Ein Quantensprung im Schweizer Bibliothekswesen
Das Bibliotheksprojekt Swiss Library Service Platform (SLSP) vereint über 470 wissenschaftliche Bibliotheken in einer Organisation, der SLSP AG. Das Kooperationsprojekt mit gemeinsamem Bibliothekssystem startete 2015 und ging Ende 2020 in den Regelbetrieb über. Ein Bericht über den Systemwechsel.
Den 7. Dezember 2020 hatten sich Hunderte von Bibliothekar*innen in der ganzen Schweiz rot angestrichen: Ihre bisherigen Bibliothekskataloge wurden vom neuen, gesamtschweizerischen Katalog swisscovery abgelöst. Die Bibliotheksbenutzer*innen müssen sich jetzt nur noch einmal registrieren und sind damit in allen beteiligten Bibliotheken eingeschrieben. Eine einheitliche Suchoberfläche steht ihnen zur Verfügung und die Ausleihbedingungen sind institutionell aufeinander abgestimmt. Einen weiteren Vorteil bietet der Medienkurierdienst zwischen allen Landesteilen.
Die SLSP AG
Die SLSP AG ist das Ergebnis eines von swissuniversities (Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen) initiierten Projektes und Teil des Programms «Wissenschaftliche Information: Zugang, Verarbeitung und Speicherung». Sie wurde 2017 von 15 Aktionären gegründet, unter ihnen die Universität Basel, und wird heute von einer Geschäftsstelle geleitet. Neben dem Verwaltungsrat gibt es einen Beirat, der die SLSP AG berät.
Vorbereitungen und Tests
Eine Systemumstellung in dieser Grössenordnung mit so vielen beteiligten Bibliotheken ist hochkomplex und benötigte deshalb eine grosse Vorlaufzeit. Die Daten von mehreren Bibliotheksverbünden mussten zusammengeführt, ein neues gemeinsames Bibliothekssystem eingeführt, schweizweit gemeinsame Arbeitsabläufe und Dienstleistungen entwickelt und Ausleihordnungen harmonisiert werden. Die UB Basel arbeitete von Anfang an intensiv am Projekt mit und stellte ihr Wissen in den verschiedenen Gremien der SLSP AG zur Verfügung.
Praktisch alle Betriebsabteilungen der UB Basel waren involviert, und auch einige Basler Partnerbibliotheken unterstützten das Projektteam bei den Vorbereitungsarbeiten. 2019 und 2020 standen in allen Bibliotheken ganz im Zeichen dieser Grossunternehmung. Das Zusammenführen der Daten wurde vor der definitiven Datenmigration dreimal getestet. In jedem Arbeitsbereich mussten Hunderte von differenzierten Testfällen überprüft werden. Nach jedem Test-Load wurden Fehler korrigiert, die bei der nächsten Zusammenführung erneut zu prüfen waren. Der Alltag lief in dieser arbeitsintensiven Zeit reibungslos weiter, was dem grossen Einsatz der beteiligten Mitarbeiter*innen zu verdanken ist.
Schulungen
In den drei Monaten vor dem Go-live wurden die über 200 Mitarbeiter*innen im Bibliotheksnetz Basel intensiv im neuen System geschult; hauptsächlich über Selbststudium, kombiniert mit Workshops. Wegen der Corona-Epidemie waren alle erprobt in Online-Sitzungen, sodass die Workshops reibungslos online durchgeführt werden konnten. Der Austausch unter den Mitarbeiter*innen der verschiedenen Bibliotheken war intensiv und fruchtbar. Gut geschult und sattelfest in den neuen Funktionalitäten stand einem erfolgreichen Start nichts mehr im Wege.
Go-live: die ersten Tage
Der 7. Dezember 2020 wurde mit Spannung erwartet, und die Mitarbeiter*innen waren froh, als es endlich soweit war. Der erste Tag brachte einige Herausforderungen mit sich, und die in den vergangenen Wochen neu erlernten Funktionalitäten mussten sofort im Alltagsbetrieb angewendet werden. Da die Systemumstellung im Dezember in eine seit eh und je arbeitsintensive Zeit fiel, entstand kurzfristig ausserordentlich viel Arbeit und es wurde regelrecht hektisch in den Gängen und Büros der UB. In dieser Zeit treffen die meisten Neuerwerbungen ein, die fakturiert und katalogisiert werden wollen, es ist Prüfungszeit, und die Ausleih- und Rückgabefrequenz bewegt sich auf sehr hohem Niveau.
