GG 198

Euripidis Tragoediae, quae hodie extant, omnes, Latine soluta oratione redditae, ita ut versus versui respondeat. E praelectionibus Philippi Melanthonis. Cum praefatione Guilielmi Xylandri Augustani. Basel: Johannes Oporin August 1558. 8°.

Im März 1555 war bei Johannes Oporin und Ludwig Lucius die erste Gesamtübersetzung der erhaltenen Tragödien des Aeschylus erschienen (GG 201), 1556 folgte bei Oporin ein Sophokles-Kommentar des Joachim Camerarius (GG 203), 1558, im März oder ebenfalls August gleichzeitig mit unserm Druck, eine metrische Übersetzung seiner Tragödien von Thomas Naogeorgus (GG 204). Der erste griechische Druck der Stücke des dritten grossen Tragikers war 1503 - wie sollte es anders sein - bei Aldus Manutius in Venedig erschienen. Der zweite folgte - was auch fast das Normale ist - in Basel: 1538 bei Johannes Herwagen (GG 194). Die folgenden Ausgaben waren Nachdrucke Herwagens selber in den Jahren 1544 und 1551 (GG 197); erst nach unserer Ausgabe folgte der erste zweisprachige Druck: 1562 ebenfalls bei Oporin (GG 200). Die erste lateinische Gesamtausgabe ist ebenfalls in Basel erschienen: 1541 bei Robert Winter (GG 195), übersetzt von Rudolf Ambühl (Collinus, Clivanus, Pseudonym: Dorotheus Camillus), nachgedruckt 1550 von Mathias Apiarius in Bern für Oporin. Hier erscheint eine neue Übersetzung: es handelt sich, nach der Angabe im Titel und Äusserungen des Herausgebers, des aus Augsburg stammenden späteren Heidelberger Gräzisten Wilhelm Xylander (Wahl am 15. August 1558), in seiner Widmung an den Augsburger Bürgermeister Johann Baptist Heinzel, um die Nachschrift einer lateinischen Übersetzung Philipp Melanchthons, die dieser vermutlich zur griechischen Lektüre seiner Studenten zum Verständnis und Vergleich diesen diktiert hat. Sie scheint allerdings recht fehlerhaft gewesen zu sein. Woher und wie sie zu Xylander gelangt ist, bzw. zu Oporin, der Xylander dann mit der Herausgabe betraut hat (s. unten), sagt er nicht (1551 hatte Melanchthon z. B. Oporin die Übersetzung der Aethiopica Heliodors von einem seiner polnischen Schüler zum Druck gesandt - also auch hier: durch Melanchthon selber?). Während des Drucks, der im August 1558 auf die Frankfurter Herbstmesse hin abgeschlossen worden ist, wie das Kolophon zeigt, ist Xylander, der sich, nach Arbeiten für Oporin schon 1556, hier am 20. Juli 1557 nochmals immatrikuliert und am 9. Februar 1558 zum Magister philosophiae promoviert hatte, noch in Basel gewesen, denn er hat die Widmung noch von Basel, 29. August 1558 datiert. 

