GG 298

Diophanti Alexandrini Rerum Arithmeticarum Libri sex, quorum primi duo adiecta habent Scholia, Maximi (ut coniectura est) Planudis. Item Liber de numeris Polygonis seu Multiangulis. Opus incomparabile, verae Arithmeticae Logisticae perfectionem continens, paucis adhuc visum. A Guil. Xylandro Augustano incredibili labore Latine redditum, & Commentariis explanatum, inque lucem editum, Ad Illustrisz. Principem Ludovicum Vuirtembergensem. Basel: Eusebius Episcopius und Erben seines Bruders Nicolaus 1575. Fol.

1570 hatte Wilhelm Xylander in Heidelberg, wo er Professor für aristotelische Philosophie war, seine zusätzliche Professur für Ethik, in die der Senat der Universität ihn 1569 gegen Kurfürst Friedrich III., der sie dem aus Paris geflüchteten Petrus Ramus extraordinarie hatte übertragen wollen, gewählt hatte, aufgegeben, 1571 Wittenberg und Leipzig besucht. In Wittenberg zeigte man ihm Blätter einer Handschrift der Arithmetik des Diophantos, des ersten bekannten griechischen Algebraikers (3.Jh. n. Chr.), von dem er bis dahin aus der Suda und durch die Nachricht von vatikanischen Handschriften, die Regiomontanus gesehen haben sollte, wusste, einer Handschrift, die Andreas Duditius Sbardellatus, dem Gesandten des Kaisers am polnischen Hofe vollständig - soweit das Werk erhalten ist, d.h. 6 der ursprünglich 13 Bücher - gehörte (Dudith, 1533-1589, 1567 exkommunizierter Bischof von Fünfkirchen, Socinianer und Lutheraner). Aus Leipzig schrieb er zusammen mit seinem Gastgeber, dem damaligen Professor für aristotelische Philosophie (seit 1569), später für Medizin Pietro Simone Simoni aus Lucca, an den Besitzer, und wenige Monate später hatte er die Handschrift in Händen mit der Aufforderung Dudiths, die Übersetzung bald zu liefern. Xylander erkannte bei der Arbeit bald, dass ihr Inhalt über alles bisher von der antiken Arithmetik Bekannte weit hinausführte. Xylander hat seine Übersetzung der Arithmetik und der kleinen Schrift über die Polygonalzahlen, die griechisch erst 1621 in Paris, mit einem Lob des Vorgängers von Claude Gaspar Bachet herausgegeben, und 1670 ebenfalls in Paris, mit einem Kommentar des grossen französischen Mathematikers Pierre de Fermat erschienen sind, als publicus philosophiae Aristoteleae in schola Heidelbergensi doctor (d.h. Professor ordinarius) am 14. August 1574 zum Dank für seine Studien im württembergischen Tübingen Herzog Ludwig von Württemberg gewidmet.

