Atrocianus, Johannes: Ioannis Atrociani, Nemo (...). - Basel, 1528

Autor  Atrocianus, Johannes, 1490-?
Titel  [Nemo evangelicus] Ioannis Atrociani, Nemo evangelicus : reverendiss. in Christo p. & illustri principi Philippo Episcopo Basiliensi dicatus : audi lector, nemo ille factus est evangelicus ; Eiusdem Io. Atro. epikēdion de obitu honestissimi viri Io. Frobenii typographorum principis ; Item, Eiusdem mothōrēa, hoc est, superbia
Impressum  Basileae : apud Ioannem Fabrum Emmeum Iuliacensem, anno 1528
Umfang  [48] S. ; 16 cm
Notiz  Impressum aus Kolophon
Signaturen: a-c⁸
Zierinitialen
Druckort  Basel
Druckerei  Faber, Johann (Offizin, Basel)
Enthaltene Werke  Atrocianus, Johannes: Epikedion de obitu honestissimi viri Io. Frobenii typographorum principis. - Atrocianus, Johannes: Superbia
Bibliogr. Nachweis  VD16 A 4021
Signatur  Aleph D X 21:6
Anm. zum Exemplar  Zusammengebunden mit sechs weiteren Drucken
Rubrizierungen
Besitzervermerk des Sammelbandes: Kartause Basel
Vorbesitzer  Kartause Basel

Illustrationen

Buchseite

Titelseite

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Schluss des Textes und Kolophon (Bl. c7verso)

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Kommentar

(spl) Der Druck aus Faber Emmeus‘ Offizin bietet eine Neuauflage von Atrocians antireformatorischer Schrift Nemo Evangelicus, die im gleichen Jahr 1528 bei Froben erstmals ediert worden ist (in UB Basel nicht vorhanden). Der Dichtung vorangestellt ist eine Widmungsepistel an den Basler Bischof Philipp von Gundelsheim. Weiter sind in diesem Druck enthalten: ein Epicedion auf den zuvor verstorbenen Johann Froben mit einem Schreiben an dessen Sohn Hieronymus als Vorspann; Atrocians Dichtung Mothonia, die von einer Widmung an einen gewissen Chonradus Calceolus begleitet ist, welchen Atrocian als besonders guten Freund bezeichnet.

Widmungsbrief an den Basler Bischof [1]

Der mehr als sieben Seiten lange Widmungsbrief Atrocians beklagt mit Nachdruck den Sittenzerfall, wobei ein Grundübel in der Missachtung der tradierten christlichen Werte gesehen wird. Kein Zeitalter sei so verdorben wie das eigene, stellt Atrocian mit dem Hinweis auf seine Lektüre geschichtlicher Beschreibungen früherer Zeiten fest. Um die Diagnose des perversum seculum noch zu unterstreichen, zitiert der Humanist in der Folge mehrere Verse aus seiner im selben Jahr erstmals erschienen antireformatorischen Dichtung Elegia de bello rustico (siehe Aleph D X 21:7; Aleph D X 22:5). Insgesamt verbinden sich in Atrocians Klage religiös-christliche Argumentationsmuster mit der Demonstration griechischer Gelehrtheit.

Nemo Evangelicus [2]

Atrocians 307 elegische Distichen umfassende Schrift macht die Reformatoren und insbesondere Luther für alle Wirren und den Tumult verantwortlich, wie er gegenwärtig herrsche. Wie auch in der Elegia de bello rusticosieht Atrocian als Ursache des Bauernkriegs die Reformation. Mord und Totschlag, Plünderung und Zerstörung, all dies habe der Nemo Evangelicus, der evangelische Niemand, verursacht. Besonders beklagt der Humanist zudem den mit der Reformation einhergehenden Niedergang der Bildung, der zur Folge habe, dass bald nur noch die barbara barbaries herrsche.

Mit der Personifizierung des evangelischen Niemand nimmt Atrocian direkt Ulrich von Huttens Dichtung Nemo zum Vorbild (siehe DB V 17:10; DB VI 8:9), was sich in ganz konkreten Anklängen zeigt: So schreibt Hutten zum Auftakt seiner Dichtung Nemo loquitur, Atrocian beginnt das dritte Distichon mit Nemo Evangelicus loquitur; Hutten lässt über längere Passagen hinweg sämtliche Verse mit Nemo anfangen, Atrocians Dichtung weist umfangreiche anaphorische Teile auf, deren Verse durchweg mit Nemo Evangelicus beginnen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Huttens und Atrocians Dichtung besteht jedoch in der Verwendung des personifizierten Niemand. Während dieser bei Hutten Dinge zu tun vermag, die genau genommen niemand kann (oder eben nur der Niemand), ist der evangelische Nemo bei Atrocian durchaus handelnde Person und realer Anstifter aller Übel. Das Spiel mit nemo funktioniert also nicht in dem Sinne, dass das Wort als Negationsform verwendet wird, sondern es dient der Abwertung des evangelischen Gegners.

