GG 365

Geōponika .

De re rustica selectorum libri XX. Graeci, Constantino quidem Caesari nuncupati, ac iam non libris, sed thesauris annumerandi. Io. Alexandri Brassicani opera in lucem editi... Item Aristotelis De plantis libri duo Graeci, nuper ab interitu liberati, ac studiosorum usui hac primum editione restitui. Basel: Robert Winter (Cheimerinos) Mounychion/März 1539. 8°.

Griechischer Erstdruck zweier Schriften: einer byzantinischen Schrift über die Landwirtschaft und einer pseudo-aristotelischen zur Pflanzenkunde. Die Geōponika, schon von unserem Herausgeber und Drucker als eigenhändiges Werk des "ersten christlichen Kaisers" Konstantin, als was sie überliefert waren, angezweifelt, da sie durch eine Widmung an ihn zu seinem Werk geworden seien, gelten heute als Neuausgabe einer älteren Schrift dieses Inhalts und als Werk des jungen Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogennetos (905-959) und der Gelehrten, die er vor seiner Regierungszeit um sich geschart hatte, als eines der neben seiner enzyklopädischen Exzerptensammlung entstandenen Sammelwerke. Die zweite Schrift, die zwei Bücher peri phytōn "des Aristoteles", ist ein früher Auszug peripatetischer Pflanzenlehre (u.a. der Botanik Theophrasts) und galt schon im Altertum - zu Unrecht - als ein Werk des Aristoteles. Die - hier zum erstenmal gedruckte - daraus erhaltene Kompilation ist eine griechische Rückübersetzung - soviel ist unserem Herausgeber auch schon bekannt - einer lateinischen Übersetzung des frühen 13. Jahrhunderts, die ihrerseits nach dem Arabischen angefertigt worden war. Die Ausgabe der Geoponika ist offensichtlich irgendwie Johannes Alexander Brassicanus zu verdanken (1500-1539). Er war Kaiserlicher Hofpfalzgraf, seit Sommer 1521 Nachfolger Johannes Reuchlins als Professor für Griechisch in Ingolstadt, seit 1524 Professor für Zivilrecht an der Universität Wien. Die Handschrift, die für unsern Druck verwendet worden ist, muss spätestens 1536 in Basel gewesen sein, denn 1538 ist, mit Widmung vom Februar 1537, auch schon eine lateinische Übersetzung danach hier erschienen. Und Brassicanus hat die Widmung unseres griechischen Druckes durch dessen Basler Betreuer Simon Grynaeus an Ianus Svolla, den mährischen Adligen, Juristen und Humanisten Jan Zvolsky ze Zvole (Volscius) veranlasst. Brassicanus habe gewünscht, beginnt Grynaeus seine Widmung, die zu einem Plaidoyer für den neuen Geist der Wiedergeburt - Renaissance - und des Humanismus einer geistigen Offenheit wird, dass das nach so langer Zeit wieder entdeckte Werk in seinem, Svollas, Namen das Publikum erreiche, dem Schicksal ähnlich, nach dem es seinerzeit sogleich nach dem Erscheinen den Namen seines Autors eingebüsst und mit dem des Kaisers den seines Patrons angenommen habe. Es gehe Brassicanus eben auch mehr um den öffentlichen Nutzen als um seinen eigenen Ruhm. Einst sei die Rettung des Lebens eines einzigen Bürgers für den Staat belohnt worden; wie viel lobenswürdiger sei die Rettung eines wertvollen Autors für alle Zeiten und alle Völker! Man dürfe nicht einem mit Mühe ausgegrabenen Schatz, der jeden Wert verliere, wenn er nicht gebraucht werde, das Licht verwehren. In der Forschung müsse man alles dem öffentlichen Nutzen hintanstellen, doch das würden nur wenige würdigen. Nicht nur die Pflege des Geistes und irgendeine private Lehre eines Einzelnen (cultus ingenii tantum & doctrina privata quaedam) werde aus den Denkmälern der antiken Autoren wiederzugewinnen gesucht, sondern das menschliche Leben mit