GG 437
Orthodoxographa. Theologiae sacrosanctae ac syncerioris fidei Doctores numero LXXVI, Ecclesiae columina luminaque clarissima... Basel: Heinrich Petri März 1555. Fol.
1522 Seiten (dazu noch den unfoliierten Index) umfasst die Sammlung von Schriften meist noch nicht einzeln gedruckter orientalischer, griechischer und römischer Kirchenschriftsteller, die zur selben Frühjahrsmesse, auf die Petri neben noch weiterem auch den ebenfalls über 1500 Seiten umfassenden Folianten der Exempla virtutum et vitiorum aus Autoren von der Antike bis zum Humanismus herausbringt, hier teilweise zum erstenmal im Druck erscheinen. So der Ruffinus-Text auf S. 1422-1440 nach einer Majuskel-Handschrift (wohl aus Murbach) mit fehlenden Blättern, Tintenfrass und Wasserschäden (fein beschrieben), die der Ensisheimer Arzt Georg Pictorius erworben und Petri zur Verfügung gestellt hatte. Aus dem Mikropresbytikon (GG 436) werden sämtliche Schriften, wenn auch teilweise neu angeordnet und ohne ihre alten Vorreden (z.B. Maximus und Chromatius), wieder abgedruckt, mit Ausnahme der nichtchristlichen Philons und des "Aristeas"; neu hinzu kommen u.a. die Canones Apostolorum mit lateinischer Übersetzung Gregor Haloanders, die Passio & Resurrectio des Jüngers Nicodemus, die Gnomen des Nilus martyr, zwei Orationes des Gregor von Nyssa, Schriften Tatians und des Theophilus, diese beiden aus dem 1546 bei Froschauer in Zürich erschienenen Sammeldruck mit den Sententiarum sive capitum, theologicorum praecipue, ex sacris & profanis libris tomi tres usw. (hieraus auch schon im Mikropresbytikon die Centuriae des Maximus: Petri hat Froschauers Druck, zusammengebunden mit einer griechischen Maximus-Handschrift, beides mit Randkorrekturen des Arnoldus Arlenius, besessen: Mscr. F II 1c; später Remigius Faesch), wobei deren beide zeitgenössische Übersetzer, die Zürcher Conrad Clauser und Conrad Gesner, jener ein nicht unbedeutender Philologe, dieser der berühmte Universalgelehrte, immerhin genannt werden; sehr viel grösser ist der Zuwachs bei den lateinischen Autoren.
Hatte Petris theologischer Sammeldruck von 1550 (GG 436) mit seiner eigenen Widmung noch einen der Sache entsprechenden neutralen Titel als Sammlung kleiner Kirchenväter, so weist der Titel dieser neuen, doch ganz verwandten Sammlung auf höhere Absichten und Ansprüche ihres Herausgebers, wie wir auch seiner Widmung entnehmen können: Der 1514 in Höchstädt an der Donau geborene Johannes Herold hatte sich nach zehnjährigem Scholarenleben in Deutschland und Italien 1539 in Basel niedergelassen, der Druckerstadt mit einer Studiermöglichkeit durch ein Stipendium aus der Stiftung des Erasmus. Hiervon jedoch durch seine uneheliche Geburt, durch anstossende Führung auch bald von Pfarrämtern in Basel und Augsburg ausgeschlossen, sah er sich nun als Übersetzer, Korrektor und Herausgeber für mehrere Basler Drucker ganz auf deren Aufträge und Beiträge durch Widmungen geehrter Gönner angewiesen. Sein Ziel in zahlreichen Publikationen war eine Stärkung des Reiches; theologisch ordnete er dieser Versuche zur Versöhnung zwischen den Konfessionen unter. So sind auch die "Rechtgläubigen Schriften" vom Reformierten Herold einem der reichstreuen rheinischen Grenzland-Bischöfe gewidmet, Theoderich von Bettendorf, Bischof von Worms, dem dritten Nachfolger Johannes Dalbergs, des Humanisten auf jenem Stuhl. Zur Prüfung der Orthodoxie der abgedruckten Schriften verweist er auf Paulus: Prüfet alles und behaltet das Gute; Bücherverbote lehnt er ab.
