GG 275
Zosimi comitis et exadvocati fisci, Historiae novae Libri VI, numquam hactenus editi: quibus additae sunt historiae Procopii Caesariensis, Agathiae Myrrinaei, Iornandis Alani. Zosimi libros Io. Leunclaius primus ab se repertos de Graecis Latinos fecit, Agathiam redintegravit, ceteros recensuit. Adiecimus & Leonardi Aretini rerum Gothicarum commentarios, de Graecis exscriptos... Basel: Peter Perna [1576]. Fol.
Ein Erstdruck - wenn auch nur in Übersetzung - eines Geschichtswerks, desjenigen des Zosimus, der durch Beigabe weiterer lnhaltsverwandter Geschichtswerke zu einem Kompendium der Gothengeschichte - im Trend der Geschichtssammlungen der Zeit zu einzelnen Völkern - erweitert wird. Erst fünf Jahre nach dieser Übersetzung des Leunclavius aus einer eigenen Handschrift, in der er das Werk auf der Suche nach einer Eunapiushandschrift entdeckte, ist die römische "Neue" Geschichte des Zosimus 1581 griechisch bei Henri Estienne im Anhang an eine Herodianausgabe erschienen. Zosimus war hoher Beamter unter Kaiser Theodosius II. (dem "Kleinen") in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Seine Nea historia behandelt die römische Geschichte von Augustus bis Diokletian in kurzer Zusammenfassung, von da an ausführlich bis zum Jahre 410. Seine Quellen sind Dexippos (3. Jh., nur Fragmente erhalten) und Eunapios (ca. 345-420, seine Chronik, Fortsetzung des Werkes des Dexippos für die Jahre 270-404, christenfeindlich eingestellt, ist nur in Auszügen erhalten, Erstdruck zusammen mit Dexippos erst 1609). Durch die Quellenlage ist er, ebenfalls christenfeindlich eingestellt, über die Geschichte des Ostens besser orientiert als über den Westen des Reiches. Der Niedergang Roms ist für ihn eine Strafe für den Abfall vom alten römischen Glauben. Leunclavius hat das Werk, wie gewöhnlich ohne Orts- und Datumsangabe, seinem Mäzen und Vermittler von Handschriften für andere Ausgaben, dem aus Ungarn stammenden Wiener Arzt, Humanisten und Handschriftensammler, Kaiserlichen Rat, Hofhistoriographen und Mäzen Johannes Sambucus (1531-1584) gewidmet, die Widmung sogleich mit einem Nachruf auf einen andern Handschriftensammler und Mäzen, den im Alter von knapp 36 Jahren an den Spätfolgen eines Reisewagenunfalls jüngst verstorbenen Breslauer Juristen Thomas Redinger (19.12.1540 - 5.1.1576) begonnen, was auch unseren Druck datieren hilft: Er sei über den Tod Redingers, den er von ihrem gemeinsamen Freund Falkemburg erfahren habe, sehr betrübt gewesen: über den Verlust des Freundes und des grosszügigen Förderers aller Wissenschaften und Retters der alten Denkmäler, die in den meisten Bibliotheken zu Grunde gingen (er hatte vor allem in Padua und Venedig gesammelt), da es heute nur wenige gebe, die diese Tätigkeit für ihres Adels würdig hielten und aus ihren Mitteln etwas für die Öffentlichkeit (rempublicam) hergäben. Und wenn jemand die Würde dieses Tuns erkenne und deshalb eine gewisse Anzahl guter Bücher sammle, so sei es noch kein Redinger, der bei Gelegenheit auch hervorragende Werke gesammelt und Seltenes von Gelehrten habe veröffentlichen lassen und dazu diejenigen reichlich belohnt habe, die sich mit dieser Arbeit um die Öffentlichkeit verdient gemacht hätten. Wenn seine Erben, seine Brüder Adam und Jakob in seinem Sinne weiterwirkten, dürfte sein Verlust die Öffentlichkeit und seine Freunde weniger schmerzen: wenn sie die Denkmäler der Alten, die er mit seinen Mitteln und unter Mithilfe von Freunden in Italien, Frankreich und Deutschland gesammelt habe, den Gelehrten zur Verfügung stellten, würden sie gleichzeitig die Gelehrtenrepublik sich verpflichten und die Erinnerung an ihren Bruder fördern und wachhalten (er hatte seine Bibliothek diesen jüngeren Brüdern unter der Auflage vermacht, dass sie sie in Breslau zweckmässig der Öffentlichkeit zugänglich machten). Diese Gedanken habe die Publikation des vorliegenden Geschichtswerks geweckt, das er ihm hier sende. Redinger habe erfahren gehabt, dass in Rom in der Vaticana die 14 Bücher der Geschichte des Eunapios erhalten seien (s. oben). Da habe ihn, in voller Kenntnis des Urteils der frühen und der jetzigen Christen über ihn, dennoch gerade weil er als fanatischer Heide über jene Zeit geschrieben habe, über die man bis dahin nur von Christen Nachricht habe, nach diesen Büchern verlangt, um zu erfahren, worin sie von den eigenen (d.h. christlichen) Werken abwichen, und durch den Vergleich der Wahrheit näher zu kommen. Denn obwohl ein Historiker wie ein Richter von aller Anteilnahme und Parteilichkeit frei sein müsse, finde man naturgemäss doch kaum einen, der diesem Gesetz der Geschichtsschreibung in allem genüge. Daher finde ein erfahrener Mann sicherer die Wahrheit, wenn er unterschiedliche Darstellungen nebeneinander halte. Daher habe er keinen Aufwand gescheut, die Geschichte des Eunapius zu bekommen. Als aber der kluge und gelehrte Fulvius Ursinus ihm berichtet habe, dass sich kein Eunapius in jener Bibliothek finde, habe er es fast aufgegeben, ihn noch bekommen zu wollen (Fulvio Orsini, 1529-1600, der berühmte Gelehrte, Handschriften- und Antiquitätensammler, Bibliothekar der Kardinäle Ranuccio und Alessandro Farnese, Griechischkorrektor im Vatikan und Zentrum der klassischen Studien in Rom). Da habe Redinger von ihm, Leunclavius, unerwartet von seinem Zosimus erfahren, der die selbe Zeit, auch er ein Heide, in sechs Büchern dargestellt habe und das so elegant wie kein Zeitgenosse. Er habe laut Euagrius (Euagrios Scholastikos, um 536-593/94, schrieb seine Kirchengeschichte als Fortsetzung zu Sokrates, Sozomenos und Theodoret für die Zeit von 431 bis 593 mit stark dogmatischen Interessen, in hohen Ehren unter den Kaisern Tiberios und Maurikios) zur Zeit des Arcadius und Honorius oder wenig später unter Theodosius dem Kleinen gelebt (395-408 bzw. 395-423 bzw. 408-450). Unerhörte Freude habe jener über diese Nachricht gezeigt. Und als er, Leunclavius, der Bibliothek des Photius (einer Handschrift, denn die ersten Drucke sind erst 1601 griechisch und 1606 lateinisch in Augsburg erschienen) entnommen habe, dass Zosimus die selben Ereignisse wie Eunapius behandelt habe, fast wie ein Werk, nur dass Eunapius breiter und gekünstelter geschrieben habe, was Photius tadle, während er Zosimus als kurz, klar und lieblich rühme, da habe er ihn durch Falkemburg dringend aufgefordert, einen so feinen Autor nicht länger unbekannt bleiben zu lassen und im gleichen Zug von den Altertumsforschern und den Historikern doppelten Dank zu ernten, da er mit der Wiederherstellung des Zosimus zugleich ein Ebenbild des Eunapius erwecke. Er habe sich sogleich an die Verbesserung des verderbten und lückenhaften Textes und die Übersetzung gemacht, damit diese Erstausgabe möglichst rasch erscheinen könne. Und sie hätte wahrhaftig noch zu Lebzeiten Redingers, der sie so sehnlichst erwartet habe, erscheinen können, wenn nicht der Drucker, dem er zuerst den Text habe zukommen lassen, ihn in seiner Erwartung getäuscht und den Druck hinausgeschoben hätte (es ist nicht bekannt, ob es etwa Eusebius Episcopius, des Leunclavius Drucker bis 1575, war oder ein Drucker ausserhalb Basels). Zosimus hätte den Freund in seinen Erwartungen nicht enttäuscht und kein Mensch mit gesundem Urteil werde diese Ausgabe nicht begrüssen. Denn obwohl er der christlichen Religion feindselig gegenübergestanden sei und sich über gewisse Kaiser, vor allem Konstantin, bitter geäussert haben solle, werde, wer ihn unvoreingenommen lese, bemerken, dass sein Werk gerade das berichte, was sonst nirgends überliefert sei, und eine angenehme und nützliche Lektüre bilde. Damit man aber nicht mit einem Vorurteil an die Lektüre gehe, wolle er dieser Vorrede eine Verteidigungsschrift beifügen (diese neunseitige Apologia pro Zosimo findet sich, neben Verwandtem, im Vorspann: s. unten). Und da er wisse, dass die Geschichten Prokops und des Agathias seit vielen Jahren vergriffen seien, habe er den Drucker veranlasst, sie zum Vorteil der Leser mitzudrucken (Prokops Werke waren teils nur lateinisch, teils auch griechisch - Bauten Justinians - 1531 in Basel bei Herwagen erschienen (GG 241), Agathias war bis dahin nur lateinisch erschienen: 1516 in Rom, 1518 in Augsburg, 1531 in Basel im Anhang an Prokop). Diese Texte habe er allerdings nicht nach Wunsch herstellen können, da er zunächst weder die Bücher Prokops noch die des Agathias griechisch vollständig zur Verfügung gehabt habe, Agathias zu spät erhalten habe, den Redinger ihm kurz vor seinem Tod habe schicken lassen. Sie seien bis dahin recht kenntnislos bzw. nachlässig von ihren Übersetzern behandelt gewesen, zuweilen fehlten ganze Seiten. Der Leser könne das aus den wenigen Bruchstücken, die er am Rand ergänzt habe und die ihm ein Freund habe zukommen lassen (wohl François Pithou), bewerten. Worauf er hierfür zwei Beispiele aus Prokop zu Belisar und Theodahatus anführt und auf die Bücher über die Bauten Justinians zu sprechen kommt, die bis dahin nur griechisch mit den andern Werken in Übersetzung (Basel 1531) erschienen seien und für die er eine irgendwo gefundene Übersetzung, so wie er sie gefunden habe, da es keine bessere gebe (1537 in Paris und 1538 in Mainz waren zwei verschiedene Übersetzungen erschienen), und er innert dieser Frist nicht in einer Übersetzung das ganze Werk habe wiederherstellen können wegen des stark verderbten Textes der einzigen griechischen Ausgabe, von der er aus Gillius und andern, die etwas hiervon beschrieben hätten, erfahren habe (wohl aus 'De topographia Constantinopoleos libri quatuor' oder 'De Bosporo Thracio libri III' von Pierre Gilles, die 1562 bzw. 1561 in Lyon erschienen waren). Er habe an den fehlerhaften Stellen dennoch Anmerkungen beigegeben, soweit die Blattränder sie hätten fassen können. Er hätte fast so viel Arbeit und Zeit darauf verwendet, wie er zu einer neuen Übersetzung gebraucht hätte, wenn ihm nicht der Gedanke, einst das ganze Werk aus Handschriften wiederherzustellen, still die Hand von der Schreibtafel weggeführt hätte (es ist im 16. Jahrhundert einzig die Mainzer Übersetzung des Arnoldus Wesaliensis nochmals erschienen, 1594 in Lyon, auch griechische Drucke erst wieder im 17. Jahrhundert). Da Prokop vor allem die Gothen behandle und seine frühere Ausgabe auch das Werk des Jornandes enthalten habe (1531), habe er auch dieses wegen des parallelen Inhalts beifügen lassen. Worauf Leunclavius auf die Parallelen auch zu Zosimus hinweist, dass Jornandes als Gothe zuweilen auch besser unterrichtet gewesen sei. Auch ihn habe er aber nicht einfach nachdrucken lassen, sondern verbessert, da das für Korrekturen bei Florus (wohl der Epitomator des 2. Jahrhunderts) etwas bringe. Auch habe er seine Bücher in die richtige Reihenfolge umgestellt: voran die Annalen, dann die Gothenkriege, wie es die Vorrede des Autors zeigten. Man müsste in den Annalen das ergänzen, was von den Anfangszeiten Konstantins bis zu Julian fehle. Doch das habe er aus Mangel an alten Handschriften (librorum veterum) für eine spätere Ausgabe aufschieben müssen (hierzu ist er nicht mehr gekommen; die nächste Ausgabe erschien erst 1597 bei Plantin in Leiden); oder man habe es von denen zu erwarten, die Jornandes mit mehreren Handschriften schon verglichen haben sollten. Auf Wunsch von Freunden habe er schliesslich den Kommentar des Leonardus Aretinus beigefügt, obwohl ihm bewusst sei, dass er alles Prokop entnommen habe (Bruni; Erstdruck seines Gothenkriegs Foligno 1470). Er könne dem Leser gleichsam eine zusammenfassende Repetition bieten und zudem seien seine Entnahmen aus Prokop in viel besserem Stil verfasst als der des älteren Übersetzers. Der Grund seiner Widmung aber sei, dass er, was Redinger zu tun begonnen habe, schon lange leiste: dass er, dafür schon in ganz Europa berühmt, der Öffentlichkeit (reipublicae) die seltenen Handschriften (libros) aus seiner Bibliothek geschenkt habe, darunter die Auswahl aus den Basiliken und die Annalen des Glykas bei Episcopius 1575 bzw. 1572 erschienen (GG 273) ); es sei sein Verdienst, sie durch ihn veröffentlichen lassen zu wollen. Ihm habe man dafür zu danken. Mit Zosimus erhalte er, Sambucus, nun einmal ein Geschenk von ihm.