seinen sämtlichen Umständen und Tätigkeiten (sed vitae rerumque & negotium omnium humanorum restitutio ac rectitudo quaeritur). Herrlich sei daher, dass er, Svolla, die alte Lehre in neuer Sprache grosszügig publizieren lasse. Diese geradezu verschwörerische Einmütigkeit der Guten sei nötig, damit die Schar der Gelehrten gegen die Masse der Barbaren obsiegen könne: in der Religion werde unter Gottes Führung der Glaube gegen den Aberglauben wiedergewonnen, in der Theologie die offenkundige Wahrheit gegen die barbarische Roheit, im Recht die Autorität alter erfahrener kluger Männer gegen blosse Meinungen Ungebildeter und Ungeübter, in der Medizin die Griechen gegen die Araber, das heisst Pferde gegen Esel. So hoffe er, sollten in allen Schulen statt Streiterei gelehrte und humane Zusammenarbeit, in allen Disziplinen statt einer chaotischen Büffelei feine geordnete und wahrhafte Vernunft des Lernens, im gesamten Leben statt Dummheit und Eitelkeit Weisheit und Lebenswahrheit wieder in der ganzen Christenheit die Oberhand gewinnen, damit die Felder und Saaten, die ganze Erde mit den Menschen und allen Lebewesen die Wohltat der Wissenschaften, das heisst Gottes Gabe spürten. Und mit diesem fast utopischen Ausblick auf die Renaissance des gesamten Lebens bis zum Ackerbau ist Grynaeus beim konkreten Thema des vorliegenden Buches angelangt: der ersten Notwendigkeit des Erdenlebens, der Nahrungsmittelproduktion, einem Thema, das behandelnswert sei, da die Menschen hierin überlegt und fachgerecht unterrichtet werden sollten. Obwohl er sich hiermit bisher wenig beschäftigt habe, könne er sich vorstellen, dass es hierin wie an den Universitäten dieser Zeit sei, dass man vieles, das sich durch alten Brauch eingenistet habe, mit grossem Nutzen hinauswerfen könne. Worauf er sich mit der antiken, vor allem der besser bekannten römischen Landwirtschaft auseinandersetzt, und zuletzt darauf hinweist, dass hier unter dem neuen Begriff Geōponika eine griechische Landwirtschaftslehre erscheine, die dadurch umso wertvoller sei. Schliesslich weist er auf das Walten der Vorsehung hin: da die miteinander verwandten Schriften des Plinius und Theophrasts über die Pflanzen durch ihre Schwierigkeit bzw. ihren Umfang die Studiosi abschreckten, die Knappheit und Klarheit des Aristoteles gerade auf diesem Gebiet innerhalb der Naturlehre vermisst worden sei, habe die Vorsehung wollen, dass dessen bisher verschollene zwei Bücher hierüber hier mitpubliziert werden könnten. Da sie so lange gefehlt hätten, würden sie umso begieriger gelesen werden und die Landwirtschaft nun in beiden Sprachen vollständig darbieten. Diese Schrift sei ihm kürzlich wider aller Erwarten zugekommen, zur Vervollständigung der Philosophie des Aristoteles, und er wolle auch sie unter seinem Patronat veröffentlichen (er hatte schon 1538 im Werkverzeichnis der grossen lateinischen Aristotelesausgabe [GG 113] die Publikation angekündigt). Dass sie ein echtes Werk des Aristoteles sei, werde aus der Vorrede ihres (anonymen) Rückübersetzers aus dem Latein ins Griechische klar, sei das nun Theodorus Gaza (wie er meine), Musurus, Lascaris oder schliesslich Planudes. Denn der Name selbst des Autors habe in seiner Vorlage, ausgelöscht und vielleicht abgeschabt, mit einigen Zeilen der ersten Seite gefehlt, wie etwa die getrennt mit Mennige geschriebenen Titel alter Bücher es zu tun pflegten. Sogar wenn einer dieses Zeugnis widerlegte, verräte sich Aristoteles handgreiflich durch die Dichte der Beweise, die Zuverlässigkeit