GG 185
Theognidis Megarensis Sententiae Elegiacae, olim quidem a doctissimo Philosopho D. Iacobo Scheggio Schorndorffense latino carmine expressae, nuncque primum in lucem editae. Adiecimus easdem Graece, cum interpretatione latina ad verbum e regione posita, in eorum gratiam qui vix ultra graecae linguae rudimenta sunt progressi: una cum Scholijs, quibus & difficiliora aliquot explicantur loca, & depravata hactenus castigantur, Elia Vineto Santone autore... Basel: Johannes Oporin 1550. 8°.
Nachdem die sog. Theognideen, die unter dem Namen des Dichters Theognis aus Megara aus dem 6. Jahrhundert vor Christus überlieferten eigenen und später hinzugekommenen etwa 700 moralischen Distiche 1495 bei Aldus Manutius in Venedig im Anhang an eine Ausgabe des Theokrit, 1512 in Paris und 1521 bei Froben in Basel in einer Gnomikersammlung (GG 35), 1537 und 1543 einzeln in Paris griechisch erschienen waren, erscheinen hier die erste griechische Ausgabe und die erste Übersetzung im deutschen Sprachgebiet: voraus eine ältere, aber hier zum erstenmal gedruckte metrische lateinische Übersetzung, ebenfalls in Distichen, aus der Feder des Tübinger Dozenten der Philosophie seit 1529, Professors der Medizin und Philosophie seit 1523 Jacob Schegk (Degen, 1511-1587), daran anschliessend ein Nachdruck der griechisch-lateinischen Ausgabe, Paris 1543, des Elie Vinet mit dessen alter Vorrede; nicht enthalten sind, entgegen der Ankündigung auf der Titelseite, die Scholia Vinets aus dessen Ausgabe. Dem griechischen Text die wörtliche und zeilengleiche Prosaübersetzung Vinets beigegeben hat Oporin, wie wir im Titel lesen, für die, die im Griechischen noch kaum über die Anfänge hinaus fortgeschritten sind.
Schegk hat seine Übersetzung aus Tübingen, 1. März (1550?), seinem Kollegen, dem Herausgeber zahlreicher Literaturwerke aus Handschriften in Basel 1523-1530, seit 1535 auf Empfehlung des Simon Grynaeus Professor der Rechte in Tübingen Johannes Sichard gewidmet (bei einem im Lexicon Bibliographicum S. F. G. Hoffmanns aufgeführten griechisch-lateinischen Druck Oporins mit dieser Übersetzung dürfte es sich um ein Phantom handeln). Als er in seinem papierenen Hausrat auf eine mehrere Jahre dort verschollene Theognis-Übersetzung in lateinischen Versen gestossen sei, beginnt er die Widmung, habe er, wie andere dies täten, gefunden, dass nicht veröffentlichte Arbeiten zu Grunde gingen, und sich entschlossen, sie nicht weiter zurückzuhalten, weniger um sich Ruhm zu erwerben als um denen, die des Griechischen nicht kundig seien, die Kenntnis des alten Dichters nicht vorzuenthalten (der erste allein lateinische Druck erschien erst 1558 in Wittenberg). Und dies nicht nur wegen seines Alters, sondern auch wegen seines für eine richtige Lebensgestaltung teils nützlichen, teils unumgänglichen Inhalts. Da die menschlichen Sitten nicht angeboren, sondern zu lernen seien, sei klar, was man Mahnern und Lehrern zu verdanken habe. Wie der Körper die Augen, ein Schiff einen Steuermann, so brauche der Geist Ratschläge, um sicher an sein Ziel zu gelangen. Und deren Erfinder verdienten höchste Achtung, an erster Stelle wohl Theognis, was Alter, Eleganz und Ernst seiner Lehren betreffe. Er sei Zeitgenosse Solons gewesen, dessen Gesetze auch die Römer übernommen hätten, und laut Plutarch seien sogar Verse des Theognis als solche Solons verehrt worden. Die Lehren der ēthikē, der Moral, hätten die Griechen der Frühzeit, zu denen Theognis gehöre, in kurzen Merksätzen, sogenannten gnōmai, vorgebracht, die laut Aristoteles (Schegk ist Aristoteliker im traditionellen Sinn, Gegner des Petrus Ramus) mehr Vertrauen verdienten als gewisse lange Beweisführungen (auf solche kommt er später nochmals zu sprechen: s. unten). Sie seien von altersher weisen Männern - in Griechenland den Sieben Weisen - oder Orakeln - wie in Delphi - zugeschrieben worden. Wegen ihrer Kürze seien sie sehr geschätzt gewesen, da man, sofern man sich darin auskenne, mehr daraus habe entnehmen können, als was mit Worten ausgeführt sei. Ganz anders als heute, da inhaltlose Sätze mit inhaltlosem Wortschwall beladen würden. Worauf Schegk auf die Definition der gnōmai durch Aristoteles hinweist und einen kurzen Abriss der Ethik und ihrer Geschichte von diesen Gnomen über die Beweisführungen des Sokrates zu Plato und Aristoteles bietet und Sichard bittet, das Pfand ihrer Freundschaft wohlwollend entgegenzunehmen.
Das Basler Exemplar B c VIII 195 hat der damals 16 1/2jährige Basilius Amerbach im Juli 1550 (... Mensis quintilis die: den Tag hat er vermutlich im Augenblick nicht gewusst und danach nachzutragen vergessen) von seinem Vater erhalten; er hatte sich im Studienjahr 1548/49 an der Basler Universität immatrikuliert.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc VIII 195