Dieser undatierten Widmung folgen, vor der Übersetzung der Geschichte des Zosimus, noch neun verschiedenartige Beigaben: in Übersetzung die Passagen aus Photius zu Zosimus, zu Prokop und Agathias aus "Suidas", ebenfalls von Leunclavius übersetzt, ein in der früheren Übersetzung ausgelassener Abschnitt aus der Vorrede des Agathias nach der erwähnten griechischen Handschrift, die Passage zu Jornandes von Trithemius, wo Leunclavius auch auf die andere Namensüberlieferung Jordanes hinweist, ein Brief des Leunclavius an Basilius Amerbach zur vorliegenden Ausgabe, die in diesem Brief erwähnte neunseitige Verteidigungsschrift für Zosimus gegen Euagrius, Nicephorus, Callistus und andere, die Widmung des Rhenanus an Bonifacius Amerbach von 1531 (mit ihrem alten genauen Datum) und schliesslich auf elf Seiten ein "Agathias interpolatus", Ergänzungen, die er auf Anregung und Mitteilungen des François Pithou, dem er sie widmet, nach Abschluss des Druckes noch nach der zu spät eingetroffenen griechischen Handschrift Redingers in drei Tagen vorgenommen habe, mit am Rand jeweils genauen Seiten- und Zeilenangaben der betreffenden Lücken. In seinem kurzen Brief an Amerbach (dessen Original nicht erhalten ist) schildert Leunclavius die Freude, in die er bei ihm ausgebrochen sei, als er vor zwei Jahren durch Zufall auf dieses feine Werk des Zosimus gestossen sei (er muss sich also 1574 in Basel befunden haben); da habe er, Amerbach, ihn treffend auf die Intrige aufmerksam gemacht, mit der der Kirchenhistoriker Euagrius jenes neuartige Werk wie ein Verbrechen durch eine Anzeige und handgreiflich zu unterdrücken versucht habe. Wohl darum habe jahrhundertelang niemand die Verteidigung der Rechte des Zosimus übernommen und sei das herrliche Werk verboten und unbeachtet herumgelegen. Auf seine Empfehlung habe er sich entschlossen, bei der Wiederherstellung dieses neualten Werkes kurz Punkte gegen die Zosimusgeissler zu sammeln, damit, falls einer seine Arbeit wieder mit Euagrius oder im eigenen Namen anzeigen sollte, er wenigstens einen Aufschub des Verbots erreichte und sich rechtfertigen könnte. Da das bisher gelungen sei, bitte er ihn, falls jemand nach der Vollendung etwas gegen ihn unternehmen wolle, ihn als Verteidiger nehmen zu dürfen (was wohl auch nur literarisch im Sinne des Widmungstopos zu verstehen ist, obwohl Amerbach damals schon ein weithin berühmter Jurist ist), da er ihn Zosimus gewogen wisse und in seine Verteidigungskunst volles Vertrauen habe.
Die Basler Bibliothek besitzt eine griechische Handschrift bzw. Abschrift des Gothenkriegs Prokops, die vom 23. Mai 1574 datiert ist und heute Antonios Kalosynas, einem früheren Mitarbeiter des Andreas Darmaris, zugeschrieben wird, der zu diesem Zeitpunkt in Toledo tätig war. Ihre Herkunft ist leider unbekannt, ebenso der Zeitpunkt, zu dem sie in die Bibliothek gelangt ist.
Es ist zu vermuten, dass Leunclavius Amerbach ein Exemplar dieses Druckes übersandt oder überbracht hat. Im einzigen heutigen Basler Exemplar aber befindet sich kein Besitzer- oder Geschenkeintrag: B c II 117
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Bc II 117