Der Kunstgeschichte des Mittelalters verpflichtet

Barbara Schellewald, emeritierte Professorin der Universität Basel, kuratierte zusammen mit ihrer Masterstudentin Vanessa Vogler an der UB eine Ausstellung über den renommierten Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt. Wir fragten sie, was den Gelehrten in Forschung und Privatleben besonders umtrieb.

Frau Schellewald, was gab den Ausschlag für eine Ausstellung über Adolph Goldschmidt?
Barbara Schellewald: Ein wesentlicher Teil des Nachlasses von Adolph Goldschmidt wird in der UB aufbewahrt. Für die Fragen nach dem Profil dieses Wissenschaftlers, seiner Arbeitsprozesse, aber auch für die Wissenschaftsgeschichte insgesamt birgt dieser Nachlass gewichtige Dokumente. Die Ausstellung sollte zudem einen bedeutenden Wissenschaftler in Erinnerung rufen, der in Basel seinen letzten Lebensort gefunden hat.

Goldschmidt war gebürtiger Hamburger und von 1903 bis 1929 Professor in Halle und Berlin. Was waren seine Forschungsschwerpunkte und seine Verdienste als Wissenschaftler?
Goldschmidt wird zu Recht international als einer der Gründungsväter einer Kunstgeschichte des Mittelalters angesehen. Zum Zeitpunkt seiner Habilitation galt die Mediävistik als nicht gleichwertig zu Forschungsbereichen wie etwa der Frühen Neuzeit. Aber nicht nur die deutschsprachige oder europäische Kunstgeschichte wurde durch seine Studien geprägt. Mit seinen mehrfachen Lehr- und Forschungsaufenthalten in den USA (Universität von Harvard) hat er massgeblich die Entwicklung des Faches Kunstgeschichte vorangetrieben. Die ihm entgegengebrachte formulierte Wertschätzung war aussergewöhnlich hoch. Goldschmidt hat über nahezu alle Gattungen der Kunst gearbeitet. Dennoch lassen sich Kernbereiche identifizieren, wie etwa die mittelalterliche Skulptur, die Elfenbeinkunst oder auch Handschriftenilluminationen. Seine Studien zur Elfenbeinforschung haben neben vielem anderen bis heute Gewicht. Durch die Vielzahl seiner Student*innen und den engen Austausch mit jüngeren Kolleg*innen haben seine Forschungen überdies die Kunstgeschichte des Mittelalters nachhaltig geprägt. Zu seinen Schülern in Berlin zählte etwa Kurt Weitzmann, der nach seiner Emigration in die USA zu einem der wichtigsten und einflussreichsten amerikanischen Kunsthistoriker avancierte.

Goldschmidt war erster jüdischer Ordinarius für Kunstgeschichte in Berlin. 1938 wurde er dort als Mitglied der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen. 1939 – vergleichsweise spät – emigrierte er in die Schweiz, nach Basel. Was war vor der Diktatur sein Verhältnis zu Deutschland?
Wie erlebte und beschrieb er die Zeit unter der nationalsozialistischen Diktatur? Goldschmidt hat seine Identität als Deutscher wiederholt in Briefen betont. Er war kein praktizierender Jude. Er ist lange Zeit davon ausgegangen, dass er ob seiner Verdienste, seiner Mitgliedschaft in ausgewählten akademischen Institutionen und der internationalen Anerkennung einen gewissen Schutz geniesst. Die von vielen ausgesprochenen Warnungen hat er lange Zeit nicht zum Anlass genommen, sein geliebtes Deutschland zu verlassen. Die zunehmende Isolation und die signifikanten Veränderungen seiner Lebens- und Arbeitsumstände hat er dennoch sehr schmerzhaft wahrgenommen, wie man seiner Korrespondenz entnehmen kann. Ihn hat zudem die Sorge um seine Familie zunehmend umgetrieben.

Vernissage Goldschmidt-Ausstellung
«Adolph Goldschmidt. Wissenschaft als Leben und das Basler Exil»

Prof. Dr. Barbara Schellewald und Vanessa Vogler
UB Hauptbibliothek, Ausstellungsraum
24.1. – 24.4.2020

Adolph Goldschmidt (1863–1944) hat die Kunstgeschichte als akademische Disziplin durch seine Forschungen und Lehrtätigkeit in Europa und den USA entscheidend mitgeprägt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft musste er 1939 von Berlin nach Basel emigrieren, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Ein Grossteil seines wissenschaftlichen Nachlasses wird daher in der Universitätsbibliothek Basel aufbewahrt. Die von Barbara Schellewald und Vanessa Vogler mit Student*innen des Kunsthistorischen Seminars kuratierte Ausstellung gibt anhand des Nachlasses Einblick in die Forschung und Arbeitsweise eines international renommierten Kunsthistorikers.