der Sammlung, die Schärfe des Urteils, die Art der Gedankenführung. So bleibe nur noch, dass die Studiosi ihm, Svolla, für beide Bücher dankten und sich ganz an die Verbesserungen der Landwirtschaft hingäben. Er und Brassicanus möchten den Eifer seines Oporin (Kompagnon unseres Druckers Robert Winter und 1538/39 Professor für Griechisch an der Basler Universität), dem sie bei dieser Ausgabe viel verdankten, im Sammeln und Publizieren alter Denkmäler weiter, wie sie begonnen hätten, durch die Zusendung möglichst vieler vor den Würmern geretteter Autoren unterstützen - der von Brassicanus für Froben und Episcopius besorgten und finanzierten (cura ac beneficio Ioannis Alexandri Brassicani... editae) Ausgabe der Werke des Eucherius von Lyon von 1531, deren einen Teil Brassicanus dem Bischof von Augsburg Christoph von Stadion, deren zweiten Teil er dem von Herkunft, Tapferkeit und Kenntnissen in den Wissenschaften gleich hervorragenden Svolla gewidmet hat, hat Svolla ein lateinisches Epigramm auf die Bibliothek des Brassicanus beigegeben. Die Handschrift hierzu sei erhalten geblieben, als die Türken vor Wien u.a. auch das Bernhardinerkloster Heiligkreuz angezündet und die Mönche alle Bücher, zum grossen Teil bisher ungedruckte Werke, zurückgelassen hätten, worauf die eigene Soldateska allerdings in den Bibliotheken der Stadt noch schlimmer gewütet hätte als die Türken davor. Aus dem Wunsch, Svolla und Brassicanus möchten weiter Handschriften für Basler Drucke besorgen wie aus dem Wunsch des Brassicanus, die Ausgabe der Geoponica Svolla zu widmen, müsste man eigentlich schliessen, dass Brassicanus deren Handschrift nach Basel gesandt, dass Svolla zur Finanzierung der Ausgabe beigetragen hat - andererseits sagt Cornarius in der Widmung seiner Übersetzung von 1538 (GG 364) schon 1537, dass sein alter böhmischer Freund Matthaeus Aurogallus (damals Professor für Hebräisch in Wittenberg) ihm die Handschrift zugesandt hat... Böhmisch-Mährisch ist beides... Nur: hätte Brassicanus oder Svolla den Druck einer Handschrift des Aurogallus finanziert? In der Vorrede zu seiner Salvianus-Ausgabe bei Froben von 1530 beschreibt Brassicanus nicht nur die Bibliothek von Buda (von Matthias Corvinus her) vor der türkischen Eroberung, sondern berichtet auch vom Geschenk griechischer Handschriften, das er von König Ludwig von Ungarn und Böhmen erhalten habe, nennt auch unzählige noch unpublizierte, vor allem griechische Handschriften, so von Chrysostomus, Origenes in einer Epitome Gregors und des Basilius, Gregor von Nyssa, Basilius vollständiger als die Übersetzungen des Argyropulos und Eustathios, Philo, Proklos, Johannes Philoponos, Manuel Moschopulos, Heron von Alexandria in seinem Besitz.

Exemplar aus Besitz der Drucker Episcopius ("Episcopiorum"), dann des Basler Professors für Rhetorik, Bibliothekars der Universität und philiatros Conrad Pfister: B c VIII 67 Nr. 2 (Nr. 1 = der zweite Druck der Übersetzung von 1540; beide Drucke mit wenigen Einträgen des Eusebius Episcopius und Pfisters). Ein zweites Exemplar stammt aus Besitz des Martin Borrhaus, ein drittes aus dem Kloster Lützel, dann Daniel Hubers.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VIII 67:2

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Vorrede von Simon Grynaeus an Janus Svolla (Jan Zvolsky ze Zvole), datiert vom 2. März 1539, 1. Seite (von 14)

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Letzte Textseite mit griechischem Kolophon

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