschehe das selbe wie beim Umgiessen von Wein aus einem Gefäss in ein anderes: er verliere oft seine Kraft und seine Lieblichkeit. Wenn Cicero, der Vater der lateinischen Redekunst, bei der Übersetzung des Timaeus Platos dessen Grossartigkeit nicht habe erreichen können, wer werde denn so kühn sein, das zu versprechen zu wagen? Der Leser möge mit der lateinischen Sprache zufrieden sein, wenn sie den Inhalt richtig und rein wiedergebe, auch wenn er die Spässe und Lichter in seiner Übersetzung nicht finde, die Themistius griechisch angewandt habe. Da es um philosophische, nicht um politische Reden gehe, müsse er sich wohl mehr um den Inhalt (sententiae) als um die sprachliche Eleganz kümmern. Schliesslich habe er, wenn auch nun alle, die sich mit höherer Literatur befassten, diese Reden griechisch lesen könnten, für die wenigen, denen dieses Glück nicht zuteil werde, sich diese Nachtarbeit vorgenommen. Ihnen teile er sie gerne mit und wünsche nur, dass sie diese Hilfe dankbar annähmen, und bei der traditionellen Suche nach einem Patron habe er ihn gewählt wegen des Glanzes, den er seinem Buch überall verleihe. In ganz Europa sei der Name seines Geschlechts bekannt. Doch mehr noch sei seine Geisteskraft rühmenswert und der gerechte Gebrauch seines Reichtums: seine Sorge für die Armen und Unglücklichen durch Armenhäuser, Waisenhäuser, Altersheime und Krankenhäuser, die, von seinen Vorfahren errichtet, von ihm unterhalten würden. Aber es gebe auch keine berühmte Universität in Italien, Frankreich oder Deutschland, an der nicht einige begabte Jünglinge dank seiner Freigebigkeit (d.h. mit Fuggerschen Stipendien) studierten. Nach einem allgemeinen Lob der fürstengleichen Fugger kommt Donzellini auf Huldrich Fuggers Studien an allen berühmten Universitäten Deutschlands, Italiens und Frankreichs zu sprechen. Er sei nicht mit der Sprachenkenntnis und dem Verständnis der literae humaniores sowie der Dichtung und Rhetorik zufrieden gewesen (d.h. mit den Studien an der Artistenfakultät, die der Bildung der höheren, nicht in bürgerlichen Berufen tätigen Kreise diente - sonst als Vorstudium), sondern er habe auch Kirchenrecht und Philosophie studiert, um als Rechtsgelehrter und Philosoph auch dem Staat dienen zu können. Und um die mit grossem Aufwand im Ausland erworbene Bildung ständig zu erweitern, habe er sich vor Zeiten mit grössten Kosten eine reiche Bibliothek zusammengebracht, die er ebenso tagtäglich um beste Bücher vermehre, und seine Urteilsschärfe dabei habe er bewundert: er folge nicht der allgemeinen Gewohnheit vieler, sofort, was die in der Buchproduktion fruchtbare Gegenwart hervorbringe, in sie einzubringen, sondern er wähle aus und halte nur die besseren und ihm voraussichtlich nützlichen Bücher für seiner Bibliothek würdig. Meistens lese, wer alle haben wolle, keine, obwohl auch die Beurteilungen anderer nicht gänzlich abzulehnen seien. Zum öffentlichen Nutzen nämlich wünschten diese, dass alles erhalten bleibe, nach dem Urteil des Plinius, dass kein Buch so schlecht sei, dass es nicht auch Gutes enthalte. Im übrigen liesse sich, wenn nicht alle vorhanden seien, nicht leicht feststellen, welche gut und welche schlecht seien. Das sei gewiss das Vorhaben seines grossherzigen Bruders Johann Jacob Fugger gewesen, dass er eine gewaltige Geldsumme für seine umfassende Bibliothek ausgebe und schon viele Jahre sich eifrigst bemühe, Bücher jeder Art in ihr zu versammeln, und sich dadurch als höchst würdig erweise, in Dankbarkeit nie vergessen zu werden. Er aber, der er nicht nur nützlichste Bücher vor der Unbill der Zeiten zu retten suche (Handschriften!), sondern sie auch zum eigenen Nutzen erwerbe, habe klug entschieden, nicht jene Unermesslichkeit anzustreben, sondern die besten auszuwählen, zumal das menschliche Leben nicht ohne grossen Schaden für die Gesundheit für die gründliche Lektüre so vieler Bücher eingerichtet sei, wie es sich beim Fürsten Giovanni von Mirandola gezeigt habe, der, da er jedes hebräische, griechische und lateinische Buch habe gelesen haben wollen, seinen kräftigen Körper so geschwächt habe, dass er im Alter von noch nicht 33 Jahren vorzeitig seiner Mitwelt zum grossen Schaden der Wissenschaften entrissen worden sei (Februar 1463 - Januar 1494). Schliesslich vergleicht Donzellini die Familie der Fugger mit den Medici: ihren grosszügigen Einsatz für die Wissenschaften, für die Gelehrten, den Erwerb der besten gelehrten Werke für ihre Bibliotheken, so dass die Welt nichts Berühmtes besitze, weder gedruckt noch handschriftlich, das sich nicht in den Bibliotheken der Fugger finde. Und wie Gott den wissenschaftlichen Bemühungen der Medici Erfolg verliehen habe und ihr Name durch die Schriften der Gelehrten in alle Zeiten gerühmt werden werde, so, sehe er voraus, werde es auch ihnen zuteil werden. Er erinnere sich, wie er ihm einst gesagt habe, dass ihm keine Schätze lieber seien als Bücher. Ein Wort, das eines Weisen würdig sei! Damit habe er gezeigt, wer ihm näher stehe: Plato, der Dionys von Syrakus stets um Bücher, oder Aristipp, der ihn stets um Geld gebeten habe. Darum überreiche er ihm hiermit ein Buch. Seine ungewöhnliche Freundlichkeit und Grosszügigkeit (humanitas & liberalitas) ihm gegenüber, die er bei seinem Aufenthalt in Augsburg bei ihm kennengelernt habe, hafte so in seiner Erinnerung und werde immer haften bleiben, dass er ihm ein Zeichen seines Dankes bieten müsse. Schliesslich meine er, sich in diesem Jahrhundert, in dem man sich wie in keinem andern an jene von Plutarch getadelte Lehre des Unbekanntbleibenwollens im Leben halten müsse, vor der Schar der Neider durch den Namen eines angesehenen Mannes schützen zu können.