Keineswegs der Meinung, mit dieser Widmung seinen Ruhm zu mehren, oder sich in seine Obhut zu drängen, beginnt er diese, habe er auf der Suche nach einem Widmungsempfänger ihn nicht umgehen können, zumal ihm diese seine Arbeit nicht unwillkommen sein dürfte. Und eine Mitteilung seiner kürzlichen Wahl zum Bürgermeister habe ihn veranlasst, ihm das kleine Geschenk als Glückwunsch zu überreichen. Es dürfte allerdings auch Leute geben, die ihn hier eines Plagiats beschuldigten, den Einen etwas wegzunehmen, um es Andern anzubieten. Gegen diesen Irrtum oder diese Unverschämtheit sei zu sagen, dass eine Inanspruchnahme dieses ganzen Werkes den Tadel verdienen würde (es wird ja auch als Nachschrift nach Melanchthon angekündigt); denn es stamme nicht von Xylander, sondern sei eine in den Vorlesungen nachgeschriebene Übersetzung Philipp Melanchthons. Doch mit völligem Recht nehme er sich die Freiheit, diese zu widmen. Er brauche nicht vorzubringen, dass andere dasselbe ungestraft täten und getan hätten, oder dass das Buch ohne Vorrede, die es dem Schutz eines Mäzens empfehle, nicht hätte erscheinen können, oder dass der um ihn hochverdiente Oporin ihm den Auftrag dazu gegeben habe, auch wenn dies einem gerechten Kritiker genügen würde. Er könne belegen, dass das Werk ihm so viel Arbeit gemacht habe, dass er es nicht weniger widmen dürfe, als wenn er selber den ganzen Euripides übersetzt hätte. So nachlässig sei alles geschrieben gewesen, so viel interpoliert, ausgelassen, verstellt, dass kaum ein Halbgebildeter sich diese Übersetzung zum Ruhm angerechnet hätte, dass sie nicht im geringsten dem Namen Melanchthons entsprochen habe. So habe er alles sorgfältig mit dem griechischen Original verglichen, interpungiert, verbessert, Ausgelassenes (oft ganze Verse) ergänzt, verschlafene Verkehrtheiten des Schreibers ausgemerzt. Dies nur zu seiner Rechtfertigung. Schliesslich habe er die Hecuba, die aus unbekanntem Grund gefehlt habe (sie hatte bisher in keiner Ausgabe, weder griechisch noch lateinisch gefehlt), in eigener Übersetzung, so gut die Zeiten und seine Aufgaben es zugelassen hätten, beigefügt. So widme er ihm hiermit eher Eigenes als Fremdes. Der Gegenstand Euripides aber sei schon genügend durch antike Autoren gelobt worden, von Plato bis zu Cicero und Plutarch. Nur soviel: Euripides habe die Philosophie aus den Schulen auf die Bühne gebracht und zeige den Menschen unterhaltsam ihr ganzes Wesen. Dies im einzelnen zu zeigen, ergäbe ein neues Werk. Doch gebe es keine philosophische Lehre, deren Beispiele sich nicht in den Tragödien fänden. Euripides behandle das Schicksal, das menschliche Leben, seine Zwänge, Wechselfälle, Ungewissheiten indem er verschiedene Personen dazu unterschiedliche Aussagen machen lasse. Worauf Xylander Beispiele menschlichen Unglücks, von Anrufungen Gottes in einer den Christen nicht fernen Weise aus verschiedenen Stücken anführt, solche der Staats- und der Kriegführung und auf die herrlichen klugen Merksätze hinweist, wie sie zwar nicht diese Euripidesausgabe, aber z.B. Oporins gleichzeitiger lateinischer Sophoklesdruck aus diesem Tragiker gesammelt enthält. Und seine poetische Kraft und Darstellungsgabe lade zu wiederholter Lektüre ein. Deshalb widme er ihn ihm, aber auch, weil er Philipp (Melanchthon) einst als Lehrer gehabt habe, ihn immer noch verehre und jener ihn hoch schätze. So sei dies Werk aus seiner Werkstatt ihm bestimmt willkommen. Schliesslich als Dank für mehrfach empfangene grosszügige Förderung. Er hoffe, dass sein Werk vielen nütze, die entweder den Euripides griechisch nicht lesen könnten oder zum Erlernen der Sprache den griechischen Text mit einem lateinischen vergleichen möchten.

Der Widmung folgt eine dreiseitige Vita aus der Feder Xylanders, der dieser noch eine eigene Übersetzung der bisher in den griechischen Ausgaben abgedruckten antiken griechischen Epigramme auf Euripides folgen lässt.

Das Exemplar Bc VII 84 Nr. 1 ist aus der Zeit zusammengebunden mit der neuen lateinischen Sophoklesübersetzung Thomas Naogeorgs, die im selben Jahr bei Oporin erschienen ist (GG 204): Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VII 84:1

Illustrationen

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Titelseite

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2alphar: Anfang der Vorrede des Wilhelm Xylander mit einer Widmung an den Augsburger Bürgermeister Johann Baptist Heinzel vom 29. August 1558.

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1ar: Anfang der Tragödie Hecuba des Euripides, Argumentum.

Buchseite

2alphav: Anfang der Tragödie Hecuba des Euripides.

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7Ccr: Kolophon