GG 211

Aristologia Pindarikē Hellēnikolatinē. en autē (!) de spoudaiōs synkomisthenta estin hapanta, haper en Pindarō aoidō hōsper palaiotatō, houtō sophōtatō axiomnēmoneuta, kai anthrōpōn biō ōphelima tynchanei.

Aristologia Pindarica Graecolatina. Hoc est, quicquid est in Pindaro, vate ut vetustiszimo, ita quoque castiszimo & sapientiszimo, memorabile, notatu dignum, & rarum, nec alibi similiter obvium: seu historiae notabiles, seu fabulae iucundiszimae, seu sententiae insignes & graves, plenae doctrinae & sapientiae. Ad finem accesserunt Sententiae quaedam utiles & sapientes Novem Lyricorum, ex varijs tum Patrum, tum Ethnicorum libris collectae. Omnia Graecolatina, cum expositione, usu & accomodatione singulorum: opera ac studio Michaelis Neandri Soraviensis. Basel: Ludwig Lucius August 1556. 8°.

Im selben Monat August 1556 erscheinen von Michael Neander, dem Rektor des kleinen Gymnasiums von Ilfeld bei Nordhausen (Thüringen), in Basel, wo er die meisten seiner Arbeiten und Ausgaben drucken lässt, die hier vorliegende Anthologie aus Pindar und weiteren Lyrikern (im Anhang) und, bei Johannes Oporin, eine Anthologie aus griechischer hexametrischer Dichtung und Prosaikern (GG 312). Neander hat diese Anthologien, wie auch die aus Euripides, gewiss im Schulunterricht verwendet und, wie wir auch seinen Vorreden entnehmen können, für andere Schulen bzw. Lehrer veröffentlicht, doch gehen sie mit ihrem Inhalt über das Niveau blosser Schulbücher hinaus, ebenfalls die Scholien richten sich nicht allein an Schüler. Es sei denn, man betrachte sämtliche Klassikerausgaben, auch die Gesamtausgaben, als Schulbücher, weil sie sich auch an den Universitäten an die Vertreter - Lehrer wie Schüler - der propädeutischen facultas artium richten, Bildung im heutigen Sinn vermitteln, im Gegensatz zu den Publikationen für die drei höheren Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin. 

