Die UB wird noch mehr zum Treffpunkt
Die beiden Architekten Gerrit Sell und Andreas Bitterli planten und realisieren seit September 2020 den Umbau der UB Hauptbibliothek. Wir fragen, was sie an diesem Auftrag besonders reizte und wie die Architektur darauf reagiert, dass die Digitalisierung die Anforderungen an Bibliotheken stark veränderte und weiterhin verändert.
Herr Sell und Herr Bitterli, beginnen wir mit einer ketzerischen Frage: Wozu braucht es überhaupt noch (wissenschaftliche) Bibliotheken? Mittlerweile ist doch fast alles online verfügbar. Gerrit Sell und Andreas Bitterli: Die ketzerische Frage ist sicher angebracht, vor allem, da das Medium Buch sehr emotionsgeladen ist. Die UB Hauptbibliothek in Basel, die sowohl als Unibibliothek als auch als Kantonsbibliothek fungiert, ist eine Kulturinstitution, in der Bücher aufbewahrt werden, das kollektive Wissen zur Verfügung gestellt wird und darüber hinaus Ausstellungen
gezeigt werden. Die UB ist also ein Ort des Lernens, gleichzeitig aber auch ein Ort der Begegnung und des gesellschaftlichen Austauschs. All diese Funktionen haben heutzutage immer noch Gültigkeit, allerdings gibt es Verschiebungen in der Gewichtung und diese sollten durch angepasste Infrastrukturen ermöglicht werden.
Worin sehen Sie heute und künftig die Hauptfunktion von wissenschaftlichen Bibliotheken? Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek, geht in seinem Interview (SRF Kulturplatz, 4.4.2018) auf Pflege und Bewahren von Forschungswissen ein. Er sagt, gerade im Zeitalter von Wikipedia, Google und den sogenannten Fake News brauche es dringend unabhängige Instanzen, die Wissenschaft, Forschung und Lehre unterstützen. Zudem wird die Bibliothek als Ort immer wichtiger: Die Atmosphäre des Lernens und Austauschs ist hierbei zentral. Für die Student*innen und Forscher*innen bietet die Bibliothek sowohl Raum für Lernen, Wissensaneignung, Kontemplation, analoge und digitale Informationsvermittlung als auch Raum für Begegnung und universitäres Leben.
Die UB baut um
Wie viele (wissenschaftliche) Bibliotheken ist die UB Basel einerseits Gedächtnisinstitution und Wissensspeicher, andererseits auch Lernort und Treffpunkt – offen für alle. Ziel des Umbaus ist es, Lernplätze zu schaffen, die den heutigen Lernbedürfnissen entsprechen. Weiter werden Informationszentrum und Ausleihtheke erneuert und wird die Ausleihe mit dem Selbstverbuchungssystem RFID ausgerüstet. Umgestaltet werden auch das Foyer im Erdgeschoss, das zentrale Treppenhaus und das Zeitschriftenmagazin. Zudem führt man Sanierungsarbeiten und Anpassungen bei den Fluchtwegen in den Nebentreppenhäusern durch. Die Umbauarbeiten begannen im September 2020 und werden voraussichtlich im Sommer 2021 abgeschlossen sein. Weitere Informationen
Was bedeuten die zusätzlichen Anforderungen für die Architektur von Bibliotheksgebäuden – am Beispiel der UB Basel? Generell sollte ein Bibliotheksgebäude diese vorgenannten unterschiedlichen Funktionen unter einem Dach ermöglichen und vor allem flexibel auf Veränderungen reagieren können. Beim Gebäude der UB Basel von Otto H. Senn aus den Jahren 1962–1968 kann man sehr schön die unterschiedlichen Funktionsbereiche und die Staffelung von öffentlichen zu semiöffentlichen Bereichen erkennen: Der Kopfbau mit dem verbindenden öffentlichen Treppenhaus, den Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Seminarräumen sowie der Cafeteria; dann die eigentliche Bibliothek im 1. OG mit der Abfolge von Lesesälen, dem Kuppelsaal als zentralem Element und die direkte Anbindung an die Magazine; seitlich und separat erschlossen schliesslich der Verwaltungsflügel. Diese Aufteilung hat sich bis heute bewährt und grösstenteils ihre Gültigkeit bewahrt. Was sich gegenüber früheren Anforderungen verändert hat, ist die vermehrte Nutzung der Bibliothek als Ort des Lernens und der Begegnung. Deshalb liegt das Hauptaugenmerk bei unserem Projekt auch auf der Schaffung von zusätzlichen Lernräumen.