Den Fürsten nach mancher Autoren Sitte zu preisen überlasse er andern, beginnt er seine Widmung, doch wolle er den Guten zeigen, wer ihn achte und was er ihm verdanke, sowie was er von ihm erwarte, ohne Verdienst, nur im Vertrauen auf ihn. Er hoffe, dass seine Achtung, seine Bemühungen, die Wissenschaften zu seinem Ruhm zu mehren, ihm willkommen seien. Nach der Augsburger Trivialschule habe sein Tübingen ihn aufgenommen, als er noch nicht gewusst habe, was Philosophie sei. In Tübingen habe er fünf Jahre verbracht. Die Anfänge seiner Bildung verdanke er Tübingen und er bereue es nicht und Tübingen schäme sich seiner wohl auch nicht. Von seinem Grossvater und Vater habe er, Herzog Ludwig, die Verpflichtung übernommen, die Akademie (d.h. die Universität) zu fördern. So stehe er als Schuldner der Universität auch in seiner Schuld. Dafür widme er ihm dieses Werk. Seit vielen Jahren habe er sich so ernsthaft mit Mathematik beschäftigt - mit Geometrie, Arithmetik und Kosmographie - dass er auch versucht habe, andere darin zu unterrichten (1562 war seine deutsche Übersetzung der ersten sechs Bücher der Elementa Euklids in Basel erschienen [GG 286], 1562 hat er auch, neben seiner Professur für griechische Sprache, von der er 1563 zum angeseheneren Organon gewechselt hat, mathematische Vorlesungen angekündigt). Zeugnisse dafür fänden sich in seinen Arbeiten, vor allem in denen, die er wegen der Ungunst der Zeiten noch nicht habe abschliessen und herausgeben können (im Jahr nach Erscheinen des Diophantus ist er mit 44 Jahren gestorben). Als er daher bei Suidas die Arithmetik des Diophantus erwähnt gefunden habe, habe er sich wenigstens den Anblick dieses Werkes gewünscht. Er habe dann von seiner Existenz in italienischen Bibliotheken bei Regiomontanus erfahren, der es als gesehen erwähne. Aber da es niemand herausgegeben habe, habe er es bei sich allmählich einschlafen und durch die Kenntnis der ihm erreichbaren Arithmetikbücher begraben lassen. Als er die Cossica oder Algebrica (gegen die das Übrige nur wie homerische Schatten in der Unterwelt gegen die Seele des Tiresias sei) gelernt habe, was die berühmten Christoph Rudolff (um 1500 - um 1545), Michael Stifel (1487? -1567, wie Rudolff einer der bedeutendsten Cossisten, d.h. frühen westlichen Algebraisten mit noch eigener Zeichengebung), Cardanus (der Mailänder Mathematiker, Arzt und Naturphilosoph Girolamo Cardano, dessen Werke am zahlreichsten in Basel gedruckt worden sind, 1501-1576), Nonius (der Portugiese Pedro Nunes, 1492-1578) publiziert gehabt hätten, sei er in Raserei geraten und habe sich in Arithmetik und wahrer Logistik etwas gemeint, und auch Gelehrte hätten ihn für einen nicht gewöhnlichen Mathematiker gehalten. Als er aber auf Diophantus gestossen sei, habe ihn das richtige Denken gepackt, dass er sich vorher selber bedauernswert, ja lächerlich vorgekommen sei. Es sei der Mühe wert, seine vorherige Unwissenheit hier bekannt zu machen und etwas vom Geschmack des Werkes des Diophantus, das ihm die Augen geöffnet habe, zu bieten. Gegen die Berechnungen des Diophantus seien die Beschreibungen des Dreiecks und Vierecks durch Pythagoras nur Anfangsgründe. Auch Leonardus von Pisa dürfte aus ihnen geschöpft haben (Leonardo Fibonacci, um 1170 - nach 1240, hat sich als Kaufmannssohn durch Berührung mit dem Orient sein Kaufmannswissen um Kenntnisse in arabischer, griechischer und indischer Mathematik erweitert und wurde der bedeutendste Mathematiker des Mittelalters im Abendland). Und aus den hier edierten Büchern dürfte man einen Riesenschatz an Arithmetik bilden können. Freilich heisse es, in der Vatikanischen Bibliothek habe es 13 Bücher der Arithmetik des Diophantus, und Regiomontanus habe sie gesehen. Über diese könne er nicht urteilen. Die seinen seien ihrer sechs, von denen die beiden ersten griechische Scholien hätten, die von Maximus Planudes stammen sollten (um 1255 - kurz vor 1305, er hat, neben vielen andern Arbeiten, die Werke des Diophantus mit Scholien herausgegeben). Dies scheine ihm umso glaubhafter, als der von ihm benützten Handschrift einiges Logistisches unter seinem Namen beigefügt sei. Er wisse wohl, dass Hypatia Diophantus kommentiert habe, doch diese Annotationes (die in der Handschrift enthaltenen) seien ihres Namens nicht würdig (die Tochter des Mathematikers Theon und Leiterin der Neuplatonikerschule von Alexandria zu Beginn des 5. Jahrhunderts hat Kommentare zu Apollonios und zu den Schriften des Diophantos verfasst, doch sind sie verloren). Die übrigen vier Bücher und ein weiteres über die polygonalen Zahlen enthielten keine Scholien, doch dafür habe der Leser die seinen. Schlimm sei die Korruptheit der Handschrift gewesen: zuweilen die Darstellung der Probleme unvollständig, überall die Zahlen in den Problemen, den Lösungen oder den Erklärungen verderbt. Zuerst habe er sich kühn und freudig auf das Werk gestürzt, in der Hoffnung auf Ruhm. Die Schwierigkeiten hätten ihn nur noch mehr angestachelt. Sein Kampf gegen die Sorglosigkeit der Schreiber sei nicht neu und nicht ruhmlos. Das bezeugten Dio (Cassius), Plutarch, Strabo, Stephanus (Byzantius - Xylanders Ausgaben lat. Basel 1558 [GG 268], bzw. Moralia lat. Basel 1570 [GG 98], gr. Basel 1574 [GG 101], Vitae lat. Heidelberg bei Ludwig Lucius, der zuvor in Basel gedruckt hatte, 1561, bzw. Strabo gr. und lat. Basel 1571 [GG 290], bzw. Stephanus gr. Basel 1568 [GG 297]). Er müsse auch sagen, bei welcher Gelegenheit und woher er die Diophantushandschrift erhalten habe. Im Oktober 1571 sei er in Wittenberg unter anderem zu einem Gespräch über Mathematik mit den Mathematikern Sebastian Theodoricus (genannt Winshemius, Mathematiker, Arzt und Philosoph, Professor publicus in Wittenberg) und Wolfgang Schuler gekommen. Diese hätten ihm ein paar griechische Seiten des Diophantus anzusehen gegeben und auch den Namen des Besitzers der Handschrift nicht verschwiegen. Dieser sei ein reicher Mann, von höchstem polnischem Adel: Andreas Dudicius Sbardellatus, damals Gesandter des Reichs bei den Polen, dessen Verdienste um die Wissenschaften eine ehrenvolle Nennung verdienten. Mit ihm sei er schon vorher in Briefwechsel über mathematische Probleme gestanden. Dieser habe ihn auch in seinen mathematischen Bemühungen bestärkt gehabt. Beim Aufbruch aus Wittenberg habe er sich ein Problem aus Diophantus zur Unterhaltung während der Reise abgeschrieben. Dessen Lösung habe er in Leipzig dem Philosophen und Arzt Simon Simonius aus Lucca (Pietro Simone Simoni, mit dem auch Theodor Zwinger in Kontakt gestanden zu haben scheint) gezeigt und ihm erklärt, dass er, mit Einverständnis des Dudicius, Diophantus ins Lateinische übersetzen wolle (wohl, ähnlich dem Euklid, in der Annahme, dass eine Übersetzung bei mathematischen Schriften breiteren Nutzen bringe als eine griechische Ausgabe). Sie hätten ihm gemeinsam geschrieben. Nach wenigen Monaten habe Dudicius ihm die Handschrift gesandt und ihn zu seinem Vorhaben ermuntert. Diese Überlassung verdiene mehr Ruhm als seine Arbeit. Und auch der Initiant der Sendung, Simoni, verdiene grossen Dank. Er, der Fürst, habe in Tübingen und an andern Orten seines Gebiets berühmte Gelehrte, besonders den bedeutendsten Philosophen des Jahrhunderts, seinen Lehrer Jacob Schegk, dem er alle Kenntnis in aristotelischer Philosophie verdanke. Dieser allein schon sei eine Zierde des Fürsten und des Vaterlands (Jacob Degen genannt Schegk, 1511-1587, war Professor der aristotelischen Philosophie, seit 1543 auch der Medizin, in Tübingen und galt in seiner Zeit als das Haupt der Aristotelik in Deutschland). Die Arithmetik aber sei die Führerin und Erklärerin aller mathematischen Wissenschaften und ihr Nutzen im täglichen Leben auch dem Volk bekannt. Bedeutung und Nutzen der mathematischen Wissenschaften aber habe er an anderem Ort ausführlich dargelegt, Anklagen der Trägen widerlegt (in der Vorrede zu seiner deutschen Euklidübersetzung, Basel 1562), damit möchte er Seine Hoheit nicht hinhalten. Als Ertrag seiner Arbeit erhoffe er sich, dass sie ihm willkommen sei, dass er sie grosszügig in seinen Schutz nehme und ihn unter seine Klienten. Das werde nicht nur für ihn, den Fürsten, eine Ehre sein, sondern vor allem das Studium der Arithmetik allgemein, besonders aber an seiner Akademie und in seinen Gymnasien fördern und damit auch seinen Staat.