Neander hat die Pindar-Anthologie den Bürgermeistern und dem Rat der seiner märkischen Heimatstadt Sorau nahen schlesischen Stadt Liegnitz gewidmet, am Tage der Auferstehung des Herrn (5. April) 1556. Wer Pindar verstehen wolle, beginnt er, müsse zuerst kennen, was bei den alten Autoren über die Wettkämpfe oder Spiele der Griechen überliefert sei. Und zwar habe es deren zahlreiche und unterschiedliche gegeben, die Olympien, Pythien, Nemeen, Isthmien seien die berühmtesten gewesen, vor allem die Olympien. Feste, Spiele, Preise - die er der Geldgier seiner Zeit gegenüberstellt, wobei er auch die bekannte Verwunderung des Xerxes, Beispiele der Selbstlosigkeit wie der Ehrsucht erwähnt. Doch der von jenen Heiden erstrebte Ruhm sei, das wüssten die Christen, vergänglich. Es folgt eine Geschichte der Olympien - mit u.a. dem Hinweis, dass die griechische Geschichte bedeutend jünger als die jüdische sei, Angaben über den Inhalt der Hymnen Pindars allgemein und einzelner Hymnen, den Stil, den Grund ihrer Erhaltung, während tausende von Werken bester Autoren verloren seien. Es gebe Leute, die Pindar über die Psalmen Davids stellten, obwohl dieser von Christus singe. Die heidnischen Dichter hätten jedoch ihre Grenzen; ihre Lektüre sei nützlich und keineswegs gering zu achten, doch wenn sie ihre Grenzen überschritten, seien sie für die Kirche gefährlich. Aus solchen Schäden habe man sich gerade dank der Gnade Gottes herausgewunden. In den Schulen bringe Pindar durchaus seinen Nutzen, wie auch die übrigen Autoren dieser Art die Jünglinge zur Tätigkeit in Kirche und Staat vorbereiteten. Wer anderer Meinung sei, solle zuerst zeigen, dass die Schulgründer unwissend gewesen seien, auch die eigenen Fürsten, die sie sorgfältig behütet und die Studien der guten Autoren mit grosszügigen Löhnen wiedererweckt hätten, auch die, die mit unbeschreiblichem Einsatz den Jünglingen in den Schulen die heidnischen Autoren beibrächten. Diese Gründe, der Ruhm Pindars, sein sprachlicher Nutzen habe ihn überlegen lassen, wie er ihn der Allgemeinheit näherbringen könne, da er sonst kaum für die Jugend fruchtbar werde. Er habe darum während langer Zeit auf bemerkenswerte Stellen geachtet, sie gesammelt, die lateinische Übersetzung danebengeschrieben und am Rand Anlass und Beziehung (causa et occasio) der einzelnen Geschichten, Fabeln oder Merksätze notiert, sie ans Leben angepasst und anderweitige verwandte Gedanken beigefügt (wodurch ja die Publikation auch schon auf der Titelseite dem potentiellen Käufer kurz vorgestellt wird; die Parallelen können sich zu mehrseitigen Plutarchzitaten auswachsen). Ausserdem habe er den jungen Lehrern (scholasticis) gezeigt, wo und bei welchen Autoren man Erklärungen für das finde, was er zu Pindar annotiert habe. Dazu habe er die alten griechischen und lateinischen Autoren konsultiert. Am meisten habe ihm das Werk des unvergleichlichen Erasmus von Rotterdam, der Zierde Deutschlands und der ganzen Gelehrtenrepublik genützt, der in seinen Chiliaden (den Adagiorum Chiliades), einem höchst kostbaren Schatz, der nie genug gepriesen werden könne, die meisten merkenswerten Stellen aus Pindar geschickt erklärt habe. So habe er die Sprichwörter, in denen er Pindarisches zitiere und erkläre, genau am Rand vermerkt. An einigen Stellen habe er auch Hilfe seines verehrten Lehrers Philipp Melanchthon erfahren; viel verdanke er dem gelehrten Johannes Lonicerus, der, neben andern Autoren, besonders für Pindar viel für die Jugend geleistet habe (seine Pindarübersetzung war 1528 (GG 209), sein Pindarkommentar 1535 (GG 210) in Basel erschienen, die Übersetzung Melanchthons erschien hier zwei Jahre nach dieser Sammlung Neanders (GG 212) ). Er habe sich auch bemüht, die Eigentümlichkeiten Pindars für Schüler, die die ersten Anfangsgründe des Griechischen hinter sich hätten, ohne Mühen verständlich und zu verschiedenen Zwecken im Leben verwendbar zu machen: als Schreibthema, als Schmuck für Reden, als Lebensregeln. Am Schluss habe er merkenswerte Sentenzen, Gnomen Pindars und der übrigen Lyriker beigefügt, die er bei Kirchenvätern, Philosophen und Philologen zitiert gefunden habe, auch beim griechischen Kommentator Pindars (wohl die Scholien gemeint) aus dessen verlorenen Büchern (S. 378-433 mit eigenem Zweititelblatt; auch hierauf ist im Titel hingewiesen). Den einzelnen Lyrikern habe er ihre Biographien vorangestellt. Er glaube, dass dies den jungen studiosi willkommen sein werde, da die Lyrik anmutiger und weiser sei als die Merksätze anderer Dichter und wegen ihres Alters sehr geschätzt werde. Es gebe noch mehr Passagen aus Simonides, Sappho, Stesichoros und Pindar bei Plato und andern alten griechischen Autoren, die er aus Zeitgründen hier nicht gebracht habe. So Gott wolle, werde er, wenn er es mit seinen Schülern besprochen habe, sie einst alle herausgeben, die er während langer Zeit aus heidnischen und christlichen griechischen und lateinischen Autoren gesammelt habe und aus den neu erscheinenden weiter sammle. Auf der Suche nach Schutzherren habe man ihm sie empfohlen, wegen ihres Wohlwollens und ihrer Freigebigkeit gegenüber den Studien und den studiosi, ihrer Sorge für Kirche und Schule (schola), in denen hochgebildete Männer, eine Zierde ihrer gemeinsamen Heimat Schlesien, die reine Lehre Christi lehrten, die Frömmigkeit, die griechische und lateinische Sprache und die Anfänge der Redekunst. Schliesslich preist Neander noch besonders den verdienten alten Lehrer Valentin Trozendorf (zu dem wir in den Marginalien erfahren, dass er Rektor der Schule von Goldberg in Schlesien gewesen war), Magister Seiler, den Hebräisch-, Griechisch- und Lateinkundigen Martin Tabor und seinen verehrten einstigen Lehrer Heinrich Theodor. 

Dieser 26seitigen Widmung folgt noch ein dreiseitiges Melydrion des jungen Genters Carl Utenhove an die Jugend der Othonianischen Schule, als Protreptikos zu Pindar, und eine gar 6 1/2seitige sapphische Ode Neanders an Trozendorf über die Hymnen Pindars und, neben Kleinerem, eine mehrseitige Biographie De vita Pindari poetae. Die von Neander ausgewählten, übersetzten und kommentierten Passagen Pindars variieren im Umfang von etwa Seitenlänge bis zu zwei oder drei Versen.

Neuerwerbung 1935 (zuvor im Besitz der Stiftung der Sektion Basel der Schweiz. Vereinigung für Sozialpolitik, aus Sammlung Stephan Bauer): B c VII 391 Nr. 2 (aus der Zeit zusammenbroschiert mit Neanders Anthologicum Graecolatinum vom selben Monat [GG 312]).

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VII 391:2

Illustrationen

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Titelseite

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2alphar: Anfang der Vorrede des Michael Neander vom 5. April 1556.

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7betar: Anfang des dreiseitigen Melydrion des Genters Carl Utenhove an die Jugend der Othonianischen Schule (re).

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1ar: Anfang einer sechseinhalbseitigen sapphischen Ode des Michael Neander an Valentin Trozendorf.

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6fv/7fr: Auszug aus der Anthologie mit von Michael Neander kommentierten und übersetzten Passagen Pindars.

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4gv/5gr: Auszug aus der Anthologie mit Passagen Pindars.

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3Ev: Kolophon