GG 463
Sententiae Iesu Siracidae , Graece summa diligentia & studio singulari editae, Cum necessarijs Annotationibus, Ioachimo Camerario Pabepergen. autore.... Basel: Johannes Oporin August 1551. 8°.
Ein erbauliches Schulbuch, zugleich Griechischlehrbuch, das aus der Sorge um die Unruhen der Zeit heraus entstanden ist: seinen Anlass und seine Entstehung mit all ihren philologischen Problemen erfahren wir aus der Widmung des Herausgebers, Joachim Camerarius, an den jungen Augsburger Patrizier Johann Baptist Hencelius (Hainzel), seinen Schüler in Leipzig von 1543 bis 1545. Aus einem Brief seines Druckers, Oporins, an Camerarius vom 20. Juni 1551 zur Sendung von dessen Theognisausgabe (GG 186) erfahren wir zudem, dass sich der Drucker wie vom Theognis auch von unserm Werk eine baldige zweite Auflage erhoffte, wenn das Buch in den Wittenberger und Leipziger Scholae - Gymnasien - als Lehrbuch eingeführt sei. Wie jenen hat Oporin denn auch die Sententiae schon 1555 nochmals drucken können und 1568 sowie 1570 sind sie nochmals in Leipzig nachgedruckt worden. Der Verfasser der in der lateinischen Kirche als Ecclesiasticus = Kirchenbuch bezeichneten Sammlung von Mahnsprüchen für das tägliche Leben und u.a. lobpreisenden Liedern, ein Jesus Sohn Sirachs, oder Ben Sirach, oder Jesus Sohn Eleazars des Sohnes Sirachs dürfte ein gebildeter, weitgereister, konservativ-gesetzestreuer Weisheitslehrer um 180-170 vor Christus gewesen sein. Die griechische Übersetzung stammt, laut deren Prolog, von seinem Enkel um 130. Den hebräischen Text hat als letzter Hieronymus (um 350-420) noch gekannt; seither ist er verschollen; 1896-1900, nochmals 1930 und seither weiter in Qumran sind zu den wenigen älteren neue Fragmente hinzugefunden worden; das Buch gehört nicht zum jüdischen Kanon. Der Text der Vulgata ist eine freie Übersetzung aus dem Griechischen mit Zusätzen. Der griechische - als der dem Original nächste vollständige - war bis zu unserm Druck von 1551 erst zweimal, im 3. Band der Biblia Complutensis, Alcalá de Henares 1514-1517, anschliessend an die Weisheit Salomonis, und in der griechischen Gesamtbibel des Aldus Manutius von 1518 im Druck erschienen. In Einzelausgaben war bis dahin der lateinische Text seit Wien 1519, Antwerpen 1533, Augsburg, Magdeburg und Wittenberg 1538 noch mehrmals erschienen, letzterer Druck eine Rückübersetzung aus der deutschen Übersetzung Martin Luthers von Justus Jonas, die ihrerseits seit Erfurt, Strassburg und Wittenberg (3 mal) 1533 allein bis 1550 noch mindestens zehnmal gedruckt worden war, dazu eine niederdeutsche in Magdeburg 1532-1546 ebenfalls mindestens achtmal, während eine dänische einmal 1541 in Magdeburg erschienen war. Einen ersten hebräisch-lateinischen Druck hatte Paul Fagius 1542 in Isny herausgegeben.