Wie lautete der Auftrag an Sie? Die Aufgabe bestand aus zwei Aspekten: Zum einen galt es, möglichst viele zusätzliche Lernplätze für die Student*innen zu schaffen. Da längerfristig eine Generalsanierung des Gebäudes ansteht, sind wir hierbei von einem «Laboratorium» ausgegangen. Die Erkenntnisse aus den bewusst sehr unterschiedlich ausgebildeten neuen Lernräumen sollen dann in die Anforderungen an eine zukünftige Sanierung einfliessen. Zum anderen war es wichtig, das Gebäude für die verbleibenden Jahre bis zur Sanierung technisch aufzurüsten: Dies betraf sowohl die baulichen Themen wie Brandschutz, Fluchtwege, Schadstoffe und Elektroinstallationen als auch die Einführung eines digitalen Ausleihsystems für den Sammlungsbestand.
Was waren die besonderen Herausforderungen bei der Planung? Das Gebäude ist baulich sehr komplex und wird täglich von vielen Personen genutzt. Somit gab es tatsächlich diverse Herausforderungen: Bei der Erarbeitung des Vorprojektes erzielten wir bei den Nutzer*innen eine grosse Zustimmung, obwohl doch in einige Bereiche massiv eingegriffen wurde. Aber die Idee des «Laboratoriums» war für alle nachvollziehbar und überzeugend. Generell lässt sich sagen, dass die rechtzeitige Einbindung und Mitarbeit der Nutzer*innen dem Projekt sehr geholfen haben. Bei der Planung konnte dann eine grosse Hürde genommen werden, indem mit der Feuerpolizei eine Lösung gefunden wurde, die bestehenden Nebentreppenhäuser zu Fluchtwegen umzubauen und somit das Haupttreppenhaus für eine möblierte Begegnungszone freizuspielen, was sicher ein Hauptaugenmerk des Projekts darstellt.
Was ist für Sie als Architekten reizvoll am Projekt? Das Ensemble mit dem Altbau von 1898 und dem Senn-Bau aus den 1960er Jahren ist denkmalgeschützt und weist eine hohe architektonische Qualität auf. Die Einbauten sind zum grössten Teil noch originär, die Raumstrukturen sehr komplex und sowohl räumlich als auch atmosphärisch faszinierend. Uns ging es darum, die bestehende Situation zu Garderoben ins Untergeschoss zu verlegen und das Erdgeschoss somit für ein Foyer mit Informationszone und Lounge freizuspielen. In den oberen Geschossen des Treppenhauses sind dann zusätzliche Sofa-Inseln und Arbeitsplätze vorgesehen. Die «Möbelinseln» werden zum Teil extrovertiert, teilweise auch introvertiert sein und somit zum kurzen Aufenthalt oder zu längerem Verweilen einladen.
Kommen wir zum Schluss noch auf Ihre Zusammenarbeit zu sprechen. Ist es in der Architektur nicht eher ungewöhnlich, dass zwei Büros bzw. zwei Architekten zusammenarbeiten. Wie hat sich das ergeben? Ungewöhnlich ist dies heutzutage nicht mehr. Die Anforderungen an das Bauen werden immer komplexer und die einzelnen Büros spezialisieren sich mitunter laufend und ergänzen sich dadurch in ihren Fachgebieten. Den Wettbewerb für die Ideenstudie sowie den ausgeschriebenen Planungsauftrag konnten Schröer Sell Architekten jeweils für sich entscheiden. Die Ausschreibung für das Baumanagement ging dann zugunsten des Büros Moosmann Bitterli Architekten. Obwohl wir uns bis dato nicht kannten, ist die Zusammenarbeit sehr produktiv, harmonisch und macht Freude.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie andere Ansichten haben? Grundsätzlich werden alle Themen mit der Projektleitung und den Nutzer*innen sehr offen diskutiert, was erfreulicherweise dazu führt, dass zwischen allen Beteiligten ein grosser Konsens besteht. Dieser Konsens ist erforderlich, um ein in jedweder Hinsicht optimales Resultat zu erhalten. Andreas Bitterli und Gerrit Sell, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Nathalie Baumann
Bilder Umbau: Johann Frick und Schröer Sell Architekten