Barbara Schellewald (links) und Vanessa Vogler (rechts) an der Eröffnung ihrer Ausstellung über Adolph Goldschmidt an der UB Basel, 24. Januar 2020.

Barbara Schellewald (links) und Vanessa Vogler (rechts) an der Eröffnung ihrer Ausstellung über Adolph Goldschmidt an der UB Basel, 24. Januar 2020.

Warum liess er sich in Basel nieder?
Basel bot sich für ihn zuerst als Übergangsstation an, weil er dort unter anderem in Robert von Hirsch prominente Unterstützung fand. Gewichtige Referenzen, wie diejenigen von Heinrich Wölfflin und Heinrich Alfred Schmid, boten ihm einen Rückhalt. Die erste Planung sah vor, dass er aus der Schweiz letztlich in die USA emigrieren würde, da man in Harvard für ihn eine besondere berufliche Position geschaffen hatte.

Adolph Goldschmidt starb 1944 in Basel. Womit beschäftigte er sich in seinen letzten Lebensjahren?
Goldschmidt hat sich bemüht, seine Forschungen auf den neuen Lebensort auszurichten. Im Zentrum stehen profane Handschriften des Spätmittelalters. Zugleich hat er alte Fäden, wie die Untersuchungen zur mittelalterlichen Wandmalerei wieder aufgenommen. Nur wenige Studien sind bis zur Publikation gelangt. Im Nachlass lassen sich mehrere Manuskripte für Studien identifizieren, die zu keinem Abschluss mehr gelangt sind.

Sie haben sich ausführlich mit Goldschmidts Korrespondenz auseinandergesetzt. Sie dokumentiert sein grosses Netzwerk innerhalb der Gelehrtenwelt Europas und den Vereinigten Staaten. Welche Briefwechsel haben Sie besonders fasziniert?
Seine Korrespondenz ist längst nicht in Gänze erschlossen. Es gibt deutliche Lücken im Basler Nachlass. Besonders wichtig sind hier Briefe, die in Harvard im Archiv liegen, die seinen ununterbrochenen Austausch z.B. mit Paul J. Sachs in Harvard dokumentieren. Diese Briefe sind von zentraler Bedeutung für die Zeitspanne der 1930er und 1940er Jahre. Sie bieten auch einen Blick auf den «privaten» Goldschmidt. Wichtig ist auch der allerdings abgebrochene Austausch mit dem Freiburger Kollegen und Freund Wilhelm Vöge. Intensive und umfassendere Studien seiner Korrespondenzen, die weit verstreut sind, werden zukünftig weitere Aufschlüsse erlauben.

Was – abgesehen von seiner Forschung – trieb ihn in besonderem Masse um?
Goldschmidts Leidenschaft galt seiner Wissenschaft und der akademischen Lehre, die er mit hohem Engagement im Inund Ausland betrieben hat. Er war in einer Vielzahl von Institutionen tätig. Seine kluge und humorvolle Art hat auch dazu beigetragen, dass die Relevanz der Mediävistik zunehmend anerkannt worden ist. Sein Interesse richtete sich auch auf die neuen Reproduktionsmedien wie die Photographie oder den Film. Darüber hinaus war er ein umfassend gebildeter Kunsthistoriker, der die Entwicklungen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst wahrnahm. So pflegte er seine Kontakte zu Künstlern wie Max Liebermann oder Edvard Munch.

In den Briefen widerspiegelt sich auch das Wesen Goldschmidts. Welche Rückschlüsse lassen sich davon ausgehend auf ihn ziehen?
Die Frage nach dem Wesen ist schwierig zu beantworten. Ich möchte mich dazu im Moment nur sehr vorsichtig äussern. Goldschmidt war gesellig und humorvoll. Er war kommunikativ, er liebte den Austausch mit jungen Leuten. Ein gewisser Lebensstandard, den er seit Kindheitstagen in einer Hamburger Bankiersfamilie gewohnt war, war ihm durchaus wichtig. Zudem stand er wohl nicht ungern im Mittelpunkt. Frau Schellewald, vielen Dank für das Gespräch.


Interview: Nathalie Baumann
Bilder: Anne Simon