GG 186
Libellus scolasticus utilis, et valde bonus: quo continentur Theognidis praecepta. Pythagorae versus aurei. Phocylidae praecepta. Solonis, Tyrtaei, Simonidis, & Callimachi quaedam carmina. Collecta & explicata a Ioachimo Camerario Pabepergen. ... Basel: Johannes Oporin [März] 1551. 8°.
Ein Schulbuch nach früher Méthode directe: eine Sammlung erbaulich-moralischer Gedichte, die Elegien oder Gnomen des "Theognis", die Goldenen Worte des "Pythagoras", das Phokylides (6. Jh. v. Chr.) unterschobene Lehrgedicht aus dem 1. Jahrhundert nach Christus und einzelne Gedichte der archaischen Dichter Solon, Tyrtaios, Simonides sowie des Euenos und Kallimachos mit ausführlichen Erklärungen zu den Theognideen und kurzen Kommentaren zu den übrigen in diesem Band versammelten Gedichten von Joachim Camerarius, seit 1541 Professor für Griechisch an der Universität Leipzig, in griechischer Sprache... Auch als Schulbuch ist dieser zweite Theognisdruck Oporins (nach 1550 [GG 185]) immer noch einer der ersten ausserhalb Italiens (Venedig vor allem) und von Paris, nachdem die Gedichte bis dahin meist innerhalb von Sammlungen der Poetae Gnomici oder ähnlich erschienen waren.
Camerarius hat seine Sammlung und den Kommentar am 1. September 1550 dem Rat der Stadt Zwickau für ihre Schule gewidmet. Weniger nach eigenem als nach fremdem Urteil könne er auch jetzt nicht vom Studium der Sprachen lassen, beginnt er seine Widmung, das er zuerst bei Privatlehrern, dann in der Schule seiner Vaterstadt (Bamberg), dann an grösseren öffentlichen Schulen (d.h. Universitäten) getrieben habe. Er würde aber auch jetzt nicht zögern, es aufzugeben, wenn er es für überflüssig, Gott nicht gefällig und den Menschen unnütz hielte. Auch wenn jedem seine Gewohnheit lieb sei, jeder nur seine Tätigkeit für richtig halte, seien ihm doch die Wahrheit und der Wille Gottes gewichtiger als seine persönliche Ergötzung und er würde es gegebenenfalls sofort aufgeben. Doch da es, auch wenn viele anderer Meinung seien, nichts Besseres, Fruchtbareres gebe als die sprachliche Bildung (eruditio litterarum), gebe er seinen Beruf (professio) nicht auf. Entweder müsse man die Ausbildung in den Freien Künsten, der humanitas und im Verantwortungsgefühl (officium) ablehnen, oder aber das Sprachstudium bewahren. Mit den Vertretern des Ersteren sei es unnütz zu diskutieren; den andern das Sprachstudium zu empfehlen sei leicht. Ohne es sei jede Lehre stumm, jede Weisheit unnütz. Sprachstudium (litterae) aber nenne man das Fach, das die Kenntnis der griechischen und der lateinischen Sprache verspreche. Davor aber schreckten viele zurück, und zufrieden mit dem Namen der Lehre liessen sie es geschehen, in der Sache ungelehrt zu bleiben und auch dafür zu gelten, da sie der Dreistigkeit und Gewandtheit grösste Belohnungen ausgesetzt sähen. Leider habe sich auf diesem Gebiet so viel Überdruss breitgemacht, dass man das Naheliegende übergehe und anderes auf weiten und gefährlichen Wegen verfolge, was schon Pindar verurteilt habe. Überall rennten die Jungen herum, um sich als Hilfsmittel zu Ruhm und Reichtum Klugheit und Gelehrsamkeit zu holen. Richtig wäre, sich zuerst von den Sprachen tränken zu lassen. So würde das Weitere glänzender und dauerhafter ausfallen. Auch die heiligen Schriften könne man ohne Sprachstudium nicht verstehen; Paulus habe nicht barbarisch und bäurisch, sondern gebildet geschrieben. Daher sei er überzeugt, auch wenn manche seine Pflege als schulische Trockenheit verachteten und die Schüler darin nachlässig seien, dass es gottgefällig, der menschlichen Gesellschaft nützlich und dadurch an sich schon lobenswert sei. Aus dieser Überzeugung heraus habe er schon lange viele alte Werke in beiden Sprachen gewissenhaft bearbeitet herausgegeben und kommentiert und werde, wie er hoffe, damit weiterfahren. Auch wenn das geringe Leistungen seien, lasse er sich durch ihre Bescheidenheit, da sie notwendig seien, nicht von der Arbeit abhalten. Wie der Kitharöde Timotheus (der berühmte milesische Dithyrambendichter und Kitharöde um 400 v. Chr.) für die herrlichen Töne seiner göttlichen Kunst die Vorarbeit des Instrumentenbauers benötigt habe, so würden auch die grossen religiösen und weltlichen Autoren dem Sprachunterricht, wie er ihn erteile, gewissen Dank schulden, da sie ohne ihn nicht zu ihrer Meisterschaft hätten gelangen können. Sein Stand möge sich in dieser undankbaren Zeit damit trösten, dass es ohne Sprachstudium keine Gelehrsamkeit geben