Camerarius beginnt seine sechzehnseitige Widmung an den jungen Hainzel mit dem Hinweis, dass Wahrheit der Lehren und Übung des Stoffes untrennbar seien. Besonders gelte das für Frömmigkeit und Gottesfurcht. Über diese gebe es Disputationen und stark besuchte und wortreiche Lehrgänge ohne Ende und ohne Mass, gute Absichten würden durcheinandergebracht, die Tüchtigen hörten bei der Ausführung der besten Lehren auf, Menschen zu sein, und im Wortstreit würden die Tatsachen oft verdreht, lobenswerte Taten blieben unbeachtet, jede Zucht löse sich auf. Wo anderseits Gottesfurcht und die Begierde nach einem frommen und geheiligten Leben herrsche, die theologischen Studien gefördert würden, jedoch die Pläne und Lehren nicht durch die Lehre der Wahrheit geleitet würden, da führten deren Vorhaben schliesslich zu einer grässlichen Gottlosigkeit des Aberglaubens. Aber wenn auch die Erneuerung der Wahrheit mit Unruhen verbunden sein müsse, da nicht nur die fest eingewurzelten Irrtümer widerstünden und sich mit aller Kraft zu festigen suchten, sondern da in Unruhen auch manches in bester Absicht ohne Überlegung, manches sogar von Unaufrichtigen unter ehrenvollem Vorwand leichtfertig unternommen werde, so müsse dennoch ihre Erkenntnis allem andern, was im Leben für nützlich oder Angenehm gelte, vorangestellt werden, da allein ihr Besitz sicher und beständig sei, alles andere vergänglich. Im folgenden wolle er zeigen, welche Schäden die Unkenntnis der göttlichen Wahrheit mit sich bringe: Tod und Untergang, das Gegenteil von Leben und Heil, wobei das Übel umso grösser sei, je ruhiger das Leben im Dunkel der Irrtümer dahingehe, da dann nicht einmal eine Möglichkeit zu Zweifeln und einer Umkehr bestehe. Aus diesem Grunde müssten Unruhen geschürt und vielfältige Verwirrung geschaffen werden, doch seien nicht die Stimme der Wahrheit und die von ihr Bewegten deren Urheber, sondern ihre Gegner, obwohl auch von denen die Unruhen vermehrt würden, die von der neuen Rede der Wahrheit (der Reformation) allzu begeistert seien. Schädlich sei vor allem, wer blind an falschen Meinungen festhalte, wie zuweilen ein Liebhaber gar nicht davon befreit werden wolle und mit seiner Schläue sich gegen die Wahrheit wehre. Er hoffe, dass seine Zeit nicht den Zorn Gottes gegenüber solchem Trotz, sondern seine Güte gegenüber der Unterwerfung erfahre. Dem dürften alle Rechtschaffenen zustimmen. Und so dürfe man hoffen, dass im Staat die Ruhe wieder einkehre, dieser sich nicht selber zugrunderichte. Mit diesem Wunsch werde ein Studium verbunden sein nicht der Volksrede oder in stets neuer Form und frecher Art zu schreiben, schamlos Irrtümer zu verteidigen, mit Possen aufzuwiegeln gegen die Lehre des Paulus. Diese Frechheit werde es nicht mehr geben und die Menschen würden beginnen, sich in der Erkenntnis der Wahrheit zu üben, nicht nur zur Rede, sondern auch zur Tat. Wenn dies aber von der Mehrheit der Menschen nicht erreicht werden könne und die Mehrheit mächtiger sei als die Rechtschaffenen, dann möchten diese Wenigen die himmlische Lehre der Wahrheit nicht überhören, ihr nicht untreu werden, sie nicht verraten oder verletzen, sondern sich, nötigenfalls mit dem Leben, für Kenntnis und Bekenntnis der Lehre und den Glauben daran einsetzen. Mit ihren starrköpfigen Gegnern zu streiten rate er niemand; er werde es nie tun. Was bringe es? Jenen gehe es nur ums Rechthaben. Es störe ihn nicht, furchtsam genannt zu werden. Furchtsam sei er nach stoischer Lehre zwar nicht, sondern achtsam (eulabeisthai), doch fürchte er jetzt auch, dass das selbe eintrete, was er aus ähnlichen Zeiten dank den alten Geschichtswerken und von jetzt aus Erfahrung kenne. Doch er wolle jetzt nicht mit der Empfehlung, Streit zu vermeiden, streitsüchtig erscheinen. Aber jene Minderheit, zu der auch er zu gehören