Der Humanist Ulrich Fugger (1526-1584), ein jüngerer Bruder des berühmteren Kaufmanns und Bibliophilen Johann Jacob Fugger, war ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt gewesen, war längere Zeit in päpstlichen Diensten in Rom, ging dann als einziger männlicher Spross seiner Familie zur Reformation über, lebte in Augsburg bis zu seiner Flucht vor Verfolgungen durch seine Familie nach Heidelberg. Er plante ein calvinistisches Kollegium in Genf und finanzierte dort auch zahlreiche griechische Drucke des Henri Estienne, der sich deshalb in diesen als illustris viri Huldrichi Fuggeri typographus bezeichnete, so auch in seinem Themistiusdruck von 1562. Seine Bibliothek, berühmt vor allem für ihre griechischen und hebräischen Handschriften, hat er der Universität Heidelberg vermacht; so ist sie in die Palatina gelangt. Pietro Perna aus Lucca, unser Drucker, weilte seit 1542 in Basel, wo er sich sogleich an der Universität immatrikuliert hat, war zunächst als Vermittler von Handschriften aus Italien und Buchhändler tätig und druckte selbständig seit 1558, in diesem ersten Jahr ausschliesslich Werke von Landsleuten; diesen Verbindungen dürften wir auch unsern Druck des zweiten Jahres seiner Druckertätigkeit zu verdanken haben - und er wiederum könnte denjenigen Estiennes veranlasst haben.

Neuerwerbung von 1957: B c VII 676

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VII 676

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Anfang der 34-seitigen Widmung von Girolamo Donzellino an Huldrich Fugger (re), undatiert

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Vorrede zur Oratio prima (re)

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