Die Arithmetik des Diophantus ist das einzige Werk, das uns die Existenz griechischer Algebra belegt. Bekannt war seit der Entdeckung und unserer lateinischen Ausgabe der sechs griechisch erhaltenen Bücher durch Xylander u.a. aus der Einleitung des Diophantus selber, dass das Werk vollständig aus deren dreizehn bestanden hatte. Bis in unsere Zeit blieben nur diese sechs Bücher bekannt. Erst 1982 sind vier weitere Bücher in arabischer Übersetzung durch ihre Publikation nach einer Handschrift in Mesched bekannt geworden, auf die 1984 am Colloquium didacticum classicum decimum Basiliense hingewiesen worden ist. Auch sie bestehen aus Einzelproblemen und deren Lösungen, wie das ganze Werk offenbar bis ins späte Altertum als Sammlung von Problemen für den Unterricht verwendet worden und dadurch bis in die arabische Zeit erhalten geblieben ist. Durch die neue Entdeckung der vier Bücher, die über die mit den griechisch überlieferten gemeinsamen Interpolationen von Rekapitulationen jeweils am Schluss der Probleme hinaus weitere Veränderungen, auch wohl schon vor ihrer Übersetzung ins Arabische, erfahren zu haben scheinen, haben sich die bisher bekannten - die bis dahin als Buch 1 bis 6 gegolten hatten - jetzt als die Bücher 1-3 und - nach den vier nur arabisch erhaltenen - 8-10 erwiesen.

Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis (zusammen gebunden mit Theodor Zwingers Hippokrates-Kommentar von 1579): K A I 5 Nr. 2

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: KA I 5:2

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2*r: Vorrede Wilhelm Xylanders mit einer Widmung an den Herzog Ludwig von Württemberg vom 14. August 1574, 1. Seite.

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2*v: Vorrede Wilhelm Xylanders, 2. Seite.

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3*r: Vorrede Wilhelm Xylanders, 3. Seite.

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3*v: Vorrede Wilhelm Xylanders, 4. Seite.

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4*r: Vorrede Wilhelm Xylanders, 5. Seite.

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4*v: Vorrede Wilhelm Xylanders, 6. Seite.

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5*r: Vorrede Wilhelm Xylanders, 7. Seite.

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5*v: Vorrede Wilhelm Xylanders, 8. Seite.

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1ar: Anfang der lateinischen Ausgabe der Arithmetik des griechischen Mathematikers Diophantios.