wünsche, werde sich auch bemühen, wenn sie gläubig und ehrfürchtig die Lehre der Wahrheit erfasst habe, ihren Gehorsam zu bekennen, in Wort und Tat ehrlich willfährig zu sein, in der Einfalt des Herzens und der Pflichterfüllung. Das sei die Verehrung, die Gott gefalle. In solchen Gedanken habe er kürzlich, die drohenden Gefahren, die Schwierigkeiten und Unruhen vor Augen, bevor er sich an die tägliche Arbeit gemacht habe, gleichsam statt eines Gebetes die Mahnsprüche zu lesen beschlossen, die Jesus Sirach nach eigenen Angaben aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt habe (s. oben), da er, mit andern Gelehrten, glaube, dass dieses Büchlein mit Vorteil der Jugenderziehung beigefügt werde (wozu die zahlreichen deutschen und lateinischen Drucke allerdings damals schon bald zwei Jahrzehnte verwendet worden sein dürften: somit geht es eher noch um moralische Lektüre für den Griechischunterricht). Als er sie aber in verschiedenen Vorlagen unterschiedlich und von alten Autoren ungleich angeführt gefunden habe, habe er bei wiederholter Lektüre zu annotieren begonnen, was er von den unterschiedlichen Lesarten von Bedeutung gefunden habe. Und gleichzeitig habe er der jeweiligen Inhaltsangabe auch andere ähnliche Mahnsprüche beigefügt, besonders die Salomons (Weisheit oder Sprüche Salomonis), aber auch solche von ausserhalb der volkstümlichen und kirchlichen christlichen Überlieferung, da auch diese nicht zu verwerfen seien und er meine, die Jugend müsse unterrichtet werden, was sie diesen Büchern am ehesten zu entnehmen habe. Denn das Gute sei überall der Wahrheit verwandt. Ihn aber habe die schlechte Überlieferung betroffen gemacht, die Unwissenheit oder Nachlässigkeit des Übersetzers in den Eigentümlichkeiten der griechischen Sprache. Und nichts habe ihm im Verständnis der dunklen oder der Verbesserung der verderbten Stellen viel helfen können. Denn die alte lateinische und die neue deutsche, von besten Kennern angefertigte Übersetzung seien Werke für sich, nicht Übersetzungen aus dem, was griechisch überliefert sei. Über andere, sei es hebräische oder chaldäische (aramäische) Schriften könne man nichts sagen, da sie jetzt wenigstens nicht zur Verfügung stünden. Zudem habe es überall Barbarismen und Solözismen gehabt, was, wie allen Gelehrten bekannt und er anderswo gezeigt habe, das Verständnis erschwere. Das alles habe einige Schwierigkeiten in der Anordnung (dispositio) und Kommentierung (exornatio) des Büchleins mit sich gebracht. Beides sei wohl so gelungen, dass dieses von studiosi, die beide Sprachen einigermassen beherrschten (d.h. Griechisch und Latein), leicht gelesen und ohne grosse Umtriebe auch andern vorgetragen und erklärt werden könne (d.h. von Dozenten in ihrem Unterricht verwendet werden könne). Er sei der spanischen Ausgabe (d.h. der Biblia Complutensis: s. oben) gefolgt, da sie ihm nach der zuverlässigsten Vorlage kopiert und am sorgfältigsten angefertigt zu sein scheine. Die griechischen Sprüche ins Lateinische übersetzen, was er nach der gewissenhaften Beschäftigung damit wenigstens besser als andere vermocht hätte, habe er nicht wollen; die gewichtigen Gründe wolle er hier nicht nennen. Er habe dies alles für sich gemacht, gönne es, mit Plato, aber jedem, daraus Nutzen zu ziehen. Darum habe er beschlossen, das Büchlein mit seinen kleinen Anmerkungen herauszugeben, damit seine Arbeit allen, die sie nützen wollten, bekannt werde (immerhin stehen den knapp 120 Seiten Text fast 80 Seiten Annotatiunculae gegenüber). Er widme es ihm in Erinnerung an sein Wohlwollen, das er kürzlich wieder in einem Brief gezeigt habe, und sei sicher, dass ihm das Werk nicht nur willkommen sein werde, sondern auch Freude bereiten. Seine humanitas habe ihm erst kürzlich sein hervorragender Arzt Johannes Crato im Gespräch