Der Start ging nicht ohne einige Stolpersteine über die Bühne, aber im Grundsatz konnte der Betrieb wie gewohnt weiterlaufen. Ein grösseres Hindernis war die noch unvollständige Anzeige von E-Medien in swisscovery, die erst Anfang 2021 korrigiert werden konnte. Ebenfalls etwas Kopfzerbrechen bereiteten die Kopien- und Fernleihbestell-Funktionalitäten, für welche die Mitarbeiter*innen jedoch eine kurzfristige Lösung finden konnten.
Die Neueinschreibung
Schweizweit mussten sich 800 000 Benutzer*innen neu einschreiben und ihre im alten System ausgeliehenen Medien zurückbringen. Für den Verbund IDS Basel Bern bedeutete dies, dass ab Dezember 2020 über 60 000 Medien zurückgebracht und teilweise gleich wieder verbucht werden mussten. Ein Übertrag der Ausleihen in das neue System war aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Der Server für das neue Bibliotheksverwaltungssystem steht in den Niederlanden, was auch umfassende Abklärungen bezüglich des Datenschutzes nötig machte. Für die Neueinschreibung mussten alle Benutzer*innen eine sogenannte SWITCH edu-ID erstellen, ausser Universitätsangehörige, die eine solche bereits besassen. Diese Umstellung war für das öffentliche Publikum eine grosse Herausforderung. Ein eigens dafür eingerichteter Helpdesk in der UB Hauptbibliothek war vollends damit ausgelastet, Benutzer*innen bei der Registrierung zu unterstützen. Schon nach zwei Wochen stellte sich eine gewisse Routine ein und im neuen Jahr können weitere Verbesserungen vorgenommen werden.
Neue Dienstleistungen
Der bestehende Basler Kurier-Dienst wird in bewährter Manier weitergeführt, allerdings in erweiterter Form: Neu können Medien von jeder Kurierbibliothek an jede Kurierbibliothek bestellt werden. Bis anhin war dies nur zwischen der UB Hauptbibliothek und den einzelnen Bibliotheken möglich. Sofort gut aufgenommen wurde auch der neue SLSP-Courier, ein schweizweiter Kurier, der es erlaubt, aus den verschiedensten Bibliotheken in kurzer Zeit und zu günstigen Konditionen Medien zu bestellen.
Mit swisscovery können Benutzer*innen über eine einheitliche Suchumgebung auf die Bestände aller beteiligten Bibliotheken zugreifen, die mit dem Systemwechsel auch ihre Ausleihbedingungen harmonisiert haben. Mit täglich stattfindenden Online-Kurzschulungen führt die UB Hauptbibliothek die Benutzer*innen in das neue System ein. Mit der SWITCH edu-ID besteht nun ein schweizweit einheitliches Registrierungssystem mit hohem Sicherheitsstandard für Bibliotheksbenutzer*innen, das als Single-Sign-on für verschiedene Systeme eingesetzt werden kann. So zum Beispiel für das Bibliothekskonto, den Zugang zu elektronischen Medien bei diversen Anbietern oder für andere Dienste wie Raumreservierung, Anmeldung für Kurse etc.
Ausblick 2021
Das Projekt SLSP läuft bis Frühling 2021. Während dieser Zeit wird in Basel aber auch in der SLSP AG weiter intensiv am neuen System gearbeitet und werden Systemeinstellungen und Arbeitsabläufe optimiert. Daneben gilt es auch, Rückstände aufzuarbeiten: Während der Datenmigration im Herbst konnten während sechs Wochen keine neue Medien erworben und katalogisiert werden. In organisatorischer Hinsicht fand mit dem Zusammenschluss von 470 wissenschaftlichen Bibliotheken in einer einzigen Organisation in der föderalistischen schweizerischen Bibliothekslandschaft ein Quantensprung statt. Die Zusammenführung von Daten und Vereinheitlichung von Dienstleistungen bieten grosses Potenzial für Forschung und Lehre.
Text und Bild: Monika Wechsler, Simone Gloor