Den Abschluss bilden, zweisprachig und durch kleinen Kursivdruck gewissermassen als vorchristlicher Anhang gekennzeichnet, die zuvor in Basel schon bei Oporin erschienenen Oracula Sibyllina (GG 460) (GG 461).
Parallel zu diesem Druck sind andere Bemühungen gegangen: In einem Brief aus Strassburg vom 6. Juli 1554 suchte der junge Caspar von Nydbruck, Humanist und Hofrat König Ferdinands seit 1553, zuvor schon von dessen Sohn Maximilian, nach einem Besuch in Basel vom Vormonat, bei dem er u.a. Bonifacius Amerbach, Oporin, Petri und die Theologen Martin Borrhaus und Wolfgang Wissenburg kennengelernt hatte, Amerbach dafür zu gewinnen, sich bei Johannes Herwagen dafür einzusetzen, dass er nicht nur eine lateinische Übersetzung der Canones Graecorum nach einer Handschrift Amerbachs (der zudem auch einen griechischen Pariser Druck besass), sondern - zur Bezeugung ihrer Authentizität - diese synoptisch mit Amerbachs griechischem Originaltext, oder, zumindest, diesen ebenfalls drucke. Es handelt sich um den Commentarius in canones SS. Apostolorum et Conciliorum von Theodorus Balsamon, Titularpatriarch von Antiochia im 12. Jahrhundert und bedeutender byzantinischer Kirchenrechtslehrer, von Amerbach in seinem Verzeichnis kurz als "Canonica apostolorum" bezeichnet, in der griechischen Fassung vermutlich eine Handschrift aus dem Basler Predigerkloster (1561 hat Amerbach seine Balsamon-Handschrift - heute A III 6 - Henricus Agylaeus für seine Photiusausgabe zur Verfügung gestellt, 1570 sein Sohn für einen Genfer Druck). Matthias Flacius hatte ihn auf den Nutzen von Handschriften für diese kirchengeschichtliche Quelle hingewiesen - wie umgekehrt Nydbruck sich weitherum für Flacius um die sog. Magdeburger Centurien, d.h. die bis zum Jahre 1400 gediehene und 1559-1574 bei Oporin, Parcus und Brylinger in Basel erschienene Historia ecclesiastica..., die erste protestantische Kirchengeschichte, bemühte. Nydbruck wies ihn auf den Fund hin, und beide bemühten sich um den Druck beim vermögenden Herwagen oder mit Hilfe der Fugger, bis 1555 ohne Erfolg. Die Orthodoxographa brachten dann viele frühchristliche Texte in der von Nydbruck für Canones und Concilia gewünschten und empfohlenen synoptischen Form und darunter auch mit den Canones Apostolorum auf S. 1404-1413 den ersten Text der erhofften Canones-Sammlung. Vollständig erschienen wenigstens die Canones dann synoptisch erst in der ausdrücklich nach Petris Vorbild gestalteten Ausgabe von Conrad Gesners theologōn...orthodoxa in Zürich 1559, nachdem sich dieser auf Veranlassung des Basler Druckers Isingrin mit Nydbruck in Verbindung gesetzt hatte, textlich jedoch nur nach dem Pariser Druck, während ein Text aus den Orthodoxographa immerhin nach einer neuen Handschrift des inzwischen 1557 verstorbenen Nydbruck erschien. Vom Juni 1554 an stand Nydbruck in Briefwechsel mit Wissenburg, Petri und vor allem Oporin.
Nochmals fast ein Drittel mehr an Text, mit zahlreichen neuen Autoren, werden vierzehn Jahre später die hier folgenden Monumenta Orthodoxographa des Johann Jacob Grynaeus umfassen (GG 439).
Weiteres zu Amerbachs griechischen Canonica apostolorum (Balsamon) s. zu Nr. 373 und 377.
F J VII 4.
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Signatur: FJ VII 4