bestätigt, als er sich auf der Heimreise einige Tage hier aufgehalten habe (1550 war der spätere Leibarzt Kaiser Ferdinands und Maximilians II. Stadtarzt seiner Heimatstadt Breslau geworden; er hatte sein Medizinstudium 1543 in Leipzig begonnen, dort auf Empfehlung Melanchthons im Hause des Camerarius verkehrt und sich mit den jungen Brüdern Johann Baptist - dem Empfänger unserer Widmung, Schüler des Camerarius - und Paul Hainzel befreundet, die ihn dann 1545 bis 1549 als ihren Studienbegleiter nach Italien erwählt hatten, u.a. nach Padua, wo Crato Schüler des Montanus wurde). Solche Schriften seien, wie er ja wisse, mit Ausdauer und gewissenhaft zu lesen, und so, dass man sich durch ihre Lehren bessern lasse. Schändlich fürwahr, wenn einer über eine Kunst viele Worte zu machen verstehe, aber kein Werk aus dieser Kunst herstellen wolle oder könne. Wer aber als Christ gelten wolle, dies jedoch nicht durch die Tat beweise, dafür im Disputieren und Argumentieren geistreich und beredt sei, sei weit davon entfernt und nichts weniger als was sich für einen Bekenner (professor) der himmlischen Erkenntnis gehöre. Sich vorzustellen, wo er hingehöre, überlasse er jedem einzelnen. Es bestehe kein Zweifel, denn es gebe das eindeutige Wort des Apostels Paulus, dass, wer sich nicht durch den Geist Christi führen lasse, nicht zu Christus gehöre. Dass die Werke des Fleisches aber den Früchten des Geistes entgegengesetzt seien, zeige er im Galaterbrief. Es seien also schon damals unheiliges leeres Geschwätz, Gezänke einer betrügerischen Erkenntnis, mit deren Verkündung einige vom Glauben abkämen, zu bezähmen gewesen, wie der selbe Apostel sage (1. Tim. 6,20/21). Immer und überall gingen mit der Auflösung der Zucht Frechheit und Leichtfertigkeit im Disputieren einher, besonders wenn Natur, Zeit oder Ort einen Anstoss gäben, der Geist nicht gänzlich stumpf sei und der Reichtum an Werken ihn unterstütze, wie Plato es von den dialektischen Jünglingen erzähle, frühberedten und frühgelehrten. Er führe das nicht als Krieger gegen sein Jahrhundert, zur Verleumdung seiner Zeitgenossen an, sondern damit ein jeder die Gefahr für sein eigenes Heil sich zu erkennen bemühe, denn die Tage des Gerichtes seien nahe. Wer seinerzeit die Übel zuerst verursacht und später ihre Heilung verhindert habe, sei leicht zu erkennen. Und da nun sichtlich das selbe unternommen werde, sei zu befürchten, dass der Staat noch mehr Schaden nehme. Im gegenwärtigen Streit und Durcheinander müsse ein jeder, wie in einer aufgelösten Schlachtreihe, selber für sein Heil in der Kirche sorgen. Jede Lehre schade denen, die richtige Aussagen falsch umdeuteten oder in ihrem Sinn verdrehten. Deshalb sei es das Beste, in der Einfalt des Glaubens gottesfürchtig zu leben und jeden Streit zu vermeiden, der oft unter dem Deckmantel der Tapferkeit daherkomme. Das alles ziele aber nicht dahin, in der Verteidigung der Wahrheit der überlieferten himmlischen Lehre weniger standhaft zu sein, sondern darauf, dass man erkenne, dass diejenigen, die sie hochzuhalten bekennten, sich wahrhaft an sie hielten, aus fester Überzeugung und eindeutigem Glauben. Dass dies ihnen beiden und allen, die es wünschten, zuteil werde, bitte er Gott: um Gnade für die vergangenen Fehler und Schutz für die Zukunft, dass ihr Wille in der wahren Lehre und demütigem Gehorsam vom heiligen Geist geleitet und belehrt werde.
In der heute gültigen Septuagintaausgabe urteilt der Herausgeber der Sapientia Iesu Filii Sirach Josef Ziegler (Bd. XII, 2 S. 50): "Camerarius bringt einen Abdruck der Complutensis, die jedoch an verschiedenen Stellen stillschweigend verbessert oder auch verschlechtert wird" (die im folgenden angeführten Beispiele sind mehrheitlich von der positiven Art).
D VII 31 Nr. 1.
Bibliothekskatalog IDS
Signatur: Aleph D VII 31:1