Epicedion auf Johann Froben [3]

Direkt im Anschluss an den Nemo Evangelicus ist ein Gruss Atrocians an Hieronymus Froben abgedruckt, der davon handelt, wie sehr der Dichter den kürzlich verstorbenen Johann Froben, den Vater des Adressaten, geschätzt habe. Besonders hervorgehoben werden die Wohltaten des Druckers, die so grossartig seien, dass Atrocian nicht weiss, wer den Titel Magnus eher verdient, Alexander der Grosse oder Froben.

Das mit dem Gruss verbundene Epicedion umfasst siebzehn Distichen und betont, dass ganz Europa um den hochgebildeten Drucker trauere. Erwähnt werden zudem die wichtigsten Editionen Frobens.

Die Dichtung Mothonia hoc est Superbia [4]

Die mit einem kurzen Widmungsbrief versehene Schrift Mothonia[in dieser Ausgabe fälschlicherweise als Mothoria bezeichnet] besteht aus lediglich 64 Distichen. Die Dichtung, in der sich viele Anklänge an klassische Autoren finden, ist in der Ich-Form formuliert, handelndes Subjekt ist die regina superbia. Gemeint ist der evangelische Hochmut, wie im Verlauf der Dichtung deutlich wird. Der Hochmut brüstet sich, über die ganze Welt und über alle Dinge zu herrschen. Und nicht nur bezeichnet er sich als den schönsten und den reichsten, sondern auch als den gelehrtesten weit und breit. Er singt seiner Meinung nach am schönsten, weiss am meisten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, der Medizin und des Rechts. Insbesondere weiss er auch am besten, die Heilige Schrift auszulegen. Er versteht zu dichten, spricht alle Sprachen und ist beredter als irgendjemand anderer. Gleichzeitig bezeichnet sich die superbia der Reformation in Atrocians Dichtung aber auch als die Urheberin der traurigsten Kriege. Sie ist es, die Aufstände vorbereitet, sie ist es, die die Bauern aufstachelt.

Weitere Werke im Sammelband

Der beschriebene Titel ist eingebunden in einen Sammelband, der weitere sechs lateinische Werke altgläubigen oder antireformatorischen Inhalts enthält, alle in den Jahren 1525 bis 1528 gedruckt. Besonders hervorzuheben ist der einzige weitere poetische Text des Bandes, nämlich die 1528 erstmalig erschienene Elegia de bello rustico (siehe Aleph D X 21:7) von Johannes Atrocianus.

Weiterführende Literatur

Hamm, Joachim: Servilia bella. Bilder vom deutschen Bauernkrieg in neulateinischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden, 2001 [Zu Atrocians Elegia de bello rustico insbesondere die Seiten 225-244 und 304-328, die eine Edition der Elegie, eine deutsche Übersetzung in Prosa sowie Anmerkungen bieten]

Folkerts, Menso: Eine Verwechslung mit Folgen. Die Humanisten Acronius und Atrocianus. In: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 85/1 (2001), S. 55-63

Titel und Incipits

[1] Widmungsbrief an den Basler Bischof [zum Text]

Reverendissimo in Christo P. et illustri principi Philippo episcopo Basiliensi, Ioannes Atrocianus, salutem.
Incipit: Cum fere omnis

[2] Nemo Evangelicus [zum Text]

Ioannis Atrociani, nemo evangelicus, reverendiss. in Christo P. & illustri principi Philippo episcopo Basiliensi dicatus.
Incipit: Ecce iterum ignotis veniens e sedibus adsum

[3] Epicedion auf Johann Froben [zum Text]

Ioannes Atrocianus insigni eruditione viro, Hieronymo Frobenio. s.
Incipit: Quam acerbe optimi

Io. Atrociani epikēdion de obitu honestissimi viri, Io. Frobenii, typographorum principis.
Incipit: Quae penitus nulli mors crudelissima parcit

[4] Die Dichtung Mothonia hoc est Superbia [zum Text]

D. Chonrado Calceolo Ioannicae, amico suo singulari, Ioannes Atrocianus s.
Incipit: Quod praeeminenti eruditione

Mothoria, hoc est, superbia Ioanne Atrociano authore.
Incipit: Evolvens animo nostrae virtutis honorem

Erwähnte Personen: Gundelsheim, Philipp von; Froben, Hieronymus; Froben, Johann; Calceolus, Chonradus*; Luther, Martin; Hutten, Ulrich von

Themen: Historisch: Bauernkrieg 1524-26; Reformation; Alexander der Grosse

Themen: Poetisch: Anapher; Distichon, elegisches; Elegisches Distichon; Epicedion

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