könne, dass man einsehe, dass, was ihm an Würde fehle, durch Notwendigkeit ersetzt werde, auch wenn in ihm selber schon wahre Würde und grösstes Ergötzen steckten. Da er sich während vieler Jahre mit Theognis beschäftigt habe, weil er dieses Büchlein den Knaben in der Schule zu lernen habe aufgeben wollen, habe er sich nun durchgerungen, ihn mit seinen Erklärungen herauszugeben zu wagen. Je besser und für den Unterricht geeigneter aber das Büchlein sei, sprachlich und inhaltlich (oratio seu sententiae), als umso verderbter habe er seinen Text erkennen müssen, und zwar an unzähligen Stellen (bisher erschienen waren die Theognideen im Anhang an Theokrit bei Aldus 1495, dann in den Gnomikerdrucken Paris 1512 und Frobens von 1521 (GG 35), in zwei Pariser Drucken von 1537 und 1543, dem Basler Nachdruck letzterer bei Oporin 1550 (GG 185) und im Anhang an einen Hesioddruck in Venedig ebenfalls 1543). Darum habe einst Eobanus Hessus, als sie gemeinsam in Nürnberg die Sprachen gelernt hätten, aus Unwillen über die ständige Textprüfung, welche den geistigen Schwung und den Lauf der Verse aufgehalten habe, die Übersetzung zum grossen Nachteil der Sprachwissenschaften abgebrochen. Auch er, der von jenem die ersten Griechischkenntnisse erhalten habe (Eobanus ist 1488 geboren, somit zwölf Jahre älter als Camerarius, ihre gemeinsame Nürnberger Zeit: 1523-1533 war Eobanus Lehrer für Poesie am Ägidiengymnasium, Camerarius dort Lehrer ab 1526, nachdem er 1518 schon bei Eobanus in Erfurt Latein studiert hatte), habe nach wiederholtem Zögern den Mut verloren und sei schliesslich an der Übersetzung des so fehlerhaften Büchleins verzweifelt. Dennoch habe er später nicht aufgegeben, bei wiederholter Lektüre einige Stellen zu verbessern, sich nach Konjekturen anderer zu erkundigen und mit Hilfe von Freunden sich alte Handschriften (exempla vetera) zu beschaffen. Und kürzlich habe er deren fünf beisammen haben können, als der gelehrte junge Pannonier Sigemundus Gelous es fertiggebracht habe, drei Handschriften (exempla) aus Venedig zu erhalten, deren von der vulgata - der allgemeinen Überlieferung - abweichende Lesarten er ihm fleissig und getreu notiert zugesandt habe (der Siebenbürger Sigismund Torda/Gelous hatte sich 1535 in Krakau, 1539 in Wittenberg immatrikuliert und studierte 1546-1550 in Padua, wo er mit der Promotion in Medizin abschloss; nach seiner Heirat als Beamter in der Slowakei tätig). Auch wenn das Büchlein sogar durch diese Berufung gewissermassen eines Sachverständigen (d.h. der handschriftlichen Überlieferung) keineswegs vollkommen habe wiederhergestellt werden können, sei er nun die Herausgabe angegangen, da er sicher gewesen sei, dass nichts Besseres mehr gefunden oder herausgefunden werden könne. Zur Ausgabe und seinem Kommentar brauche er weiter nichts zu sagen, da hätten die Leser zu urteilen. Wie Homers Agamemnon sei ihm eine Verbesserung, sei es durch einen Jungen oder einen Alten, durchaus willkommen. Das Werk seiner Herausgeber- und Erklärertätigkeit widme er speziell ihnen für die Schule ihrer Stadt, welche grosszügige Einrichtung ihrer Vorfahren ihr Wohlwollen durch diese schwierigen Zeiten nicht nur erhalten, sondern sogar erweitert habe (die Bibliothek dieser Ratsschule von Zwickau ist noch heute eine der reichsten Stadtbibliotheken an Drucken des 16. Jahrhunderts). Da sie kürzlich seinen Schwiegersohn zu ihrem Leiter ernannt hätten, meine er, auch er müsse etwas zu ihrer Pflege beitragen.
Am 20. Juni 1551 schreibt Oporin in einem der Briefe, die Martin Steinmann in seiner Auswahl aus dem Briefwechsel Oporins in der Basler Zeitschrift für Altertumskunde 1969 mit deutscher Übersetzung veröffentlicht hat, an Camerarius, dass er hoffe, dass sein Theognis, wenn er bei ihm, d.h. in Leipzig, und in Wittenberg in den Schulen eingeführt sei, bald neu aufgelegt werden könne, was ebenso für den Jesus Sirach und seine Arithmologia gelte, die er demnächst erhalten werde (d.h. dass sie Juni/August erschienen), ersteren bei ihm gedruckt, die Arithmologia ēthikē auf seine Kosten bei Jacob Parcus (Kündig), da er selber mit dem Druck anderer Schriften des Camerarius für Herwagen voll ausgelastet sei: seine Commentarii utriusque linguae (GG 87).
Das Basler Exemplar Frey-Gryn. L VI 30 aus dem Frey-Grynaeum hat [15]59 ein Johannes Herres einem nicht genannten Besitzer geschenkt, dann Johann Ludwig Frey 1692 von einem Vetter erhalten.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Frey-Gryn L VI 30